80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz: Die Barbarei kehrt zurück

Vor 80 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die sowjetische Rote Armee das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Den Soldaten bot sich ein unbeschreibliches Bild des Grauens. Auschwitz, der deutsche Name des Städtchens Oświęcim im südlichen Polen, wurde zum Inbegriff für Verbrechen, die den Rahmen der menschlichen Vorstellungskraft sprengen.

Eingangstor des Lagers KZ Auschwitz I mit der Inschrift "Arbeit macht frei" [Photo by Dnalor 01 / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0]

Das NS-Regime ermordete im Lagerkomplex von Auschwitz während des Zweiten Weltkriegs zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen. 90 Prozent davon waren Juden, aber auch Polen, Sinti und Roma sowie sowjetische Kriegsgefangene wurden umgebracht.

Was Auschwitz so schrecklich macht, ist nicht nur die gigantische Zahl der Mordopfer, sondern auch die kaltblütige Effizienz, mit der zehntausende SS-Mitglieder, Staatsbeamte und Wirtschaftsführer zusammenarbeiteten, um den Massenmord zu ermöglichen. Nie zuvor war der Apparat eines modernen Industriestaats derart systematisch eingesetzt worden, um einen Genozid durchzuführen.

Kommunale Beamte in Deutschland und den von den Nazis besetzten Gebieten identifizierten die jüdischen Mordopfer, die Polizei trieb sie zusammen, die Bahn transportierte sie in Güterwagen wie Vieh nach Auschwitz. Dort wurden sie an der Rampe selektiert. Wer nicht arbeiten konnte – vorwiegend Kinder, Frauen und Alte –, wurde in die Gaskammern getrieben, umgebracht und verbrannt. Allein in den drei Monaten von Mai bis Juni 1944 starben auf diese Weise rund 400.000 Juden aus Ungarn in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau.

Arbeitsfähige mussten im Lager selbst oder für deutsche Unternehmen arbeiten, bis sie an Hunger und Erschöpfung starben oder selbst ins Gas getrieben wurden. Oder sie mussten als Versuchskaninchen für medizinische Experimente sterben. Deutsche Konzerne, wie die IG Farben, errichteten dafür eigens Fabriken in dem riesigen Auschwitz-Komplex, der neben drei Hauptlagern noch 50 Außenlager umfasste. Die Nazis bemühten sich, auch noch das letzte Quäntchen Profit aus den Todgeweihten herauszupressen. Selbst ihre Haare und Goldzähne wurden kommerziell verwertet.

Dabei war Auschwitz nur eines von mehreren deutschen Vernichtungslagern. Weitere Millionen Menschen wurden beim Vorrücken der deutschen Truppen vor Ort erschossen oder auf andere bestialische Weise ermordet.

Von den Verantwortlichen des Massenmords mussten nur Wenige für ihre Taten büßen. Vor allem in Osteuropa, das nach dem Krieg unter sowjetischer Kontrolle stand, kam es zu Prozessen, die teilweise zu Todesurteilen führten. In Nürnberg stellten die Alliierten 1945/46 in 13 Verfahren führende Vertreter des Nazi-Regime vor Gericht. Das Ergebnis blieb aber mit 24 Todesurteilen und 118 Freiheitsstrafen, die bald danach wieder reduziert wurden, überschaubar. Die Bedeutung der Nürnberger Prozesse bestand vor allem darin, dass sie neue Maßstäbe im Völkerrecht setzten.

Auch Wirtschaftsführer, die die Nazis unterstützt und von der Zwangsarbeit profitiert hatten, standen in Nürnberg vor Gericht. Sie erhielten nur kurze Haftstrafen, die vor allem ihrem eigenen Schutz dienten. Das Vermögen, dass sie durch Raub und Massenmord erlangt hatten, durften sie größtenteils behalten und ihre Konzerne sogar aus dem Gefängnis weiterführen. Bis heute geht das Vermögen vieler deutscher Milliardärsfamilien auf die Komplizenschaft ihrer Vorfahren mit dem Nazi-Regime zurück.

Mit Beginn des Kalten Kriegs wurde die Verfolgung von Nazi-Tätern im Westen weitgehend eingestellt. Militärs, Geheimdienstler, Richter, hohe Staatsbeamte, Professoren und Wirtschaftsführer wurden „entnazifiziert“ und kehrten in ihre alten Ämter zurück. Das Kanzleramt, in dem die wichtigen Personalentscheidungen fielen, wurde vom Mitverfasser und Kommentator der Nürnberger Rassengesetze Hans Globke geführt.

