Was ist die Revolutionäre Kommunistische Internationale der ehemaligen International Marxist Tendency von Alan Woods? – Teil 3

Dies ist der abschließende Teil einer dreiteiligen Serie.
TEIL EINS, TEIL ZWEI, TEIL DREI

Faschismus und die Verfälschung der Geschichte

In ihrer Haltung zu Trump wiederholt die RKI im Wesentlichen die verhängnisvollen Fehler der Kommunistischen Partei Deutschlands, die in der Parole „Nach Hitler kommen wir!“ ihren konzentrierten Ausdruck fanden. Ebenso wie in der Kriegsfrage nimmt ihre objektivistische Selbstzufriedenheit und politische Passivität auch im Hinblick auf die Gefahr von Diktatur und Faschismus groteske Formen an.

Im Manifest der RKI wird eingeräumt: „An einem bestimmten Punkt wird die Bourgeoisie in Versuchung geraten, auf die eine oder andere Art und Weise zur offenen Diktatur zu greifen. Aber das wird erst eine realistische Perspektive sein, wenn die Arbeiterklasse eine Reihe von schweren Niederlagen erlitten hat, wie es in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg der Fall war.“

Die Frage „Besteht die Gefahr des Faschismus?“ wird im Manifest verneint, denn die heutigen Bewegungen würden nicht dem historischen Vorbild der 1930er Jahre entsprechen. „Oberflächliche Impressionisten der internationalen sogenannten Linken sehen im Trumpismus albernerweise den Faschismus. Diese Verwirrung hilft uns nicht dabei, die wahre Bedeutung wichtiger Erscheinungen zu verstehen (…) Es gibt genug rechte Demagogen, und manche werden sogar an die Macht gewählt. Aber das ist nicht das gleiche wie ein faschistisches Regime, das sich auf eine Massenmobilisierung des zornigen Kleinbürgertums als Rammbock für die Zerstörung der Arbeiterorganisationen stützt.“

Donald Trump auf seinem Anwesen in Mar-a-Lago, Dezember 2024 [AP Photo/Evan Vucci]

Wie bereits im Zusammenhang mit der Kriegsgefahr wird im Manifest der RKI betont, dass die herrschende Klasse vorsichtiger geworden sei, was den Übergang zum Faschismus angeht:

In den 1930er-Jahren wurden die gesellschaftlichen Widersprüche in einer relativ kurzen Zeitspanne aufgelöst und konnten nur entweder im Sieg der proletarischen Revolution oder in der Reaktion (in Form des Faschismus oder des Bonapartismus) enden.

Aber die herrschende Klasse hat sich schwer die Finger verbrannt, als sie in der Vergangenheit auf die Faschisten setzte. Sie wird diesen Weg nicht leichtfertig gehen.

Zur Begründung wird angeführt: „Für heute wichtiger ist, dass eine solche schnelle Lösung durch das veränderte Kräfteverhältnis ausgeschlossen ist. Die sozialen Reserven der Reaktion sind viel schwächer als in den 1930er-Jahren, und das spezifische Gewicht der Arbeiterklasse ist viel größer.“

Außerdem sei das Bauerntum „in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern so gut wie verschwunden, während sich weite Schichten, die sich früher als Teil der Mittelschicht gesehen haben (…) dem Proletariat angenähert haben und gewerkschaftlich organisiert sind. Die Studentenschaft, die in den 1920ern und 1930ern die Sturmtruppen des Faschismus gestellt hat, ist scharf nach links gegangen und ist offen für revolutionäre Ideen.“

Und vor allem: „ Die Arbeiterklasse hat in den meisten Ländern seit Jahrzehnten keine ernsthafte Niederlage erlitten. Ihre Kräfte sind weitgehend intakt.“ Daraus wird geschlussfolgert: „Die Bourgeoisie steht vor der schwersten Krise ihrer Geschichte, aber aufgrund des enormen Erstarkens der Arbeiterklasse ist sie nicht in der Lage, schnell in die Richtung der offenen Reaktion überzugehen.“[1]

Die Berufung auf das schrumpfende gesellschaftliche Gewicht des Kleinbürgertums und das bisherige Ausbleiben großer Niederlagen der Arbeiterklasse als Garant gegen die politische Reaktion ist von Grund auf falsch. Außerdem ersetzt die RKI die politische Analyse durch eine falsche historische Analogie.

