Die 90-minütige Debatte zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seinem möglichen Nachfolger Friedrich Merz (CDU), die die ARD am Sonntagabend zur besten Sendezeit ausstrahlte, war als „Duell“ angekündigt worden. Sie war nichts dergleichen.
Scholz und Merz stimmten in allen wesentlichen Fragen überein und versuchten sich gegenseitig rechts zu überholen. Themen, die Millionen berühren – steigende Preise und Mieten, wachsende Armut und sinkende Renten, Bildungs- und Gesundheitskrise, Massenentlassungen in der Auto- und Zulieferindustrie, Klimakrise – wurden entweder gar nicht oder nur am Rande berührt.
Stattdessen standen die Hetze gegen Migranten, die Aufrüstung und der Abbau von Sozialleistungen im Zentrum der Debatte. Während am zweiten Wochenende in Folge bundesweit fast eine Million gegen die Zusammenarbeit von CDU und AfD auf die Straße gingen, prahlten Merz und Scholz damit, noch schärfer als die Rechtsextremen gegen Flüchtlinge vorzugehen.
Während Merz seine Forderung nach Abschottung der deutschen Außengrenzen wiederholte, betonte Scholz, seine Regierung habe die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland um fast 70 Prozent gesteigert. „Es hat noch nie schärfere Gesetze gegeben, als die, die ich durchgesetzt habe“, brüstete er sich und warf Merz vor, die Union blockiere im Bundesrat schärfere Sicherheitsgesetze, um eine Show zu machen.
Die einzige Meinungsverschiedenheit bestand darin, dass Merz für die Abschottung der deutschen Grenzen eintritt, während Scholz Flüchtlinge an den europäischen Außengrenze abwehren will, um angesichts des wachsenden Drucks aus den USA die Einheit Europas nicht zu gefährden.
Die Kampagne gegen Flüchtlinge dient dazu, Migranten zum Sündenbock für die soziale Krise zu stempeln und die Arbeiterklasse zu spalten, um sämtliche sozialen und demokratischen Errungenschaften anzugreifen. Das zeigte sich insbesondere in der Debatte über das Bürgergeld, das 2022 unter der Regierung Scholz das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und die Sozialhilfe abgelöst hatte.
Merz will Milliarden einsparen, indem er Bürgergeldempfänger zur Aufnahme schlecht bezahlter Jobs zwingt. Er behauptete: „Wir haben 1,7 Millionen Bürgergeldempfänger, die eigentlich arbeiten könnten.“ Scholz trat dem nicht etwa entgegen, sondern unterstützte Merz. „Ich glaube, wer arbeiten kann, soll es auch tun“, sagte er und rühmte sich selbst, er sei in Deutschland der Politiker, der angeblichen Betrug beim Bürgergeld am härtesten sanktioniere.
Auch in der Rüstungs- und Außenpolitik sind die Standpunkte von Scholz und Merz nahezu identisch. Beide bestehen darauf, die Aufrüstungsoffensive nach dem Auslaufen des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens fortzusetzen und mindestens 2 Prozent des BIPs (andere sprechen inzwischen von 3 bis 5 Prozent) in die Rüstung zu investieren, was eine dramatische Erhöhung des regulären Militärhaushalts erfordert.
Scholz versucht immer noch die Illusion zu wecken, dies könne durch eine Modifikation der Schuldenbremse ohne entsprechende Sozialkürzungen erreicht werden, während Merz offen ausspricht, dass die Erhöhung der Militärausgaben Einsparungen an anderer Stelle im Haushalt erfordert.
Scholz Beteuerungen, er werde die Rüstung nicht auf Kosten der Sozialausgaben finanzieren, sind völlig unglaubwürdig. Die SPD hat unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die größte soziale Umverteilung seit Gründung der Bundesrepublik verantwortet. Massive Steuersenkungen für die Reichen in Verbindung mit den Hartz-Gesetzen führten zu einer dramatischen Vertiefung der Kluft zwischen Arm und Reich.
Unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) setzte die SPD diese Politik fort. Scholz selbst war von 2007 bis 2009 Arbeits- und ab 2018 Finanzminister unter Merkel, bevor er 2021 selbst zum Bundeskanzler gewählt wurde. Unter seiner Kanzlerschaft stieg die Armutsquote in Deutschland auf über 21 Prozent.
