Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist mit einer ungewissen innenpolitischen Zukunft konfrontiert, während seine Regierung die Folgen seines desaströsen Treffens mit US-Präsident Donald Trump und die möglicherweise bevorstehende Einstellung der US-Hilfen bewältigt.
Die bereits bestehenden Spannungen in der ukrainischen herrschenden Klasse wachsen weiter, da der US-Imperialismus und die europäischen imperialistischen Mächte selbst in der Ukraine-Frage gespalten sind.
Seit dem Nato-freundlichen Putsch gegen den gewählten Präsidenten Wiktor Janukowitsch im Jahr 2014 ist das Land im Wesentlichen ein von den USA und der Nato unterstützter Klientelstaat. Seit drei Jahren führt die Ukraine mit Geld und Waffen der Nato einen Krieg gegen Russland, der hunderttausende Todesopfer gefordert hat.
Angesichts der zunehmenden Kriegsmüdigkeit und Unzufriedenheit in der ukrainischen Bevölkerung herrscht jetzt in der herrschenden Klasse der Ukraine beträchtliche Sorge, dass Selenskyj nach der Rückkehr Trumps ins US-Präsidentenamt zu einer ernsthaften Belastung geworden ist.
Letzten Montag, kurz nachdem Trump Selenskyj als „nicht gewählten Diktator“ bezeichnet hatte, stimmte das ukrainische Parlament über eine Resolution ab, die die Legitimität von Selenskyjs Präsidentschaft bekräftigte, obwohl er in undemokratischer Weise die laut Verfassung für das Frühjahr 2024 vorgesehenen Präsidentschaftswahlen abgesagt hatte. Mit der Abstimmung sollte Selenskyj kurz vor seinem Besuch im Weißen Haus am Freitag gestärkt werden.
Doch obwohl Selenskyjs Partei Diener des Volkes die absolute Mehrheit im Parlament hat, scheiterte die erste Abstimmung mit nur 218 Stimmen – acht weniger als die notwendigen 226 Stimmen.
Später am Dienstag wurde der Entwurf der Resolution schließlich verabschiedet, nachdem der ehemalige Präsident Petro Poroschenko angekündigt hatte, er und seine Partei Europäische Solidarität würden keinen Widerstand mehr gegen die Resolution leisten, da sie Teil einer „wichtigen Verteidigungs- und internationalen Gesetzgebung“ sei.
Nur wenige Wochen zuvor hatte Selenskyj ein Dekret unterzeichnet, durch das Poroschenko wegen „Hochverrats“ und Unterstützung einer kriminellen Organisation sanktioniert wurde. Laut dem Inlandsgeheimdienst SBU, der die Untersuchung durchführte, wurden die Sanktionen verhängt, weil Poroschenko „eine Gefahr für die nationale Sicherheit, territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine“ darstelle und „Hindernisse für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung“ schaffe.
Poroschenko reagierte auf die Anschuldigungen, indem er Selenskyj direkt für die Vorwürfe verantwortlich machte: „Es gibt viele Komplizen bei diesem Verbrechen: Selenskyjs ganzes Team, die Minister im Kabinett, das sich einem absurden Vorschlag unterwerfen musste, Mitglieder seines Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats. Doch der Auftraggeber, Vollstrecker und Unterzeichner ist einer: Selenskyj persönlich.“
Poroschenko, der nach dem Putsch von 2014 Präsident der Ukraine wurde, ist seit langem ein politischer Rivale Selenskyjs. In den Präsidentschaftswahlen von 2019, durch die Selenskyj an die Macht kam, wurde Poroschenko klar geschlagen, obwohl er damals der bevorzugte Kandidat des US-Imperialismus war.
Seither ist Poroschenko, ein milliardenschwerer Oligarch, sowohl im Inland als auch im Ausland politisch sehr präsent. Im ukrainischen Parlament fungiert er als Vorsitzender der Partei Europäische Solidarität. Außerdem hat er sich häufig mit führenden westlichen Politikern getroffen und sich gleichzeitig gegen zahlreiche Strafanzeigen gewehrt, die das Selenskyj-Regime gegen ihn erhoben hat.
Weitere Personen, die von Selenskyj sanktioniert wurden, waren Wiktor Medwedtschuk, ein ehemaliger pro-russischer Oppositionsführer in der Ukraine, der heute in Russland lebt, Kostjantyn Schewaho, Gennadi Boholjubow und Selenskyjs ehemaliger Geldgeber und Oligarch, Igor Kolomoiski.
Die Sanktionen bedeuten, dass sämtliche damit verbundenen Vermögenswerte der betroffenen Personen eingefroren wurden. Poroschenko, Medwedtschuk und die anderen können außerdem keine Finanztransaktionen durchführen, neben anderen Maßnahmen, die zeitlich unbefristet sind.
In den Wochen seither hat Poroschenko zur „nationalen Einheit“ aufgerufen und es nach dem Debakel im Weißen Haus abgelehnt, seinen politischen Rivalen zu kritisieren. Allerdings äußerte er die Hoffnung, dass Selenskyj nach seinem Zerwürfnis mit Trump einen „Plan B“ hat.
Die Schritte gegen Selenskyjs politische Rivalen erfolgten vor dem Hintergrund von Diskussionen über erneute Wahlen in der Ukraine während der letzten Wochen. Es gab u.a. Vorschläge, im Rahmen eines potenziellen Friedensvertrags Präsidentschaftswahlen in der Ukraine abzuhalten.
Bei seinem Treffen mit Vertretern der Trump-Regierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar hatte Selenskyj versucht, alle Bestrebungen der westlichen Unterstützer abzuwehren, der Ukraine Wahlen aufzuzwingen.
