Schwedens Politik der „Herdenimmunität“ führt zu einer der weltweit höchsten Sterblichkeitsraten

Wie katastrophal die Folgen der schwedischen Reaktion auf die Corona-Pandemie sind, offenbarte sich am Montag, als die offizielle Zahl der Corona-Toten in Schweden auf über 4.000 stieg. Damit hat das Land mit 10,3 Millionen Einwohnern innerhalb der letzten Wochen eine der weltweit höchsten Sterblichkeitsraten pro Kopf erreicht. Diese Entwicklung ist ein direktes Ergebnis der Entscheidung der Regierung aus Sozialdemokratischer Arbeiterpartei (SAP) und Grünen, keine Ausgangsbeschränkungen, Massentests oder Schutzmaßnahmen in Altenpflegeheimen einzuführen.

Letzte Woche verzeichnete Schweden die weltweit höchste Sterblichkeitsrate pro Kopf, basierend auf einem gleitenden siebentägigen Durchschnitt, der am 20. Mai endete. Laut der Website Our World in Data verzeichnete Schweden in diesem Zeitraum 6,08 Tote auf eine Million Einwohner, während es in Großbritannien 5,57 waren, in Belgien 4,28 und in den USA 4,11. Über den Gesamtverlauf der Pandemie hinweg blieben die Todesraten in Belgien, Italien und Spanien bis zu diesem Zeitpunkt höher als in Schweden.

Die Regierung aus SAP und Grünen unter Führung von Ministerpräsident Stefan Löfven hatte sich geweigert, das wirtschaftliche und soziale Leben einzuschränken, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Kinder unter 16 Jahren mussten weiter in die Schule, Restaurants, Einzelhandelsgeschäfte und Kneipen blieben geöffnet. Den Menschen wurde lediglich empfohlen, soziale Kontakte einzuschränken. Seit März sind auch öffentliche Versammlungen mit bis zu 50 Teilnehmern erlaubt.

Menschen sitzen plaudernd in einem Stockholmer Restaurant, 4. April 2020 (AP Photo/Andres Kudacki)

Schwedens Vorgehensweise wurde von reaktionären politischen Kräften und den unternehmerfreundlichen Mainstreammedien auf der ganzen Welt gelobt, weil sie ihnen die Argumente für die kriminelle „Back-to-Work“-Kampagne lieferte. Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell wurde zu einer Art Kultfigur. Die Daily Show, USA Today, der Spiegel, die britische Financial Times und viele weitere Medien widmeten ihm schmeichelhafte Interviews und Porträts.

Doch selbst Tegnell sah sich angesichts der rapide steigenden Zahl der Todesopfer gezwungen, am Wochenende im schwedischen Radio zu erklären, das Land befinde sich in einer „schrecklichen Situation“.

Seine Amtsvorgängerin Annika Linde ging noch weiter und erklärte, sie stimme nicht mit der Entscheidung der Regierung überein, von Ausgangsbeschränkungen abzusehen. In einem Interview mit dem britischen Observer wies sie auf die Sterblichkeitsraten in den Nachbarstaaten Dänemark, Finnland und Norwegen hin, die pro Kopf vier-, sieben- und neunmal niedriger liegen, und erklärte: „Ich glaube, wir hätten mehr Zeit gebraucht, um uns vorzubereiten. Wenn wir sehr früh Ausgangsbeschränkungen eingeführt hätten ... dann hätten wir in dieser Zeit die notwendigen Maßnahmen treffen können, um die Schwachen zu schützen.“

Tegnell und die politische Führung Schwedens haben zwar abgestritten, dass sie eine Politik der „Herdenimmunität“ verfolgen, doch in der Praxis findet genau das statt. Die schwächsten und am stärksten gefährdeten Teile der Gesellschaft müssen für sich selbst sorgen oder sterben, während sich die Regierung auf die Rettung der Großkonzerne und Banken konzentriert. Während Darlehen und Subventionen in Höhe von hunderten Milliarden Kronen für Finanzmärkte und Konzerne zur Verfügung gestellt wurden, sind für Krankenhäuser und das Gesundheitssystem nur fünf Milliarden Kronen (etwa 470 Millionen Euro) zusätzliche Mittel vorgesehen.

