Die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) nimmt zusammen mit der Revolutionär Sozialistischen Organisation (RSO) erstmals mit drei Direktkandidaten in Berlin und München an der Bundestagswahl teil, um eine „antikapitalistische und sozialistische Alternative“ (RIO) aufzubauen. Tatsächlich hat die Kandidatur damit nicht das Geringste zu tun. Sie ist der verzweifelte Versuch, angesichts der Krise der Linkspartei ein neues Instrumentarium zu schaffen, das die wachsende Opposition gegen Krieg und Kürzungen den kapitalistischen Parteien und Gewerkschaftsbürokraten unterordnen soll.
Um das zu erreichen spart RIO in ihren programmatischen Verlautbarungen nicht mit radikalen Phrasen. „Wir sind hingegen der Meinung, dass nur eine konsequente sozialistische Opposition auf der Straße und in den Betrieben, Schulen und Hochschulen die Macht der Banken und Konzerne, den Krieg, die Abschiebungen und die Klimakatastrophe stoppen kann“, heißt es etwa in ihren 14 Vorschlägen zur Bundestagswahl. „Wir denken, dass die Linkspartei nicht zu einer solchen Kraft reformiert werden kann und alle Versuche dahingehend zum Scheitern verurteilt sind.“ Immer wieder schreiben sie von „Räten“, „Revolution“ und „Sozialismus“.
Doch solche Phrasen dienen RIO nur dazu, die Gewerkschaftsbürokraten und bürgerlichen Politiker nach links abzudecken. Sobald die Gruppe das Terrain wahlkämpferischer Sonntagsreden verlässt, setzt sie alles daran, die wachsenden Proteste eben diesen Kräften unterzuordnen. Als hunderttausende Arbeiter und Jugendliche auf die Straße gingen, um gegen die AfD und den Rechtsruck des ganzen politischen Establishments zu protestieren, orientierte die RIO die Bewegung auf SPD, Grüne, Linkspartei und Gewerkschaften:
Mit ihren gemeinsamen Abstimmungen mit der AfD brechen CDU/CSU und FDP endgültig das ohnehin nur kosmetische Versprechen der ‚Brandmauer‘. SPD und Grüne müssen sich jetzt von ihrer bisherigen rassistischen Migrationspolitik abwenden, die nur den Rechten zum Aufstieg verholfen hat.
SPD und Grüne haben der AfD nicht nur den Weg geebnet, sondern auch das Programm der Faschisten in die Tat umgesetzt. Sie lassen 80 Jahre nach dem Vernichtungskrieg der Nazis deutsche Panzer wieder gegen Russland rollen, kehren in Gaza zu den Methoden des Völkermords zurück und haben das brutalste Deportationsregime seit Hitler zu verantworten. Diese kapitalistischen Politiker aufzufordern, sie mögen von ihrer rassistischen Migrationspolitik Abstand nehmen, ist an Absurdität kaum zu überbieten. Aber hinter der Absurdität steckt der Versuch, die Bewegung auf diese Parteien zu orientieren. Schon vor einem Jahr hatte RIO zu einer „Einheitsfront“ mit SPD und Grünen im Kampf gegen rechts aufgerufen. Das Gleiche versucht die Gruppe in Hinblick auf die Gewerkschaftsbürokraten:
Die Gewerkschaften müssten zum Beispiel Piloten dazu aufrufen, keine Abschiebeflüge durchzuführen. Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst könnten noch vor der Bundestagswahl zu einem gewaltigen Protest gegen die Politik der kommenden Regierung werden, wenn die Forderungen nach höheren Löhnen mit politischen Forderungen gegen den Rechtsruck verbunden werden.
Die Gewerkschaften haben sich mit der Konzertierten Aktion voll hinter die Kriegspolitik der Regierung gestellt und versuchen seither, die brutalsten Lohnkürzungen und Entlassungen durchzusetzen, um die deutschen Unternehmen auf dem Rücken der Arbeiter für Handelskrieg vorzubereiten und die Milliarden für die Aufrüstung aus ihnen herauszupressen. Sie spielen die Schlüsselrolle dabei, den Klassenkampf zu unterdrücken und sind deshalb weithin verhasst. Wenn die RIO diese Kräfte als Bollwerke im Kampf gegen rechts verklärt, will sie die Apparate stärken und ihnen die Proteste unterordnen.
Auch die Linkspartei, die RIO selbst als unreformierbaren Verwalter des kapitalistischen Elends bezeichnet, will sie an die Schalthebel der Bewegung hieven:
Um ihren Worten Taten folgen zu lassen, muss die Linkspartei alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel für die Mobilisierung zu Protesten und Blockaden sowie deren Verteidigung gegen Polizeirepression nutzen. In der Gewerkschaft ver.di muss sie für eine Politisierung der aktuell laufenden Tarifrunden eintreten.
Die Partei, die in den Ländern fester Teil der Deportationsmaschinerie ist, den Polizeistaat hochrüstet und in den parlamentarischen Ausschüssen eng mit der AfD zusammenarbeitet, soll also Hauptorganisator der Proteste gegen Rechts werden. Klarer kann man die Orientierung von RIO gar nicht auf den Punkt bringen.
