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Mittlerweile wird offiziell zugegeben, dass sich die Zahl der Desertionen aus den ukrainischen Streitkräften deutlich erhöht hat, seit ein Gesetz in Kraft getreten ist, das nicht genehmigtes Verlassen einer Militäreinheit (auf Ukrainisch SSTsch) und Desertion teilweise entkriminalisiert. Roman Kostenko, der Sekretär des parlamentarischen Verteidigungsausschusses, erklärte Ende Januar: „Ich habe mit unseren Eliteeinheiten gesprochen, sowohl mit den Luftlandetruppen als auch der Marine: Die Zahl der SSTsch ist um 60 Prozent gestiegen.“ Angesichts der Tatsache, dass der ukrainische Staat den Boden unter den Füßen verliert, versucht er Strafmaßnahmen zu ergreifen.
Wir schrieben vor kurzem über den Post des Kriegsberichterstatters Juri Butusow vom 31. Dezember, der in der Ukraine auf große Resonanz stieß. Darin beschrieb Butusow, wie 1.700 Personen aus der 155. mechanisierten Brigade „Anna von Kiew“ flohen, bevor auch nur der erste Schuss fiel. Bevor sie nach Frankreich geschickt wurde, gab es bereits 935 Flüchtlinge. In Frankreich selbst sind mehr als 50 geflohen. Weniger bekannt ist, dass die Strafverfolgungsbehörde SBI am 8. Januar einen hochrangigen Leutnant dieser Brigade verhaftet hat, der selbst desertierte und seine Soldaten angestachelt hatte, es ihm gleichzutun. Er wurde von der Region Riwne nach Kiew gebracht und ohne Kaution eingesperrt. Anschließend wurde der ehemalige Brigadekommandant, Oberst Dmytro Rjumschin, verhaftet, mit der Möglichkeit, für 90 Millionen Griwnia Kaution (2,161 Millionen Dollar, für ukrainische Verhältnisse eine sehr hohe Summe) freigelassen zu werden. Laut dem SBI könnte es in der Brigade ein System gegeben haben, bei dem sich Personen, die das Land verlassen wollten, gegen Geld registriert wurden. Die Sprecherin der Behörde, Tatjana Sapjan, erklärte: „Wenn ich nicht irre, wurden etwa zwölf Wehrdienstverweigerer in die Listen für eine Ausbildung in Frankreich aufgenommen.“
Das Magazin Forbes berichtete am 27. Januar, dass die zweite Brigade der ukrainischen Streitkräfte bereits einen Monat nach der Verlegung an die Donezk-Front in Auflösung begriffen war. Hierbei handelt es sich um die 157. mechanisierte Brigade, die aus neuen Rekruten bestand und zur Verteidigung von Pokrowsk eingesetzt wurde. Insgesamt gibt es acht dieser Brigaden der 150. Serie, die „2023 bis Anfang 2024 aufgestellt und nach einer langen Ausbildungszeit seit Ende letzten Jahres an der Front eintrafen. Die Brigaden sind groß, ihre Mannstärke beträgt teilweise das Doppelte der üblichen 2.000 Soldaten einer ukrainischen Bodenkampfbrigade. Allerdings sind sie auch labil – mit unerfahrenen Führern, zu wenigen modernen gepanzerten Fahrzeugen und schlechter Moral, die oft zu einer hohen Desertionsrate führt. ... Es gab Berichte von Brigadeangehörigen, die einen Blick auf ihre Schützengräben warfen und dann sofort ihre Stellungen verließen.“ Laut der Publikation hatte die Brigade nicht das notwendige Kampftraining erhalten und „begann sich bereits aufzulösen, bevor sie in Pokrowsk ankam“. Es war der zweite derartige Fall in einem Monat.
