75. Berlinale – Teil 10

DDR-Filmkomödien der 70er Jahre – „Nicht schummeln, Liebling“, „Orpheus in der Unterwelt“, „Nelken in Aspik“

Über die DDR werden auch 35 Jahre nach ihrer Auflösung immer wieder Fernsehfilme oder Dokumentationen gedreht, die sie als brutale Diktatur und Beweis für das Scheitern des Sozialismus zeigen sollen.

Einen etwas anderen und genaueren Blick vermittelten einige DDR-Filmkomödien der 70er Jahre in der Retrospektive der diesjährigen Berlinale. Auf ironische, groteske oder absurde Weise reflektieren sie die wachsenden Widersprüche der DDR-Gesellschaft und nehmen die Verlogenheit der stalinistischen SED-Bürokratie aufs Korn.

Nicht schummeln, Liebling, 1973

Nicht schummeln, Liebling! [Photo by DEFA-Stiftung / Klaus Goldmann]

Eine Berufsschullehrerin verschlägt es in die Provinz, wo ein fußballbegeisterter Bürgermeister seinen Spleen auslebt: Alles für den Fußball. Die junge Mannschaft genießt Privilegien. Wenn es nur irgendwie mit Fußball begründet wird, stellt der Betrieb sie frei. Die Mannschaft kapert den regulären Linienbus, als ihr Auto kaputt geht. Die Lehrerin ist fassungslos, dass der Bürgermeister dies und anderes völlig normal findet. Natürlich verlieben sie sich ineinander.

Da bei der Finanzplanung der Fußball Priorität hat, gründet die Lehrerin mit Berufsschülerinnen eine Fußballmannschaft, um als Siegerprämie den dringend benötigten Jugendklub einzufordern. Die Rechnung geht auf, auch wenn der Finanzstadtrat sich zunächst sträubt, ihnen das verfallene Schützenhaus zu überlassen, weil er darin Kaninchen züchtet. Die Mädchen gewinnen die Jungen für kostenlose Aufbaustunden. Natürlich verlieben sich die Mannschafts-Kapitäne ineinander.

Am Ende muss der „Genosse“ Bürgermeister, der generell die finanziellen Probleme der Stadt über private Beziehungen und andere halb- und illegale Operationen regelt, einen Lehrgang besuchen. Er ist kein schlechter Kerl, stellt die Lehrerin fest. Da die Stadt keine Attraktion hat, wollte er (neben Eigennutz) die Aufmerksamkeit der SED-Spitze auf die „Fußballstadt“ lenken, um finanziell förderwürdig zu werden.

Die flache Komödie von Joachim Hasler mit zwei DDR-Schlagerstars als Hauptdarsteller ist zweischneidig: Sie zeigt realistisch, wie Funktionäre der SED – hier der Bürgermeister – mit korrupten Methoden arbeiten, um Machtpositionen zu erhalten. Zugleich wird sein Handeln als kreative Initiative im Dienst am „Sozialismus“ hingestellt. Er hat sich nicht persönlich bereichert, will in der allgemeinen Mangelsituation der DDR das Beste für die Stadt herausholen. Er muss nur lernen, sich mit den höheren Gremien der Partei abzustimmen.

Mit einer tatsächlichen sozialistischen Konzeption, die die Beseitigung sozialer Ungleichheit in der ganzen Welt anstrebt, hat dies nichts zu tun. Sie wird im Gegenteil kompromittiert.

Orpheus in der Unterwelt, 1974

Orpheus in der Unterwelt [Photo by DEFA-Stiftung / Herbert Kroiss]

Die ursprüngliche Operette mit der Musik von Jaques Offenbach nahm als Parodie des antiken Stoffs die Doppelmoral der französischen Oberschicht unter Napoleon III. aufs Korn. Die DDR-Verfilmung „Orpheus in der Unterwelt“ (Horst Bonnett) musste nicht viel am Originaltext ändern, um daraus eine Satire über den Opportunismus der sozial Privilegierten in der DDR zu machen.