In Deutschland kam es erst 1963 zum ersten Auschwitzprozess. Das war vor allem dem unermüdlichen Einsatz des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer zu verdanken, der gegen unzählige Hindernisse und persönliche Angriffe ankämpfen musste. Auch hier blieb die Zahl der Urteile gering. Die Frankfurter Auschwitzprozesse hatte aber einen großen erzieherischen Wert. Sie öffneten der jüngeren, nach dem Krieg aufgewachsenen Generation die Augen und trugen maßgeblich zu deren Radikalisierung und zu den Massenprotesten 1968/69 bei.

In den 1970er Jahren hielt die Auseinandersetzung mit dem Nazi-Regime auch in den Schulen Einzug. Viele alte Nazis waren inzwischen in Rente gegangen und durch jüngere, von der 68er Bewegung geprägte Lehrer abgelöst worden. Die Parole „Nie wieder!“ grub sich tief ins Bewusstsein einer Generation ein, ohne dass sie genau verstand, was zur Katastrophe geführt hatte. Aber die große Mehrheit war überzeugt, dass sich ein derartiges Menschheitsverbrechen weder wiederholen durfte noch wiederholen konnte.

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz ist dies nicht mehr der Fall. Genozid, die Verfolgung von Millionen Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Krieg und selbst der mögliche Einsatz von Atomwaffen gelten wieder als „normal“. Das prägt auch die offizielle Gedenkveranstaltung, die heute um 16 Uhr auf dem ehemaligen KZ-Gelände in Auschwitz stattfindet.

Die offizielle Gästeliste verzeichnet zahlreiche Staatsoberhäupter und Regierungschefs aus Europa. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz sowie der britische König Charles reisen an.

Russland, der Nachfolgestaat der Sowjetunion, die Auschwitz unter gewaltigen Opfern befreit hatte, ist dagegen nicht vertreten. Der Grund ist, dass Deutschland, gemeinsam mit der Nato, wieder Krieg gegen Russland führt. Seit Beginn des Kriegs vor drei Jahren haben sie die Ukraine mit Waffen, Munition und Finanzhilfen in Höhe von 213 Milliarden Euro unterstützt. Weitere 147 Milliarden Euro sind bereits zugesagt.

Die Behauptung, dieser Krieg diene der Verteidigung der Ukraine gegen einen russischen Angriffskrieg, ist schlicht gelogen. In Wirklichkeit hat die Nato den Krieg provoziert, indem sie sich, entgegen früherer Zusagen, immer weiter in Richtung Russland ausdehnte.

Das Putin-Regime, das seine Macht der Auflösung der Sowjetunion und der Plünderung des gesellschaftlichen Eigentums durch milliardenschwere Oligarchen verdankt, hatte darauf keine fortschrittliche Antwort. Unfähig, an die ukrainische und internationale Arbeiterklasse zu appellieren, reagierte es mit einem reaktionären Krieg. Die Verantwortung für den Krieg liegt aber bei der Nato, die das Ziel verfolgt, die Ukraine zu kontrollieren und Russland zu zerschlagen sowie seine gewaltigen Bodenschätze auszubeuten.

Interessanterweise findet sich auch kein Vertreter der Ukraine auf der offiziellen Gästeliste. Das mag sich noch ändern, da Polen im Krieg gegen Russland zu den engsten Verbündeten der Ukraine zählt.

Es gibt aber auch gute Gründe, das Land nicht zur Auschwitz-Gedenkfeier einzuladen. Das Regime in Kiew verehrt Nazi-Kollaborateure und Komplizen des Holocaust. Im ukrainischen Lwiw, keine 400 Kilometer von Auschwitz entfernt, erhebt sich ein riesiges Denkmal für Stepan Bandera, dessen OUN nicht nur den Holocaust unterstützt, sondern auch zehntausende Polen ermordet hat, um eine ethnisch reine Westukraine zu schaffen. Der offizielle Bandera-Kult hat wiederholt zu Konflikten zwischen Warschau und Kiew geführt.

Israel lässt sich durch Bildungsminister Yoav Kisch vertreten. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu reist nicht an, weil der Internationale Strafgerichtshof gegen ihn einen Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen hat. In Polen war lange darüber diskutiert worden, ob der Haftbefehl, zu dessen Vollstreckung es rechtlich verpflichtet ist, ignoriert werden soll.

Das israelische Vorgehen gegen die Palästinenser, das erschreckende Parallelen zu den Methoden der Nazis aufweist, zeigt vielleicht am deutlichsten, wie sehr ein Genozid wieder zur offiziell akzeptierten „Normalität“ geworden ist.