Trump und ähnliche rechtsextreme Figuren und Tendenzen haben international tatsächlich keine solche Massenbasis, wie sie Hitler einst aufgebaut hatte. Was sie jedoch haben, ist die Unterstützung großer Teile der Bourgeoisie und des Staatsapparats, einschließlich des Militärs und der Polizei. Nur aus diesem Grund konnte Trumps Putschversuch vom 6. Januar 2021 so weit gehen, wie es der Fall war.

Gewaltbereite Trump-Anhänger versuchen am 6. Januar 2021 eine Polizeiabsperrung am Kapitol in Washington zu durchbrechen [AP Photo/Julio Cortez]

Der Rechtsruck des Imperialismus ebnet den Rechtsextremen den Weg zur Staatsmacht, indem die etablierten bürgerlichen Parteien ihr Programm weitgehend übernehmen. Dies hat sich in einem Land nach dem anderen gezeigt, unter anderem in Italien, wo die Erben Mussolinis an der Regierung sind, und in Frankreich und Deutschland, wo faschistische Parteien mittlerweile die größten parlamentarischen Oppositionsfraktionen stellen.

Die Machtergreifung Hitlers wurde in erster Linie dadurch ermöglicht, dass die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse durch die stalinistische Bürokratie gelähmt wurde. Ihre Politik des „Sozialfaschismus“ – die gegen eine Zusammenarbeit der Kommunistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei zur Verteidigung der Arbeiterklasse gegen die Nazis gerichtet war – machte es unmöglich, die Sozialdemokratie politisch herauszufordern, um die Arbeiterklasse für eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen.

Infolgedessen wurde Hitler im Januar 1933 mit Unterstützung des Militärs, der Konzerne und der bürgerlichen Zeitungen zum Reichskanzler ernannt und erhielt im März 1933 durch das Ermächtigungsgesetz mit Zustimmung aller bürgerlichen Parteien diktatorische Vollmachten. Erst nachdem ihm die Bourgeoisie die Kontrolle über den gesamten Staatsapparat übertragen hatte, ging Hitler zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung über.

Am 21. März 1933, dem „Tag von Potsdam“, begrüßt Reichspräsident Paul von Hindenburg (rechts) Adolf Hitler bei der Eröffnung des ersten Reichstags nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler [Photo by Theo Eisenhart/Bundesarchiv, Bild 183-S38324 / CC BY-NC-SA 3.0]

Dieser Verlauf ist eine Warnung an die amerikanischen Arbeiter, sich nicht von reaktionären Führungen die Hände binden zu lassen. Nicht Beruhigungspillen unter Berufung auf die günstigen Aussichten für die Revolution sind jetzt gefragt, sondern die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage der Perspektive eines revolutionären Kampfs gegen die Demokraten und Republikaner, die beiden bürgerlichen Parteien von Krieg und Reaktion.

Der „automatische Kommunismus“ der Jugend und die prostalinistische Ausrichtung der RKI

Jede Gefahr, die der Arbeiterklasse droht, beantwortet Woods mit der Aussicht auf ein automatisches Wachstum des Kommunismus in der jungen Generation. Als Beweis führen er und die RKI immer wieder den angeblich zunehmenden Einfluss stalinistischer Tendenzen an, auf die sie sich unverkennbar orientieren.

In seinem Bericht auf der IMT-Konferenz im Januar 2024 zitiert Woods zustimmend die Behauptung der Kommunistischen Partei der USA, „in den letzten zwei Jahren 8.000 junge Menschen rekrutiert zu haben“. Wenn dies tatsächlich der Fall wäre, dann müsste jeder, der sich als Trotzkist versteht, diese Jugendlichen warnen, dass sie aufgrund von Unkenntnis der konterrevolutionären Geschichte des Stalinismus gerade den schlimmsten politischen Fehler ihres Lebens begangen haben. Doch Woods wertet es als Beweis dafür, dass „viele Menschen, insbesondere die Jugend“, „nach einer Alternative, einer revolutionären Alternative suchen“.

