Die radikale Linke in Frankreich

Teil 3 - Der 15. Weltkongress der pablistischen Internationale

Die politischen Konzeptionen, welche die LCR in ihrem Aufruf für eine "antikapitalistische Linke" artikuliert, finden sich teilweise bis auf die einzelnen Formulierungen in den Beschlüssen und Resolutionen des 15. Weltkongresses der pablistischen "Vierten Internationale" wieder, deren offizielle französische Sektion die LCR ist. Der Kongress tagte im Februar 2003 in Brüssel. Der Ursprung der pablistischen Internationale, die über lange Zeit als Vereinigtes Sekretariat firmierte und deren bekanntester Vertreter bis zu seinem Tod im Jahr 1995 Ernest Mandel war, geht - wie wir noch sehen werden - auf das Jahr 1953 zurück. Damals brachen mehrere Sektionen mit den programmatischen Grundlagen der 1938 von Leo Trotzki gegründeten Vierten Internationale und näherten sich unter der Führung ihres damaligen Sekretärs, Michel Pablo, dem Stalinismus Moskauer Prägung an.

Der 15. Weltkongress der Pablisten, der erste seit acht Jahren, sprach sich für den Aufbau einer "neuen Masseninternationale" aus, die mit allem bricht, was auch nur im entferntesten an die marxistischen Traditionen erinnert, auf die sich frühere Internationalen bei ihrer Gründung basiert hatten. Ein offizieller Bericht über den Kongress, verfasst von François Vercammen, betont dies ausdrücklich.

Das Mitglied des pablistischen Exekutivbüros schreibt: "Diese neue Internationale, oder zumindest der erste Schritt auf dem Weg zu ihrem Aufbau, wird sich aus den gegenwärtigen Bewegungen und Mobilisierungen entwickeln. Sie wird keiner ihrer Vorgängerinnen gleichen, und bestimmt nicht den revolutionären, marxistischen, parteigebundenen Internationalen. Sie wird die massive, spontane Antwort auf die gegenwärtige, historisch beispiellose, globale despotische Herrschaft des Kapitalismus sein. Ihre Verankerung wird ihr Internationalismus und intuitiver Antikapitalismus sein; aber auch ihre von jedem Gesichtspunkt außerordentlich große Heterogenität. Sie wird sich mit Sicherheit von ihren fünf Vorgängerinnen unterscheiden: Dem internationalen Bund der Kommunisten von 1848, der Ersten Internationale (1864-1876), der Zweiten Internationale (1889-1914), der Kommunistischen Internationale (der Dritten, 1919-1943), der Vierten Internationale (gegründet 1938)." (1)

Mit den "Bewegungen und Mobilisierungen", die Vercammen als Grundlage der neuen "Masseninternationale" anführt, sind die Globalisierungskritiker und die Bewegung gegen den Irakkrieg gemeint - die großen Demonstrationen gegen internationale Gipfeltreffen, die 1999 in Seattle begannen, die Weltsozialforen von Porto Alegre und Florenz sowie die weltweiten Demonstrationen gegen den Irakkrieg vom Februar 2003.

Diese Bewegungen widerspiegelten die wachsende Opposition breiter Bevölkerungsschichten gegen Ausbeutung und Unterdrückung und gegen die Weltherrschaftspläne des amerikanischen Imperialismus. Neben Veteranen der Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre hatten sich auch Schichten aus der Arbeiterklasse und vor allem der Jugend daran beteiligt, die sich weitgehend unabhängig von den alten reformistischen Apparaten erstmals aktiv ins politische Geschehen einmischten. Politisch und organisatorisch gaben aber Organisationen den Ton an, die - wie Attac oder die brasilianische Arbeiterpartei (PT) - eine revolutionäre sozialistische Perspektive ablehnen und sich darum bemühen, die Bewegung in den Schoß der bestehenden bürgerlichen Institutionen zurückzuführen. Es ist bekannt, dass Attac enge Beziehungen zur früheren französischen Regierung unter Lionel Jospin unterhielt und bis heute zahlreiche Parlamentsabgeordnete der französischen Sozialistischen Partei zu ihren eingeschriebenen Mitgliedern zählt. Die brasilianische PT wiederum, die das Sozialforum von Porto Alegre sponserte, ist inzwischen selbst zur Regierungspartei und zum Musterschüler des Internationalen Währungsfonds geworden.

Es wäre falsch, diese Bewegungen wegen ihrer bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Führung einfach zu ignorieren oder abzuschreiben - wie dies beispielsweise Lutte Ouvrière tut. Genauso falsch ist es aber, sich unkritisch an die vorherrschenden politischen Tendenzen anzupassen und darauf zu hoffen, die spontane Entwicklung selbst werde zu einem politischen Klärungsprozess führen.

Die vorrangige Aufgabe von Marxisten besteht darin, in diesen Bewegungen einen politischen Differenzierungsprozess herbeizuführen. Ihr Ziel ist nicht die Vereinigung der "Linken" - ein Begriff, der alle möglichen opportunistischen und kleinbürgerliche Tendenzen umfasst -, sondern die Vereinigung und Mobilisierung der breiten Massen der arbeitenden Bevölkerung, deren Lebensbedingungen in unversöhnlichem Konflikt zu den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen stehen.

Das erfordert einen unermüdlichen politischen Kampf gegen alle Tendenzen, die - wie Attac, die brasilianische PT und viele andere - mit einem oder beiden Füßen im bürgerlichen Lager stehen und die Bewegung ins Schlepptau linker oder liberaler bürgerlicher Politiker nehmen wollen. Die halbherzige Politik dieser Tendenzen - ihre Rücksichtsnahme auf die offizielle bürgerliche Meinung; ihr Bemühen, alle "extremen Forderungen" zu unterbinden, die ihre Verbündeten im bürgerlichen Lager abschrecken könnten - hat unweigerlich zur Folge, dass sie nicht in der Lage sind, die breite Masse der Unterdrückten zu erreichen, und diese sogar abstoßen. Eine wirkliche Einheit der breiten Masse der Ausgebeuteten und Unterdrückten kann nur im politischen Kampf gegen den lähmenden Einfluss dieser Tendenzen erreicht werden.

Die Vierte Internationale war 1938 nach einem fünfjährigen Kampf gegen verschiedene Spielarten des Zentrismus - die spanische POUM, die britische Independent Labour Party u.a. - sowie gegen die Volksfront gegründet worden, die die Interessen der Arbeiterklasse einem Bündnis mit dem linken Flügel der Bourgeoisie zum Opfer brachte. "Die Vierte Internationale kann und will keinen Platz in irgendeiner Volksfront finden. Sie sagt allen an den Rockschößen der Bourgeoisie hängenden politischen Gruppen den unversöhnlichen Kampf an", heißt es in ihrem Gründungsprogramm. (2) Der Sinn und Zweck der Vierten Internationale bestand und besteht weiterhin darin, die Arbeiterklasse in die Lage zu versetzen, als unabhängige politische Kraft ins politische Geschehen einzugreifen.

Die Pablisten lehnen eine derartige Zielsetzung ausdrücklich ab. Ihre Aufruf für eine neue "Masseninternationale" richtet sich an politische Gruppen, die - in Trotzkis Worten - "an den Rockschößen der Bourgeoisie hängen". Politisch richtet er sich an zentristische, opportunistische und offen reformistische Tendenzen, sozial an Teile der Mittelklassen und der Bürokratie der alten Arbeiterorganisationen.

Es ist bezeichnend, dass sie eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen der "Arbeiterklasse" und der "radikalen Linken" treffen. In der Kongressresolution über die "Rolle und Aufgaben der Vierten Internationale" heißt es: "Die Arbeiterklasse befindet sich immer noch in einer Position der Schwäche, in der Defensive, aber die radikale Linke erholt sich und gewinnt in großem Maßstab die politische Initiative zurück." (3) Eine andere Resolution vertritt sogar die Ansicht, die Masse der Bevölkerung bewege sich weltweit nach rechts. Die politische und militärische Offensive des US-Imperialismus und die Interventionen der repressiven Staatsapparate, heißt es dort, "ermutigen das Wachstum reaktionärer, chauvinistischer Strömungen in der Bevölkerung. Diese Entwicklung betrifft die ganze Welt, Land um Land." (4) Die Basis der neuen "Masseninternationale" soll dementsprechend nicht die Arbeiterklasse, sondern die "radikale Linke" sein.

Die neue Internationale, schreibt Vercammen, könne nur aus der "Sammlung aller oppositionellen Kräfte, aller radikalen politischen Strömungen in einer neuen politischen Formation (Partei, Bewegung, Koalition, Allianz)" hervorgehen. "In einer solchen Formation praktizieren revolutionäre Marxisten keinen ‚Entrismus' mit dem geheimen oder eingestandenen Ziel, so schnell wie möglich zu einer mit einem revolutionären Programm bewaffneten ‚revolutionären Vorhutpartei' überzugehen. Sie sind die Mit-Initiatoren, Mit-Organisatoren, Mit-Führer dieser breiten Partei. Sie wollen die Erfahrungen des gegenwärtigen Kampfs teilen und gemeinsam auf eine antikapitalistische Massenpartei zugehen, die fähig ist, für den Sozialismus zu kämpfen."

An anderer Stelle erklärt derselbe Autor: "Es ist nicht unser Ziel, eine kurzfristige, politisch-organisatorische Übernahme der globalen Gerechtigkeitsbewegung entlang der bereits wahrnehmbaren Bruchlinien durchzuführen, um ihr eine politische Organisation aufzudrängen. Im Gegenteil, wir müssen sie aufbauen, sie als Kampfbewegung sui generis stärken, und alle ihre Möglichkeiten auf verschiedenen Ebenen entwickeln: als sozio-politische Bewegung, als Raum der Diskussion und Ausarbeitung, als Trägerin mehrerer autonomer Kampagnen (Tobinsteuer, Streichung der Dritte-Welt-Schulden, Verteidigung öffentlicher Dienstleistungen, gegen moderne Sklaverei), als Sammlung der sozialen Bewegungen (Gewerkschaften, Arbeitslose, Ökologen), als Eine-Welt-Front (die Mobilisierung gegen Krieg)."

Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung

Zur "radikalen Linken", die die Basis der neuen "Masseninternationale" bilden soll, zählen die Pablisten neben einer Vielzahl radikaler Protestbewegungen - der "Frauen-, Jugend-, Antikriegs-, Ökologie-, antifaschistischen und antirassistischen Bewegung" - die Gewerkschaften sowie Teile der alten stalinistischen und reformistischen Apparate.

Sie kommen zwar nicht darum herum, die allgemeine Rechtswendung der Gewerkschaften sowie der sozialdemokratischen und stalinistischen Organisationen zu vermerken. Aber sie unternehmen keinen Versuch, die objektiven Ursachen für diesen Niedergang zu analysieren - den Bankrott ihrer sozialreformistischen Programme angesichts der Globalisierung. Stattdessen bestehen sie darauf, dass sich die Wiederbelebung der Arbeiterbewegung mittels dieser Organisationen vollziehen müsse.

"Der Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung ist eine entscheidende Aufgabe", heißt es in der Resolution über die "Aufgaben der Vierten Internationale". Und weiter unten: "In großen Verbänden mit einer langen Geschichte in Ländern mit hohem Organisationsgrad und einer langen Gewerkschaftstradition wird die erneute Mobilisierung mit Sicherheit mittels dieser Organisationen erfolgen. [...] In Ländern, in denen die Massengewerkschaften ein Jahrhundert später entstanden sind (COSATU in Südafrika, CUT in Brasilien), werden sie empfänglicher für die Stimmung der Basis bleiben."

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben das Gegenteil bewiesen. In "Ländern mit einer langen Gewerkschaftstradition" - gemeint sind hier offenbar England und Deutschland - bilden die großen Gewerkschaftsverbände heute die wichtigste Stütze für die rechte, arbeiterfeindliche Politik der sozialdemokratischen Regierungen. Gerade Gewerkschaften, die sich einen betont militanten Anstrich geben und teilweise sogar Proteste organisieren, spielen eine Schlüsselrolle dabei, die Opposition gegen die Regierung aufzufangen, deren Sturz sie unter allen Umständen verhindern wollen. So haben die IG Metall und Ver.di in Deutschland zahlreiche Verträge ausgehandelt und unterschrieben, die eine massive Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen zur Folge haben.

Was COSATU und CUT betrifft, die beide in einer tiefen, potentiell revolutionären gesellschaftlichen Krise entstanden sind, so sind aus ihnen die wichtigsten Stützen der bürgerlichen Herrschaft in Südafrika und Brasilien hervorgegangen. Cyril Ramaphosa, Führer der südafrikanischen Bergarbeitergewerkschaft und Mitbegründer von COSATU, gehört heute zu den reichsten Unternehmern Südafrikas. Luis Ignácio "Lula" de Silva, prominentester Führer der CUT, ist Präsident Brasiliens.

Allein diese Erfahrungen beweisen, wie korrekt und weitsichtig die Einschätzung der Gewerkschaften war, die Leo Trotzki 1940 kurz vor seiner Ermordung zu Papier brachte: "Es gibt in der Entwicklung, oder besser, in der Degeneration der gegenwärtigen Gewerkschaftsorganisationen der ganzen Welt einen allen gemeinsamen Zug: die Annäherung an die Staatsgewalt und das Verschmelzen mit ihr. Dieser Prozess charakterisiert die unpolitischen Gewerkschaften in gleicher Weise wie die sozialdemokratischen, kommunistischen und ‚anarchistischen'. Allein diese Tatsache beweist schon, dass die Tendenz zum Verwachsen mit der Staatsgewalt nicht aus dieser oder jener Doktrin, sondern aus allgemein gesellschaftlichen Bedingungen entspringt, denen alle Gewerkschaften in gleicher Weise unterworfen sind." (5)

Trotzki charakterisierte die Haltung der Gewerkschaften folgendermaßen: "Die Gewerkschaftsbürokratie sieht ihre Hauptaufgabe darin, den Staat aus der Umklammerung des Kapitalismus zu ‚befreien', seine Abhängigkeit von den Trusts zu mildem und ihn auf ihre Seite zu ziehen. Diese Einstellung entspricht vollkommen der sozialen Lage der Arbeiteraristokratie und Arbeiterbürokratie, die beide um einen Abfallbrocken aus den Überprofiten des imperialistischen Kapitalismus kämpfen. Die Gewerkschaftsbürokraten leisten in Wort und Tat ihr Bestes, um dem ‚demokratischen' Staat zu beweisen, wie verlässlich und unentbehrlich sie im Frieden und besonders im Kriege sind. Indem der Faschismus die Gewerkschaften in Organe des Staates verwandelt, erfindet er nichts Neues; er entwickelt nur die dem Imperialismus innewohnenden Tendenzen zu ihrer letzten Schlussfolgerung."

Die Boomperiode nach dem Zweiten Weltkrieg hatte den Gewerkschaften einen gewissen Spielraum verschafft, um die Lebensverhältnisse ihrer Mitglieder zu verbessern. Doch das ist längst Vergangenheit. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich Trotzkis Einschätzung der Gewerkschaften in vollem Umfang bestätigt. Sie haben sich überall in Organe des Staates verwandelt. Eine Wiederbelebung der Arbeiterbewegung setzt eine Rebellion gegen diese konservativen, verknöcherten Apparate voraus. Das wollen die Pablisten unter allen Umständen zu verhindern, wenn sie darauf beharren, dass eine "erneute Mobilisierung" mittels dieser bankrotten Organisationen erfolgen müsse.

Auch an den sozialdemokratischen Parteien wollen die Pablisten - trotz der Erfahrungen mit Blair, Schröder und Jospin - weiterhin festhalten. "Obwohl wir uns bewusst sind, dass Organisationen unter sozialdemokratischer Führung die Verteidigung elementarer Forderungen vernachlässigen, geben wir die Möglichkeit noch immer nicht auf, sie in Massenaktionen mit einzubeziehen", heißt es in der Resolution über die "Aufgaben der Vierten Internationale".

Mit großem Bedauern stellt die Resolution den Niedergang der Stalinisten fest: "Die großen ‚überlebenden' Kommunistischen Parteien nähern sich ihrem Ende, ihre Stellungnahme gegen den Neo-Liberalismus hat zu keinem anti-kapitalistischen politischen Projekt und zu keiner demokratischen, pluralistischen Funktionsweise geführt, es ist keine linke, nicht-stalinistische, national strukturierte Tendenz entstanden." Aber auch hier haben die Pablisten die Hoffnung nicht völlig aufgegeben. Als lobenswerte Ausnahme führen sie Rifondazione Comunista an, ein Zerfallsprodukt der Kommunistischen Partei Italiens, dem ihre italienische Sektion seit Jahren angehört. Rifondazione hat in den neunziger Jahren im Parlament die Mitte-Links-Regierung unterstützt, die dem Rechtsbündnis Silvio Belusconis den Weg zurück an die Macht ebnete. Mittlerweile hat sie sich bereit erklärt, bei den nächsten Wahlen im Rahmen von Romano Prodis Olivenbaum-Bündnis zu kandidieren und in einer zukünftigen Mitte-Links-Regierung Ministerposten zu übernehmen.

Die Bauernbewegung

Als weiteren "wichtigen Akteur der anti-kapitalistischen Mobilisierung" führen die Resolutionen des pablistischen Weltkongresses die "Bauernbewegungen" an. Neben Bauernbewegungen in Indien, Brasilien und Bolivien werden auch die mexikanischen Zapatistas und die französische Confédération paysanne von José Bové als Bestandteil einer neuen Masseninternationale genannt.

Erneut werden hier mehr als hundert Jahre Erfahrungen der marxistischen Bewegung, hier mit der Bauernfrage, mit einem Federstrich beiseite gewischt. Die Bauern, insbesondere die ärmsten und unterdrücktesten Schichten auf dem Lande - Landarbeiter und landlose Bauern -, sind wichtige Verbündete der Arbeiterklasse im Kampf für eine sozialistische Gesellschaft. Auf sich selbst gestellt sind sie jedoch unfähig, eine konsequente antikapitalistische Politik zu entwickeln. Das ergibt sich direkt aus ihrer gesellschaftlichen Stellung als Kleinproduzenten.

"Der Bauer geht entweder mit dem Arbeiter oder mit dem Bourgeois", schrieb Trotzki in seinem Buch "Die permanente Revolution". (6) Die "ökonomische und politische Unselbständigkeit der Kleinbourgeoisie und ihre tiefgehende innere Differenzierung" bilde "ein unüberwindliches Hindernis" für die Schaffung einer selbständigen revolutionären Bauernpartei. Daher sei ein revolutionäres Bündnis von Arbeitern und Bauern nur möglich, wenn das Proletariat die Bauernmassen führt. Die russische Revolution von 1917 hat diese Auffassung bestätigt. Auf dem Höhepunkt der Revolution stand die größte Bauernpartei, die Sozialrevolutionäre, fest im Lager der bürgerlichen Reaktion, während sich die Masse der armen Bauern hinter das Proletariat und die Bolschewiki stellte. Weitere Erfahrungen bestätigten Trotzkis Einschätzung immer wieder - in China, Indien, Lateinamerika und zahlreichen anderen Regionen der Welt. Nirgends war die Bauernschaft in der Lage, eine selbständige revolutionäre Politik zu verfolgen.

Die von den Pablisten angeführten mexikanischen Zapatistas haben dies erneut bewiesen. Sie machten erstmals 1994 von sich reden, als sie sich im bettelarmen Bundesstaat Chiapas bewaffnete Auseinandersetzungen mit der mexikanischen Armee lieferten. Geführt vom ehemaligen Dozenten Sebastian Guillen, alias Subcomandante Marcos, war es den Zapatistas gelungen, Teile der verzweifelten indianischen Bauernbevölkerung für einen Guerillakrieg zu gewinnen. Sieben Jahre später marschierte Subcomandante Marcos in Mexiko City ein, wo er vom Präsidenten und ehemaligen Coca-Cola-Vorstand Vincente Fox willkommen geheißen und mit einer Autonomieregelung für die Ureinwohner abgespeist wurde. An den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen Mexikos, seiner Abhängigkeit vom US-Imperialismus und der bitteren Armut der mexikanischen Arbeiter und Bauern, einschließlich der indianischen Urbevölkerung, ändert dies nicht das geringste. Trotzdem wurde Subkommandante Marcos von der kleinbürgerlichen Linken in Europa und den USA begeistert als neuer Hoffnungsträger gefeiert.

Der französische Bauenführer José Bové gibt - politisch gesehen - eine noch erbärmlichere Figur ab, als Subcomandante Marcos. Der zum Bauern und Roquefort-Produzenten mutierte Student und Ex-Radikale erregte 1999 nationales Aufsehen, als er ein McDonald's-Restaurant demolierte, um gegen amerikanisches "junk food" zu protestieren. Seither gilt er als Berühmtheit und willkommener Gesprächspartner von Politikern - von Mitterrand über Jospin bis zu Chirac und dem rechten Gaullisten Charles Pasqua, mit dem er kurz nach der McDonald's-Affäre öffentlich debattierte. Bové greift die Sorgen französischer Bauern in einer Weise auf, die sich leicht mit der Verteidigung französischer Handelsinteressen, insbesondere gegen die USA verbinden lässt. Mit einer sozialistischen Perspektive hat das alles herzlich wenig zu tun.

Den "Neo-Liberalismus" besiegen

Auch programmatisch haben sich die Pablisten weitgehend den kleinbürgerlichen Tendenzen angepasst, die sie in einer neuen "Masseninternationale" versammeln wollen. In den Dokumenten des 15. Weltkongresses wird der Kampf gegen den "Neo-Liberalismus" durchgehend als zentrale strategische Aufgabe bezeichnet. So heißt es in der Resolution über die "Aufgaben der Vierten Internationale": "Der Kampf, den ‚Neo-Liberalismus' zu besiegen, bildet den Kern unseres politischen Bemühens." An anderer Stelle ist von der "strategischen Aufgabe den ‚sozialen Neo-Liberalismus' zu besiegen" die Rede.

Auf diese Weise wird der Kampf gegen eine bestimmte Form kapitalistischer Wirtschaftspolitik zur zentralen strategischen Achse erhoben und die Möglichkeit offen gelassen, andere Formen kapitalistischer Wirtschaftspolitik zu unterstützen - wie dies zahlreiche, von den Pablisten für ihre "Masseninternationale" ausersehene Kandidaten auch tatsächlich tun.

Die Pablisten untersuchen nicht, welche objektiven Ursachen dazu geführt haben, dass heute in jedem Winkel der Welt eine neo-liberale Wirtschaftspolitik vorherrscht. Der Übergang von der keynesianischen, auf sozialen Ausgleich bedachten Wirtschaftspolitik der Nachkriegszeit zu einem monetaristischen, neo-liberalen Kurs vollzog sich Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre. Er ist eng mit den Namen Paul Volckers, der 1979 von Jimmy Carter zum amerikanischen Notenbankpräsidenten ernannt wurde, Margaret Thatchers, die im selben Jahr in Großbritannien die Regierung übernahm, und Ronald Reagans verbunden, der 1981 amerikanischer Präsident wurde. Volcker, Thatcher und Reagan sowie die bürgerliche Elite, die sie auf ihren Schild hob und unterstützte, reagierten damit auf eine tiefe Krise der kapitalistischen Weltwirtschaft.

Diese Krise hatte bereits Ende der sechziger Jahre eingesetzt. Sie äußerte sich in fallenden Profitraten, wachsender Staatsverschuldung und steigender Inflation. Sie löste militante Kämpfe der Arbeiterklasse aus, die sich mit den Protesten der Studenten und der Bewegung gegen den Vietnam-Krieg vermischten und in vielen Ländern rechte Regierungen zu Fall brachten. Die Bourgeoisie reagierte anfangs mit sozialen Zugeständnissen, die die ökonomische Krise weiter verschärften. Ende der siebziger Jahre ging sie zur Gegenoffensive über. Um die Ansprüche der Arbeiterklasse zu dämpfen, organisierte Volcker mittels einer massiven Anhebung der Zinssätze gezielt eine Rezession. Thatcher und Reagan deregulierten die internationalen Finanzmärkte, um dem Kapital Zugang zu billigen Arbeitskräften und neuen Märkten zu verschaffen und so die Profitarten wieder anzuheben.

Die reformistischen Organisationen hatten dem nichts entgegenzusetzen. Der Versuch François Mitterrands, nach seiner Wahl zum französischen Präsidenten 1981 eine Reihe von Sozialreformen zu verwirklichen, fand angesichts der Reaktion der internationalen Finanzmärkte ein rasches Ende. Die Gewerkschaften organisierten eine Niederlage nach der anderen, indem sie militante Streiks entweder offen verrieten oder isolierten. So gelang es Reagan 1981 die Fluglotsengewerkschaft PATCO zu zerschlagen, weil sie vom Gewerkschaftsdachverband AFL/CIO im Stich gelassen wurde. Der größte Streik in Europa, der einjährige britische Bergarbeiterstreik von 1984-85, endete ebenfalls mit einer Niederlage, weil die anderen Gewerkschaften und die Labour Party eine offene Konfrontation mit Thatcher ablehnten. Streikführer Arthur Scargill wiederum, ein ehemaliger Stalinist, vermied jede politische Herausforderung der Gewerkschafts- und Labour-Bürokratie.

Die Geschichte der letzten zwanzig Jahren ist mit den politischen Leichen von Organisationen und Politikern gepflastert, die der Arbeiterklasse versprachen, den Neo-Liberalismus durch einen humaneren Kapitalismus zu ersetzen, und dabei kläglich versagten. Lionel Jospin zählt ebenso dazu wie Oskar Lafontaine, der Architekt der rot-grünen Koalition in Deutschland, die italienischen Postkommunisten ebenso wie die deutsche PDS. Jüngstes Beispiel ist die Regierung der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), in der die Pablisten selbst einen Minister stellen.

Immer wieder ist deutlich geworden, dass es unmöglich ist, der Offensive gegen die Arbeiterklasse Einhat zu gebieten, ohne die Grundlagen des kapitalistischen Systems selbst anzugreifen. Die Behauptung, es gebe auf den "Neo-Liberalismus" eine andere Antwort als eine sozialistische, dient dazu, Illusionen zu schüren, den Widerstand der Arbeiterklasse in eine Sackgasse zu lenken und sie mit den bürgerlichen Institutionen zu versöhnen. Die Enttäuschung, die unvermeidlich auf solche Versuche folgt, kann dann nicht selten von rechten Organisationen ausgenutzt werden.

Gegen Avantgardismus und Sektierertum

Während die Pablisten Opportunisten und kleinbürgerliche Scharlatane in ihrer "Masseninternationale" mit offenen Armen willkommen heißen, erklären sie dem "Avantgardismus" und "Sektierertum" den unversöhnlichen Kampf. Sie wettern hysterisch gegen "Dogmatismus", "unfehlbare Führer" und "revolutionäre Antworten", ohne jemals den Namen der Organisationen zu nennen, die sie damit meinen. Das Thema zieht sich wie in roter Faden durch die Dutzende Seiten Resolutionen und Beschlüsse, die der 15. Weltkongress produziert hat.

Die Resolution über die "Aufgaben der Vierten Internationale" wendet sich gegen "die Vorstellung einer aufgeklärten, arroganten Vorhut, die von der Bewegung schmarotzt oder sie knechtet". Sie warnt vor "sektiererischen, radikalen Strömungen, die sich junge Leute schnappen, die nach starken, revolutionären Antworten und militanter Beteiligung suchen". Ähnliche Formulierungen finden sich dutzendfach.

Marxisten verstehen unter Sektierertum passive Enthaltsamkeit, das Festhalten an abstrakten Formeln bei gleichzeitigem Unverständnis der tatsächlichen Entwicklung des Klassenkampfs. Letztlich ist das Sektierertum nur die Kehrseite des Opportunismus. Während der Opportunist auf theoretische Grundsätze und Prinzipien verzichtet und mit den gerade vorherrschenden politischen Strömungen schwimmt, verzichtet der Sektierer im Namen abstrakter Prinzipien darauf, sich in den politischen Kampf einzumischen. Deshalb kann es schon einmal vorkommen, dass der Sektierer, der seine Prinzipien nicht nass machen will, am trockenen Ufer sitzt und dem Fluss des Klassenkampfs moralische Vorträge hält, in einem Anflug von Verzweiflung in die Fluten springt und zusammen mit dem Opportunisten ertrinkt - wie Trotzki dies in einem Artikel über das Sektierertum plastisch beschrieben hat. (7)

Die Pablisten verstehen unter Sektierertum etwas anderes: Das Eintreten für Prinzipien und programmatische Klarheit, die Weigerung, sich der spontanen Bewegung unterzuordnen, Unversöhnlichkeit gegenüber dem Opportunismus - kurz alles, was eine revolutionäre Organisation ausmacht.

"Eine Organisation, die sich auf den revolutionären Marxismus beruft, steht jetzt vor einer sehr einfachen Wahl", schreibt Vercammen. "Sie kann sich nach außen öffnen und der inneren Dialektik (mit ihrem unvermeidlichen Anteil an Heterodoxie, Zweifel und Zersplitterung) freien Lauf lassen, oder sie kann die Debatte durch eine Dogmatisierung der Analysen und Theorie zermalmen, eine korrekte politische Linie aufzwingen, die aktivistische Disziplin verstärken und eine unfehlbare Führung herausbilden."

Das Mitglied des pablistischen Exekutivbüros wirft hier alles durcheinander. Es bleibt sein Geheimnis, wie das Eintreten für eine korrekte politische Linie eine Debatte zermalmen kann. Wer auch nur die geringste Erfahrung mit den bürokratischen Apparaten der Sozialdemokratie, des Stalinismus und der Gewerkschaften hat, weiß, dass dort die tiefe Abscheu gegen jede Art von Prinzipien mit der systematischen Unterdrückung jeder demokratischen Debatte einhergeht. Die Kongresse dieser Organisationen werden unvermeidlich von bürokratischen Manövern, Schachzügen hinter den Kulissen und Einschüchterungsversuchen geprägt, weil die Bürokratie weder über eine Analyse noch über eine Perspektive verfügt, der Wirklichkeit nicht ins Gesicht zu blicken wagt und ihre wahren politischen Ziele nicht beim Namen nennen kann.

Eine "unfehlbare Führung" wird eine marxistische Organisation sicher nie hervorbringen. Aber die politische Autorität ihrer Führung ist ihr wichtigstes Kapital. Diese wächst in dem Maße, wie sich die Führung als fähig erweist, politische Entwicklungen richtig einzuschätzen und ihre Folgen vorauszusehen; wie sie sich weigert - um noch einmal Trotzki zu zitieren - "‚leichte' und ‚angenehme' Entscheidungen zu treffen, die von den heutigen Sorgen befreien, aber für morgen eine Katastrophe vorbereiten". (8) Vercammens Spott über eine "unfehlbare Führung" ist ein zynischer Versuch, das Bemühen um politische Klarheit auf eine Stufe mit den Methoden des Stalinismus zu setzen, der seine "Unfehlbarkeit" nicht mit Argumenten, sondern mittels der Folterkammern des KGB bewies.

Eines geht aus den Resolutionen der pablistischen Internationale jedenfalls klar hervor: Während sie Offenheit und Toleranz gegenüber allen möglichen opportunistischen Strömungen predigt, kennt sie gegenüber marxistischen Revolutionären keine derartige Toleranz. Man sollte dies nicht nur als leere Drohung auffassen. Es ist eine historische Tatsache, dass die Volksfront der dreißiger Jahre mit den Moskauer Prozessen und der Verfolgung marxistischer Revolutionäre rund um den Globus einherging. Während die Stalinisten und schließlich auch die Anarchisten und die POUM in Spanien Verantwortung für den bürgerlichen Staat übernahmen, rechnete die stalinistische Geheimpolizei im Hintergrund mit allen ab, die durch übermäßige Forderungen oder kühne Taten das Einvernehmen mit der Bourgeoisie gefährdeten - einschließlich der Mitglieder der Anarchisten und der POUM.

Der 15. Weltkongress der Pablisten fand vor dem Hintergrund einer weit fortgeschrittenen Krise des Weltkapitalismus statt. Der Irakkrieg ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die tiefe Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft, auf die die herrschende Elite keine Antwort weiß. In Europa antwortet die Bourgeoisie auf das aggressive Vorgehen der Bush-Regierung, indem sie ihrerseits aufrüstet, die Angriffe auf die Arbeiterklasse verschärft und so die gesellschaftliche Krise vertieft. Früher hatte sie sich in solchen Krisen stets auf die reformistischen Arbeiterorganisationen verlassen können, doch diese sind mittlerweile selbst weitgehend diskreditiert. Unter diesen Umständen stellt die pablistische Initiative für den Aufbau einer zentristischen "Masseninternationale" den Versuch dar, ein neues Auffangbecken zu schaffen, das die wachsende Opposition der Arbeiterklasse und der Jugend politisch neutralisiert. Offen für jede Form von Opportunismus erklärt sie gleichzeitig dem "Sektierertum" - d.h. dem revolutionären Marxismus - den unversöhnlichen Krieg!

Die Pablisten sind bereit, bei der Verteidigung der bürgerlichen Herrschaft sehr weit zu gehen. Der 15. Weltkongress brachte auch in dieser Hinsicht eine Neuerung. Er wurde mit Glückwünschen an Miguel Rossetto eröffnet, ein Mitglied der offiziellen brasilianischen Sektion, das im Rang eines Ministers Verantwortung für die Politik der Regierung Lula trägt. Diese Regierung hat das Land - zur großen Erleichterung der einheimischen Bourgeoisie und des Internationalen Währungsfonds - vorerst vor der Gefahr revolutionärer Erschütterungen bewahrt. Wir werden darauf in einem späteren Teil dieser Serie eingehen.

Fortsetzung

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Anmerkungen

1) "15th World Congress of the Fourth International\'94 by François Vercammen, International Viewpoint 349, May 2003 (http://www.3bh.org.uk/IV/Issues/2003/IV349/IV349%2006.htm)

2) Leo Trotzki, "Das Übergangsprogramm", Essen 1997, S. 132

3) "Role and tasks of the Fourth International", International Viewpoint 351/2, Summer 2003 (http://www.3bh.org.uk/IV/Issues/2003/IV3512/IV3512%2006.htm)

4) "A new world situation", International Viewpoint 351/2, Summer 2003 (http://www.3bh.org.uk/IV/Issues/2003/IV3512/IV3512%2002.htm)

5) Leo Trotzki, "Marxismus und Gewerkschaften", Essen 1976, S. 9

6) Leo Trotzki, "Die permanente Revolution", Essen 1993, S. 184

7) "Sectarianism, Centrism and the Fourth International", Writings of Leon Trotsky (1935-36), New York 1977, p. 154

8) ebd., p. 152

Siehe auch:
Teil 1 - Das Wahlbündnis von LO und LCR
(6. April 2004)
Teil 2 - Die Sammlung der "antikapitalistischen Linken" durch die LCR
( 7. April 2004)
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