Aktionstag bei ThyssenKrupp-Stahl

IG Metall will stärker an Umstrukturierung beteiligt werden

Am Mittwoch organisierte die IG Metall einen so genannten „Aktionstag“ vor der ThyssenKrupp-Hauptverwaltung neben dem Stahlwerk im Duisburger Norden. Dort arbeiten fast 12.000 Menschen. Zur Kundgebung vor Tor 1 kamen jedoch nur gut 5.000 ThyssenKrupp-Arbeiter aus ganz Deutschland. Die Gewerkschaft sprach von 7.000, der Betriebsrat gar von 9.000 Teilnehmern.

Die relativ geringe Zahl bei einer Belegschaft von 28.000 in den deutschen Werken, davon 20.000 in Nordrhein-Westfalen (NRW), ist eine Folge der Politik der IG Metall und ihrer Betriebsräte. Obwohl der Vorstand derzeit die Schließung von Standorten, den Abbau von mehreren Tausend Stahlarbeitsplätzen und Kosteneinsparungen auf dem Rücken der Beschäftigten ausarbeitet, halten offenbar viele Arbeiter solche Alibi-Veranstaltungen von Seiten der IG Metall für verzichtbar.

Zu Recht. Denn sowohl die Gewerkschaft als auch ihre Betriebsräte arbeiten aufs Engste mit dem Vorstand zusammen. Das war in den letzten Jahrzehnten so, in denen ein Sparprogramm dem anderen folgte – inklusive Werksschließungen, Lohnverzicht und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Das wird auch bei dem von ThyssenKrupp Steel Europe (TKSE) im Dezember 2015 angekündigten „Strategieprogramm One Steel“ so sein, mit dem der Konzern gründlich umstrukturiert und „effizienter“ gemacht werden soll.

Selbst ein Abstoßen der Stahlsparte ist im Gespräch. Dazu verhandeln gerade TKSE-Vorstände mit dem Tata-Stahlkonzern über ein neues Gemeinschaftsunternehmen. Am Schluss werden die Unterschriften der Vertreter der IGM und des Betriebsrats unter allen „Maßnahmen“ im Rahmen des neuen Programms stehen.

Darüber können auch die üblichen heuchlerischen Ansagen seitens der IGM und der Betriebsräte nicht hinwegtäuschen. NRW-Bezirksleiter Knut Giesler behauptete etwa: „NRW hat ein Herz aus Stahl. Wir sind bereit zum Kampf.“ Ähnliche Töne schlugen der ehemalige IGM-Chef Detlef Wetzel, der TKSE-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Günter Back und der ThyssenKrupp-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Willi Segerath an.

Das ist absurd. Wann hat die IG Metall zuletzt für die Verteidigung von Arbeitsplätzen „gekämpft“?

Die Arbeiter, mit denen wir sprachen, waren sich dessen bewusst. Ein Arbeiter, der seit 45 Jahren im Duisburger Stahlwerk arbeitet, sagte, von der Gewerkschaft fühle er sich seit langem nicht mehr vertreten. „Ich war 35 Jahre Mitglied in der IG Metall. Aber ich war so sauer, dass sie mich und meine Interessen nicht vertreten haben. Deshalb bin ich da rausgegangen.“

Es sähe sehr schlecht aus. „Wir Arbeiter müssen immer leiden. Vor einigen Jahren haben sie schon die 32 Stunde-Woche eingeführt, die mit spürbaren Lohneinbußen verbunden ist. Sie sparen immer nur bei den Arbeitern. Die Vorstände erhalten bei ihren Vergütungen Erhöhungen um 35 oder mehr Prozent. Bei uns Arbeitern gibt es, wenn überhaupt, Lohnerhöhungen von nur 1 bis 2 Prozent.“

Ein anderer Arbeiter meinte, ThyssenKrupp-Chef Heinrich Hiesinger habe es geschafft, dass sich die Standorte „gegenseitig zerfleischen“. „Es existiert keine Solidarität mehr. Das ist wie schon bei Opel in Bochum, bei BenQ in Kamp-Lintfort oder ganz früher bei Krupp in Rheinhausen.“ Auch er regte sich über die 32-Stunden-Woche auf. „Zehn Jahre Tariferhöhungen waren mit einem Schlag weg.“ Die 32-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich war eine der Kostensenkungsmaßnahmen im Rahmen des letzten von IG Metall und Vorstand umgesetzten Sparprogramms „Best in class (BIC) – reloaded“.

Die Reden von Giesler, Wetzel, Back und Segerath waren vor allem darauf ausgerichtet, eine Rückkehr zu dieser engen Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung und Umsetzung der Sparmaßnahmen zu fordern. Diese gut bezahlten betrieblichen und gewerkschaftlichen Funktionäre standen noch im Juni gemeinsam mit den Konzernvorständen an gleicher Stelle, um gegen „chinesischen Billigstahl“ und die Umweltauflagen der Europäischen Union zu hetzen.