Bis Mittwochabend wurden offiziell 4.220 Todesfälle registriert. Da Todesfälle erst nach einem Test gezählt werden, der von einem Labor bestätigt wurde, ist diese Zahl vermutlich zu niedrig angesetzt. Ende April veröffentlichte die nationale Behörde für Gesundheits- und Sozialwesen Zahlen, laut denen die offizielle Zahl der Todesopfer um etwa zehn Prozent zu niedrig angesetzt ist.

Etwa 90 Prozent aller Todesopfer sind über 70 Jahre alt. Drei Viertel von ihnen lebten in Pflegeheimen oder wurden zu Hause gepflegt.

Die Ausbreitung von Covid-19 im schwedischen Altenpflegesystem wurde durch die jahrzehntelange Austeritätspolitik begünstigt, die vom gesamten politischen Establishment verfolgt wurde. Viele Pflegekräfte sind nicht in einem einzelnen Heim angestellt, sondern über Leiharbeitsfirmen. Das bedeutet, dass sie oft in mehreren Einrichtungen arbeiten und keinen Kündigungsschutz haben, wenn sie sich krankschreiben lassen. Zudem haben die schwedischen Behörden auch die Gefahr durch asymptomatische Überträger der Krankheit missachtet und Pflegekräfte angewiesen, erst zu Hause zu bleiben, wenn sie Symptome der Erkrankung bemerken. Asymptomatische Fälle blieben unentdeckt, da die Testrate in Schweden zu den niedrigsten in ganz Europa gehört.

Ein weiterer Grund für die hohe Sterblichkeitsrate unter Älteren ist die Tatsache, dass ihnen systematisch die Pflege verweigert wurde. Eine Untersuchung des Norddeutschen Rundfunks (NDR) kam zu dem Ergebnis, dass weniger als ein Prozent der über 80-jährigen Patienten in Intensivstationen behandelt wurden. Von den Patienten zwischen 70 und 79 wurden zehn Prozent in Intensivstationen behandelt und 16 Prozent von den 60- bis 69-Jährigen (siehe: .

Kinder und Erwachsene im Erwerbsalter werden mit der gleichen Verachtung behandelt. Laut offiziellen Ratschlägen sollen Arbeiter und Schüler nur zwei Tage nach Abklingen der Symptome zu Hause bleiben, was zweifellos weitere Infektionen begünstigt. Das Virus hat eine Inkubationszeit von 14 Tagen.

Die Vorschullehrerin Andreia Rodrigues aus Stockholm erklärte gegenüber dem Insider, sie habe weiterhin 22 Schüler unterrichten müssen, obwohl sie gemeldet habe, dass ihr Verlobter Symptome einer Coronavirus-Erkrankung zeige. Sie fügte hinzu: „Ich frage mich immer, wie viele Menschen wegen mir sterben werden.“ Weiter erklärte sie, sie trage keine Maske, weil sie befürchtet, dann entlassen zu werden.

Auch unter Immigranten ist das Virus unverhältnismäßig stark verbreitet. Die öffentlichen Gesundheitsbehörden veröffentlichten im April Zahlen, laut denen somalisch-stämmige Einwohner fünf Prozent aller Corona-Fälle in der Region Stockholm ausmachen, obwohl sie nur weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung repräsentieren. Laut der schwedisch-somalischen Ärztevereinigung waren sechs der ersten 15 Todesopfer in Stockholm somalischer Herkunft.

Der Grund für diese Diskrepanz ist nicht schwer auszumachen: In schwedischen Großstädten herrscht eine deutliche Trennung zwischen wohlhabenderen Vierteln und ärmeren Vororten, in denen Immigranten in überfüllten Häusern leben und in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind, in denen sie nicht von zu Hause aus arbeiten können. Diese Gebiete haben hohe Armuts- und Arbeitslosenquoten.