Die seit 2008 zu beobachtende Hinwendung radikalisierter Arbeiter und Jugendlicher „in Richtung dessen, was man als ‚linke Reformisten‘ bezeichnen könnte (…) Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, Bernie Sanders in den Vereinigten Staaten und Jeremy Corbyn in Großbritannien“ habe „enorme Erwartungen geweckt“, die „anschließend enttäuscht worden sind, sodass sich junge Menschen nun dem Kommunismus zuwenden.“ Woods behauptet:

In der Vergangenheit musste man darum kämpfen, Leute von der Richtigkeit kommunistischer und marxistischer Ideen zu überzeugen. Jetzt nicht mehr. Das ist in allen Ländern eine empirisch feststellbare Tatsache. Ich habe das nicht erfunden: Tausende, Zehntausende, Hunderttausende, wahrscheinlich Millionen von jungen Menschen ziehen bereits die richtigen Schlussfolgerungen. Sie haben die Idee des Kommunismus bereits akzeptiert. Sie wollen den Kommunismus.

Mitglieder seiner Tendenz, die es wagen, dieses Szenario des automatischen Übergangs zur Revolution durch die Arbeiterklasse infrage zu stellen, kanzelt Woods kurzerhand ab:

Ihr haltet mir entgegen: „Diese jungen Leute sind noch sehr unerfahren. Sie haben es nicht studiert. Sie wissen wenig. Es sind keine richtigen Marxisten.“ Das ist nicht richtig. Es sind sehr ordentliche Marxisten. Es sind echte Kommunisten. Wisst ihr, ich bin seit meiner Kindheit Kommunist, und auch [Woods’ Bruder] Rob [Sewell], wir stammen wir aus einer kommunistischen Arbeiterfamilie. Ich war schon Kommunist, bevor ich irgendwelche Bücher gelesen habe (…) der wahre Kommunismus kommt nicht aus den Büchern. Er kommt aus der Seele. Er kommt aus dem Bauchgefühl und dem Bedürfnis zu kämpfen, um etwas zu ändern. Diese jungen Leute verstehen sich als Kommunisten. Sie haben vielleicht nie das Kommunistische Manifest gelesen. Aber es sind Kommunisten. Ihr müsst diese Kinder nicht mehr überzeugen.

Er fordert: „Versucht nicht, von Anfang an Schwierigkeiten auszumachen. Es ist gar nicht schwer (…) Ihr müsst nichts weiter tun, als euch an die Straßenecke zu stellen, den Kommunismus zu verkünden, ein Transparent mitzunehmen, wenn möglich eine Zeitung, und das Gold einzusammeln.“

Das „Gold“, das Woods in Aussicht stellt, sind junge Menschen, die sich den stalinistischen Parteien angeschlossen haben. Die „kläglichen Sekten“ – die sich zum Trotzkismus bekennen und den Stalinismus ablehnen – „haben nie etwas vom Kommunismus verstanden (…) Sie sind nutzlos (…) Wir müssen uns den kommunistischen Parteien zuwenden. In Brasilien und einigen anderen Ländern haben wir damit begonnen. Das ist der Raum, den wir jetzt zu besetzen versuchen.“[2]

Der Angriff auf Lenins Was tun?

Der Marxismus, die Entwicklung sozialistischen Bewusstseins und die leninistische Theorie der Partei werden von Woods in Bausch und Bogen abgelehnt. Deutlich wird dies auch in dem Lehrmaterial für Mitglieder seiner Tendenz mit dem Titel „Lenins ‚Was tun?‘: Ein Leseführer“. Darin heißt es:

Während Lenin zu Recht gegen die sklavische Verehrung der „Spontaneität“ durch die Ökonomisten polemisierte, unterlief ihm der Fehler, eine richtige Idee zu übertreiben und sie in ihr Gegenteil zu verkehren. Insbesondere behauptet er über das sozialistische Bewusstsein:

Dieses konnte ihnen [den Arbeitern] nur von außen gebracht werden. Die Geschichte aller Länder zeugt davon, dass die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag, d. h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen u.a.m.“

Diese einseitige und irrtümliche Darstellung des Verhältnisses von Arbeiterklasse und sozialistischem Bewusstsein war keine originäre Erfindung Lenins, sondern wurde direkt von Kautsky übernommen, den Lenin damals als Hauptverteidiger des orthodoxen Marxismus gegen Bernstein ansah. Lenin selbst erklärte später, er habe „den Bogen überspannt“, um einen Fehler der anderen Art zu korrigieren.[3]

Der Sieg der Oktoberrevolution von 1917 war nur möglich, weil Lenin die revolutionäre Partei aufbaute, die notwendig war, um der Arbeiterklasse echtes sozialistisches Bewusstsein zu vermitteln, und so die Grundlage für die sozialistische Revolution schuf. Wie der Redaktionsleiter der WSWS, David North, in seinem Aufsatz „Lenins Theorie des sozialistischen Bewusstseins: Die Ursprünge des Bolschewismus und ‚Was tun?‘“ erläutert, analysiert Lenin in diesem Werk, „in welcher Beziehung der Marxismus und die revolutionäre Partei zur spontanen Bewegung der Arbeiterklasse und den Formen gesellschaftlichen Bewusstseins stehen, das Arbeiter im Laufe dieser Bewegung entwickeln.“[4]

