Ehemaliger Zentralbanker Carney wird neuer Premierminister Kanadas

Mark Carney [AP Photo/Chris J Ratcliffe]

Der ehemalige Gouverneur der Bank of Canada und der Bank of England, Mark Carney, wird in wenigen Tagen den kanadischen Premierminister Justin Trudeau ablösen, nachdem er am Sonntag das Rennen um die Führung der Liberalen Partei gewonnen hat.

Carney ist ein altbewährter Repräsentant der Finanzoligarchie, wurde aber noch nie in ein öffentliches Amt gewählt. Er hat bei Goldman Sachs ein Vermögen verdient, hat sich jedoch bisher geweigert, Einzelheiten darüber öffentlich bekanntzugeben. Danach war er 13 Jahre lang Gouverneur der Zentralbank.

Mit 85,9 Prozent der Stimmen hat Carney sich die überwältigende Unterstützung der traditionellen Regierungspartei der kanadischen herrschenden Elite gesichert, die das Land in den 80 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg über 50 Jahre lang regiert hat. Alle anderen Kandidaten, darunter die ehemalige stellvertretende Premierministerin und Agitatorin für den Krieg gegen Russland, Chrystia Freeland, erhielten nur unbedeutende Stimmanteile.

Angesichts eines beispiellosen Zusammenbruchs der bilateralen Beziehung zu den USA, die mehr als 80 Jahre lang die Grundlage für die Durchsetzung von Ottawas globalen imperialistischen Interessen war, betrachtet die herrschende Klasse Carney als starken Kandidaten für die Führung des kanadischen Imperialismus.

US-Präsident Donald Trump hat im Rahmen einer allgemeinen Zollpolitik gegen weltweit alle Handelspartner nicht nur einen Handelskrieg gegen Kanada begonnen, sondern auch mehrfach damit gedroht, den nördlichen Nachbarstaat als 51. US-Bundesstaat zu annektieren. Den scheidenden Premierminister hat Trump als „Gouverneur Trudeau“ verspottet. Trump will Amerikas Vorherrschaft über die westliche Hemisphäre stärken, um von dieser Grundlage aus einen Weltkrieg zur Aufrechterhaltung der globalen Hegemonie der USA zu führen. Das zeigt sich auch in seinen gleichzeitigen Drohungen, den Panamakanal zurückzuerobern und Grönland zu besetzen.

Carneys Amtszeit als Gouverneur der Bank of Canada fiel mit der Wirtschaftskrise von 2008 zusammen, als der Arbeiterklasse in ganz Nordamerika massive Lohnsenkungen und Arbeitsplatzvernichtung aufgezwungen wurden. Dabei wurden die Löhne in der Autoindustrie für neu eingestellte Arbeiter halbiert, was die Gewerkschaften United Autoworkers (UAW) und Canadian Auto Workers (CAW, Vorgänger von Unifor) auf beiden Seiten der Grenze durchgesetzt haben. In der gesamten Privatwirtschaft diente dies als Vorbild für Niedriglöhne.

Der konservative Premierminister Stephen Harper, dessen Regierung von 2006 bis 2015 rücksichtslose Sparmaßnahmen umsetzte, bot Carney im Jahr 2012 den Posten des Finanzministers an. Im Wahlkampf um die Führung der Liberal Party hat der ehemalige Zentralbanker Harpers Angebot als Beweis für seine Eignung dargestellt.

Im Jahr 2013 zog Carney es jedoch vor, zur Bank of England zu wechseln. Dort war er dafür verantwortlich, im Rahmen der „quantitativen Lockerung“ Milliarden von Pfund in die Finanzmärkte zu pumpen. Seine Zeit als erster ausländischer Gouverneur der englischen Zentralbank (2013 -- 2020) fiel mit dem größten Teil eines brutalen Sozialkahlschlags zusammen, den eine Tory-Regierung nach der anderen umsetzte. Im Vereinigten Königreich der Nachkriegszeit hat dies zu einer beispiellosen sozialen Ungleichheit und Armut geführt.

Geht es nach dem Willen der kanadischen Finanzoligarchie, dann wird in der nächsten Zeit eine ebenso rücksichtslose Klassenkriegs-Agenda auch in Kanada umgesetzt. Sie halten dies für unverzichtbar, um die Arbeiterklasse für den von Trump entfesselten Handelskrieg und die massive Aufrüstung bezahlen zu lassen, die der kanadische Imperialismus braucht, um sich aggressiv an der bereits begonnenen Neuaufteilung der Welt zu beteiligen.