Nun kommt die Vernichtung von hunderttausenden regulären Arbeitsplätzen in der Auto-, Zuliefer- und Chemieindustrie hinzu, eine Entwicklung, die sich durch die von Trump angedrohten Strafzölle noch dramatisch verschärfen könnte.
Doch das war kein Thema in der Debatte zwischen Scholz und Merz. Während Merz zur „Belebung der Wirtschaft“ Steuersenkungen in Höhe von 20 Milliarden Euro für Reiche vorschlug, will Scholz Unternehmen mit einem „Made in Germany“-Bonus zum Verbleiben in Deutschland locken. Beides läuft darauf hinaus, noch mehr öffentliche Gelder in die Taschen der Milliardäre und Oligarchen zu stopfen.
Auch in der Kriegspolitik passt kein Blatt zwischen Scholz und Merz. Beide wollen den Krieg in der Ukraine weiter anheizen, insbesondere falls die Trump-Regierung sich zurücknehmen sollte. Beide setzen dabei auf ein gemeinsames Vorgehen Europas unter deutscher Führung.
In der bedingungslosen Unterstützung Israels sind sich ebenfalls einig, obwohl der völkermörderische Charakter des israelischen Kriegs gegen die Palästinenser immer offensichtlicher wird. Trumps Vorschlag, den Gazastreifen zu annektieren und in eine „Riviera des Nahens Ostens“ zu verwandeln, lehnten zwar beide ab, aber vor allem, weil er auch deutsche Interessen berührt. Scholz sprach von einem „Skandal“. Merz stimmte zu, meinte aber, da sei „auch viel Rhetorik dabei“.
Ansonsten blieb Trump der Elefant im Raum. Weder die Moderatorinnen Maybrit Illner und Sandra Maischberger noch Scholz und Merz gingen darauf ein, dass in den USA, dem engsten Verbündeten Deutschlands, ein faschistischer Präsident an der Macht ist, der die Verfassung über den Haufen wirft, der amerikanischen Arbeiterklasse und der ganzen Welt den Krieg erklärt und dabei auch noch massiv in den deutschen Wahlkampf eingreift. Trumps enger Vertrauter Elon Musk wirbt mit großem Aufwand für die Wahl der AfD.
Der Grund für dieses Schweigen ist einfach. Die deutsche Politik bewegt sich in dieselbe Richtung wie Trump. Dessen Rückkehr ins Weiße Haus ist kein Missverständnis. Er verkörpert die Interessen des amerikanischen Finanzkapitals, dass seine Profitinteressen nur noch mit diktatorischen Mitteln und seine globale Vorherrschaft mit militärischer Gewalt verteidigen kann.
Die Demokraten setzen dem nichts entgegen, weil sie selbst die Interessen der Wall Street und des Militärs vertreten. Das hat es Trump ermöglicht, durch populistische Demagogie viele Wählerstimmen zu gewinnen. Doch sein Regime verkörpert nicht die Herrschaft des Volkes, sondern die Diktatur der milliardenschweren Oligarchen, die sich hinter ihm versammelt haben. Widerstand dagegen kann nur von der Arbeiterklasse kommen.
Auch in Deutschland und Europa geht die herrschende Klasse diesen Weg. Überall werden rechtsextreme Parteien und ihre Politik gefördert. In Madrid versammelten sich am Samstag Rechtsextreme aus ganz Europa, um Trumps Wahlsieg zu feiern. „Gestern waren wir die Ketzer, heute sind wir der Mainstream“, jubelte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán.
Neben Orbán waren auch Marine Le Pen aus Frankreich, Geert Wilders aus den Niederlanden und Matteo Salvini aus Italien angereist. Der nominierte österreichische Bundeskanzler Herbert Kickl sprach über Video zu dem Treffen, das von der spanischen Partei Vox ausgerichtet wurde. Die AfD war nur deshalb nicht eingeladen, weil Le Pen um ihre Chancen in der nächsten Präsidentenwahl fürchtet, wenn sie mit einer deutschen Partei kollaboriert, die derart offen die Nazis verharmlost.
