Israel toleriert bewaffnete Überfälle auf Konvois in Gaza, UNRWA setzt humanitäre Hilfe aus

Letzte Woche hat das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA die humanitäre Hilfe für palästinensische Flüchtlinge im Gazastreifen ausgesetzt, nachdem es wiederholt und systematisch zu Angriffen bewaffneter Banden auf Hilfskonvois gekommen war.

Im vergangenen Monat hatten kriminelle Banden trotz der Anwesenheit israelischer Soldaten, Panzer und Überwachungsdrohnen 98 der 109 UN-Lastwagen überfallen.

Palästinenser erhalten Mehlsäcke an einer Ausgabestelle des UN-Hilswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) in Deir al Balah im mittleren Gazastreifen, 2. November 2024 [AP Photo/Abdel Kareem Hana]

Die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) unternahmen nichts gegen diese bewaffneten Kriminellen, sondern eröffneten stattdessen das Feuer auf Polizisten, die versuchten, die Plünderung zu stoppen. Diese Angriffe sind ein wichtiges Element von Israels Taktik, die Palästinenser auszuhungern. Sie zielen eindeutig darauf ab, humanitäre Hilfslieferungen zu behindern, Recht und Ordnung zu untergraben und den Zusammenbruch der Gesellschaft zu fördern. Die Entscheidung des UNRWA zeigt, dass diese Strategie erfolgreich war.

Kurz zuvor hatte das UN ReliefWeb über Nahrungsmittel- und Wasserknappheit von alarmierendem Ausmaß und Anzeichen für Hungersnot berichtet. Israels massive Militäroperationen, sowohl seine Bodenoffensive als auch seine Luftangriffe und die Bodenverseuchung durch nicht explodierte Kampfmittel, haben die Nahrungsmittelproduktion und die Verteilungssysteme sowie die öffentliche Infrastruktur im Gazastreifen zerstört. Aufgrund von schwerem Treibstoffmangel müssen die Palästinenser Müll verbrennen. Den Gemeinschaftsküchen droht die Schließung, weil Vorräte fehlen, und die Marktpreise für Grundgüter sind weiter gestiegen.

Experten für globale Ernährungssicherheit warnten daraufhin vor der „hohen Wahrscheinlichkeit, dass in Teilen des nördlichen Gazastreifens eine Hungersnot droht“.

Bei der Bekanntgabe der UNRWA-Entscheidung  erklärte deren Chef Philippe Lazzarini, einen Tag zuvor seien auf der Straße von Kerem Shalom an der israelischen Grenze mehrere Lastwagen mit Nahrungsmitteln geplündert worden. Kerem Shalom ist seit der Schließung des südlichen Grenzübergangs Rafah bei Ägypten der zentrale Grenzübergang für Hilfslieferungen.

Er erklärte, die Route sei seit Monaten nicht sicher, allein im November seien 100 Lastwagen mit Hilfsgütern überfallen worden. Auf X erklärte er: „Diese schwierige Entscheidung fällt in eine Zeit, in der sich aufgrund der anhaltenden Belagerung der Hunger rapide verschlimmert, … aufgrund der andauernden Belagerung, der Behinderungen durch die israelischen Behörden, der politischen Entscheidungen zur Einschränkung der Hilfslieferungen, der mangelnden Sicherheit auf den Hilfsrouten und der Angriffe auf die örtliche Polizei. Das alles hat zu einem Zusammenbruch von Recht und Ordnung geführt.“

Lazzarini fügte hinzu, gemäß dem Völkerrecht sei Israel als Besatzungsmacht dafür verantwortlich, Entwicklungshelfer und Hilfsgüter zu schützen. Er forderte Israel erneut dazu auf, „die sichere Lieferung von Hilfsgütern in den Gazastreifen zu gewährleisten“ und „Angriffe auf humanitäre Helfer zu unterlassen“. Laut den UN wurden bei israelischen Angriffen im Gazastreifen mindestens 333 humanitäre Hilfskräfte getötet.

Im Vorfeld dieser Äußerungen hatten die Washington Post und die Financial Times umfassend über den systematischen Diebstahl von Hilfsgütern im Gazastreifen berichtet. Die Zeitungen veröffentlichten Interviews mit Lastwagenfahrern, Händlern, Entwicklungshelfern, Sicherheitspersonal und Vertretern der UN im Gazastreifen, von denen viele persönliche Erfahrungen mit Plünderungen haben. Einzelne Plünderer wurden von kriminellen Banden und Netzwerken verdrängt, während die Hilfslieferungen seit dem Einmarsch der IDF in Rafah im Mai eingebrochen sind.

