In der Wüste ausgesetzt: mörderische EU-Politik gegen Migranten und Geflüchtete

Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Armut fliehen und in Europa auf eine bessere Zukunft und ein Leben in Menschenwürde hoffen, werden mit Wissen und finanziert von der Europäischen Union (EU) in der Wüste ausgesetzt, ihr Tod dabei mindestens billigend in Kauf genommen. Bei diesen so genannten „desert dumps“ handelt es sich nicht um Einzelfälle. Dahinter steht vielmehr eine bewusste Politik der EU, mit der ein Abschreckungseffekt gegenüber unerwünschten Migranten erzeugt werden soll.

Marokkanische und subsaharische Migranten an einem Zaun, der die marokkanische und die spanische Seite der Grenze in der Nähe der spanischen Enklave Ceuta trennt. [AP Photo/Mosa'ab Elshamy]

Dies zeigen Recherchen des Investigativnetzwerks Lighthouse Reporters mit internationalen Medien wie dem Bayrischen Rundfunk, Der Spiegel, Washington Post und anderen. Über ein Jahr hinweg haben die Journalisten Hunderte von Handyvideos von Migranten und vertrauliche Dokumente ausgewertet. Sie haben die Geschichte von über 50 Migranten recherchiert und Schilderungen aus erster Hand aufgenommen, wie Menschen von Sicherheitskräften in Marokko, Tunesien und Mauretanien in die Wüste verschleppt wurden.

Anschaulich ist die Geschichte von Francois aus Kamerun, der bei seinem Fluchtversuch nach Europa im September 2023 bei der Überfahrt auf dem Mittelmeer von der tunesischen Nationalgarde gestoppt wird. Francois, seine Frau, sein sechsjähriger Stiefsohn sowie die anderen Flüchtlinge aus dem Boot werden gefangen genommen, in noch nassen Kleidern in die Wüste an die algerische Grenze gefahren, dort ohne Trinkwasser ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen.

„Dort ist Algerien, geht in Richtung Licht“, sagten die tunesischen Sicherheitskräfte. „Wenn wir euch hier sehen, erschießen wir euch.“ Darauf folgte eine neuntätige Wanderung der 30köpfigen Gruppe von Flüchtlingen durch die Wüste, die Francois durch Fotos, Videos und GPS-Daten belegen konnte. Zu der Gruppe gehörten auch zwei schwangere Frauen. Sie überlebten eher zufällig und mit viel Glück, da sie Rinnsale mit Wasser fanden. Die erschütternden Bilder sind unter anderem in einem Kurzbeitrag des BR zu sehen, auch die Washington Post nahm den Fall als Aufhänger für ihren Bericht über die tödliche Abschreckungspolitik der EU auf dem afrikanischen Kontinent.

Bereits im Sommer 2023 war diese Praxis des Aussetzens von Migranten in der Wüste mit der billigenden Inkaufnahme ihres Todes von den Vereinten Nationen berichtet und scharf kritisiert worden. Ein Video, dass Anfang August 2023 im ZDF ausgestrahlt wurde, zeigt denselben Umgang mit Flüchtlingen durch tunesische Behörden. Der tunesische Innenminister Kamel Fekih sprach von Einzelfällen und leugnete, dass es sich um eine „kollektive Praxis“ handelt.

Dies ist durch die jetzt veröffentlichten Rechercheergebnisse vollständig widerlegt worden. Pushbacks und desert dumps sind regelmäßige Mittel einer Abschreckungspolitik der EU gegenüber Flüchtlingen und Migranten, die von den nordafrikanischen Partnerregimes der EU systematisch eingesetzt werden.

Im Juli 2023 war die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen zusammen mit der rechtsextremen italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und dem damaligen niederländischen Ministerpräsident Mark Rutte nach Tunis gereist, um ein Abkommen mit dem autoritär regierenden tunesischen Präsident Kais Saied zu schließen. Die EU versprach Tunesien Finanzhilfen in Höhe von 105 Millionen Euro für die Gegenleistung der „wirksamen Grenzverwaltung“ und der „Entwicklung eines Systems zur Identifizierung und Rückführung irregulärer Migrant*innen“ aus Tunesien in deren Herkunftsländer.

