IKVI
Das IKVI verteidigt den Trotzkismus 1982–1986

Brief von Cliff Slaughter an David North

Dezember 1983

Lieber Genosse Dave,

auf seinem Treffen vom 29. bis 30. Oktober musste sich das Internationale Komitee der Vierten Internationale mit einer Reihe von politischen und theoretischen Problemen befassen, die sich besonders aus den Berichten der deutschen, der griechischen und der amerikanischen Sektion ergaben.

Die griechischen Genossen, denen es anfänglich gelungen war, einige Leute aus der krisengeschüttelten stalinistischen Bewegung in Griechenland zu gewinnen, mussten entschieden davor zurückgehalten werden, sich auf propagandistische Weise an diese Entwicklung anzupassen. Es ging dabei um die bewusste Entwicklung einer dialektisch materialistischen Analyse jeder Entwicklung, die durch die Praxis enthüllt wird, wobei diese Entwicklungen als Formen der Erscheinung der wesentlichen Bewegung der revolutionären Weltkrise verstanden werden müssen; und, ausgehend von diesem Verständnis, um die Bewaffnung der Parteikader, für eine Bereicherung ihrer Praxis im Klassenkampf.

Der Bericht der deutschen Sektion zeigt die großen Gefahren auf, die sich aus der Weigerung ergeben, bewusst die dialektisch-materialistische Methode durch das Training von Kadern zu entwickeln, jede neue Entwicklung als Manifestation der Weltkrise des Kapitalismus zu vergleichen und zu analysieren.

Stattdessen versahen diese Genossen die lebendige Entwicklung mit „marxistischen“ Etiketten, um auf das notwendige Eingreifen zu verzichten. Die Krise hat eine solche Schärfe erreicht, dass dieses Ausweichen vor dem Kampf des IKs für die Methode und das Kadertraining jetzt die absonderlichsten Formen des Ökonomismus und der Anbetung der Spontaneität erzeugt.

Was steckt hinter diesen Problemen, deren Auftauchen wir natürlich in vielen Formen zu erwarten haben und die unsere theoretische und praktische Aufmerksamkeit erfordern? Ihre allgemeinste (universelle) Quelle, auf die sich jede Analyse gründet, ist die gewaltige Geschwindigkeit in der Entwicklung der Weltkrise, die sich in immer neuen Formen enthüllt und all diejenigen zum „Nachtraben“ verurteilt, die nicht so an sie herantreten, wie es die Einheit von Theorie und Praxis entsprechend der dialektisch-materialistischen Methode erfordert.

Aber wie in den Diskussionen im Internationalen Komitee betont wurde, nehmen die Krise und ihre Entwicklung nicht nur soziale, wirtschaftliche und politische Formen an, sondern auch ideologische.

Jede Entwicklung des Klassenkampfs bringt neue ideologische Widerspiegelungen in der Bourgeoisie und im Kleinbürgertum hervor, neue „Verteidigungslinien“ der bürgerlichen Ordnung; und diese werden dann wieder in die Arbeiterklasse übertragen, insbesondere durch ihre Agenturen, die Reformisten, Zentristen und Stalinisten.

Der ideologische Druck auf die revolutionäre Partei intensiviert sich und bringt die ständige Gefahr opportunistischer und sektiererischer Tendenzen mit sich. Wie Trotzki in Verteidigung des Marxismus betonte:

Um nicht dem Druck der bürgerlichen öffentlichen Meinung oder der Polizeirepression nachzugeben, braucht der politische Revolutionär, um so mehr noch ein Führer, eine klare, weitsichtige, vollkommen durchdachte Weltanschauung. Nur auf der Grundlage einer vereinheitlichten marxistischen Vorstellung ist es möglich, an ‚konkrete‘ Fragen richtig heranzugehen. (Leo Trotzki, Verteidigung des Marxismus, Berlin 1973; Hervorhebung von mir)

Das bringt uns zu dem Bericht, den Du über die amerikanische Sektion gehalten hast und zu den Bemerkungen, die ich dann, gefolgt von Genossen Banda, machte.

Der ideologische Druck, von dem ich gesprochen habe, erzeugt Skeptizismus darüber, ob es möglich sei, mit unseren zahlenmäßig kleinen Kräften die großen Aufgaben zu erfüllen, die vor uns liegen. Dieser Skeptizismus nimmt die Form der Lähmung angesichts der Notwendigkeit an, die Parteipraxis jeden Tag zu verändern und die Parteikader zu entwickeln.