Um diese Politik im Dienst der Bürokratien zu rechtfertigen, spielt RIO die extreme Zuspitzung des Klassenkampfs und des deutschen Militarismus bewusst herunter. Während die herrschende Klasse in Deutschland im Namen der Kriegspolitik historische Angriffe auf die Arbeiter vorbereitet, hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet und die Reallöhne weiter senkt, erklärt RIO, dass keine größeren Kämpfe zu erwarten seien. In einem Art Perspektiv-Artikel „zur politischen Lage“ vom 28. Dezember verbindet sie dieses Herunterspielen mit der Beschreibung ihrer eigenen Rolle:
Bei VW konnte die Bürokratie ihre jahrzehntelang aufgebaute Macht zumindest für den Moment soweit nutzen, dass sie jede Dynamisierung unterbunden hat. In anderen Werken, die möglicherweise eher an den Rändern der Lieferketten stehen, kann es sein, dass es nicht immer gelingen wird. Dort könnten lokale Betriebsratsstrukturen auch aus Selbsterhaltungsinteresse abweichende Positionen und Strategien zu den Führungen der IG Metall entwickeln. Für Linke gilt es, aufmerksam Möglichkeiten zu beobachten, um bei Streiks für deren Ausweitung einzutreten und dafür, dass die Belegschaften selbst in Versammlungen über die Perspektiven entscheiden.
Mit anderen Worten: RIO geht davon aus, dass die Gewerkschaften den Widerstand gegen das Arbeitsplatzmassaker und die Reallohnsenkungen geräuschlos unterdrücken können. Das fordert die Gruppe auch gar nicht heraus. Stattdessen beobachtet sie die Situation so lange, bis Arbeiter in einzelnen Betrieben aus der gewerkschaftliche Zwangsjacke ausbrechen. Dann werden sie aktiv, um zu verhindern, dass sich ein ernsthafter Kampf gegen die Bürokratie entwickelt.
RIO mag sich wünschen so oft sie will, dass die Gewerkschaften den Klassenkampf erfolgreich unterdrücken können. Das Ausmaß der Angriffe auf die Arbeiter wird unweigerlich zu heftigen Auseinandersetzungen führen, die sich in wachsendem Maße auch gegen die Apparate wenden werden. Die Sozialistische Gleichheitspartei fordert deshalb den Aufbau von Aktionskomitees, die Arbeiter unabhängig organisieren und sich international zusammenschließen. Die RIO steht auf der anderen Seite der Barrikaden und verteidigt die nationalistische Gewerkschaftsbürokratie.
Noch krasser verklärt RIO die kapitalistische Krise in Hinblick auf den deutschen Militarismus. Die Gruppe spricht zwar unaufhörlich gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen, spielt aber die Aggressivität des deutschen Imperialismus systematisch herunter. In dem bereits zitierten Artikel heißt es:
Die Außenpolitik der künftigen Bundesregierung, egal in welcher Konstellation, wird nicht in erster Linie in Berlin entschieden, sondern vor allem auf Washington, Peking und Moskau reagieren müssen. […] Die außenpolitische Situation erlaubt es Deutschland kaum noch, eine führende Rolle in Europa einzunehmen.
Damit spielt RIO die enorme Aggression des deutschen Militarismus nicht nur herunter, sondern leugnet und entschuldet sie regelrecht. Inwiefern reagiert Deutschland denn auf Moskau? „Putin will seine Kontrolle über Osteuropa erzwingen“, antwortet die RIO in dem Text. Nachdem Deutschland und die Nato Putins reaktionären Einmarsch in die Ukraine bewusst provoziert haben, um die Ukraine zu kontrollieren und Russland militärisch zu unterwerfen, behauptet RIO, dass Deutschland nur auf die imperialen Gelüste Russlands reagiert habe! Das ist von der täglichen Kriegspropaganda der bürgerlichen Medien nicht zu unterscheiden. Deutsche Panzer rollen wieder gegen Russland und wieder soll Russland der Aggressor sein, ohne einen Schuss in Richtung Deutschland abgegeben zu haben.
Diese Liaison mit dem deutschen Militarismus ergibt sich ebenso wie die Unterstützung der Bürokratien direkt aus den historischen Wurzeln und dem Klassencharakter der Gruppe. RIO entstand als eine Abspaltung der staatskapitalistischen „Gruppe Arbeitermacht“, mit der weiterhin Verbindungen bestehen, und schloss sich 2011 der „Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale“ (FT-CI) an. Die FT-CI steht in der Tradition des argentinischen Pablisten Nahuel Moreno, der für die Liquidierung der Vierten Internationale in Lateinamerika eintrat und die Arbeiterklasse bürgerlichen und kleinbürgerlichen Nationalisten unterordnete – von Juan Peron in Argentinien bis zu Fidel Castro in Kuba.
