Mitte Juli verbot das Bundesinnenministerium das Print- und Online-Magazin Compact und zog das Vermögen der dazugehörigen GmbH ein. In Brandenburg, Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt durchsuchte die Polizei auf richterliche Anordnung 14 Objekte, wobei „Magazine, Smartphones, IT, Bargeld, Gold, Datenträger, Dokumente“, sowie „Bühnentechnik, Fahrzeuge, Büromöbel, Firmenkonten und Kontounterlagen beschlagnahmt“ wurden.
Gegenüber der Presse erklärte Innenministerin Nancy Faeser (SPD), Compact verfolge eine gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtete Agenda und sei „das zentrale Sprachrohr der rechtsextremistischen Szene“. Die Webseiten der Publikation wurden gesperrt und Social-Media-Plattformen, auf denen die Organisation Kanäle betreibt, zwecks Abschaltung kontaktiert.
Der Schritt ist ein massiver Angriff auf die Pressefreiheit. Er richtet sich nicht gegen Faschismus, sondern rüstet den deutschen Staatsapparat auf, der selbst die wichtigste Brutstätte faschistischer Kräfte in Deutschland ist. Indem ein weiterer Präzedenzfall geschaffen wird, um missliebige Publikationen zu zensieren, sollen die diktatorischen Befugnisse des Staates ausgeweitet werden, um gegen jede echte – d.h. linke – Opposition vorzugehen.
Dass es sich bei Compact um ein Sprachrohr der extremen Rechten handelt, steht außer Zweifel. Die Propaganda des Magazins ist geprägt von extremem Nationalismus, der sich unter anderem in rechtem Geschichtsrevisionismus, völkischem Rassismus und übler Hetze gegen Migranten und Linke äußert. Das Blatt bedient sich systematisch antisemitischer Chiffren, unterstützt den amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und wirbt für Spenden an die AfD. Darüber hinaus fungierte es seit Beginn der Covid-19-Pandemie als Scharfmacher für die profitgetriebene Durchseuchungspolitik, die von allen bürgerlichen Parteien übernommen und in die Tat umgesetzt wurde.
Gleichzeitig tritt Compact für eine Verständigung mit Russland ein und wirft der Bundesregierung vor, mit ihrem Kriegstreiben in der Ukraine den „Mittelstand“ der deutschen Wirtschaft zu ruinieren. Das Blatt verbindet diese Kritik mit der Behauptung, die Regierung sei ein unterwürfiger Diener der USA, und versucht so, Opposition gegen Krieg und wirtschaftlichen Niedergang hinter ein extrem rechtes nationalistisches Programm zu kanalisieren. Spiegel-Recherchen zufolge wird Compact unter anderem von deutschen Millionären und Unternehmern finanziert.
Aus dem Mund von Faeser sind Verlautbarungen über „Rechtsextremismus“ und „Grundrechte“ ein heuchlerischer Versuch, antifaschistische Stimmungen auszubeuten – und an Zynismus nicht zu überbieten. Faeser und die Bundesregierung selbst greifen demokratische Rechte an allen Fronten an und verwirklichen zunehmend das Programm der extremen Rechten. Dieselbe Ampel-Regierung, die in der Ukraine einen mörderischen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt und dazu faschistische Kräfte mit Waffen beliefert, hat sich voll hinter Israels Völkermord in Gaza gestellt, hebelt auf europäischer Ebene das Asylrecht aus und erklärte zuletzt Nazi-Offiziere zu Traditionsstiftern der Bundeswehr.
Im Juni brachte Faeser einen Gesetzentwurf ein, mit dem Geflüchtete schon aufgrund von missliebigen Likes abgeschoben werden können. Vor dem Hintergrund der Nato-Kriegskampagne gegen den Iran ließ ihr Innenministerium zuletzt dutzende schiitische Moscheen und Gebetshäuser stürmen und beschlagnahmen – unter johlendem Applaus der AfD.
In einem Artikel, der auch heute hochaktuell ist, wandte sich Leo Trotzki entschieden gegen eine Kampagne der mexikanischen Stalinisten, die reaktionäre Presse der Zensur zu unterwerfen oder zu verbieten. Er beharrte darauf, dass der Faschismus nicht durch die Stärkung des bürgerlichen Staatsapparats bekämpft werden kann, aus dem er erwächst, sondern einzig durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Krieg und Kapitalismus:
… nur Blinde oder einfache Gemüter könnten glauben, dass die Arbeiter und Bauern von reaktionärem Gedankengut befreit werden können, indem einfach die reaktionäre Presse verboten wird. In Wirklichkeit kann nur die größtmögliche Pressefreiheit günstige Bedingungen für den Fortschritt der revolutionären Bewegung in der Arbeiterklasse schaffen.