In seiner Siegesrede kündigte Carney an, die Zölle gegen die USA so lange beizubehalten, bis Washington Kanada „respektiert“. Er bekräftigte sein Wahlversprechen, eine geplante Erhöhung der Kapitalertragssteuer zu annullieren und bis 2027 zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. Das 2-Prozent-Ziel ist jetzt die Mindestanforderung für die Nato-Mitgliedstaaten.

Allerdings haben seit Trumps Amtsantritt sowohl der US-Präsident als auch andere führende Vertreter seiner Regierung die Forderung erhoben, die Nato-Mitgliedsstaaten sollten bis zu fünf Prozent für Verteidigung ausgeben. Um diese Forderung zu erfüllen, müsste Kanada jedes Jahr zusätzlich Dutzende Milliarden Dollar für sein Militär ausgeben.

Um solche Summen aufzubringen, müssten die Reste der Unterstützung der Bundes- und der Provinzregierungen für Sozial- und Gesundheitsausgaben gestrichen werden, die unter Trudeau ohnehin schon real ständig gesunken sind. Carney verwies kryptisch auf diese Tatsache: „Es wird nicht so weitergehen wie bisher. Wir werden Dinge tun müssen, die wir uns vorher nicht vorstellen konnten, und in einer Geschwindigkeit, die wir zuvor nicht für möglich gehalten haben.“

Die verheerenden Auswirkungen seiner Pläne versteckt Carney hinter schmutzigem kanadischem Nationalismus. Er erklärte in seiner Siegesrede: „Amerika ist nicht Kanada. Und Kanada wird nie, niemals, in irgendeiner Weise oder Form Teil von Amerika sein. Wir haben um diesen Kampf nicht gebeten, aber die Kanadier sind immer bereit, wenn ihnen jemand den Fehdehandschuh hinwirft (...) Kanada wird siegen, im Handel wie im Eishockey.“

Trotz dieser aggressiven Rhetorik vertritt Carney, ebenso wie Trudeau vor ihm, die Position, die in der ganzen kanadischen herrschenden Klasse vorherrscht: Demnach muss die seit Jahrzehnten bestehende militärisch-strategische Partnerschaft mit Washington gerettet werden, damit die USA und Kanada auf der Grundlage einer „Festung Nordamerika“ ihren Rivalen und nominellen Verbündeten auf der ganzen Welt die Stirn bieten können.

Seit zehn Jahren propagieren Trudeaus Liberale mit Unterstützung der Gewerkschaften einen betrügerischen „progressiven“ kanadischen Nationalismus. Gleichzeitig arbeiteten sie mit der ersten Trump-Regierung, mit Biden und mit der zweiten Trump-Regierung in Fragen der „Grenzsicherheit“ zusammen: Sie schieben verzweifelte Einwanderer ab, festigen den von den USA dominierten nordamerikanischen Handelsblocks gegen China und modernisieren ständig Kanadas militärische Kapazitäten, u.a. durch das North American Aerospace Defense Command (NORAD), um einen Weltkrieg an der Seite der USA führen zu können.

Die liberale Regierung hat mit Unterstützung der Gewerkschaften rechte sozialpolitische Maßnahmen umgesetzt, die Zahlungen an die Provinzen real gesenkt und Subventionen für Großunternehmen zur Verfügung gestellt. Die Folge war der Anstieg der Lohnungleichheit auf den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. Provinzregierungen aller Parteien haben die Gesundheitsversorgung privatisiert und die öffentlichen Leistungen gekürzt. Die Unterstützung der Gewerkschaftsbürokraten und der New Democratic Party (die Trudeau seit 2019 eine Mehrheit im Parlament ermöglicht haben) für Trudeaus Spar- und Kriegspolitik hat es dem rechtsextremen Tory-Parteichef Pierre Poilievre ermöglicht, sich zynisch als die einzige Alternative zum derzeitigen System zu inszenieren.

Die Wahl eines millionenschweren ehemaligen Zentralbankers und Privatfinanziers zum Parteivorsitzenden der Liberalen ist ein passender Höhepunkt im völligen Bankrott der Politik, die die Gewerkschaften, die NDP und ihre pseudolinken Anhängsel seit 30 Jahren verfolgen.