Nun beschweren sie sich, dass Konzernvorstände ihnen keine Informationen zukommen ließen. Giesler beklagte sich über eine „Mauer des Schweigens“ bei der Konzernleitung. Er forderte die Vorlage konkreter Informationen als Voraussetzung für Gespräche. Ansonsten werde die Mitbestimmung „mit Füßen getreten“. Wetzel ergänzte: „Die Sinnhaftigkeit der Restrukturierung erklärt sich nicht von selbst. Der Konzern muss diese bis ins Detail erklären.“

Segerath ist Mitglied des Aufsichtsrats des ThyssenKrupp-Gesamtkonzerns, Back Mitglied des ThyssenKrupp-Stahl-Aufsichtsrates. Wetzel ist dort stellvertretender Vorsitzender. Dem Gremium gehören auch die Betriebsratsvorsitzenden der Werke Dortmund (Sabine Birkenfeld), Duisburg-Süd (Werner von Häfen) und Bochum (Harald Pfennig) an. Mit von der Partie ist auch Oliver Burkhard, der Vorgänger Gieslers als IGM-Bezirksleiter in NRW. Er ist inzwischen Personalvorstand der ThyssenKrupp AG (geschätztes Jahresgehalt 4 Millionen Euro) und sitzt als Unternehmensvertreter im Aufsichtsrat.

Gleich nach der Kundgebung entschwanden die Funktionäre zur Stahl-Aufsichtsratssitzung. Anschließend erklärte Back der Rheinischen Post: „Wir haben einige Details zu ‚One Steel‘ vorgestellt bekommen, aber der volle Inhalt bleibt weiterhin unklar.“ Es habe „keine Infos zur langfristigen Strategie, nichts zur Restrukturierung“ gegeben. Back und die anderen Betriebsrats- und Gewerkschaftsvertreter hätten es abgelehnt, zum jetzigen Zeitpunkt über „One Steel“ abzustimmen.

Im Artikel zur ThyssenKrupp-Stahl-Betriebsrätekonferenz vor zwei Wochen schrieben wir: „Das alles ist ein abgekartetes Spiel. Die IG Metall und die Betriebsratsspitzen sitzen seit Jahrzehnten im Aufsichtsrat des Gesamtkonzerns und der Stahltochter. In den Aufsichtsratspräsidien und den wichtigsten Ausschüssen dieser Gremien diskutieren sie alle strategischen Entscheidungen mit den Vorständen des Konzerns, die aufgrund der Mitbestimmung nicht selten zuvor ihre Betriebsrats- oder Gewerkschaftskollegen waren. So war der Personalvorstand (Arbeitsdirektor) von ThyssenKrupp Stahl, Thomas Schlenz, früher lange Zeit Betriebsratsvorsitzender des Gesamtkonzerns.“

Diese Funktionäre wissen sehr wohl Bescheid, wahren aber Stillschwiegen. Was sind die „einigen Details zu ‚One Steel‘“, von denen Back redet? Was besprechen er, Wetzel, Segerath und die anderen mit den Aktionärsvertretern in den Aufsichtsräten? Was erfahren sie von ihren ehemaligen IGM- und Betriebsratskollegen, die nun als Arbeitsdirektoren in den Vorständen sitzen?

Ihnen geht es weniger um „konkrete Informationen“ als darum, wie in den Jahren zuvor in die Ausarbeitung der Umstrukturierungen eingebunden zu werden. In der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch wurde daher auch vereinbart, eine so genannte Taskforce aus Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern einzurichten, berichtet der Westdeutsche Rundfunk (WDR). Diese soll alle offenen Fragen zur Zukunft der Stahlsparte von Thyssen-Krupp benennen.

Die Gewerkschaft sprach von einer Chance, die geforderte Klarheit zu bekommen. Ein Ergebnis solle schon innerhalb der nächsten zehn Tage erarbeitet werden. Ende September komme der Aufsichtsrat dann möglicherweise zu einer weiteren Sitzung in Duisburg zusammen.

Diese enge Kooperation der IG Metall und ihrer betrieblichen Vertreter mit dem Unternehmen ist in ihrer nationalen und prokapitalistischen Politik begründet. Mit ihrer Agitation gegen chinesischen Stahl und die Fusion mit Tata spalten sie die Arbeiter international. Da sie gleichzeitig den Standpunkt vertreten, dass ThyssenKrupp-Stahl im weltweiten Konkurrenzkampf nur überleben kann, wenn der Konzern hochproduktiv, effizient und wettbewerbsfähig ist, werden sie jeden Angriff durchsetzen, den der Vorstand und die Aktionäre fordern. Dazu werden sie auch die Stahlstandorte innerhalb Deutschlands gegeneinander ausspielen.

Diese Politik hat schon begonnen. Werner von Häfen, der Betriebsratsvorsitzende des Grobblechstahlwerks von ThyssenKrupp im Duisburger Süden mit 1300 Beschäftigten, das akut von Schließung bedroht ist, berichtete, dass seit drei Wochen eine Unternehmensberatung im Werk sei. „Wir sind die ersten, die es erwischt hat“, sagte von Häfen.

Doch was ist seine Reaktion darauf, dass Unternehmensberater die Zahlen erheben, mit denen dann womöglich die Schließung begründet wird? Er hat einen eigenen Unternehmensberater engagiert. „So haben wir Vergleichsmöglichkeiten.“ Diese „Vergleichsmöglichkeiten“ wird der Betriebsrat nicht nur den Zahlen des TKSE-Vorstands entgegensetzen, sondern auch gegen andere Standorte verwenden.

Die wichtigste Aufgabe, vor denen jetzt die ThyssenKrupp- und alle Stahlarbeiter in Deutschland stehen, ist daher, sich der Kontrolle der IG Metall und ihrer Betriebsräte zu entziehen. Das ist nur durch ein internationales und antikapitalistisches – sozialistisches – Programm möglich. Wir rufen alle Stahlarbeiter auf, die WSWS zu kontaktieren und darüber zu diskutieren.

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