Lenin an seinem Schreibtisch, 1918

Dabei zeichnete Lenin die Entwicklung der Bewusstseinsformen der russischen Arbeiter in den 1860er und 1870er Jahren nach, von der primitiven Maschinenstürmerei bis hin zu hoch organisierten Streiks.

North erklärt:

Aber das Bewusstsein, das die Arbeiter in diesen Kämpfen zeigten, war gewerkschaftlich und nicht sozialdemokratisch geprägt (…)

Diese Beschränkung war unvermeidlich, weil die spontane Bewegung der Arbeiterklasse nicht aus sich heraus, nicht „spontan“ sozialdemokratisches Bewusstsein, d. h. revolutionäres Bewusstsein hervorbringen kann. An dieser Stelle entwickelt Lenin die Argumentation, die so viel zahllose Angriffe ausgelöst hat. Er schreibt:

„Wir haben gesagt, dass die Arbeiter ein sozialdemokratisches Bewusstsein gar nicht haben konnten. Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden. Die Geschichte aller Länder zeugt davon, dass die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft nur ein trade-unionistisches Bewusstsein hervorzubringen vermag, d. h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeiter notwendigen Gesetze abzutrotzen u. a. m. Die Lehre des Sozialismus ist hingegen aus den philosophischen, historischen und ökonomischen Theorien hervorgegangen, die von den gebildeten Vertretern der besitzenden Klassen, der Intelligenz, ausgearbeitet wurden. Auch die Begründer des modernen wissenschaftlichen Sozialismus, Marx und Engels, gehörten ihrer sozialen Stellung nach der bürgerlichen Intelligenz an. Ebenso entstand auch in Russland die theoretische Lehre der Sozialdemokratie ganz unabhängig von dem spontanen Anwachsen der Arbeiterbewegung, entstand als natürliches und unvermeidliches Ergebnis der ideologischen Entwicklung der revolutionären sozialistischen Intelligenz.“[5]

North zitiert Lenins zentrale Schlussfolgerung über die Notwendigkeit, dass die revolutionäre Partei revolutionäres Bewusstsein in der Arbeiterklasse entwickeln muss:

„Kann nun von einer selbständigen, von den Arbeitermassen im Verlauf ihrer Bewegung selbst ausgearbeiteten Ideologie keine Rede sein, so kann die Frage nur so stehen: bürgerliche oder sozialistische Ideologie. Ein Mittelding gibt es hier nicht (denn eine ‚dritte‘ Ideologie hat die Menschheit nicht geschaffen, wie es überhaupt in einer Gesellschaft, die von Klassengegensätzen zerfleischt wird, niemals eine außerhalb der Klassen oder den Klassen stehende Ideologie geben kann). Darum bedeutet jede Herabminderung der sozialistischen Ideologie, jedes Abschwenken von ihr zugleich eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie. Man redet von Spontaneität. Aber die spontane Entwicklung der Arbeiterbewegung führt eben zu ihrer Unterordnung unter die bürgerliche Ideologie, sie verläuft eben nach dem Programm des ‚Credo‘, denn spontane Arbeiterbewegung ist Trade-Unionismus, ist Nur-Gewerkschaftlerei, Trade-Unionismus aber bedeutet eben ideologische Versklavung der Arbeiter durch die Bourgeoisie. Darum besteht unsere Aufgabe, die Aufgabe der Sozialdemokratie, im Kampf gegen die Spontaneität, sie besteht darin, die Arbeiterbewegung von dem spontanen Streben des Trade-Unionismus, sich unter die Fittiche der Bourgeoisie zu begeben, abzubringen und sie unter die Fittiche der revolutionären Sozialdemokratie zu bringen.“[6]

Ein Band mit „Was tun?“ und anderen wichtigen Werken Lenins [Photo: Mehring Books]

Woods’ Verunglimpfung des Kampfs für sozialistisches Bewusstsein läuft auf Folgendes hinaus: Die Verherrlichung des bürgerlichen Bewusstseins der Arbeiterklasse dient der IMT als theoretische Rechtfertigung für die politische Herrschaft der Bourgeoisie über die Arbeiterklasse. Der wichtigste Mechanismus dieser Herrschaft sind die bürokratischen, prokapitalistischen Gewerkschaften und die stalinistischen Parteien, der die „instinktiv kommunistische“ Jugend von Woods ihr politisches Vertrauen schenkt bzw. die durch seine Fehlerziehung der Fähigkeit beraubt wird, die prostalinistische Sophistik der IMT zu durchschauen.