Seit sie in den 1990ern in Ontario zusammengearbeitet haben, um die Massenbewegung der Arbeiterklasse gegen die „Common Sense Revolution“ des Tory-Ministerpräsidenten Mike Harris zu sabotierten, haben diese politischen Kräfte immer das Narrativ propagiert, man müsse „progressive“ Parteien – allen voran die Liberalen – wählen, um die Tories aufzuhalten.

Diese „Jeder, nur nicht die Konservativen“-Strategie hat maßgeblich dazu beigetragen, in den Jahren vor den Wahlen 2015 den Widerstand der Arbeiterklasse gegen die Harper-Regierung zu demobilisieren, ebenso wie den Widerstand gegen Doug Fords Frontalangriff auf die Arbeiterklasse in Ontario seit 2018 und gegen die anhaltende Zerstörung des Lebensstandards durch die Trudeau-Regierung angesichts einer anhaltenden Streikwelle in allen Industriezweigen seit Ende 2021.

Der Hass von Leuten wie Carney auf „Amerika“ richtet sich nicht gegen Trumps Bestrebungen, eine Präsidialdiktatur zu errichten, mit der er Angriffe auf die demokratischen Rechte und Arbeitsbedingungen amerikanischer Arbeiter durchsetzen will. Solche Angriffe wollen auch Carney und Konsorten gegen die kanadischen Arbeiter durchführen. Vielmehr geht es dabei um Trumps zumindest vorläufige Weigerung, die Interessen des kanadischen Imperialismus als Juniorpartner Washingtons anzuerkennen.

Gleichzeitig dienen Carneys Slogans als nützliche Propaganda und werden von der Gewerkschaftsbürokratie und den New Democrats aufgegriffen, um den üblen kanadischen Nationalismus zu verstärken. Sie sorgen dafür, die Arbeiter in ganz Nordamerika voneinander zu isolieren und zu spalten und hetzten sie gegeneinander auf. Damit wollen sie verhindern, dass Arbeiter sich gegen die Finanzoligarchie auf beiden Seiten des 49. Breitengrades zusammenschließen.

Daher betonte Carney, er werde die von der Trudeau-Regierung verhängten Zölle auf amerikanische Importe beibehalten, bis Trump alle Zölle gegen Kanada aufhebt und nicht mehr mit neuen Zöllen droht. Trump hatte am 4. März Zölle von 25 Prozent auf alle Importe aus Kanada angeordnet. Zwei Tage später kündigte er jedoch einen Aufschub der Zölle für Waren an, die laut Washington unter das Freihandelsabkommen zwischen den USA, Mexiko und Kanada fallen. Das bedeutet jedoch, dass für schätzungsweise 62 Prozent der Importe weiterhin die Zölle gelten. Ein weiterer 25-prozentiger Zoll auf Stahl- und Aluminiumprodukte soll zum 12. März in Kraft treten.

Als Antwort auf Trumps Zölle vom 4. März verhängte Trudeau Zölle von 25 Prozent auf US-Importe im Wert von 30 Milliarden Dollar. Der gleiche Satz soll am 2. April für weitere Importe im Wert von 125 Milliarden Dollar in Kraft treten – am gleichen Tag, an dem auch Trump weitere Zölle einführen will. Ontario hat am Montag eine 25-prozentige Abgabe auf alle Energieexporte in die USA verhängt, eine rachsüchtige Maßnahme, die Arbeiter in Form von höheren Stromrechnungen treffen wird.

Durch diese Maßnahmen soll die Arbeiterklasse die Kosten des Handelskriegs in Form von Preiserhöhungen und Massenentlassungen tragen. Gleichzeitig sollen sie die Interessen des kanadischen Kapitals verteidigen. Da das importierende Unternehmen die Zölle zahlt, wird es entweder die Verbraucherpreise für seine Produkte erhöhen oder Aufträge stornieren und Arbeiter entlassen.

Langfristig ist es egal, ob Kanadas Premierminister den Namen Mark Carney oder Pierre Poilievre trägt: Die herrschende Klasse wird in jedem Fall versuchen, im Wesentlichen die gleiche Klassenkriegsagenda durchzusetzen. Die Berichterstattung der Medien über Carneys Siegesrede machte dies deutlich. Sie stellen fest, dass seine neue Parole scheinbar lautet „Canada Strong“ – als Gegensatz zu Poilievres faschistischem „Canada First“.

Dieser Angriff der herrschenden Klasse und die Bedrohung durch Trump können nur durch die unabhängige industrielle und politische Mobilisierung der Arbeiterklasse in Kanada und ganz Nordamerika auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms aufgehalten werden.