Am 25. Dezember schrieb ein Mitglied der öffentlichen Telegram-Gruppe UFM, die Menschen beim Verlassen der Ukraine hilft:
Der Bruder meiner Frau ist ohne Waffe aus der Ausbildung geflohen (das genaue Datum werde ich nicht nennen), drei Tage später suchte die Polizei ihn bereits an seiner registrierten Adresse, und er stand auf der Fahndungsliste... Es geht jetzt also alles schnell. Das war vor einer Woche. Er ging zum Meldeamt, um sich zu stellen, dort waren Polizisten, die er schon kannte (er wollte verhandeln), aber etwas ging schief und, soweit ich weiß, wurde er wieder in das Ausbildungszentrum gebracht, aber dort, wo er wohnte. Davor wurde er vom RS (Territoriales Zentrum für Einberufung und Sozialhilfe) in der Region Kirowograd erwischt. Jetzt ist er in Charkow, [und es gibt] keinen Kontakt zu ihm. Das hat er mir alles persönlich erzählt, auch dass in den Ausbildungseinrichtungen in der Region Winniza die Leute mit dem Gewehrkolben geschlagen werden, wenn man sich verpisst. Er hat ein paar Zähne verloren...
Trotz dieser verschärften Verfolgung von Deserteuren sind die Möglichkeiten des Unterdrückungssystems noch immer sehr begrenzt. Ein Mann aus Charkow namens Andrej berichtete am 12. Januar:
Zum Thema Suche: Es gibt einen, der im Juni in den Sonnenuntergang verschwunden ist. Vor kurzem hat ihn die Polizei zum vierten Mal kontrolliert, als er von der Arbeit heimkam – er wurde nicht gesucht, also hatte er Glück. Er arbeitet als Verpacker in einer Werkstatt, inoffiziell natürlich. Er war in einem relativ ruhigen Sektor im Norden, also musste er nicht in den Fleischwolf. Wahrscheinlich muss eher die Leber als der Kopf repariert werden.
Ein weiterer Einwohner von Charkow ist im letzten Sommer gemeinsam mit seinem Kommandanten und der ganzen Kompanie von der Südfront desertiert. Wir haben seinen Fall im letzten Monat erwähnt. Heute lebt er wieder zu Hause, geht einkaufen und niemand sucht ihn. Am Morgen des 13. Januar wurde das Verschwinden des ersten Kompaniechefs im Rang eines Hauptmanns im 3. mechanisierten Bataillon der 143. mechanisierten Brigade nahe Kupjansk entdeckt. Der mobilisierte Offizier hatte seine Waffe zurückgelassen und seinen persönlichen Besitz sowie sein Privatauto mitgenommen.
Es gibt auch neue Hinweise auf massive Desertionen aus Trainingslagern in der Region Dnipropetrowsk, wohin die in Charkow mobilisierten Soldaten meist geschickt werden. Wir haben für die WSWS bereits vor einiger Zeit über Desertionen in diesem Gebiet berichtet. Eine Frau aus Charkow hat uns am 30. Januar folgende Informationen anonym zugeschickt:
Ich habe mit einem Polizisten aus der Gegend gesprochen, er erklärte, dass in der Gegend um Nowomoskowsk jeden Tag etwa 100 Menschen desertieren. Die Effizienz der Bemühungen, sie einzufangen, ist sehr mittelmäßig. Meiner Meinung nach sind die Anwerbequoten im Network-Marketing besser. Er wollte mir natürlich nicht sagen, wie viele von diesen 100 sie am Tag fangen, und beklagte sich über zu viel Schreibarbeit.
Am gleichen Tag, dem 30. Januar, veröffentlichte der bereits erwähnte Journalist Juri Butusow Informationen, laut denen zehn Radargerätebediener aus einer Funktechnikbrigade der ukrainischen Luftwaffe für den Einsatz bei den Marineinfanteristen gewählt worden waren: „Alle Operatoren hatten mehr als zwei Jahre Erfahrung, aber niemand fragte sie nach ihrer Meinung. Nachdem sie darüber informiert worden waren, haben sich drei von ihnen Atteste beschafft und sind ausgeschieden, drei sind desertiert.“ Es ist seltsam, dass es nur drei waren! Am 2. Februar erhielt die Versammlung die folgende Information:
In unserer Militäreinheit konnte man im Sommer noch offiziell im Urlaub ins Ausland fahren. Dann kehrten zwei von uns nicht zurück, und der Befehlshaber der Einheit verbot uns weiteren Auslandsurlaub... und ich wurde von der Luftwaffe zu den Bodentruppen an die Front versetzt. Ich brauchte sieben Tage, um alles zu begreifen, dann bin ich desertiert. Und dann holte mich ein Polizist, mit dem ich befreundet war, in seinem Auto ab – er fuhr von zu Hause aus ab. Ohne ihn wäre ich dort nicht weggekommen. Sie ließen uns an jedem Kontrollpunkt anhalten, aber der Dienstausweis zählte. Er hat mich nach Hause gefahren. Wenn es nur an der Grenze gewesen wäre... Ich kam aus der Region Saporischschja, die Kontrollpunkte dort sind verrückt. Viele wollten selbst desertieren, aber wurden am Kontrollpunkt aufgegriffen und zurück zu der Infanterie gebracht, die an auf dem Weg an die Front war.