Die Hauptgefahr für die Arbeiterklasse verortete Trotzki nicht in dem einen oder anderen faschistischen Schmutzblatt, sondern in Illusionen über den bürgerlichen Staatsapparat. Antidemokratische Maßnahmen, die von Teilen der Bourgeoisie im Namen des „Kampfs gegen Faschismus“ ergriffen werden, würden früher oder später unweigerlich auf die Arbeiterklasse zurückfallen, erklärte er:
Es ist lebensnotwendig, einen unbarmherzigen Kampf gegen die reaktionäre Presse zu führen. Aber die Arbeiter können die Aufgaben, die sie selber mit ihren eigenen Organisationen und ihrer eigenen Presse zu erfüllen haben, nicht der unterdrückerischen Faust des bürgerlichen Staates überlassen. Heute mag die Regierung freundlich gegenüber den Arbeiterorganisationen eingestellt sein. Schon morgen könnte und wird die Regierung unvermeidlich in die Hände der reaktionärsten Teile der Bourgeoisie fallen. In diesen Fall werden die vorhandenen unterdrückerischen Gesetze gegen die Arbeiter eingesetzt werden. Nur Abenteurer, die an nichts anderes, als die augenblicklichen Bedürfnisse denken, können darin versagen, sich gegen eine solche Gefahr zu wappnen.
Mit dem Compact-Verbot schafft Faeser einen Präzedenzfall, um demokratische Grundrechte auszuhebeln. Verfassungsrechte wie Pressefreiheit, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die im Grundgesetz aufgrund der historischen Verbrechen der Nazi-Diktatur verankert sind, wären dann reine Makulatur.
Im Raum steht, dass künftig missliebige Presseerzeugnisse kurzerhand zu verfassungsfeindlichen „Vereinen“ erklärt und verboten werden können. Das Ministerium stützt das Verbot auf das Vereinsrecht und behauptet, formal nicht gegen Compact als Presseerzeugnis, sondern gegen eine wirtschaftliche Vereinigung vorzugehen.
Während die Pressefreiheit hohen verfassungsmäßigen Schutz genießt, ist die Schwelle für Vereinsverbote äußerst niedrig. Die Innenminister des Bundes oder der Länder können einen Verein per Verfügung verbieten, wenn sie der Ansicht sind, dass seine Zwecke oder Tätigkeit „den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“. Ein solches Verbot tritt ohne richterliche Überprüfung in Kraft. Nur wenn Betroffene dagegen klagen, kommt es zum Prozess – was Jahre dauern kann.
Dasselbe juristische Instrument wurde bereits 2017 genutzt, um eine linke Online-Plattform zu verbieten, und vor wenigen Wochen auch gegen das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) angewendet, um den grundgesetzlichen Schutz der Religionsfreiheit zu umgehen.
Juristen und auch einige liberale Journalisten haben sich kritisch dazu geäußert. So betonte David Werdermann, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), gegenüber Legal Tribune Online, das Vereinsgesetz sei „verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Verbote nicht ausschließlich mit den Inhalten eines Presseerzeugnisses begründet werden können“.
Rechtsprofessor Christoph Gusy (Universität Bielefeld) erklärte, „Eingriffe in Artikel 5 des Grundgesetzes dürfen nicht auf das Vereinsgesetz gestützt werden“, da die Pressefreiheit für eine Demokratie „schlechthin konstituierend“ sei.
Dr. Paula Rhein-Fischer von der Akademie für europäischen Menschenrechtsschutz der Universität zu Köln schrieb in einem Beitrag für Verfassungsblog, dass „das Vereinsrecht bei primär auf das Presseerzeugnis selbst zielenden Verboten vom Presserecht verdrängt“ werde und in solchen Fällen somit „nicht anwendbar“ sei.
Einem Bericht von LTO zufolge engagierte die herausgebende GmbH ein „mehr als zehnköpfiges Anwaltsteam“, das Klage beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht hat. Dieses ist als erste und letzte Instanz für Klagen gegen bundesweite Vereinsverbote zuständig.
