Daimler baut das Werk in Stuttgart-Untertürkheim auf Kosten der Beschäftigten um

Am vergangenen Freitag gaben das Daimler-Management und die IG Metall bekannt, dass sie sich über den Umbau des Stammwerks in Stuttgart-Untertürkheim geeinigt haben. Demnach sollen in Untertürkheim ein Kompetenzzentrum für Elektromobilität und ein E-Campus zur Produktion von Elektroantrieben entstehen. Die Einigung wird mehrere Tausend Arbeitsplätze kosten. Doch Gewerkschaft und Geschäftsleitung vereinbarten, über die Zahl der vom Stellenabbau betroffenen Beschäftigten Stillschweigen zu bewahren. Das gab es zuvor noch nie.

Untertürkheim ist das Stammwerk des 1904 gegründeten Daimler-Konzerns. Das Werk ist auf sechs Standorte verteilt: Untertürkheim, Bad Cannstatt, Hedelfingen, Mettingen, Brühl und Sirnau, alle in Stuttgart und Esslingen. Mehr als 18.000 Arbeiter sind in den Entwicklungsabteilungen und der Produktion von Pkw-Motoren, Achsen und Getrieben beschäftigt.

Mercedes-Benz Werk Untertürkheim (Foto: WSWS)

Wie die Stuttgarter Zeitung (StZ) am Montag berichtete, soll die Zahl der Beschäftigten in Untertürkheim kontinuierlich abgebaut werden – mit dem Argument, dass der Bau der Elektroautos wesentlich weniger Arbeitskräfte benötige als der der Autos mit Verbrennungsmotor. Laut StZ sind die Details des Stellenabbaus in der Vereinbarung enthalten, aber im Moment traue sich niemand, offiziell darüber zu sprechen: „Die Beschäftigten in Untertürkheim sind verunsichert genug.“

Die Arbeiter sind wütend auf die IG Metall, seit diese dem Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen und der Umsetzung von milliardenschweren Sparprogrammen in den letzten zwei Jahren zugestimmt hat. Die Arbeiter verstehen zunehmend, dass die IG Metall bei den Angriffen als Komplize des Managements handelt.

Das Management und die IG Metall halten die tatsächliche Zahl der Stellenstreichungen vor den Arbeitern geheim, weil sie Angst haben, die Kontrolle in den Werkshallen zu verlieren. Der Betriebsratsvorsitzende Michael Häberle kennt die Zahlen, weigert sich aber, sie den Arbeitern mitzuteilen. Gegenüber der StZ sagte er: „Der Betriebsrat redet nicht über Abbauzahlen.“ Es gehe um Transformation, also Weiterentwicklung des Stammwerks, nicht um Stellenabbau.

Die StZ sprach mit Ferdinand Dudenhöffer, dem Chef des Duisburger Forschungsinstituts CAR. „Den Autoexperten wundert nicht,“ schreibt sie, „dass nach den schwierigen Verhandlungen zum E-Campus nun keiner der Beteiligten mehr mit einer Zahl zum Stellenabbau an die Öffentlichkeit geht.“ Der Konzern gehe „mit dem Abfindungsprogramm nun lieber den leisen Weg“, zitierte sie Dudenhöffer. Auch BMW und Opel hätten so schon erheblich Personal abgebaut.

Damit bestätigt sich, was die WSWS schon kurz nach der Ankündigung des Abbaus von 4000 Stellen im Werk Untertürkheim im September letzten Jahres geschrieben hatte: Die IG Metall hat dem Abbau von Anfang an zugestimmt. Ihr anschließendes Gejammer und die sich hinziehenden Verhandlungen dienten einzig und allein dem Zweck, die Arbeiter mürbe zu machen.

Gewerkschaft und Management haben sich offenbar darauf geeinigt, die Arbeiter einzeln unter Druck zu setzen, das Werk mit einer Abfindung vorzeitig zu verlassen. Denn die IG Metall unterstützt ein umfangreiches Abfindungsprogramm und schreibt in der Betriebszeitung Scheibenwischer: „Freiwillige Ausscheidungsvereinbarungen: Wenn Kolleginnen und Kollegen für sich entscheiden, das Unternehmen über ein Abfindungsangebot zu verlassen, dann ist das eine persönliche und freiwillige Entscheidung.“

Die Arbeiter sind nicht naiv. Was die IG Metall als „freiwillige Ausscheidungsvereinbarungen“ bezeichnet, ist nur in seltenen Fällen freiwillig. In Personalgesprächen sitzen Beschäftigte einem Beauftragten der Personalabteilung und einem Betriebsrat gegenüber und werden „überzeugt“, per Abfindung zu gehen. Die meisten kennen dieses Szenario aus Filmen. Daimler-Arbeitern wird ein Angebot unterbreitet, „das sie nicht ablehnen können“.

