Im Parkhaus eines Kasinos in Detroit erfroren am Montag zwei Kinder in einem Van, in dem sie mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter übernachteten. Das Ereignis hat eine Welle des Mitgefühls für die Opfer und helle Empörung über die Brutalität des amerikanischen Kapitalismus ausgelöst.
Tateona Williams, eine 29-jährige arbeitslose Arzthelferin, ihre Mutter und ihre fünf Kinder waren schon seit drei Monaten obdachlos. Sie stellten ihren Van regelmäßig in den Parkhäusern verschiedener Kasinos ab, weil es sicherer war als auf der Straße und sie die dortigen Toiletten und Waschbecken benutzen konnten.
Am Montag um 1:00 Uhr morgens parkte Williams laut Polizei den Van im neunten Stock des Parkhauses, das zum Hollywood Casino Hotel in der Innenstadt von Detroit gehört. Während die Familie schlief, ging entweder das Benzin aus oder die Heizung versagte aus anderen Gründen. Die Nachttemperaturen sanken unter minus 11 Grad.
Als die junge Mutter ihre Kinder wecken wollte, um sie zur Schule zu schicken, blieb ihr neunjähriger Sohn leblos liegen. Ein Freund , der eigentlich gekommen war, um nach dem Auto zu sehen, brachte Mutter und Kind sofort ins Krankenhaus. Unterwegs erfuhren sie, dass auch Williams’ jüngstes Kind nicht mehr atmete. Die beiden Kinder, Darnell, 9, und Amillah, 2, wurden im Krankenhaus für tot erklärt. Todesursache war Unterkühlung.
Am Dienstag berief der Bürgermeister von Detroit, Mike Duggan, eine Pressekonferenz ein, um jede Verantwortung von sich zu weisen. Duggan (Demokratische Partei) behauptete, dass die Stadt ausreichend Mittel für Obdachlose bereitstelle. Arme Einwohner wüssten oftmals einfach nicht, wie sie Unterstützung erhalten könnten. Der Bürgermeister gab allerdings zu, dass sich die Mutter mindestens dreimal an die Obdachlosenhilfe der Stadt gewandt hatte, zuletzt erst im November 2024. „Aus irgendwelchen Gründen wurde es nicht als Notfall eingestuft“, sagte Duggan. In vorwurfsvollem Ton fügte er hinzu: „Die Familie hat sich nie wieder gemeldet.“
Der Polizeichef teilte auf der Pressekonferenz mit, dass die Ergebnisse seiner Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft von Wayne County weitergeleitet würden. In solchen Fällen könne der Staatsanwalt Anklage erheben, „nicht unbedingt wegen einer Straftat, aber vielleicht wegen Fahrlässigkeit.“
In Interviews mit dem lokalen Fernsehsender wies die verzweifelte Mutter alle Versuche, ihr verantwortungsloses Verhalten zu unterstellen, entschieden zurück. „Ich habe meinen Kindern alles gegeben, was sie brauchten. Das einzige, was sie nicht hatten, war ein Haus.“
Die städtischen Behörden haben auch früher schon die Opfer zum Sündenbock für Tragödien gestempelt, die durch chronische Armut und die Gleichgültigkeit der Behörden verursacht wurden. So ist es auch diesmal, aber viele Arbeiter identifizieren sich mit der Mutter, weil sie wissen, dass auch sie nur ein oder zwei Monatsgehälter von ähnlichen Katastrophen entfernt sind.
Zwei Tage später war die Geschichte von den Titelseiten der Detroiter Medien verschwunden. Überregionale Zeitungen hatten kaum darüber berichtetet.
Die Obdachlosenkrise widerlegt den Mythos, dass sich die Entwicklung von Detroit seit der Insolvenz der Stadt in den Jahren 2013/14 zum Besseren gewendet habe.
Der Bürgermeister und andere führende Kommunalpolitiker behaupten, dass neue Bauprojekte im Stadtzentrum und in ausgewählten Stadtvierteln die Wohnsituation und den Lebensstandard für die Einwohner verbessern würden. Doch Detroit ist nach wie vor eine der ärmsten Großstädte Amerikas, mit einem mittleren Haushaltseinkommen von 27.838 Dollar pro Jahr und einer offiziellen Armutsquote von 37,9 Prozent.
Die überwiegende Mehrheit der Arbeiter schuftet in Niedriglohnjobs oder ist arbeitslos – wie Tateona Williams. Unter diesen Umständen ist es sehr schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
Zwischen 2020 und 2024 stiegen die Immobilienpreise um 72 Prozent. Wohnraum im Großraum Detroit ist jetzt im Verhältnis zum langfristigen Preistrend um 40,79 Prozent überbewertet. Dies geht aus Daten über die „Top 100 US Housing Markets“ hervor, die vom College of Business an der Florida Atlantic University veröffentlicht werden.
Es sind goldene Zeiten für den Investor und Immobilienentwickler Dan Gilbert (Nettovermögen: 27,4 Milliarden Dollar), die Familie Illitch, die Eigentümer von Little Caesar’s Pizza und die Unternehmen, die das professionelle Baseball- und das Eishockey-Team von Detroit vermarkten.