Die RKI, der Stalinismus und der 100. Jahrestag des Trotzkismus

Woods spricht davon, dass junge Menschen, „instinktiv revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen (…) Sie haben die drei Bände von Marx’ Kapital nicht gelesen oder vielleicht nicht einmal das Kommunistische Manifest. Aber sie sind Kommunisten mit Leib und Seele (…) Nur ein hoffnungsloser Pedant wird an ihrem Mangel an marxistischer Bildung Anstoß nehmen. Es ist leicht, sich Ideen aus Büchern anzueignen. Aber bloßes Bücherwissen kann uns niemals die Begeisterung und den revolutionären Geist vermitteln, der die flammende Seele des proletarischen Revolutionismus ist.“

Diese Lobeshymne auf die Jugend geht damit einher, dass alle anderen Generationen der Arbeiter als „völlig demoralisiert' abgetan werden. Sie würden „unaufhörlich über die Lage jammern, die sie alle für hoffnungslos halten. In der alten Generation sind viele von der Krankheit des Skeptizismus und Pessimismus befallen, gegen die es kein Gegenmittel gibt. Folglich sind die meisten von ihnen zu nichts zu gebrauchen.“[7]

Wie hinterhältig die Behauptung ist, dass die „kommunistische“ Jugend kein „Bücherwissen“ brauche, und wie böswillig der Versuch ist, sie von den Arbeitern abzuschneiden, die bereits Erfahrungen mit dem Klassenkampf und dem politischen Verrat der Bürokratien gemacht haben, wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass die Jugendlichen, von denen hier die Rede ist, sich im Umfeld der diversen Überbleibsel der alten stalinistischen Parteien bewegen, d. h. der bewusstesten konterrevolutionären Tendenz der Welt.

Leo Trotzki

Im Wesentlichen macht das Manifest deutlich, dass die Woods-Tendenz Trotzkis Kampf für den Aufbau der Vierten Internationale ablehnt und sich an den Überresten der untergegangenen stalinistischen Dritten Internationale orientiert. Im Wesentlichen wird die Perspektive wieder ausgegraben, die stalinistischen Parteien zu reformieren und für die Revolution zurückzugewinnen – und das mehr als 90 Jahre, nachdem die Komintern 1933 zugelassen hatte, dass Hitler ohne Widerstand an die Macht kam, und Trotzki erklärt hatte, dass ihre Parteien für die Zwecke der Revolution tot sind.

Im Manifest der RKI heißt es: „Seit der stalinistischen Degeneration der Kommunistischen Internationale gibt es keine solche Organisation mehr.“ Und außerdem: „In diesem kritischen Moment der Weltgeschichte besteht völlige Verwirrung in der internationalen kommunistischen Bewegung“, womit die „Kommunistischen Parteien“ „auf der ganzen Welt“ gemeint sind.

Als Ausnahme von dieser allgemeinen Regel wird ausgerechnet die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) bezeichnet, die für ihren virulenten Nationalismus und ihre Unterstützung für Stalins Verbrechen berüchtigt ist. Laut RKI hat die KKE „zweifellos wichtige Schritte hin zum Bruch mit der alten, diskreditierten stalinistisch-menschewistischen Idee der Etappentheorie unternommen. Sie nahm zum Ukrainekrieg eine korrekte, internationalistische Position ein und charakterisiert ihn als Konflikt zwischen Imperialisten.“

Die Aufgabe der Revolutionären Kommunistischen Internationale sei es, Verbindungen zur KKE und „anderen Kommunistische Parteien aufzubauen, die ihre Position zum Ukrainekrieg als inner-imperialistischer Konflikt teilen“, um „sich die Herangehensweise der leninistischen Einheitsfront anzueignen“. Notwendig sei „eine offene und demokratische Debatte“:

Unsere Aufgabe ist, die Bewegung zu ihren wahren Ursprüngen zurückzuführen, mit dem feigen Revisionismus zu brechen und sich bewusst unter das Banner Lenins zu stellen. Zu diesem Zweck reichen wir jeder Partei oder Organisation, die dasselbe Ziel vertritt, freundschaftlich die Hand.

