Volkswagen: Betriebsratschef Osterloh und Vorstandschef Diess verordnen Belegschaft Sparprogramm

Auf einer Aufsichtsratssitzung am Montagabend haben Kapital- und Gewerkschaftsvertreter von Volkswagen einhellig beschlossen, im Konkurrenzkampf mit dem kalifornischen Hersteller Tesla eine teure Investitionsoffensive zu starten, deren Kosten die Belegschaften tragen sollen – bei VW selbst und in der Zulieferindustrie.

Der Entscheidung des Aufsichtsrates war ein monatelanger Streit zwischen Konzernchef Herbert Diess und Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh vorausgegangen. Vor fünf Jahren, als der Manager von BMW abgeworben wurde, hatte Osterloh noch stolz erklärt, Diess sei „unser Mann“. Doch zuletzt trauten IG Metall und Betriebsrat ihm nicht mehr zu, den Kampf gegen die Konkurrenten aus China, Europa und den USA, vor allem Tesla, erfolgreich zu führen.

Um Arbeitsplätze, Löhne, Arbeitsbedingungen und die Gesundheit der Arbeiter ging es dabei nie. Diess, Osterloh und ihre jeweilige Entourage sind sich einig, dass bei der Transformation zur Elektromobilität und im Wettbewerb mit anderen Autoherstellern die Interessen der Aktionäre im Mittelpunkt stehen. Sie verfolgen das Ziel, Volkswagen im internationalen Kampf um Märkte und Profite als „globalen Champion“ zu etablieren, der andere Konkurrenten vom Markt verdrängt.

Betriebsrat und IG Metall sind dabei die treibende Kraft, auch wenn dies die Vernichtung zehntausender Arbeitsplätze und eine unerträgliche Steigerung der Arbeitshetze bedeutet.

Um die Belegschaften zu spalten und jeden Widerstand zu unterdrücken, gehen sie nach dem Sankt-Florian-Prinzip vor: „Verschon’ mein Haus, zünd’ and’re an!“ Arbeitsplätze bei VW haben Vorrang vor denen in der Zulieferindustrie, Arbeitsplätze in Deutschland vor denen im Ausland und Arbeitsplätze im Stammwerk Wolfsburg vor denen an anderen Standorten. Auf diese Weise hatte die IG Metall schon die Schließung der Opel-Werke in Antwerpen und Bochum organisiert, bevor das Stammwerk in Rüsselsheim an die Reihe kam, das jetzt scheibchenweise stillgelegt wird.

VW-Werk in Wolfsburg

Grundlage der „Versöhnung“ zwischen Diess und Osterloh war die Zusage, dass Wolfsburg zu einer Fabrik für die hochautomatisierte Fertigung von Elektrofahrzeugen ausgebaut wird, die neue Maßstäbe für die Automobilindustrie setzt. Bislang hatte der Konzern vor allem die Werke in Brüssel, Hannover, Zwickau und Emden auf die neue Technik umgerüstet. Betriebsratsfürst Osterloh hatte deshalb schon seit Monaten die Produktion eines E-Autos in Wolfsburg gefordert.

Die größte Fabrik der Welt mit rund 60.000 Beschäftigten ist derzeit nur etwa zur Hälfte ausgelastet. Ursprünglich war dort die Produktion von jährlich einer Million Autos geplant. Doch laut Osterloh dürften es im Corona-Jahr 2020 nur knapp 500.000 werden. Auch diese Woche ist teilweise die Produktion in Wolfsburg und in anderen Werken gestoppt worden, weil es zu Engpässen bei den Halbleitern kam und für den Golf 8 Sitzschäume fehlten. Trotz der grassierenden Pandemie soll die Betriebsruhe über die Feiertage aber nur in einzelnen Bereichen etwas verlängert werden, um die Produktion möglichst schnell wieder hochzufahren und die Umstrukturierungspläne voranzutreiben.  

Am Montag hat der Aufsichtsrat beschlossen: „Wolfsburg wird Vorzeigestandort für die hochautomatisierte Fertigung von E-Fahrzeugen“. Schon 2025, spätestens 2026, soll dort ein neues Elektrofahrzeug mit verbesserter Batterietechnik und modernerer Software gebaut werden.

Was das für die Belegschaft bedeutet, kann man derzeit nur erahnen, da Vorstand und Betriebsrat keine konkreten Angaben machen. VW plant, die Fahrzeuge nahezu vollautomatisch herzustellen und die Produktionszeiten zu halbieren. Autos sollen, ähnlich wie bei Tesla in der neuen Fabrik in Grünheide bei Berlin, innerhalb von zehn Stunden vom Band laufen. Aktuell benötigen VW-Arbeiter in Zwickau für Volkswagens E-Auto ID.3 rund 20 Stunden.