Auch die US-Regierung ist auf der Gedenkfeier nur durch ein Mitglied aus der dritten Reihe vertreten, den Nahost-Beauftragten Steve Witkoff. Präsident Donald Trump hegt kaum verdeckte Sympathien für Hitler, und seine Politik – Abschiebung von Millionen Migranten, massiver Sozialabbau, Aufbau eines Polizeistaats, Gewaltandrohung gegen Rivalen und Verbündete – weist starke Parallelen zu jener der Nazis auf.

Trumps enger Vertrauter Elon Musk, der reichste Mann der Welt, sprach am Tag vor der Gedenkfeier in Auschwitz auf einer Großleinwand zur Wahlkampfauftaktverantsaltung der AfD in Halle. Er forderte 4500 jubelnde Anhänger der rechtsextremen Partei auf, „zu viel Konzentration auf vergangene Schuld“ hinter sich zu lassen. Kinder sollten nicht schuldig für die Sünden ihrer Urgroßeltern sein. „Es ist sehr wichtig, dass die Menschen in Deutschland stolz darauf sind, Deutsche zu sein,“ betonte Musk. Da kann das Gedenken an Auschwitz nur stören.

80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz lässt sich nicht mehr behaupten, dass die Nazi-Barbarei ein historischer Zufall war. Sie war der geballte Ausdruck des Bankrotts des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Der deutsche Imperialismus hatte im Ersten Weltkrieg erfolglos versucht, Europa unter seine Kontrolle zu bringen und sich nach Osten auszudehnen. Unter den Nazis nahm er einen zweiten Anlauf. Er brauchte Hitler, um die Arbeiterbewegung zu zerschlagen und die gesamte Wirtschaft auf Kriegsproduktion umzustellen.

Die Arbeiterklasse hätte Hitler damals stoppen können. Die beiden großen Arbeiterparteien, SPD und KPD, verfügten über mehr und vor allem solidere Anhänger als die Nazis. Doch weder die SPD- noch die KPD-Führung waren bereit zu kämpfen. Die SPD vertraute auf den Weimarer Staat und Reichspräsident Hindenburg, der Hitler schließlich zur Macht verhalf. Die KPD, die unter dem schädlichen Einfluss Stalins stand, verbarg ihr mangelnde Kampfbereitschaft hinter wortradikalen Angriffen auf die SPD.

Der Völkermord an den Juden war ein Ergebnis dieses Versagens der Führung der Arbeiterklasse. Hitler instrumentalisierte den Antisemitismus, um soziale Spannungen gegen eine Minderheit zu lenken. Er hatte das in Wien, beim antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger gelernt. Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion schuf dann die Voraussetzungen, um die mörderischen Pläne in die Tat umzusetzen.

Heute spielen die Angriffe auf Migranten, insbesondere muslimischen Glaubens, eine ähnliche Rolle wie damals der Antisemitismus. Wobei sich niemand täuschen sollte: Wo es Rechtsextreme und Faschisten gibt, wuchert auch der Antisemitismus.

Jetzt ist die Welt nicht nur mit der Eruption des deutschen, sondern auch des amerikanischen Imperialismus konfrontiert. Trump ist ebenso wenig ein historischer Zufall wie Hitler. Seine Rückkehr ins Weiße Haus bedeutet, wie die WSWS erklärt hat, „die gewaltsame Anpassung der amerikanischen Politik an die zugrunde liegende soziale Realität“. Gewaltige soziale Ungleichheit und der relative Niedergang der US-Wirtschaft gegenüber ihren Rivalen, insbesondere China, lassen sich nicht mit Demokratie und Frieden vereinbaren.

Das gilt auch für Deutschland und Europa. Schon jetzt sind in Ungarn, Italien, den Niederlanden und demnächst auch Österreich rechtsextreme Parteien an der Macht. In Deutschland ist die AfD mit rund 20 Prozent zweitstärkste Partei. Die nächste Bundesregierung will die Rüstungsausgaben um das Zwei- bis Dreifache erhöhen. Darüber sind sich alle etablierten Parteien einig. Das geht nur mit faschistischen Methoden.

Wenn es eine Lehre aus Auschwitz gibt, dann lautet sie: Faschismus und Krieg können nur durch das Eingreifen der Arbeiterklasse gestoppt werden. Sie muss alle demokratischen und sozialen Rechte verteidigen, sich international zusammenschließen, die Oligarchen enteignen und eine sozialistische Gesellschaft aufbauen. Dazu braucht sie ihre eigene Partei – die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale.