Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Die Teilung Deutschlands

119. Die Teilung Deutschlands war sowohl eine wichtige Voraussetzung für die Stabilisierung des europäischen Kapitalismus wie für die Kontrolle der Arbeiterklasse. Die Angst vor einem übermächtigen Deutschland hatte die Geschichte Europas seit 1871 maßgeblich geprägt. Nun war die Bundesrepublik nur noch halb so groß wie das frühere Deutsche Reich, dessen Territorium zu einem Viertel an die Sowjetunion und Polen und zu einem Fünftel an die DDR gefallen war, die Bevölkerungszahl nur wenig höher als die Frankreichs, Großbritanniens oder Italiens. Das war die Voraussetzung für ihre Integration in ein Wirtschaftsbündnis mit den westlichen Nachbarn, das sich schließlich zur Europäischen Union entwickelte. Die deutsche Arbeiterklasse mit ihrer langen marxistischen Tradition wurde durch die Teilung gespalten. In der DDR unterdrückte die SED jede selbständige politische Regung von unten. In der Bundesrepublik verschrieb sich die SPD bedingungslos dem Kapitalismus, schlachtete die Unterdrückung der ostdeutschen Arbeiter propagandistisch aus und schürte den Antikommunismus, erstickte aber gleichzeitig jeden Ansatz zur gemeinsamen Mobilisierung der Arbeiter in Ost und West. So verhinderte sie 1953 ein Übergreifen des DDR-Aufstands auf Westberlin. Als 1956 sowjetische Panzer den Ungarnaufstand erstickten und Westberliner Arbeiter in großen Mengen zum Brandenburger Tor marschierten, hielt Willy Brandt, der frühere SAP-Funktionär und spätere Bundeskanzler, sie persönlich zurück. Beginnend mit Brandts Ostpolitik entwickelten die Spitze der SPD dann enge Beziehungen zur SED, und die Bundesregierung half dem DDR-Regime wiederholt durch Milliardenkredite aus der Klemme.

120. Die herrschende Bürokratie der DDR war sich ihres Gegensatzes zu den sozialistischen Bestrebungen der Arbeiter von Anfang an bewusst. Das äußerte sich unter anderem darin, dass sie die DDR nicht im Namen des Sozialismus gründete. Stattdessen gab sie sich einen betont nationalen Anstrich und versuchte, auch rechte Schichten an sich zu binden. So wurden ehemalige NSDAP-Mitglieder und Offiziere amnestiert und in eine eigens für sie gegründete Partei, die NDPD (National-Demokratische Partei Deutschlands) aufgenommen. Das Gründungsmanifest der Volkskammer trug den Titel „Die nationale Front des demokratischen Deutschland“ und erwähnte den Sozialismus als Staatsziel mit keinem Wort. Zwischen 1948 und 1951 schloss die SED Zehntausende alter Kommunisten und Arbeiter, die eine Verbindung zur revolutionären Vergangenheit der KPD oder zur Arbeiterklasse hatten, sowie ehemalige Sozialdemokraten aus ihren Reihen aus und ersetzte sie durch linientreue Apparatschiks. Anfang der fünfziger Jahre bestand das Gros der Parteimitgliedschaft aus Funktionären von Partei, Staat und Wirtschaft. Erst als die Bürokratie ihre Diktatur gefestigt hatte, bekannte sich die SED zur „planmäßigen Errichtung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR“.

121. Zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft fehlten der DDR aber die elementarsten Voraussetzungen: Arbeiterdemokratie und der Zugang zur Weltwirtschaft. Der Sozialismus konnte nicht „in einem Land“ aufgebaut werden, im 17-Millionen-Einwohner-Staat DDR noch weniger als in der wesentlich größeren Sowjetunion. Daran änderten auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks nichts, die stets der bürokratischen Willkür unterworfen und relativ gering entwickelt blieben. Das Grundproblem der DDR-Wirtschaft trat erst voll in Erscheinung, als sich die wirtschaftliche Lage allmählich verbesserte. Der Aufbau einer hoch entwickelten Industriegesellschaft erforderte Zugang zu den Technologien und zur Arbeitsteilung der Weltwirtschaft. Die Bürokratie versuchte dieses Problem zu lösen, indem sie enge Beziehungen zur BRD anknüpfte. Willy Brandts Ostpolitik verschaffte ihr westliche Kredite und Technologien, während die westdeutsche Industrie neue Absatzmärkte im Osten gewann. Der DDR-Außenhandel mit den kapitalistischen Ländern stieg nun wesentlich schneller als der mit den RGW-Staaten. Ende der 1970er Jahre wickelte die DDR 30 Prozent ihres Handelsverkehrs mit dem Westen ab, davon 10 Prozent mit der Bundesrepublik. Sie wurde in wachsendem Maße zur verlängerten Werkbank der westeuropäischen Industrie. Das führte zu einer merklichen Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung. Der Mangel an Konsumgütern ließ fühlbar nach. Doch mit der Nutzung der Ressourcen der Weltwirtschaft wuchs auch die Abhängigkeit von ihren Schwankungen und Krisen. Die DDR konnte mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht mithalten, die mit dem Einsatz von Computertechnologie und Globalisierung einsetzte. Zwischen 1973 und 1986 verringerte sich ihr Weltmarktanteil am Maschinenexport von 3,9 auf 0,9 Prozent. Ihre Abhängigkeit von westlichen Krediten stieg. Die wirtschaftliche Lage erschien zunehmend aussichtslos.