Der den freien Künstler mimende, staatlich angestellte Geigenlehrer Orpheus betrügt seine Frau Eurydike mit diversen Schülerinnen. Eurydike hatte gehofft, in die Welt der Privilegierten aufzusteigen, langweilt sich nun zu Hause und lässt sich mit einem Schäfer ein – in Wirklichkeit Pluto, Gott der Unterwelt. Willig folgt sie ihm in die Hölle. Orpheus ist froh, seine Frau los zu sein. Da erklärt der Komponist Offenbach persönlich, einem unverheirateten Witwer würde kein Vater seine Tochter als Schülerin anvertrauen. Jupiter soll ihm helfen, seine Frau wiederzubekommen.

Der Olymp ist für Menschen kein Vorbild. Die Oberschicht faulenzt, und Jupiter geht ständig fremd. Das Gefolge murrt, als er mahnt, es nicht zu arg zu treiben, weil sonst die Menschen den Respekt verlieren, und als er einen Haufen Beschwerdebriefe hervorholt. Als Pluto eintrifft, um Jupiter zu beteuern, dass er mit der Entführung Eurydikes nichts zu tun hat, ist der Hof fasziniert von dem Mann von Welt, der gleich eine hauseigene Schnapsmarke vorstellt. Die offene Revolte gegen Jupiter hat jetzt einen Kopf. Die Marseillaise erklingt, die Fahne der Revolution wird geschwenkt.

Jupiter ist angewidert, dass die Götter einem Kriminellen folgen, der eine Ehefrau entführt hat. Der kontert, Jupiter sei nicht besser. Dieser nimmt widerwillig die Götter mit in die Unterwelt, um Eurydike aufzuspüren. Ober- und Unterwelt feiern gemeinsam ein rauschendes Fest. In Gestalt einer Fliege findet Jupiter die von Pluto verlassene Eurydike in einem abgelegenen goldenen Käfig.

Orpheus erhält Eurydike zurück, aber er darf auf dem Weg zur Erde nur nach vorn blicken. Offenbach schärft ihm ein, nur vorwärts, an die Karriere zu denken. Doch der Olymp will Eurydike nicht dem Trunkenbold Orpheus überlassen. Ein göttlicher Blitz bewirkt, dass er sich erschrocken umdreht. Damit hat er seine Frau verloren. Die Geige geht in Flammen auf. Für Eurydike erfüllt sich ein Traum. Sie steigt in den Olymp auf, in dem es dank Pluto vielleicht in Zukunft lebendiger zugeht.

Die Parallelen zur DDR sind offensichtlich. Die Beschwerdebriefe an Jupiter spielen auf die Eingaben an, mit denen DDR-Bürger Missstände beklagten. Pluto begegnet dem obersten Gott Jupiter mit DDR-typischem Präsentkorb und liest die Begrüßungsworte aus einer roten Parteimappe ab. Gleichzeitig erscheint er aber wie der Abgesandte einer freieren, glitzernden Welt, wenn er vom „historischen Treffen“ und künftigem wirtschaftlich-kulturellen Austausch spricht.

Wie der Regisseur später erklärte, wollte er auf die Bewegung in der damaligen CSSR für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ anspielen, für deren Unterstützung er 1968 ins Gefängnis gekommen war. (Die Farben der französischen Fahne waren mit der der CSSR identisch).

Heute, nach dem Ende der DDR, fällt die Faszination des Olymps für den reichen Ganoven Pluto besonders ins Auge. Der einzige Verlierer im Film ist der unsympathische Musikprofessor Orpheus aus dem provinziellen Theben, dem die anziehende Weltgewandtheit eines Pluto fehlt.

Mit der Annäherung von DDR und BRD zu Beginn der 70er Jahre, die von der Bonner Regierung unter Willy Brandt als neue Ostpolitik initiiert wurde, verglichen Intellektuelle, Künstler und privilegiertere Schichten der DDR ihre bescheidenen Privilegien immer unzufriedener mit den Möglichkeiten des Westens.

