Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise fordern führende deutsche Politiker und Militärs eine massive Aufrüstung der Bundeswehr.
Am Sonntag erklärte der Vorsitzende des Bundeswehrverbands, André Wüstner, am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz: „Wer den Frieden will, muss auf den Krieg vorbereitet sein“. Er teile zwar uneingeschränkt die Position der Bundesregierung, dass der Konflikt in der Ukraine nicht militärisch gelöst werden könne, trotzdem müsse sich die Bundeswehr für den Ernstfall vorbereiten.
Das vergangene Jahr habe gezeigt, „wie schnell Risiken zu Bedrohungen werden können“, sagte Wüstner. Die Lage in der Ukraine, in Syrien und im Irak sei dramatisch. „Für uns heißt das, die materielle Vollausstattung der Bundeswehr zu erlangen – Stückzahlobergrenzen aus der vorigen Legislatur müssen aufgehoben werden! Das beginnt bei den Waffensystemen und reicht bis zur persönlichen Ausstattung des einzelnen Soldaten.“
Es stehe außer Frage: „Um die volle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erreichen, müssen wir in den nächsten Jahren den Verteidigungshaushalt schrittweise erhöhen. Andernfalls riskieren wir, das gerade erst wiedererlangte Vertrauen unserer Verbündeten zu verlieren.“
Dabei gehe es um „globale Herausforderungen“ und um die deutsche Rolle in der Nato. Deutschland habe eine „Payback-Verpflichtung“ gegenüber der Bundeswehr und der Nato.
Der Oberstleutnant beschwerte sich, dass „seit 1990 auf Kosten der Bundeswehr für die Haushaltssanierung gespart wurde“, und forderte: „Damit muss jetzt Schluss sein – Abschreckung und Sicherheitsvorsorge müssen wieder glaubhaft hinterlegt werden!“
Ähnliche Forderungen erhebt der diesjährige Wehrbericht, der sich wie eine Blaupause für die Aufrüstung der Bundeswehr liest. Im Vorwort bezeichnet der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), das Jahr 2014 als „ein Jahr der Wahrheit“ für die Bundeswehr. Sie werde zwar zur weltweit einsatzfähigen Interventionsarmee umgebaut, stehe aber „an der Grenze der Leistungsfähigkeit“.
Im ersten Teil des Berichts wird der Eindruck erweckt, die deutsche Truppe sei trotz ihrer Ansprüche ein chronisch unterfinanzierter und sanierungsbedürftiger Schrotthaufen, der dringend einer massiven Aufstockung der Haushaltsmittel bedürfe.
In nahezu allen Einheiten gebe es personelle Schwierigkeiten: bei der auf türkischem Boden stationierten Flugabwehrraketentruppe, beim Schnellbootgeschwader, beim U-Bootgeschwader, beim taktischen Luftwaffengeschwader, bei den Marinefliegern, den Luftumschlagskräften und den Fernmeldern.
Bei den militärischen Großgeräten stellt er Bericht massive „Mängel und Defizite“ fest. Unter anderem nennt er den Eurofighter, den Transporthubschrauber NH 90, das Transportflugzeug Transall und die Minenjagdboote der Marine. Angemessene Schützenpanzer fehlten und Kasernen seien baufällig. Ersatzteile für Kriegsgerät und ausreichend Munition seien ebenfalls nicht vorhanden. Und nicht einmal das Hausgewehr der Bundeswehr, das G36, schieße noch treffsicher.
Wüstner und der Wehrbericht fordern, was die Bundesregierung und die Nato seit langem wollen, aber aufgrund des zu erwartenden Widerstands der Bevölkerung nur zurückhaltend formulieren.
So erklärte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in ihrer Auftaktrede zur Münchner Sicherheitskonferenz am vergangenen Wochenende, Deutschland arbeite „mit Hochdruck daran, die Rüstung und das Material der Bundeswehr in einen Zustand zu bringen, der uns nachhaltig partner- und bündnisfähig erhält“.
Nach dem Willen der Nato muss das sofort geschehen. Das Militärbündnis verlangt von seinen Mitgliedern schon seit langem, ihre Wehretats auf mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts hochzufahren. Erst jüngst drängte der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg darauf, dass Deutschland mit gutem Beispiel vorangeht.
Bei seinem Antrittsbesuch in Berlin Mitte Januar redete Stoltenberg Bundeskanzlerin Angela Merkel, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen ins Gewissen, die Militärausgaben zu erhöhen. Auch den Bundestagsausschüssen für Verteidigung und Außenpolitik stellte er seine Pläne vor.
Deutschland sei ein wichtiges „Schlüsselland“ auf dem Kontinent und strahle eine große Führungsstärke aus, sagte Stoltenberg. Es müsse deshalb bei der Aufrüstung Vorbild für andere Nato-Staaten sein. Die Sicherheitslage ändere sich „und wir müssen uns darauf einstellen“, so der Nato-Generalsekretär.
Stoltenberg verband seine Aufrüstungspläne wie Wüstner und von der Leyen direkt mit dem Konfrontationskurs gegen Russland. Die Nato müsse ihre Arsenale aufstocken, da nur auf Grundlage einer „Position der Stärke“ ein Dialog mit Moskau möglich sei.
Der wichtigste Grund für den Ruf nach Aufrüstung der Bundeswehr ist allerdings nicht das Drängen der Nato, sondern das Ende der außenpolitischen Zurückhaltung Deutschlands, das Bundespräsident Gauck und die Bundesregierung vor einem Jahr angekündigt haben. Für ein weltweites militärisches Eingreifen zur Sicherung wirtschafts- und geopolitischer Interessen brauchen sie eine entsprechend ausgerüstete und aufgestellte Armee.
Die Klagen des Wehrberichts über den schlechten Zustand der Bundeswehr rufen dabei historische Erinnerungen wach. 1933 bezeichnete eine für den damaligen Reichswehrminister Werner von Blomberg erstellte Denkschrift den militärischen Zustand der deutschen Armee als „hoffnungslos“. Ähnlich wie der aktuelle Wehrbericht beanstandete sie, dass es an personellen Reserven, Kriegsgerät und Munition fehle. Für die Reichsmarine stehe noch nicht einmal das vom Versailler Vertrag zugesicherte Material zur Verfügung, Panzerschiffe würden nicht ausgeliefert und die Luftwaffe sei quasi nicht existent.
Die dramatische Entwicklung, die dann folgte, ist bekannt. Noch am Ende des gleichen Jahres begann das Nazi-Regime mit der gewaltigen Aufrüstung der Reichswehr. Innerhalb kurzer Zeit entwickelten die deutschen Rüstungskonzerne die durch den Friedensvertrag von Versailles stark verkleinerte Armee zu einer gewaltigen Streitmacht, die 1939 den Zweiten Weltkrieg begann, weite Teil Europas in Schutt und Asche legte und einen brutalen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion führte.