Auch in Deutschland existiert die Gruppe in Form ständiger Umgruppierungen innerhalb des pseudolinken Sumpfes, der sich um die Gewerkschaften und die Linkspartei herum gebildet hat. Dabei kommt ihr meist die Rolle zu, diesen Manövern einen „linken“ Anstrich zu verpassen. So organisierte die Gruppe schon im Januar 2023, als die Linkspartei auf Grund ihrer rechten kapitalistischen Politik ein katastrophales Wahlergebnis nach dem anderen einfuhr, zusammen mit anderen pseudolinken Gruppen wie der GAM oder der Funke-Gruppe eine Konferenz unter dem Titel „Revolutionärer Bruch“. Auf der Konferenz diskutierten Linksparteimitglieder darüber, ob und wie sie das sinkende Schiff verlassen sollten.
Die Entscheidung, gemeinsam mit der RSO zu den Bundestagswahlen anzutreten, ist Teil dieses Manövers. Auf einer Podiumsdiskussion mit Vertretern des stalinistischen „Aufbruchs Münster“, der Linkspartei und der Partei des ehemaligen griechischen Finanzministers Varoufakis, Mera25, erklärte die RIO-Kandidatin für Friedrichshain-Kreuzberg, Inés Heider, dass ihre Initiative gar nicht den Anspruch habe, das „Non-Plus-Ultra“ zu sein, sondern „dass es auf dem Weg zur revolutionären Partei noch ganz viele Brüche und Fusionen geben wird.“
Was aus der Umgruppierung von Teilen der Linkspartei, Mera25 und stalinistischen Kleingruppen entsteht, ist das Gegenteil von revolutionärer Politik. Das zeigt sich schon daran, dass RIO in all ihren Aufrufen für einen „revolutionären Bruch“ mit keinem Wort auf Leo Trotzki oder die zentralen historischen Erfahrungen der trotzkistischen Bewegung eingeht. Der Grund dafür ist einfach. RIO und die FT-CI haben nichts mit Trotzkismus und der von ihm gegründeten Vierten Internationale zu tun. Ihre Selbstbezeichnung als „Trotzkisten“ dient ihnen lediglich als weiteres Deckmäntelchen in ihrer Verteidigung der Bürokratien.
Trotzki, der zusammen mit Lenin die Oktoberrevolution geführt hat, verteidigte die sozialistischen Prinzipien des Internationalismus und der Arbeiterdemokratie gegen Stalinismus und Sozialdemokratie. Die Gründung der Vierten Internationale hatte das Ziel, Arbeiter von den alten Bürokratien zu brechen und richtete sich insbesondere gegen all jene Tendenzen, die versuchten, diesen Bruch durch politische Manöver zu verhindern. Trotzki verstand, dass die Arbeiterklasse den Kapitalismus nur stürzen kann, wenn sie unabhängig von allen bürgerlichen Kräften ins politische Geschehen eingreift. Deshalb bestand er darauf, mit der Vierten Internationale eine revolutionäre Führung aufzubauen, die sich auf die zentralen historischen Lehren stützt und um politische Klarheit kämpft.
Das ist das genaue Gegenteil von dem, was RIO organisiert. Sie verschleiern und verfälschen die historischen Fragen und die Geschichte der trotzkistischen Bewegung. Auf dieser Grundlage mobilisieren sie alle möglichen abgehalfterten Gruppen von Stalinisten und Sozialdemokraten für ihr bankrottes Umgruppierungsprojekt, das darauf abzielt, im Kern rechte bürgerliche Parteien und die Gewerkschaftsbürokratien abzudecken und einen wirklichen Bruch mit diesen reaktionären Kräften zu verhindern.
Sie ergreifen diese Initiative zu einer Zeit, in der sich Massen von Arbeitern von den Gewerkschaften abwenden und mit Verachtung und Wut auf SPD und Linkspartei blicken. Die historischen Sozialangriffe, Massenentlassungen und Lohnkürzungen, die alle Parteien im Namen von Handelskrieg und Krieg nach den Wahlen umsetzen wollen, werden zu heftigen Klassenkämpfen führen, die sich auch gegen die Gewerkschaftsbürokraten richten werden. In dieser Situation versucht RIO diese Bürokratien mit ihrem Manöver zur Gründung einer „revolutionären“ Partei und allerhand linken Phrasen retten.
Die Sozialistische Gleichheitspartei nimmt hingegen an den Wahlen teil, um die kommenden Kämpfe der Arbeiter mit einer sozialistischen Perspektive zu bewaffnen. Das erfordert gerade den unnachgiebigen politischen Kampf gegen die Gewerkschaftsapparate und die Linkspartei mitsamt dem sie umgebenden pseudolinken Sumpf. Es erfordert die Klärung der Rolle von Sozialdemokratie, Stalinismus und pseudolinker Organisationen wie RIO, die nicht die Interessen der Arbeiter vertreten, sondern für wohlhabende Mittelschichten sprechen, die selbst Teil der Gewerkschaftsbürokratie und damit eine Stütze der kapitalistischen Ordnung sind.