Er erklärte: „Ich bin bereit, über Wahlen zu sprechen, wenn Sie wollen. Die Ukrainer wollen [sie] nicht, sie wollen [sie] absolut nicht, weil sie Angst haben. Sonst werden wir das Kriegsrecht verlieren, unsere Soldaten werden nach Hause kommen, und Putin wird unser gesamtes Territorium besetzen.“
Kürzlich bot Selenskyj an, im Gegenzug für die Nato-Mitgliedschaft zurückzutreten. Die Trump-Regierung hatte dies jedoch rundheraus abgelehnt, da sie die Rolle der USA in dem Militärbündnis aus der Zeit des Kalten Kriegs aufgeben und einen eigenen Kurs für einen potenziellen Krieg gegen China ausarbeiten will.
Während sich Selenskyj nach seinem Besuch im Weißen Haus um Unterstützung aus der EU bemühte, hat die Trump-Regierung bereits begonnen, sich mit Selenskyjs Rivalen innerhalb der ukrainischen herrschenden Klasse zu treffen.
Laut Politico haben sich vier hochrangige Vertreter der Trump-Regierung in Kiew zu geheimen Gesprächen mit Poroschenko und der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko getroffen, die im Jahr 2014 angeblich mit dem Abwurf von Atomwaffen auf Russland gedroht hat.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Bei den Diskussionen soll es dem Bericht nach um die Frage gegangen sein, ob die Ukraine tatsächlich vorgezogene Neuwahlen abhalten könnte, mit dem Ziel, Selenskyj abzusetzen.
Ein führender Außenpolitikexperte der Republikaner erklärte gegenüber Politico: „Poroschenkos Leute und Julia [Timoschenko] sprechen allesamt mit Trump World und positionieren sich als Leute, mit denen man leichter zusammenarbeiten kann. Und als Leute, die vielen Dingen zustimmen würden, denen Selenskyj nicht zustimmt.“
Auch wenn Selenskyjs Besuch im Weißen Haus letztlich nicht zu einem Abkommen führte, das dem US-Imperialismus die Kontrolle über einen riesigen Teil der kritischen Mineralien, Öl- und Gasvorkommen der Ukraine verschafft, so herrscht in der ukrainischen Bourgeoisie weiterhin die Hoffnung auf ein Abkommen, bei dem die Ukraine ihren Status als Klientelstaat der USA retten würde.
Der ehemalige Premierminister Arsenij Jazenjuk, der nach dem Putsch von 2014 vom US-Imperialismus für diese Rolle ausgewählt wurde, drängte in einem Interview mit dem Kyiv Independent trotz des Zerwürfnisses zwischen Selenskyj und Trump auf die Unterzeichnung des Rohstoffabkommens, um die herrschende Klasse der Ukraine zu retten.
„Wir müssen dringend einen Fahrplan aufstellen, wie wir die Situation, in der wir uns alle befinden, in Ordnung bringen können. Weder die Ukraine, noch die Trump-Regierung haben davon profitiert, nur der Kriegsverbrecher [Russlands Präsident Wladimir] Putin. Es ist besser, dieses (Rohstoff)abkommen so schnell wie möglich zu unterzeichnen und zu zeigen, dass die Ukraine für jede Art von Investition bereit ist. Wenn der US-Präsident dieses Abkommen braucht, um es seiner MAGA-Basis zu ,verkaufen‘, ist das okay für uns. Aber wir brauchen echte Investitionen und wirtschaftliche Zusammenarbeit.“
Inner-imperialistische Spannungen zwischen den europäischen Mächten und den USA haben sich auch auf die Rückkehr von – in den Worten der New York Times – „lange gemiedenen, pro-russischen Politikern“ ausgewirkt. Es überrascht nicht, dass die Zeitung nicht erwähnte, dass die pro-russische politische Opposition unter Selenskyj – mit Unterstützung der USA vor Beginn des offenen Kriegs im Jahr 2022 – systematisch zensiert und verfolgt wurde.
Eine der in dem Artikel erwähnten Personen ist Oleksandr Dubinski, ein ukrainisches Parlamentsmitglied, das derzeit im Gefängnis sitzt. Dubinski ist Trump-Anhänger und wurde beschuldigt, Verbindungen zu Russland zu unterhalten, obwohl damals Sanktionen aus den USA und Russland gegen ihn in Kraft waren.
Nach Selenskyjs Debakel im Weißen Haus forderte Dubinski auf X eine Krisensitzung des Parlaments zur Amtsenthebung von Selenskyj.
Er schrieb: „Die Ereignisse der letzten Stunden – die öffentliche Demütigung Selenskyjs im Weißen Haus, Trumps Bestätigung, dass Selenskyj diplomatisch gescheitert ist und der Verlust der bedingungslosen Unterstützung durch die USA – waren der letzte Akt im Zusammenbruch des Regimes. Doch Selenskyj hat nicht nur außenpolitisch versagt, er hat das Land in einen Zustand gebracht, in dem jeder, der mit seinem Kurs nicht übereinstimmt, mit Repressionen rechnen muss.
Ich appelliere an alle Mitglieder des ukrainischen Parlaments: Vergeuden Sie keine Zeit mehr, warten Sie nicht länger! Selenskyj ist bankrott. Selenskyj ist nicht die Ukraine! Es ist Zeit, ihn vor Gericht zu stellen. Wenn er keinen Ausweg aus dieser Krise anzubieten hat, dann ist es an uns, schicksalhafte Entscheidungen zu fällen.“