Ein Beispiel dafür ist der Malmöer Stadtteil Rosengad. Dieser Teil der drittgrößten Stadt Schwedens wird größtenteils von Immigranten bewohnt, und das Durchschnittseinkommen liegt nur bei 50 Prozent des städtischen Durchschnitts. Die schwedischen Behörden reagierten auf diese sozialen Probleme, indem sie armutsgeplagte Viertel zu Hotspots der Kriminalität erklärten und die Polizeipräsenz verstärkten. Die schwedische Polizei veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht mit „Problemgebieten“; in der aktuellen Ausgabe von 2019 sind darin 60 Stadtteile im ganzen Land aufgelistet.

Der Telefonanbieter Telia hat auf der Grundlage einer Analyse anonymisierter Mobilfunkdaten gezeigt, dass sich die Bewohner wohlhabenderer Viertel ins Home-Office zurückziehen konnten. Die schlecht bezahlten und größtenteils zugewanderten Arbeiter in den Vororten mussten weiterhin an ihren Arbeitsstätten anwesend sein und setzten sich dem Risiko einer Infektion aus. Der Chef der Datenanalyseabteilung von Telia, Christopher Agren, erklärte gegenüber Associated Press: „Wir haben bestimmte Gebiete, deren Bewohner vielleicht mehr Geld haben, in denen mehr Menschen von zu Hause arbeiten.“

Die städtischen Behörden von Stockholm veröffentlichten letzten Monat Daten, die kaum überraschend sind: Demnach ist die Zahl der Infektionen in einigen ärmeren Stadtvierteln dreimal höher als in den wohlhabenderen.

Sollen sich die Armen und Alten doch infizieren und sterben – das ist die brutale Realität von Schwedens Reaktion auf die Corona-Pandemie. Doch dabei handelt es sich nicht nur um ein schwedisches Phänomen. Vielmehr folgen die herrschenden Eliten weltweit dem „schwedischen Modell“, wenn sie mit ihrer rücksichtslosen und kriminellen „Back-to-Work“-Politik die Wirtschaft wieder hochfahren.

Dies verdeutlicht auch ein Artikel in der aktuellen Ausgabe von Foreign Affairs, der wichtigsten US-Zeitschrift über Außenpolitik. Unter dem Titel „Schwedens Corona-Strategie wird bald die der ganzen Welt“ erklären die Autoren Nils Karlson, Charlotta Stern und Daniel Klein unverblümt: „Herdenimmunität ist die einzige realistische Option. Die Frage ist nur, wie man sicher an dieses Ziel kommt.“ Sie wettern gegen Lockdowns und bezeichnen sie als unzulässig, da sie das BIP um zwei Prozent monatlich verringern.

Abgesehen davon, dass keiner der drei Autoren medizinische Vorkenntnisse hat, stehen sie alle mit dem rechten Ratio-Institut in Verbindung, das sich laut eigenen Angaben auf „die Bedingungen für Unternehmen, Unternehmertum und Marktwirtschaft“ konzentriert. Ratio wird vom schwedischen Unternehmensverband finanziert, daneben erhält es für spezifische Projekte regelmäßig Unterstützung von der Wallenberg-Stiftung, die sich aus dem immensen Vermögen der Familie Wallenberg finanziert. In den 1970er Jahren entfielen auf Unternehmen im Besitz der Wallenbergs 40 Prozent aller Arbeitsplätze in der schwedischen Industrie, und ihre Mitglieder spielen auch heute noch eine wichtige Rolle in vielen bekannten schwedischen Firmen.

Dass die Tiraden von Karlson, Stern und Klein von so mächtigen Hintermännern finanziert werden, während die Sterblichkeitsrate in Schweden auf das weltweit höchste Niveau ansteigt, verdeutlicht vor allem eins: Die schwedische und die internationale herrschende Klasse teilt die kaltblütige Missachtung dieser Autoren gegenüber Menschenleben und will um jeden Preis die Unternehmensprofite schützen.

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