Als Trotzki die Internationale Linke Opposition gründete, verstand er sie als die linke Opposition der internationalen kommunistischen Bewegung. Wir sind echte Kommunisten, Bolschewiki-Leninisten, die von Stalin bürokratisch aus den Reihen der kommunistischen Bewegung ausgeschlossen wurden.

Wir haben immer dafür gekämpft, das rote Banner des Oktobers und des wirklichen Leninismus aufrechtzuerhalten. Jetzt müssen wir uns unseren rechtmäßigen Platz als integraler Bestandteil der kommunistischen Weltbewegung zurückerobern.

Es ist an der Zeit, in der Bewegung eine ehrliche Diskussion über die Vergangenheit zu eröffnen, um endlich mit den letzten Überbleibseln des Stalinismus zu brechen. Das wird den Boden für eine dauerhafte Einheit der Kommunisten auf dem festen Fundament des Leninismus bereiten.[8]

Dieses Umwerben der stalinistischen Parteien ist in vollem Gange.

Im November 2023 berichtete die IMT über ein Treffen der „Marxistischen Linken“ und der brasilianischen Kommunistischen Partei-Revolutionärer Wiederaufbau (PCB-RR) zu den Themen Ukraine und Palästina, bei dem der Vorsitzende der brasilianischen Sektion der IMT, Jorge Martin, die „Kampagne der PCB-RR zur Verteidigung des proletarischen Internationalismus“ lobte und erklärte, dass alle „wahren Kommunisten auf der gleichen Seite der Barrikade“ stünden.[9]

Jorge Martin bei einer IMT-Veranstaltung 2018 [Photo: Revolutionary Communist Party/YouTube]

Jorge Martin wurde auf der Gründungskonferenz der Revolutionären Kommunistischen Internationale ein Ehrenplatz gewährt.

Am 27. März 2024, nach den vorgezogenen Neuwahlen vom 10. März in Portugal, richtete das Colectivo Marxista einen offenen Brief an die „Aktivisten der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP)“. Darin wurde den Stalinisten gleich eingangs versichert, dass „diese Kritik nicht darauf abzielt, die PCP anzugreifen. Im Gegenteil, Colectivo Marxista macht sich große Sorgen über die Krise der wichtigsten Arbeiterpartei in der Geschichte Portugals, einer Partei, die einige der besten und klassenbewusstesten Kämpfer des portugiesischen Proletariats vereint.“

Die PCP-Aktivisten werden aufgefordert, „die Ideen von Marx und Lenin zu studieren, die eure Organisation vor mehr als einem Jahrhundert zum Leben erweckt haben“. Weiter hieß es, „revolutionäre Mitglieder der PCP und der Portugiesischen Kommunistischen Jugend sollten Schulter an Schulter für die Erneuerung des Kommunismus in Portugal kämpfen, für eine wirklich revolutionäre kommunistische Partei auf der Grundlage von Lenins Kommunistischer Internationale und den Prinzipien von Marx und Engels“.[10]

Das Manifest der neuen Revolutionären Kommunistischen Internationale macht auch deutlich, dass die Woods-Tendenz ihre traditionelle Orientierung auf die sozialdemokratischen Parteien und den Gewerkschaftsapparat keineswegs aufgegeben hat. Sie ereifert sich über die „pseudotrotzkistischen Sektierer“, die sich einbilden würden, „die Massenorganisationen könnten einfach als unzeitgemäß abgeschrieben werden“, und sich darauf beschränken, „sie kreischend des Verrats zu bezichtigen“, während doch, nach Auffassung der RKI, die große Mehrheit der Arbeiterklasse „in weiten Teilen unter dem Einfluss der traditionellen reformistischen Organisationen“ verbleibe. Für sie führe „kein Weg daran vorbei, durch die schmerzhafte Schule des Reformismus zu gehen“.

Die neuen revolutionären kommunistischen Parteien dürften den Arbeitern daher keinerlei Anlass bieten, die Woods-Gruppe „als Fremdkörper oder Feinde“ wahrzunehmen. „Unter gewissen Umständen“ könne es „nötig sein, alle unsere Kräfte in die reformistischen Organisationen zu schicken, um die Arbeiter, die sich nach links bewegen, für eine feste revolutionäre Position zu gewinnen.“[11]

Als Ergänzung zu diesen positiven Entwicklungen und als Beweis für die Radikalisierung eines Teils der Gewerkschaftsbürokratie führt Woods an anderer Stelle die „sehr interessanten öffentlichen Erklärungen eines Mannes namens Shawn Fain“ an, „der Präsident der UAW ist, also der mächtigen United Auto Workers of America, einer sehr starken Gewerkschaft“.