Auch sonst hat die Bundesregierung bereits zahlreiche Vorkehrungen für eine massive Beschneidung der Pressefreiheit geschaffen, angefangen bei der mit Google abgestimmten Herabstufung linker und fortschrittlicher Webseiten wie der World Socialist Web Site im Jahr 2017.
Noch im Herbst desselben Jahres wurde das Netzwerkdurchsetzungsgesetz erlassen, das Betreiber von Social-Media-Plattformen dazu anhält, selbst umfassende Zensurmechanismen gegen ihre User zu implementieren. Im März 2022 erließ die EU-Kommission schließlich ein umfassendes Verbreitungsverbot gegen die russischen Nachrichtensender RT und Sputnik. All diese Schritte wurden mit Behauptungen über „Hasspropaganda“ und „Fake News“ gerechtfertigt.
Parallel dazu stellte die Bundesregierung die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) ab 2017 als „linksextremistisch“ unter geheimdienstliche Beobachtung. Sie erklärte den Kampf der Partei „gegen Nationalismus, Imperialismus und Militarismus“ und ihr Eintreten für eine „demokratische, egalitäre und sozialistische Gesellschaft“ für verfassungswidrig. Die SGP hat gegen ihre Beobachtung Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht.
Das vermeintliche Vorgehen gegen Rechts, während in Wirklichkeit ein Schlag gegen Linke vorbereitet wird, hat in Deutschland eine lange und unheilvolle Tradition. Im August 1956 verbot und zerschlug die Bundesregierung die nach dem Krieg neu gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), nachdem sie zuvor die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten hatte.
Noch im April 1932 – weniger als ein Jahr vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes – sprach Reichskanzler Heinrich Brüning ein Verbot von Hitlers SA aus, das zwei Monate später wieder aufgehoben wurde.
Auch Compact ist in Wirklichkeit eng mit Seilschaften innerhalb des Staatsapparats verbunden. Das wurde zuletzt in einem freundlichen Interview deutlich, das Rupert Scholz – ehemaliger Verteidigungsminister und langjähriger Co-Autor des maßgeblichen Grundgesetzkommentars – der Publikation kurz vor ihrem Verbot gegeben hatte. Scholz verwahrte sich darin gegen die sogenannte „Brandmauer“ – die Fiktion, wonach andere Parteien eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen – und warf dem Präsidenten des Verfassungsschutzes vor, gegen die Partei „verfassungswidrig zu agieren“. Bereits in den 90er Jahren hatte mit Theodor Maunz ein maßgeblicher Grundgesetz-Kommentator in rechtsextremistischen Zeitungen publiziert.
Indem die herrschende Klasse den Staatsapparat mit autoritären Befugnissen ausstattet, schwächt sie die extreme Rechte nicht, sondern verwirklicht deren organisatorische politischen Ziele. Dasselbe Innenministerium, das Presseerzeugnisse zensiert und Geflüchtete mit nicht genehmen politischen Ansichten deportieren lässt, spielt eine Schlüsselrolle dabei, die rechtsextreme Szene aufzubauen und zu steuern.
Im Jahr 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme NPD aufgrund „fehlender Staatsferne“ ein, nachdem deutlich geworden war, dass es sich bei mehreren Mitgliedern der Führungsebene der Partei um V-Leute des Verfassungsschutzes handelte.
Auch im Fall der Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ ist erwiesen, dass die Mörder von staatlichen Agenten Unterstützung erhielten. V-Personen der Geheimdienste führten bewaffnete Neonazi-Gruppen, bauten eine Nazi-Internetplattform auf oder gaben rassistische Pamphlete heraus – finanziert mit öffentlichen Geldern. In jüngerer Zeit wurde bekannt, dass der Inlandsgeheimdienst hunderte Social-Media-Profile für rechtsextreme Propaganda unterhält und bewaffnete Terrornetzwerke in der Bundeswehr unter den Augen des Militärgeheimdiensts Vorkehrungen für einen Putsch und die Ermordung politischer Gegner treffen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass jede Stärkung dieses Staatsapparats und jede weitere Einschränkung demokratischer Rechte nicht darauf abzielt, die faschistische Rechte zu stoppen, sondern den faschistischen Tendenzen insgesamt Vorschub zu leisten. Während die herrschende Klasse scharf nach rechts rückt, ist das wirkliche Ziel ihrer Angriffe nicht das rechte Hetzblatt Compact, sondern die Arbeiterklasse.