Da sich der Gesprächspartner noch in der Ukraine aufhält, nennen wir keine weiteren Details.
Wer am meisten Glück hat, kommt einfach nicht in eine Militäreinheit. Am 4. Januar verbarrikadierten sieben oder acht Männer, die entführt wurden, um an die Front geschickt zu werden, im zentralen Rekrutierungszentrum von Saporischschja den Eingang mit Betten und anderen Objekten. Sie benutzten das einzige noch verbliebene Telefon, um nach Hilfe zu rufen, und forderten die Achtung der Menschenrechte und eine „legale Lösung“ in dieser Angelegenheit. Die Polizei setzte daraufhin Tränengas ein. Einer der Entführten, der an Epilepsie litt, bekam einen Anfall. Laut anderen in dem belagerten Zentrum wurde er von den Angestellten weggebracht, und es sah aus, als würde er sterben. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Das Filmmaterial zeigt, wie andere Menschen ebenfalls nach Atem rangen und um Hilfe riefen. Der Aufstand wurde unterdrückt und die Barrikaden noch am gleichen Tag abgebaut. Die Behörden meldeten jedoch keine Verstöße gegen den Mobilisierungsprozess.
Vor diesem Hintergrund stoßen einzelne Rebellionen auf besonders große Resonanz in den Medien. Am 25. November wurde ein Grenzsoldat in der Region Chmelnitzki zu zwölf Jahren Haft wegen vorsätzlichen Mords an seinem direkten Vorgesetzten (dem Befehlshaber der Kommunikationsgruppe) verurteilt. Der 36-jährige Unterfeldwebel... diente als Techniker und Fahrer und wurde im August zum staatlichen Grenzschutz eingezogen. Am 6. Februar 2024 trat er den Dienst mit der Waffe an. In seiner Dienstzeit traf er den Befehlshaber, mit dem er ein schwieriges Verhältnis hatte. Danach ging er mit ihm Richtung Kantine und schoss ihm mit einer AK-74 in den Magen. Der Oberst war sofort tot. Beim Prozess behauptete der Angeklagte, der Getötete habe ihn und einen Kollegen zuvor geschlagen, zudem habe er aufgrund des Konflikts obsessive Gedanken gehabt und den Schuss im Affekt abgegeben. Eine forensisch psychiatrische Untersuchung wies diese Behauptungen zurück und erklärte, der Angeklagte zeige keine Anzeichen für eine schwere geistige Störung. Zeugen bestätigten außerdem, dass der Angeklagte an dem Tag ruhig und ausgeglichen war. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft vielleicht nur Zeugen zugelassen, die ihre Version der Ereignisse bestätigen.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Am 27. November kam in dem Dorf Trostjanez in der Region Winnizia ein 57-Jähriger ins Rekrutierungszentrum, nachdem er eine Einberufung erhalten hatte, und stach dort einem 53-jährigen Feldwebel in das rechte Schlüsselbein. Der Feldwebel musste mit beschädigter Arterie in die Notaufnahme. Der Besucher erklärte seine Tat mit den Worten: „Weil er mich in den Krieg schicken wollte.“ Laut dem TRS der Region Riwne haben Unbekannte im wehrfähigen Alter am 11. Februar einen ihrer Beschäftigten während der Überprüfung ihrer militärischen Registrierungsdokumente verprügelt und Fahrzeuge beschädigt. Obwohl die Polizei schnell eintraf, konnten die Angreifer fliehen und werden gesucht. Am nächsten Tag wurde laut der TRS Charkow in einem Rekrutierungsbüro in Charkow ein Soldat mit Tränengas besprüht und mit einem Messer verletzt. Der Verdächtige wurde von der Polizei verhaftet.