Woods zitiert Fains Erklärung, in der er „die Studierenden gegen die Unterdrückung der Palästina-Bewegung“ unterstützt, und das Video der UAW zum 1. Mai, „in dem dieser Mann de facto zu einem Generalstreik in Amerika aufruft“, weil er andere Gewerkschaften auffordert, die Laufzeiten ihrer Tarifverträge an diejenigen der UAW anzugleichen.

Der UAW-Vorsitzenden Shawn Fain, links, begrüßt US-Präsident Biden zu einer Wahlkampfveranstaltung in Michigan, Februar 2024 [AP Photo/Evan Vucci]

Über Fain sagt Woods, dass er „kein Marxist ist, sehr verwirrt ist und widersprüchliche Erklärungen abgibt“, betont dann aber erneut, dass „die Arbeiterklasse nicht gleichbedeutend mit den Gewerkschaften und auch nicht mit der Labour Party ist“.

Dennoch „schreiben wir weder die Gewerkschaften noch die Labour Party ab. Das tun wir nicht. Diesen sektiererischen Fehler machen wir nicht.“[12]

Zieht die Lehren aus der Geschichte: Baut das Internationale Komitee der Vierten Internationale auf!

Bisweilen kann einem die Heuchelei der ehemaligen IMT regelrecht den Atem verschlagen. So rühmt sie sich, aufgrund ihrer politischen Weitsicht erkannt zu haben, dass sich insbesondere unter der Jugend eine linke Bewegung entwickelt, die sich aus Abscheu gegen die Labour Party und aus Verachtung für die „Linke“ nährt.

Aber das kann die IMT nicht erschüttern. Im Manifest der Revolutionären Kommunistischen Internationale wird kühn der „Bankrott der ‚Linken‘“ konstatiert und auf Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, Bernie Sanders in den USA und Corbyn in Großbritannnien verwiesen, die „zunächst die Hoffnungen vieler Menschen“ entfacht, sich dann jedoch „dem Druck des rechten Flügels gebeugt“ hätten.

Auch hier handelt es sich um einen politischen Betrug, d. h. um den Versuch, die tatsächliche politische Bilanz der Grant-Woods-Tendenz zu verschleiern und ihr eine gewisse Glaubwürdigkeit bei jungen Menschen zu verleihen, deren Wissen nicht ausreicht, um sie zu durchschauen.

Dies unterstreicht die Gefahren, die der Mangel an historischem Wissen für junge Menschen mit sich bringt und der gerade deshalb von Woods als Vorzug gepriesen wird.

Der Weg zum Sozialismus führt nicht über die Bildung einer neuen (nicht) revolutionären Kommunistischen Internationale, die von politischen Bankrotteuren wie Woods geführt wird und eine Umgruppierung mit den Trümmern des Stalinismus anstrebt.

Während der Nachkriegszeit bekämpften die wahren Vertreter des Trotzkismus über lange Strecken nicht nur die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften, sondern auch eine Vielzahl von pseudolinken Gruppierungen, die sich gegen eine unabhängige revolutionäre Neuorientierung der Arbeiterklasse stellten.

Was Woods und Co. aufgrund ihrer unerschütterlichen Orientierung an konterrevolutionären Bürokratien als Verteidigung einer durch die Ereignisse widerlegten „Orthodoxie“ durch eine „Sekte“ abtun, war in Wirklichkeit der Kampf für die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution und die für ihre Verwirklichung erforderliche internationale Partei.

Dieser Kampf wurde durch die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion sowie den Zusammenbruch und die Verwandlung aller alten bürokratischen Organisationen in Befürworter von Austerität und Krieg bestätigt.