Gerade auf dieser Ebene des Kampfs für Veränderung muss die „klare, weitsichtige, vollkommen durchdachte Weltanschauung“ des dialektischen Materialismus den Widerstand auf Grund des Drucks der bürgerlichen Ordnung überwinden.

Und die grundlegendste Ebene, auf der dieser Kampf für das Kadertraining verstanden und bewusst und ausdrücklich geführt werden muss, ist die Ebene der Methode, des dialektischen Verständnisses der Formen, in denen die wesentliche Entwicklung der Weltkrise und der Weltrevolution, unsere eigenen Aktivitäten und ihre Auswirkungen eingeschlossen, stattfindet.

Verteidigung des Marxismus beinhaltet Trotzkis Kampf, diese grundlegenden Auseinandersetzungen zur Grundlage der Arbeit der Bewegung zu machen.

Ich habe mir während der Diskussion des IK vor allem darüber Sorgen gemacht, dass Dein Bericht die Gefahr zeigte, dass wir an diesen grundlegenden Lehren von Trotzkis letztem Kampf und dem gesamten Kampf des Internationalen Komitees nicht festhalten.

Deine starke Hervorhebung der „politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse“, untermauert durch ein Zitat aus Verteidigung des Marxismus, wird zu einer Waffe in den Händen all derjenigen werden, die am Pragmatismus festhalten. Es wird von ihnen als etwas „Konkreteres“ geschätzt werden als der ausdrückliche Kampf, die Kategorien der Dialektik zu entwickeln und zu verstehen, als Methode für die lebenswichtige Aufgabe, die raschen und umfassenden durch die Weltkrise in Gang gesetzten Entwicklungen zu verstehen. Wir müssen gegenüber allen Feinden absolut eindeutig und fest in der Frage sein, was unser Standpunkt zu Trotzkis Schlussfolgerung über den Kampf und über die amerikanische Partei ist:

Vielleicht sind nicht alle Genossen damit zufrieden, dass ich den Vorrang in der Diskussion der Dialektik einräume. Aber ich bin sicher, es ist der einzige Weg, die theoretische Erziehung der Partei, besonders der Jugend zu beginnen und einem Rückfall in den Empirismus und die Eklektik vorzubeugen. (Ebd. S. 148, meine Hervorhebung)

Es ist absolut klar, dass der Kampf 1939-40 einmal mehr zeigte, dass es keine „politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse“ gibt, ohne, als ihre prinzipielle Voraussetzung, den Kampf um den Sieg der dialektisch-materialistischen Methode über den Empirismus, Eklektizismus und Impressionismus, deren Kombination im amerikanischen Pragmatismus, einer vollendeten Form des subjektiven Idealismus, auf einzigartige Weise erreicht ist.

Ich schreibe dies mit dem Ziel, die beim IK-Treffen aufgekommenen Punkte so klar wie möglich zu machen. In einem viel weiter entwickelten Stadium der revolutionären Krise ist dies eine Fortsetzung von dem, was ich in meinem Brief vorn April dieses Jahres an Dich erklärt habe. Ich machte Dich damals auf einen Kommentar im Bulletin aufmerksam, in dem Marx’ dialektischer Materialismus als direkte Fortsetzung früherer materialistischer Philosophie charakterisiert worden war, und in dem der entscheidende Beitrag der dialektischen Methode, die in Hegels objektiv idealistischer Philosophie enthalten ist, ausgelassen wurde.

Mit anderen Worten, die Darstellung der marxistischen Philosophie war hier so zurechtgebogen, dass sie den Bedürfnissen des amerikanischen Pragmatismus entsprach.

Wie Du in Deiner Antwort (vom 21. Juli) betont hast, ist die Tatsache „nicht ohne Bedeutung“, dass ein solcher Fehler trotz des unablässigen Kampfs in der Schulungsarbeit des Internationalen Komitees gegen eben diese falsche Auffassung auftauchen konnte. „Wir haben noch eine Menge harter Arbeit gegen den Pragmatismus in den Vereinigten Staaten zu leisten.“. Diese „harte Arbeit“ ist natürlich beständig und in zunehmendem Maße zu leisten und niemals vollendet.