122. Eine revolutionäre Perspektive für die westdeutsche Arbeiterklasse lehnte die SED stets ab. Sie achtete sorgfältig darauf, die ostdeutschen Arbeiter von den militanten Arbeitskämpfen und Studentenprotesten abzuschotten, die sich ab Mitte der 1960er Jahre in der Bundesrepublik entwickelten. Auf dem Höhepunkt dieser Proteste wurde 1968 in Absprache zwischen Ost-Berlin und dem Bonner Justizministerium die verbotene KPD unter dem neuen Namen DKP wieder zugelassen. Die DKP, die stets in enger politischer und finanzieller Abhängigkeit von der SED blieb, bekämpfte erbittert revolutionäre Strömungen und gebärdete sich als Ordnertruppe für die Gewerkschaftsbürokratie.

123. Die Bundesrepublik wurde von der offiziellen Propaganda stets als vorbildlicher demokratischer Staat dargestellt. Doch sie war ebenso wenig wie die Weimarer Republik das Ergebnis einer demokratischen Vollendung der bürgerlichen Revolution. Ihre Gründung ging mit der Rehabilitierung der alten Eliten einher, die für den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion benötigt wurden. Nach der Verurteilung einiger führender Nazis in Nürnberg wurde die strafrechtliche Verfolgung von Kriegsverbrechern eingestellt, ebenso die Entnazifizierungsmaßnahmen im Staatsapparat. Verurteilte Wirtschaftsmagnaten durften ihr Vermögen behalten und ihre Tätigkeit fortsetzen. Im Justizapparat wurde überhaupt niemand zur Rechenschaft gezogen. In Wirtschaft, Justiz, Behörden und auf den Lehrstühlen der Bundesrepublik fanden sich zahlreiche ehemalige Stützen des Nazi-Regimes wieder.

124. Die Masse der Bevölkerung war von der direkten Mitwirkung an der Gründung des neuen Staats ausgeschlossen. Es gab keine gewählte Konstituante, das Grundgesetz wurde von einem Expertengremium verfasst und von den Länderparlamenten verabschiedet. Eine Volksabstimmung fand nicht statt. Im Grundgesetz finden sich zahlreiche Einschränkungen der Volkssouveränität. Die Tradition des preußischen Obrigkeitsstaats schlug sich „in Bindungen des Gesetzgebers und Einschränkungen des Wählerwillens nieder, wie sie es wohl in keiner anderen demokratischen Verfassung gibt“. [65] So können Parteien wegen Verfassungswidrigkeit verboten und Grundrechte verwirkt werden. Bestimmte Grundgesetzartikel besitzen Ewigkeitscharakter, sie dürfen weder vom Volk noch vom Parlament geändert werden. Als Kern der Demokratie gilt nicht der Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür, sondern der Schutz des Staats vor dem Volkswillen. Der Staat verkörpert die „wehrhafte Demokratie“ und ist verpflichtet, sich dem Volkswillen zu widersetzen und „Mehrheiten dadurch vor sich selbst (zu) schützen, dass bestimmte unveräußerliche Werte und freiheitssichernde Institutionen ihrem Willen entzogen werden“. [66] Gerechtfertigt wurde dies mit der These von der Kollektivschuld des deutschen Volks am Nationalsozialismus.

125. Ihre schärfste Ausprägung fanden die autoritären Tendenzen des Grundgesetzes im KPD-Verbot von 1956 und den Notstandsgesetzen, die CDU/CSU und SPD 1968 auf dem Höhepunkt des französischen Generalstreiks verabschiedeten. Das KPD-Verbot „war ein politisches Urteil, das der antikommunistischen Staatsdoktrin der jungen Bundesrepublik folgte“. [67] Das Bundesverfassungsgericht erklärte – nach seitenlangen Zitaten marxistischer Klassiker – den „Marxismus-Leninismus“ für unvereinbar mit der „Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ und schuf damit einen Präzedenzfall zur rücksichtslosen Verfolgung aller Strömungen, die sich auf den revolutionären Marxismus berufen und den Kapitalismus bekämpfen. Rund 7.000 KPD-Mitglieder wurden teils zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt. Mitunter werteten Gerichte es strafverschärfend, dass der Angeklagte schon im Dritten Reich wegen KPD-Mitgliedschaft eingesperrt worden war. KPD-Mitglieder erhielten Berufsverbot und bekamen keine Reisepässe, kommunistische Studenten wurden nicht zum Universitätsexamen zugelassen. Eltern wurde wegen ihrer politischen Einstellung die Pflegeerlaubnis für Kinder entzogen, Hinterbliebenen die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge gestrichen, Entschädigungen wegen erlittenen nationalsozialistischen Unrechts wurden verweigert, aberkannt oder zurückgefordert. Die bis heute geltenden Notstandsgesetze geben der Regierung die rechtliche Handhabe, im Kriegs – und Spannungsfall elementare, im Grundgesetz garantierte Grundrechte außer Kraft zu setzen und ein halbdiktatorisches Regime zu errichten.


[65]

Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Zweiter Band. Deutsche Geschichte vom ,Dritten Reich‘ bis zur Wiedervereinigung, S. 133

[66]

ebd.

[67]

Christoph Seils, Geist der NS-Zeit, ZEIT online, 17. August 2006