Scholz und Merz behandelten sich auch deshalb so zuvorkommend, weil sie eine Fortsetzung der Großen Koalition anstreben, die zwischen 2005 und 2021 mit vier Jahren Unterbrechung Deutschland regierte. Nachdem die Ampel-Koalition von SPD, Grünen und FDP krachend auseinandergebrochen ist, haben Union und SPD (oder eventuell die Grünen) die besten Aussichten, bei der Bundestagswahl am 23. Februar eine Mehrheit zu gewinnen.
In den Umfragen liegen die CDU seit langem um die 30, die SPD um die 16 und die Grünen um die 14 Prozent. Falls FDP, Linke und/oder BSW, die alle knapp unter 5 Prozent liegen, den Einzug in den Bundestag verfehlen, könnte dies für eine Mehrheit der Mandate reichen. Vorausgesetzt, dass sich die Union nicht doch noch für eine Bündnis mit der AfD entscheidet, die mit rund 20 Prozent an zweiter Stelle liegt.
Auch bürgerliche Medien sehen das so. Laut Frankfurter Allgemeine Zeitung war die Debatte weniger ein Duell, als eine Verhandlung künftiger Partner. Merz habe „sich mit allem, was er sagt, auf die SPD als Mehrheitsbeschaffer eingestellt. … Insofern täuscht das Duell mit Scholz einen Gegensatz vor, den es nicht gibt.“ Ironisch schreibt die F.A.Z., „Olaf-Friedrich Merzscholz“ wäre wohl der beste deutsche Kanzler.
Eine Neuauflage der Großen Koalition bedeutet keine Rückkehr zur Ära Merkel. Sie wird – das zeigt die Debatte zwischen Scholz und Merz – weit rechts von ihren Vorgängern stehen. Sie wird das Ziel verfolgen, Deutschland weiter aufzurüsten, jeden Widerstand gegen den Militarismus und die damit verbundenen sozialen Angriffe zu unterdrücken und so die AfD weiter zu stärken.
Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt diesem Rechtsruck als einzige Partei mit einem sozialistischen Programm entgegen. In ihrem Wahlaufruf heißt es:
Bei dieser Wahl gibt es kein kleineres Übel. Alle etablierten Parteien sind entschlossen, Deutschland wieder „kriegstüchtig“ zu machen und die Kosten auf Arbeiter, Rentner und Bedürftige abzuwälzen. Das Arbeitsplatzmassaker und die radikalen Lohnkürzungen bei VW sind erst der Anfang. Für diesen Frontalangriff auf die Arbeiterklasse brauchen sie die AfD – außerhalb oder innerhalb der Regierung. Schon jetzt haben alle anderen Parteien die Flüchtlingshetze und die Law-and-Order-Politik der Rechtsextremen übernommen. Sie versuchen so, die Arbeiterklasse zu spalten, einen rechten Mob aufzuhetzen und den staatlichen Unterdrückungsapparat zu stärken.
Die SGP weist die Illusion zurück, man könne die etablierten Parteien durch moralische Appelle und Druck von unten zu einem Kurswechsel bewegen. Unser Wahlkampf richtet sich an die Arbeiterklasse und an die Jugend: an alle, die sich nicht mit der völkermörderischen Kriegspolitik, der schreienden sozialen Ungleichheit, der Zerstörung des Gesundheits- und Bildungssystems und der Vernichtung unseres Planeten abfinden wollen.
Die internationale Arbeiterklasse ist eine gewaltige gesellschaftliche Kraft, die 3,5 Milliarden Menschen umfasst, 55 Prozent mehr als 1991. Sie schafft den ganzen gesellschaftlichen Reichtum und hat die gesamte Last von Krieg und Krise zu tragen. Nur wenn sie unabhängig ins politische Geschehen eingreift und die Gesellschaft revolutionär umgestaltet, indem sie die großen Banken und Konzerne enteignet und unter demokratische Kontrolle stellt, kann eine Katastrophe verhindert werden.
Eine solche Bewegung hat begonnen. Von den USA über Europa bis nach Asien und Afrika entwickeln sich heftige Arbeitskämpfe, die immer offener in Konflikt mit der pro-kapitalistischen Gewerkschaftsbürokratie geraten. Trotz heftiger Repression haben Millionen gegen den Völkermord in Gaza protestiert. Die zentrale Aufgabe besteht darin, diese Kämpfe international zu vereinen, sie mit einer sozialistischen Perspektive zu bewaffnen und eine neue sozialistische Massenpartei aufzubauen. Das ist das Ziel unseres Wahlkampfs.