Als das IKVI in seinen Internationalen Perspektiven von 1988 die Globalisierung analysierte, gelangte es zu dem Schluss, dass die daraus resultierende Internationalisierung des Klassenkampfs die objektive Grundlage für den Aufbau der Vierten Internationale als neue Führung der Arbeiterklasse bildet.[13] In der Folgezeit, während sich die IMT an die Wracks des Stalinismus und der Sozialdemokratie klammerte, machte sich das IKVI daran, nicht nur die sich entfaltende Krise des Weltimperialismus zu analysieren, sondern auch einen Kader in den zentralen Lehren des historischen Kampfs für den Trotzkismus auszubilden, der sich über die mehr als einhundert Jahre seit der Gründung der Linken Opposition im Jahr 1923 erstreckt.[14]

Erschienen beim Mehring Verlag, Essen 2022

Der Weltimperialismus ist in eine revolutionäre Krise eingetreten. Jahrzehntelange Angriffe auf die Arbeiterklasse, die in erster Linie mithilfe der Gewerkschaften geführt wurden, die fortschreitende Zerstörung demokratischer Rechte, die gezielte Förderung rechtsextremer Kräfte und der Beginn einer Reihe brutaler Kriege, die mit der Gefahr der atomaren Vernichtung einhergehen, schaffen die Grundlage für eine revolutionäre Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie.

Nichts Geringeres als der revolutionäre Sturz des Kapitalismus kann die imperialistischen Mächte daran hindern, die Menschheit in eine Katastrophe zu stürzen. Diese Aufgabe kann nicht durch die spontane Bewegung der Arbeiterklasse gelöst werden. Sie setzt eine revolutionäre Führung voraus.

Daher müssen junge Menschen, die einen Ausweg suchen, die verlogenen Schmeicheleien der Revolutionären Kommunistischen Internationale von sich weisen und sich alle Lehren aus der Geschichte des Kampfs für den Sozialismus aneigenen, die im IKVI verkörpert sind.

Ende

TEIL EINS, TEIL ZWEI, TEIL DREI


[1]

Revolutionäre Kommunistische Internationale, „Manifest der Revolutionären Kommunistischen Internationale“ (2024), [https://marxist.com/manifest-der-revolutionaeren-kommunistischen-internationale.htm].

[2]

„Alan Woods on world perspectives: crisis, class struggle and the tasks of the communists“ (2024), aus dem Englischen, [https://marxist.com/alan-woods-on-world-perspectives-crisis-class-struggle-and-the-tasks-of-the-communists.htm].

[3]

Alan Woods, „Bolshevism – The Road to Revolution (1999)“, in What is do be done? – a reading guide (2023), aus dem Englischen, [https://communist.red/what-is-to-be-done-a-reading-guide/].

[4]

David North, „Lenins Theorie des sozialistischen Bewusstseins: Die Ursprünge des Bolschewismus und ‚Was tun?‘“ (2005), in: Die russische Revolution und das unvollendete 20. Jahrhundert, Essen 2015 [https://www.mehring-verlag.de/library/north-russische-revolution-unvollendete-zwanzigste-jahrhundert/09.html].

[6]

Ebd.

[7]

Alan Woods, „Editorial“, in: In Defence of Marxism Nr. 43 (2023), aus dem Englischen, [https://marxist.com/are-you-a-communist-alan-woods-editorial-for-idom-43-order-now.htm].

[8]

Revolutionäre Kommunistische Internationale, „Manifest der Revolutionären Kommunistischen Internationale“ (2024), [https://marxist.com/manifest-der-revolutionaeren-kommunistischen-internationale.htm].

[9]

Rannah Brasil, „Brazil: joint rally against imperialist war by the Marxist Left and the PCB-RR“ (2023), aus dem Englischen, [https://marxist.com/brazil-joint-rally-against-imperialist-war-by-the-marxist-left-and-the-pcb-rr.htm].

[10]

Arturo Rodriguez, „An urgent letter to the activists of the Portuguese Communist Party“ (2024), aus dem Englischen, [https://marxist.com/an-urgent-letter-to-the-activists-of-the-portuguese-communist-party.htm].

[11]

Revolutionäre Kommunistische Internationale, „Manifest der Revolutionären Kommunistischen Internationale“ (2024), [https://marxist.com/manifest-der-revolutionaeren-kommunistischen-internationale.htm].

[12]

Alan Woods, Rede auf der Veranstaltung zur Gründung der Revolutionären Kommunistischen Internationale, aus dem Englischen, [https://www.youtube.com/watch?v=_5zYwvsB_Fo].

[13]

„Die kapitalistische Weltkrise und die Aufgaben der Vierten Internationale“ (1988), in: Die Vierte Internationale und die Perspektive der sozialistischen Weltrevolution, Essen 2022, [https://www.mehring-verlag.de/library/vierte-internationale-perspektive-weltrevolution/00.html].

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