Die Sorge, die ich und andere Genossen auf dem IK-Treffen im Oktober 1983 hatten, war, dass Du Dich so sehr auf programmatische Fragen konzentrierst, dass Du es unterlässt, Dich ausdrücklich dem Kampf für die dialektische Methode im tagtäglichen Kampf mit den Parteikadern zu widmen, und dass dies nur zu einem gefährlichen Nachlassen im bewussten Kampf gegen den Propagandismus führen kann.

Dieser Pragmatismus, und sein Widerstand gegen die Errungenschaften einer vollständig ausgearbeiteten marxistischen Weltanschauung, ist die grundlegendste Art, wie die bürgerliche Ideologie unsere Partei von innen her bekämpft, und dagegen muss nachdrücklich der Kampf geführt werden, vor allem die tägliche Entwicklung der dialektischen Methode im Kadertraining.

Auf diese Art erscheinen dieselben theoretischen Probleme, die in der Diskussion über die Berichte anderer Sektionen auftauchten, in Formen, die für den Klassenkampf und die ideologische Geschichte der Vereinigten Staaten charakteristisch sind.

Genosse Banda brachte dann das Problem der Schlagzeile im Bulletin vom Freitag, den 28. Oktober auf: „Reagan ist ein Lügner“. Wir sind natürlich verpflichtet, bewusst gegen jede neue Form des Drucks der kleinbürgerlichen öffentlichen Meinung, wie er durch kleinbürgerliche Ideologen vermittelt wird, anzukämpfen – das hast Du Genossen Banda geantwortet. Du hast gesagt, dass die Erklärung des Politischen Komitees der Workers League zur Invasion auf Grenada (auf den Innenseiten derselben Ausgabe) in Wirklichkeit eine feste defätistische Position vertrete.

Mit dem Leitartikel auf der ersten Seite einschließlich der Schlagzeile sei auf Reagans Fernsehansprache geantwortet worden.

Das ändert aber in keiner Weise etwas an der Tatsache, dass die wesentliche Klassenlinie der Partei vorherrschen und auf der ersten Seite vertreten werden muss. „Reagan ist ein Lügner“ ist eine Propaganda-Antwort, die uns in Wirklichkeit nicht von allen Arten von zentristischen und kleinbürgerlichen Tendenzen unterscheidet – ungeachtet der Betonung der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse“.

In dem Maße wie es ein Nachlassen im tagtäglichen Kampf gibt, dialektisch alle neuen Manifestationen der Weltkrise und des Drucks des Klassenfeindes zu begreifen, in dem Maße gibt es eine Gefahr, dass unsere unabhängige revolutionäre Linie verloren geht, selbst wenn das durch den Mechanismus des Rückfalls in journalistische Routine passiert.

Die Tatsache, dass Du nicht dort warst und die Arbeit jemand anderem überlassen musstest, ändert nichts an dieser Feststellung.

Schließlich befandest Du Dich in derselben Lage, als ein anderer Genosse in der Führung den Bulletin-Kommentar im April schrieb, und Du selbst hast damals erklärt: „Dies ist weder eine Entschuldigung noch eine Rechtfertigung für den Kommentar, sondern Erklärung, wie der Kommentar geschrieben worden ist. Natürlich werden im Zusammenhang mit Krisen die Probleme des Kaders am klarsten enthüllt. ...“ Genau!

Dies bringt mich zum letzten Punkt. Die Erklärung des Politischen Komitees ist in Wirklichkeit keineswegs so eindeutig, wie Du gedacht hast. Ich führe das hier nicht als eine Frage der politischen Auseinandersetzung an, sondern um Deine Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen von all dem zu lenken, auf diese theoretischen Fragen, die hier aufgeworfen worden sind. Die PK-Erklärung „ruft die gesamte amerikanische Arbeiterbewegung auf, für den Rückzug der US-Truppen von dieser Insel (Grenada) zu kämpfen.“

Das ist natürlich korrekt, doch es unterscheidet an sich unsere Linie noch nicht von der vieler Leute, die sagen werden: „Bringt unsere Jungens nach Hause!“

Eure einzige direkte Erwähnung eines Siegs über den US-Imperialismus in diesem Krieg ist im Punkt 9: „Die nackte Aggression des US-Imperialismus in Grenada und überall auf der Welt kann jedoch nicht durch Protest besiegt werden, sondern allein durch die Mobilisierung der Stärke der Arbeiterklasse im Kampf gegen das kapitalistische System.“ Dann folgt erneut die korrekte Forderung nach sofortigem Rückzug aller Streitkräfte von Grenada.