Konkrete Zahlen, wie viele Lastwagen in den Gazastreifen fahren, sind schwer zu beschaffen. Vor dem Krieg waren es durchschnittlich 500 pro Tag, die meisten hatten Baumaterial und Handelsgüter geladen, die jedoch nicht reichten, um die täglichen Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Diese Zahl sank im Oktober 2023 auf 800 im Monat. Im Januar dieses Jahres stieg sie wieder auf etwa 100 pro Tag. Laut Daten der BBC kamen in den Monaten Mai bis September 310, 370, 310, 450 und 430 Lastwagen mit Lebensmitteln pro Monat in den Gazastreifen. In den ersten zehn Tagen des Oktober, als die IDF eine weitere Offensive gegen die Palästinenser begannen, kamen nur 30 Lastwagen pro Tag in den Gazastreifen, was der niedrigste Stand seit Beginn des Krieges war. Im November gelangten nur 65 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern in das Gebiet, da die IDF Hilfskonvois vorsätzlich abwiesen.

Durch die Verringerung der Lieferungen und die Zerstörung der lokalen Lebensmittelproduktion sind sogar die einfachsten Grundgüter zu lohnenden Zielen für Diebe geworden. Eine Kiste Zigaretten erzielt Preise von 400.000 Dollar. Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) schätzt, dass bis zu 30 Prozent der Hilfslieferungen gestohlen werden.

Die wichtigsten Banden werden vermutlich von zwei gesuchten Verbrechern geleitet, die mit Gruppen des Islamischen Staates in Verbindung stehen, welche von der ägyptischen Sinai-Halbinsel aus operieren. Zusammen haben sie Banden von etwa 200 Mann gebildet und besitzen eigene Lagerhäuser für die geplünderten Güter, die sie an Händler verkaufen. Diese Banden fordern von den Hilfsorganisationen außerdem Schutzgelder für Lieferungen von über 4.000 Dollar pro Lastwagen als Gegenleistung für sicheres Geleit.

Der Verkehrsverband von Gaza weigerte sich, UN-Hilfslieferungen auszuliefern, nachdem Plünderer ihre Fahrer getötet und ihre Lastwagen beschädigt hatten. Die Interviewten waren sich darin einig, dass diese Kriminellen, die oft bei Tageslicht vor den Augen der IDF operieren, solche dreisten Diebstähle nicht ohne die Unterstützung der IDF durchführen könnten. Auf jeden anderen, der so nahe beim Militär operiert, würde das Feuer eröffnet werden.

Es besteht auch der Verdacht, dass Israel diese Banden direkt mit Waffen beliefert. Die IDF hatten im März ausdrücklich erklärt, sie erwägten die Bewaffnung von Clans im Gazastreifen, die Rivalen der Hamas seien.

Die Biden-Regierung forderte zwar aus PR-Gründen, Israel solle mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen lassen, tat jedoch nichts, um dies durchzusetzen. Sie ignoriert ihre eigenen Behörden, die zu dem Schluss gekommen sind, dass Israel absichtlich die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten nach Gaza blockiert hat und damit gegen das US-Gesetz verstößt, das vorschreibt, dass Waffenlieferungen an Länder, die die Lieferung von durch die USA unterstützten Hilfsgütern blockieren, eingestellt werden müssen. Sie steht zu 100 Prozent hinter Israels Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser und leitet ihn sogar an.

Seit Oktober 2023 wurden bei Israels Angriffen auf den Gazastreifen laut offiziellen Statistiken mindestens 44.580 Menschen getötet, wobei die „indirekte“ Zahl der Todesopfer aufgrund von Krankheiten, fehlenden Medikamenten, Nahrungsmitteln und sauberem Wasser weitaus höher sein dürfte – etwa 186.000 laut einer Studie der Lancet von Anfang des Jahres. Und diese Zahl ist seither zweifellos weiter angestiegen. Während Israel behauptet, es greife die Hamas an, erklärt die UN-Menschenrechtsbehörde, dass 70 Prozent der bestätigten Toten im Gazastreifen Frauen und Kinder waren. Mehr als 105.000 Menschen wurden verletzt. Der Gazastreifen hat mittlerweile unter Kindern die weltweit höchste Quote von Amputationen.

Im Gazastreifen sind mehr als 1,9 Millionen Menschen oder 90 Prozent der Bevölkerung zu Binnenvertriebenen geworden. Doch laut dem UNRWA wurden bisher nur 23 Prozent der Menge von Gütern geliefert, die notwendig wären, um die Vertriebenen im Gazastreifen vor Regen und Kälte zu schützen. 945.000 Menschen haben keinerlei Schutz im Winter.

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