Nelken in Aspik, 1976

Armin Müller-Stahl in Nelken in Aspik [Photo by DEFA-Stiftung / Rudolf Meister]

Der Filmemacher Günter Reisch konfrontierte das DDR-Publikum seit den 50er Jahren mit bürgerlichen Tendenzen in der DDR, die er als antisozialistisch beklagte – anfänglich voll Optimismus, sie könnten überwunden werden, wenn die Menschen ihr Verhalten änderten. Der Film „Nelken in Aspik“ (gemeint sind Nelken in Klarsichtfolie) ist relativ unbekannt. Er kam nur kurz in die Kinos, weil einige Darsteller die DDR verließen.

Wolfgang, gespielt vom berühmten Schauspieler Armin Mueller-Stahl, ist Zeichner im Ost-Berliner Haus der Werbung, fachlich schwach, aber gesellschaftlich engagiert, Fußballkommentator, Fotozirkelleiter und ein Schwätzer, der sich zu allem äußert, wovon er nichts versteht. Durch einen Unfall verliert er zwei Schneidezähne. Zum Schweigen verurteilt beginnt seine ungewollte Karriere.

Er schweigt, als ihn der Vorgesetzte Genosse Huster gut gelaunt mit der Frage provoziert, ob er ein Argument für die Überlegenheit der kapitalistischen Produktwerbung gegenüber der sozialistischen kenne. Zugleich preist ein Fernsehkoch des DDR-Werbefernsehens die Vorzüge der Makrele gegenüber dem Aal, einem Luxusartikel, der für Durchschnittsbürger kaum zu haben ist.

Dann steigt Wolfgang zum Betriebsdirektor auf, weil er sich als Improvisationsgenie und Devisenbeschaffer erweist. So hat er auf der Elektronikmesse von San Francisco aufgrund einer Verwechslung statt Computer massenhaft DDR-Handpuppen an einen texanischen Geschäftsmann verkauft.

Aber er will kein Direktor sein und sich selbst, auf Ratschlag seines Psychiaters, durch den Zusammenschluss mehrerer Betriebe wegrationalisieren. Es misslingt. Etwa 20 Direktoren verlieren ihre Stelle, aber er nicht – er wird Generaldirektor.

Der Psychiater rät, es mit dem Gegenteil zu versuchen, statt Dynamik Stillstand, „Arbeit einstellen“. Wolfgang stoppt die Werbeproduktion und ruft die „Weiße Werbewoche“ aus, überzeugt, damit genug Schaden anzurichten, um von seiner Stellung entbunden zu werden. Alle Werbung inklusive der Parteiwerbung und SED-Presse wird weiß übermalt oder abgedeckt. Die Mitarbeiter bekommen Urlaub, worüber der Gewerkschaftsvertreter am meisten überrascht ist, der im Betrieb die Chefs chauffiert.

Die Partei reagiert anders als erwartet. Die wütende Reaktion von Wolfgangs Vorgesetztem Huster gilt nur dem beispiellosen Alleingang. Die Einstellung der Produktion – „das hat noch keiner gewagt! – sei eine „nicht abgestimmte Initiative“, sagt er und bietet ihm das Du an.

Mittlerweile sind plötzlich im Rahmen der Weißen Werbewoche auch Zeitungsinhalte nur noch weiß, und in der Bevölkerung bricht eine Diskussion aus über den generellen Sinn der Werbung. Viele Betriebskollektive weigern sich, sie weiter zu finanzieren. So könnten Millionen eingespart werden.

Eine Luxuslimousine fährt Wolfgang zur eilig einberufenen Journalistenrunde, wo er über „Aspekte seines Schaffens“ sprechen, aber dann vor allem schweigen und Genosse Huster das Reden überlassen soll. Dieser stellt den in der Bevölkerung inzwischen populären Wolfgang als Koordinator der Maßnahmen im Ergebnis der Weißen Werbewoche vor.

Der ist entsetzt, zumal sich karrierebewusste Ex-Kollegen aufdrängen, sich schon mal im Schweigen übend, während Huster triumphiert und ihm das Insignium seiner Macht überreicht, einen Gummiring, mit dem er den einer energischen Führungspersönlichkeit würdigen Händedruck trainieren kann.