Wie Tunesien sind auch Marokko und Mauretanien Partnerländer der EU in der Abschreckung und Eindämmung von Einwanderung aus Subsahara-Afrika. Marokko und Tunesien gelten einigen EU-Ländern bereits als „sichere Drittstaaten“ und sind auch im Gespräch als Länder, in denen exterritoriale Asylverfahren durchgeführt werden könnten. Das bedeutet, dass Asylbewerber aus Europa in diese Länder überstellt würden, damit dort ihr Asylverfahren stattfindet - und sie gegebenenfalls auch bei positivem Bescheid dort verbleiben. Vorbild ist vielfach das britische Abkommens mit Ruanda, das bereits in Kraft ist und die Abschiebung aller Asylbewerber aus Großbritannien in das westafrikanische Land ermöglicht.

Im Februar 2024 reiste Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez nach Mauretanien und verhandelte über den Beitrag des Landes zur Migrationskontrolle. Mauretanien erhielt im Zuge der Verhandlungen Finanzzusagen der EU über rund eine halbe Milliarde Euro. Die deutsche Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte im Januar 2024 eine engere Zusammenarbeit mit Marokko beim Thema Migration angekündigt.

In Marokko und Mauretanien hatten Journalisten im Rahmen ihrer Recherchen zur Menschenrechtsverletzungen gefilmt, wie Flüchtlinge in Busse und Lastwagen gezwungen und über hunderte Kilometer verschleppt wurden. Die Migranten wurden unter anderem an der Grenze zu Mali ausgesetzt, wo eine besondere Gefahr für das Leben der Menschen von terroristischen Kräfte ausgeht. Spanische Behörden bekamen offenbar Namenslisten derjenigen überreicht, die im Grenzgebiet zu Mail zurückgelassen wurden. Auf den Videos sind Fahrzeuge im Einsatz, die den Partnern in den Maghreb-Staaten von der EU zur Verfügung gestellt wurden.

Zu den Rechercheergebnissen äußerte sich von der Leyen nicht. Eine Sprecherin der EU erklärte, man erwarte von allen Partnern den Respekt von den Menschenrechten und der Menschenwürde. Dies sind hohle Phrasen, die auch jedes Abkommen mit den nordafrikanischen Regimes garnieren.

Die jüngsten Enthüllungen unterfüttern ältere Berichte und zeigen eindeutig, dass von den Sicherheitskräften in den nordafrikanischen Ländern, die Partner der EU in der „Migrationskontrolle“ sind, systematisch schwere Menschenrechtsverletzungen an Flüchtlingen begangen werden. Diese werden von der EU nicht nur stillschweigend gebilligt und hingenommen, sondern sie sind vielmehr das direkte Ergebnis der EU-Migrationspolitik in der Mittelmeerregion.

Diese menschenverachtende Praxis von Pushbacks zu Wasser und zu Land, der beabsichtigte Tod durch Aussetzen in der Wüste ist das, was die EU von den autoritären Regimes ihrer Partnerländer im Maghreb erwartet. Sie erledigen die Drecksarbeit der EU, die selbst immer aggressiver gegen Flüchtlinge und Migranten vorgeht. Wenn EU-Vertreter, wie wie etwa der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt, nun einige Krokodilstränen weinen und eine „menschenrechtsorientierte Asylpolitik“ anmahnen, ist das der Gipfel der Heuchelei.

Tatsächlich zeigt sich in der Migrationspolitik das wahre Gesicht einer EU, in der ein Menschenleben keinen Wert hat. Diese grausame Politik und Haltung gegenüber Flüchtlingen wird genauso wie die Kriegspolitik von allen etablierten Parteien unterstützt, die v.a. in der Flüchtlingfrage ganz offen das Programm der extremen Rechten übernehmen.

Dazu schreibt die Sozialistische Gleichheitspartei in ihrem Wahlaufruf für die Europawahlen: „Die ‚Festung Europa‘, die mit Mauern, Stacheldrahtzäunen und menschenverachtenden Gefangenenlagern an den Außengrenzen immer weiter ausgebaut wird, bringt tausenden Flüchtlingen den Tod. Es handelt sich um eine bewusste Politik des Mords, um Flüchtlinge, die vor Krieg, Zerstörung und Elend fliehen, abzuschrecken. Gleichzeitig versuchen Politik und Medien, Flüchtlinge und Migranten zum Sündenbock für die tiefe soziale Krise zu machen.“

Die Verteidigung demokratischer Rechte und der Kampf für gleiche Rechte für Migranten und Flüchtlinge erfordert deshalb die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse und einen Kampf gegen das verrottete kapitalistische System und für eine sozialistische Perspektive.

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