Was hier notwendig ist, ist eine klare Aussage und kurze Erklärung zu der Tatsache, dass der Kampf der Arbeiter in den USA (und in anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern) und derjenige der kolonialen und ehemaligen kolonialen Völker ein und derselbe ist, und dass eine Niederlage der Streitkräfte des US-Imperialismus einen Sieg für die amerikanische Arbeiterklasse und die Arbeiter überall bedeuten würde. Dadurch würde klargemacht, dass wir für die bedingungslose Unterstützung selbst der Militärclique sind, die in Grenada an der Macht ist.

Dem wird in Eurer Resolution natürlich nicht widersprochen, doch es wird nicht eindeutig festgestellt und betont. Und es ist nicht richtig zu sagen: „Das Hauptangriffsziel der Politik der weltweiten Konterrevolution ist die enorme Macht der amerikanischen Arbeiterbewegung“.

Es geht überhaupt nicht um ein „Hauptangriffsziel“. Es gibt da eine Spur von Vorbehalten in Bezug auf den antiimperialistischen Inhalt der kolonialen Revolution, eine Spur von Vorbehalten in Bezug auf die Einheit der proletarischen Revolution in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und den kolonialen nationalen Befreiungsbewegungen.

Es ist im Allgemeinen richtig, darauf zu bestehen, wie dies Eure Resolution in ihrem Schlussteil tut, dass „die zentrale Frage, vor der die amerikanische Arbeiterklasse steht, die Notwendigkeit ist, ihre politische Unabhängigkeit zu erreichen, indem sie eine Arbeiterpartei aufbaut und für eine Arbeiterregierung kämpft, deren Aufgabe es ist, das kapitalistische System zu stürzen und den Sozialismus zu errichten.“

Ja, aber gerade jetzt besteht der Weg, „die politische Unabhängigkeit der amerikanischen Arbeiterklasse zu erreichen“, darin, anzuerkennen, dass die zentrale Frage darin besteht, für die Niederlage der US-imperialistischen Invasion Grenadas und des kommenden Angriffs auf Nicaragua zu kämpfen.

Das ergibt sich aus einer dialektischen Erkenntnis der jüngsten Erscheinungen der Krise und den daraus folgenden Aufgaben der Partei. Grenada und Libanon sind wirkliche Entwicklungen und müssen als die sich plötzlich rasch entwickelnde Triebkraft zum Krieg und dazu, dass der US-Imperialismus „globale Verantwortung“ übernimmt, verstanden werden.

Das ist nicht dasselbe, wie sich auf die Grenada-Frage als die „zentrale Aufgabe, die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse herzustellen“ zu beziehen.

Eure PK-Erklärung im Bulletin vom Dienstag, 1. November, die ich erst sah, nachdem ich dies geschrieben hatte, korrigiert die Formulierung.

Die beiden Themen der Diskussion – die Frage der dialektischen Methode im Kadertraining und die Frage unserer Ausrichtung in Bezug auf die Invasion Grenadas – sind schließlich miteinander verbunden. Die Konzentration auf die dialektische Methode und die großen Fragen des Programms, der Strategie und Taktik können nicht voneinander getrennt werden. Ihre Einheit wird durch das Kadertraining in der revolutionären Partei hergestellt.

Ohne ein umfassendes, allgemeines, dialektisches Erfassen der gegenwärtigen Epoche, als einer Epoche der jähen Wendungen ist eine wirkliche Erziehung der jungen Parteien, eine richtige strategische Führung der Klassenkämpfe, eine richtige Anwendung der Taktik und ein scharfes und kühnes Sichumstellen bei einer Wendung der Situation, unmöglich. Und gerade bei einer solchen Wendung entscheiden oft 2-3 Tage das Geschick der internationalen Revolution auf Jahre hinaus. (Leo Trotzki, Die III. . Internationale nach Lenin, Dortmund 1977,S.137).

Mit brüderlichem Gruß

Cliff