Teil des 49-stöckigen Wolkenkratzers, den Gilbert derzeit auf dem Gelände eines ehemaligen Kaufhauses errichten lässt, sind die Wohneinheiten namens The Residences at the Detroit Edition mit Preisen von 550.000 bis zu 3 Millionen Dollar und mehr. Die Mieten liegen dort zwischen 1.600 und 4.775 US-Dollar pro Monat.
Wenn man die Situation in der ehemaligen Autostadt Detroit verstehen will, muss man sich mit dem Zusammenbruch der US-Autoindustrie und mit dem Bankrott der Gewerkschaften befassen. Aufgrund der militanten Kämpfe der Autoarbeiter in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Pro-Kopf-Einkommen in Detroit 1960 auf seinem höchsten Stand.
Die herrschende Klasse hatte sich damit jedoch nie abgefunden und setzte in den folgenden Jahrzehnten alles daran, Arbeitsplätze zu vernichten und den Lebensstandard der Arbeiter zu drücken. Bei dieser historischen Umkehr der sozialen Stellung der Arbeiterklasse hatte sie die Bürokratie der Gewerkschaft United Auto Workers als Komplizen. Regiert wurde die Stadt über Jahrzehnte hinweg von der Demokratischen Partei.
Die Obdachlosenkrise geht weit über Detroit hinaus. Laut dem jüngsten Bericht des US-Ministeriums für Wohnungsbau und Stadtentwicklung (HUD) waren im Jahr 2024 in den Vereinigten Staaten 771.480 Personen von Obdachlosigkeit betroffen, 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Darunter befanden sich fast 150.000 Kinder unter 18 Jahren. Bei dieser Altersgruppe wurde zwischen 2023 und 2024 der größten Anstieg (33 Prozent) verzeichnet.
Weil die Obdachlosen sehr häufig in ihren Autos leben, haben die Behörden den Begriff der „vehicular homelessness“ (Obdachlosigkeit im Fahrzeug) geprägt. Das HUD schätzt, dass jede Nacht bis zu 113.000 Menschen in ihren Autos, Vans oder Wohnmobilen schlafen. In den ländlichen Gebieten Michigans und anderer Bundesstaaten wird die Obdachlosigkeit nach Angaben von Sozialarbeitern drastisch unterschätzt, weil die in Wäldern und gemieteten Lagerräumen lebenden Menschen nicht gezählt werden.
Das ist der amerikanische Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Milliardäre wie Musk, Bezos und Gilbert auf der einen Seite und zig Millionen Menschen, die am Rande des Abgrunds leben, auf der anderen. Unter Präsident Biden stieg die Obdachlosigkeit sprunghaft an, und der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom von den Demokraten ließ Obdachlosenlager mit Bulldozern niederreißen. Vizepräsident J. D Vance macht Einwanderer für die hohen Wohnkosten verantwortlich. Trump und Musk sind dabei, Programme wie Medicaid und andere Sozialprogramme, etwa zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum und Bildung, zusammenzustreichen, was viele weitere Todesopfer zur Folge haben wird.
In seinen Plädoyers für Sozialreformen in den 1890er Jahren fotografierte Jacob Riis das „Heer der obdachlosen Jungen“ in New York City, die sich auf Dampfrohren und alten Heizkesseln „ein Nest bauten“, um sich zu wärmen. Heute ist die Oligarchie wild entschlossen, alles, was von den Reformen der Vergangenheit noch übrig ist, zu zerstören, um ihre Gier nach Reichtum zu befriedigen und ihre imperialistischen Kriege zu finanzieren.
Der Arbeiterklasse in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt wird vor Augen geführt, warum es einst zur sozialistischen Revolution in Russland und zu anderen großen Umwälzungen gekommen ist.
Wenn weitere Tragödien verhindert werden sollen, müssen die Arbeiter eine mächtige Bewegung von unten aufbauen, die frei von den Gewerkschaftsbürokratien und den beiden kapitalistischen Parteien ist. Nur so können sie durch Streiks und Massenproteste ihre gesellschaftliche Macht entfalten.
Die Arbeiter müssen Löhne fordern, die mit den hohen Lebenshaltungskosten Schritt halten. Notwendig sind außerdem erschwingliche Wohnungen und Versorgungsleistungen, ein Ende der erdrückenden Schulden sowie eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Finanziert werden muss dies durch die Enteignung der Oligarchen und die Umwandlung der Autoindustrie und der riesigen Immobilien- und Finanzunternehmen in öffentliche Versorgungsbetriebe.
Solche lebensrettenden Maßnahmen können nur durch einen politischen Kampf verwirklicht werden, in dem sich alle Arbeiter zusammenschließen, um Trumps Pläne zur Errichtung einer Präsidialdiktatur zu vereiteln und die Herrschaft der Oligarchie durch die demokratische Herrschaft der Arbeiterklasse und den Sozialismus zu ersetzen.