Das Angebot, in die Reihen der Mächtigen aufzusteigen, wirft Wolfgang in die Depression. Doch die Eisenbahnschiene, auf die er den Kopf legt, um aus dem Leben zu scheiden, gehört zu einem stillgelegten Gleis. An der Böschung liegt eine entgleiste Lokomotive. Plötzlich kann er sprechen, ihm sind dritte Zähne nachgewachsen. Schluss mit Schweigen und weißer Leere. In seiner plötzlich überbordenden Stimmung erklärt er den Menschen zum „Planetengetriebe“ der Werbung, das diese überflüssig mache: „Im nächsten Winter braucht doch jeder Kohlen, die wird sich jeder ohne Werbung holen.“

Sofort werden Wolfgang und Huster entlassen, die Werbegesellschaft aufgelöst und zum „Zentralinstitut zur Früherkennung von Fehlentwicklungen“ umgewandelt, damit, wie man fünf Jahre später sieht, alles beim Alten bleibt. Da erklärt Wolfgang bereits Bustouristen die Ostberliner Stadt. In alter Gewohnheit ins sinnfreie Schwafeln geratend, horchen zwei Sachbearbeiter für Kaderfragen aus der DDR-Autoindustrie auf. So einer wie er sei zu Höheren berufen und sollte doch gefördert werden.

Reischs Film ist voll grotesker Elemente. Er macht sich über die scheinbaren Absurditäten lustig und liebt es, anarchische Unordnung in die Ordnung der DDR zu bringen, wie etwa eine Autofahrt unter unwissentlichem Drogeneinfluss.

Verschiedene sowjetische Filme der Zeit weisen ebenfalls diese Tendenz auf. Reischs erfolgreichste Komödie „Anton der Zauberer“ (1978) lacht über einen „Sozialismus“, in dem Engpässe der staatlichen Großproduktion nur mit Hilfe der „schlauen“ Tricks eines selbständigen Autoschlossers behoben werden können.

Heute erinnern die Ereignisse um die Weiße Werbewoche an die Wendezeit 1989/90. Über Nacht verschwanden die sozialistisch klingenden Phrasen von den Straßen. Die Leerstellen wurden mit kapitalistischer Werbung zugepflastert. Wie nach der Journalistenrunde in Reischs Film bereits sichtbar, wurden solche verschrobenen Träumer wie Wolfgang durch prokapitalistische Karrieristen abgelöst, die alle aus dem DDR-Film „Orpheus in der Unterwelt“ stammen könnten.

Von der Komödie zur Tragödie

Die Filmkomödien zeigen, wie einige DDR-Künstler die kranken gesellschaftlichen Symptome des stalinistisch regierten Landes wahrgenommen haben, ohne die tieferen Ursachen zu verstehen. Davon zeugt die Sorglosigkeit ihrer Regiearbeiten.

In der DDR herrschte wie in der Sowjetunion Stalinismus, der eine völlige Entstellung der Perspektive des Sozialismus darstellte. Als Ergebnis des Siegs der Sowjetunion über die Nazi-Diktatur wurde zwar das kapitalistische Eigentum in Ostdeutschland beseitigt, die Arbeiterklasse jedoch politisch unterdrückt.

Nach den Unruhen in den 50er und 60er Jahren gab es in den 70er Jahren eine scheinbare Liberalisierung und zugleich soziale Zugeständnisse, wie Lohnerhöhungen, bessere Bildung, den Ausbau des Kindergartensystems, eine bessere Stellung der Frau, mehr Wohnungsbau und ein kostenloses Gesundheitssystem.

Aber unter dem Druck der Globalisierung der Weltwirtschaft näherte sich die DDR-Bürokratie dem Kapitalismus an. Sie förderte politische Heuchelei, Karrierismus, die Akzeptanz marktwirtschaftlicher Konkurrenz und letztlich Skepsis und sogar Feindschaft gegenüber einer sozialistischen Perspektive. 1989/90 organisierte die SED-Führung die Einführung des Kapitalismus und eine soziale Tragödie für die Bevölkerung.

Plutos Unterwelt triumphierte, und heute, 35 Jahre nach dem Ende der DDR, wird manchem Zuschauer dieser Komödien das Lachen im Hals steckenbleiben.