Diese Offensive ist genau nach dem Geschmack Osterlohs und der Aktionäre. Der Betriebsratschef hatte schon Anfang September der Welt am Sonntag stolz berichtet: „Inzwischen sind wir mitten drin in der Elektrifizierung unserer Flotte.“ Er sehe gute Chancen, dass VW den US-Hersteller Tesla bei den Stückzahlen und bei der Software überholen könne. „Wenn Tesla drei Fabriken aufbaut, in denen man zwischen 300.000 und 500.000 Autos bauen kann, dann reden wir von einer Stückzahl zwischen 900.000 und 1,5 Millionen“, so Osterloh. „Das wollen wir 2023 auch erreichen, wahrscheinlich schon früher.“

Auf der Aufsichtsratssitzung am Montag kündigte Diess an, er wolle die Rahmenbedingungen in Wolfsburg so gestalten, „dass wir mit Tesla mithalten können, vielleicht an der ein oder anderen Stelle auch überholen können“. Und am Dienstag schwärmte er in einer konzernweit übertragenen Rede vor rund 15.000 VW-Managern: „Damit können wir mit Tesla mithalten und werden bei den Produktionskosten sogar noch besser liegen.“

Um das zu erreichen, sind weitgehende Angriffe auf die Belegschaften in der Zulieferindustrie, in allen VW-Werken und in Wolfsburg selbst notwendig. Zum Abbau der 20.000 VW-Arbeitsplätze, der bereits in diesem Jahr vereinbart wurde, werden Zehntausende weitere hinzukommen – und IGM und Betriebsrat stimmen ausdrücklich zu.

Der Aufsichtsrat verkündete nach einer Art „Ehrenerklärung“ für Diess (Handelsblatt), dass es einen notwendigen Personalabbau nur „über die bewährten Personalinstrumente“ geben werde. Er beschloss, die Fixkosten – zu denen auch die Lohnkosten für fest angestellte Arbeiter gehören – bis 2023 um 5 Prozent zu senken. In der bereits hoch durchrationalisierten Produktion ist das nur mit weiterem Personalabbau möglich. Um dies zu garantieren, wurde Diess‘ Favorit Arno Antlitz, seit zehn Jahren Finanzchef der Marke VW, zum Finanzvorstand des Gesamtkonzerns berufen.

Noch stärker sollen die Zulieferer bluten. Hier sollen die Kosten innerhalb von zwei Jahren um sieben Prozent gesenkt werden. Das bedeutet Knebelverträge für die Zulieferer, die die dortigen Arbeiter mit Arbeitsplätzen, Lohnkürzungen und einer gesteigerten Hetze bezahlen werden. Der Aufsichtsrat berief zu diesem Zweck Murat Aksel zum neuen Einkaufschef. Aksel kommt wie Diess von BMW, wo er als gefürchteter Kostendrücker im Einkauf galt.

Thomas Schmall, der das neu geschaffene Vorstandsressort „Technik“ übernimmt, gilt laut Handelsblatt als „Zögling Osterlohs“. Er spricht sich wie Osterloh und Diess für eine eigene Batteriezellenproduktion und eine Beschleunigung des Umstiegs auf Elektro-Mobilität aus.

Die Finanzmärkte, sprich die Investoren und Aktionäre, haben die Botschaft verstanden: Innerhalb von zwei Tagen legte die VW-Aktie um rund 12 Prozent zu und blieb seitdem auf diesem Niveau.

Der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber des Handelsblatts, Gabor Steingart, jubelte am Mittwoch in seinem morgendlichen Newsletter: „Deutschlands Autoindustrie hat bei der Elektromobilität endlich die Verfolgung aufgenommen – kraftvoll und konzernübergreifend.“ Das gelte sowohl für den VW-, BMW-, und Daimler-Konzern, der allein 70 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren in die E-Moblität investiert, als auch für die Zulieferindustrie, etwa Bosch und Continental.

Die internationalen Investoren würden nicht nur auf Tesla setzen, so Steingart. „Sie wetten auf den Beginn eines neuen Zeitalters.“ Wer entschlossen auf die Elektrifizierung seiner Produktpalette setze, werde belohnt. „Die E-Strategie von Herbert Diess und deren Rückhalt im VW-Aufsichtsrat hat die Börse in dieser Woche zu einem Kursfeuerwerk animiert.“

Gezündet wird dieses Feuerwerk auf dem Rücken der Belegschaft. Im Sommer schrieb die WSWS, dass der Führungsstreit bei VW eine neue Phase der engen Zusammenarbeit zwischen Management und Gewerkschaft einleite, „die darauf ausgerichtet ist, den Konzern auf einen weltweiten Wirtschaftskrieg vorzubereiten, und sich direkt gegen die Beschäftigten richtet“.

Das hat sich mit der Entscheidung im Aufsichtsrat am Montagabend bewahrheitet. Die Entwicklungen der zu Ende gehenden Woche haben einmal mehr die besondere Rolle der IG Metall und des Betriebsrates unter Leitung von Bernd Osterloh verdeutlicht. Die Betriebsräte sind in allen Konzernen Handlanger des Managements, bei VW lenken sie den Weltkonzern. Über die besondere VW-Regelung der niedersächsischen Staatsbeteiligung bestimmen sie, wer den Konzern in welche Richtung steuert. Und sie tun das nicht im Interesse der Belegschaft, sondern der Aktionäre. Das ist diese Woche erneut klar zu Tage getreten.

Deshalb rufen die WSWS und die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) zum Aufbau unabhängiger Aktionskomitees auf, die Sofortmaßnahmen zur prinzipiellen Verteidigung aller Arbeitsplätze, Löhne und Sozialleistungen, aber auch zur Verbesserung der Arbeitssicherheit diskutieren und organisieren – gegen die Politik der IG Metall, von Osterloh und seinen Betriebsräten. Die Verteidigung von Arbeitsplätzen, Einkommen und sozialen Rechten erfordert die internationale Einheit der Arbeiterklasse und eine sozialistische Perspektive, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse über die Profitinteressen des Kapitals stellt. Nehmt noch heute Kontakt mit uns auf.

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