Bereits am 13. Januar versperrten Menschen eine der Hauptstraßen von Charkow, um einen „Bus der Unbesiegbarkeit“ [mit dem während der Mobilisierung von der Straße entführte Menschen befördert werden] des Rekrutierungszentrums des Bezirks aufzuhalten. Zwei Männer und eine Frau stiegen aus zivilen Fahrzeugen aus, einer von ihnen hatte eine Schreckschusspistole. Nachdem sie mit der Pistole die Scheibe des Busses eingeschlagen hatten, lieferten sie sich eine Schlägerei mit den Rekrutierungsbeamten. Die Polizei verhaftete den Besitzer der Pistole und beschlagnahmte sein Auto. Es soll sich um einen 49-jährigen Unternehmer handeln, der seinen Neffen, der als Fahrer arbeitete, retten wollte. Ihm wurde mitgeteilt, dass ein Verdacht des Verstoßes gegen Abschnitt 1 des Artikels 114-1 (Behinderung rechtmäßiger Aktivitäten der Streitkräfte) und Abschnitt 4 von Artikel 296 des Strafgesetzbuches (Vandalismus unter besonders schwerwiegenden Umständen) besteht. Ein weiterer Beschuldigter wird noch gesucht.
Die aufsehenerregendste Geschichte dieses Winters ereignete sich in dem ansonsten ruhigen Bezirk Lubni in der Region Poltawa. Am 31. Januar wurde ein Einwohner von Poltawa namens Jewgen Schtscherbak zur Ausbildung zu einer Militäreinheit transportiert, begleitet von Soldaten aus dem Rekrutierungszentrum des Bezirks. In der Absicht, sich dem Dienst zu entziehen, rief er den Partner einer Verwandten namens Wadym Kusub aus Lubni an und nannte ihm die Route des Busses. Bei einem Stopp in Pyriatyn tötete der Bewohner von Lubni, der eine graue Sturmhaube und Tarnhosen trug, einen der Wächter mit einem mitgebrachten Jagdgewehr. Schtserbak und Kusub verschwanden mit dem automatischen Sturmgewehr des toten Soldaten. Doch am nächsten Tag meldete der regionale Polizeichef ihre Verhaftung. Die beiden sind 1984 bzw. 1988 geboren. Laut unbestätigten Gerüchten hatte der Schütze zuvor in den Territorialverteidigungskräften gedient und war an Kontrollpunkten stationiert.
Wadym Kusub, der des Mordes verdächtigt wird, gab bei einer Gerichtsanhörung am 3. Februar seine Schuld zu und bestätigte, dass er dem Verwandten seiner Frau bei der Flucht helfen wollte. Er erklärte, er wollte die Wachen erschrecken, als dies nicht funktionierte, habe er seine Waffe abgefeuert. Er erklärte: „Der Krankenwagen traf etwa 40 Minuten später ein, und er starb schnell. Ich wusste nicht, dass er tot war, ich dachte, er lebt noch. Ich wollte ihn nicht töten, ich wollte nur Schtscherbak Jewgen holen.“ Der Anwalt des Schützen, Waleri Masjuk, erklärte, sein Klient wirke aktiv bei den Ermittlungen mit. Jewgen Schtscherbak, der vor Rekrutierungsbeamten geflohen war, wird jetzt wegen Behinderung der Aktivitäten der ukrainischen Streitkräfte angeklagt. Beide befinden sich in Haft ohne Kaution.
Insgesamt bestätigt sich unsere Vorhersage vom letzten Jahr Schritt für Schritt. Die Zahl der russischen Angriffe und die Geschwindigkeit ihres Vorrückens sind seit Anfang 2025 stark zurückgegangen. Der Trend scheint zu lang und zu stark zu sein, um auf Wetterverhältnisse zurückzugehen. Scheinbar geht der Rückgang auf die bevorstehenden Friedensverhandlungen zurück, bei denen die russischen Regierungsvertreter darauf hoffen, eine Einigung mit der Regierung des neuen US-Präsidenten Donald Trump zu erzielen.