Das Daimler-Management setzt dafür speziell geschulte Abteilungsleiter ein, um die Arbeiter einzuschüchtern und zum Verlassen der Arbeitsplätze zu zwingen. Die Stuttgarter Nachrichten hatten im April letzten Jahres über ein internes Schreiben des Unternehmens berichtet, das die Führungskräfte dazu auffordert, die „Trennungsabsichten unmissverständlich deutlich zu machen und keinen Spielraum für Verhandlungen zu lassen“. Daimler nennt diese Methode offiziell, den Stellenabbau „möglichst souverän umsetzen“.

Ein Indiz dafür, dass die Zahl der Daimler-Arbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren werden, hoch sein wird, ist die Vereinbarung, die Zahl der Leiharbeiter um fast 50 Prozent zu erhöhen. Die IG Metall hat zugestimmt, dass der Konzern die Zahl der in der Produktion beschäftigten Leiharbeiter von 8 auf 15 Prozent der Stammbelegschaft erhöht.

Oberstes Ziel der Vereinbarung ist es, die Elektroumwandlung zu nutzen, um die Belegschaft zu reduzieren. Die sechsmonatigen Verhandlungen, die die IG Metall mit der Geschäftsleitung geführt hat, ist typisch für das gewerkschaftliche Vorgehen. Erst wird zum Schein protestiert, um dann genau das zu beschließen, was der Konzern will.

Ende September 2020 informierten die Betriebsräte in Untertürkheim die Arbeiter in einem Flugblatt, dass die Geschäftsleitung einen „Katalog voller Provokationen“ vorgelegt habe, der am Ende zum Abbau von Arbeitsplätzen führen werde. „Das Ende vom Lied: Bis 2025 sollen bei uns 4000 Beschäftigte weniger an Bord sein.“

Außerdem habe die Geschäftsführung „vereinbarte Produkte in Frage gestellt“ und „bereits beschlossene Vereinbarungen aus den Vorjahren wieder aufgeweicht“. Konkrete Details wollte der Untertürkheimer Betriebsratsvorsitzende Michael Häberle allerdings nicht nennen.

Die Arbeiter verstanden, dass die Verhandlungen zwischen Management und IG Metall hinter verschlossenen Türen dazu dienten, die Ziele des Managements und der Aktionäre umzusetzen. Sie befürchteten zurecht, dass das Ergebnis Entlassungen und Angriffe auf die Sozialleistungen sein würden. Brecht, Häberle und ihr riesiger gewerkschaftlicher Apparat registrierten die wachsende Unzufriedenheit der Beschäftigten in den Fabriken genau.

Im November 2020 warnte Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht die Geschäftsleitung in der ihm eigenen bürokratisch verklausulierten Sprache vor der zunehmenden Opposition: „In den Werken zittern die Beschäftigten und haben Angst um ihre Zukunft. Die Belegschaft in der Verwaltung fühlt sich verstoßen“, doch die Geschäftsführung sei „absolut beratungsresistent“. Um die Opposition unter Kontrolle zu bringen, rief Brecht zu einer „Solidaritätsaktion“ auf. Die IG Metall forderte die Arbeiter auf, Postkarten mit konzerntreuen Parolen an die Geschäftsleitung zu schicken.

Vorstandschef Ola Källenius reagierte mit einem Brief an die Belegschaft. Er drohte, das geplante Kompetenzzentrum Elektromobilität in Untertürkheim nicht zu realisieren, wenn die IG Metall nicht auf die Forderungen des Konzerns eingehe.

Diese Steilvorlage nutzte Häberle sofort. Kleinlaut beklagte er, es sei ein Schlag ins Gesicht, dass die Geschäftsleitung mit der Drohung, wichtige Zukunftstechnologien an andere Standorte zu verlagern, die Beschäftigten verunsichere. Häberle deutete sofort an, dass er bereits sei, auf Källenius‘ Forderungen einzugehen: „Man sei durchaus bereit, Vereinbarungen anzupassen, und man hänge auch nicht einseitig am Verbrenner. Aber die Prämisse ist eben die Kompensation.“

Die zentrale Frage für Werksleiter Frank Deiß und Häberle war, wie man gegen den Widerstand der Arbeiter die Verlagerung der Kurbelwellenproduktion nach Jawor in Polen durchsetzen kann. Daimler hatte das Werk in Jawor 2017 eröffnet, um mit billigen Arbeitskräften Hybridmotoren und Batterien zu produzieren.

Nun hat die Geschäftsleitung diese Forderung weitgehend durchgesetzt. Der Konzern plant drei neue modulare Einheiten der Kurbelwellenproduktion, zwei davon sollen in Jawor stehen, eine in Untertürkheim. Die IG Metall teilte den Beschäftigten mit, dass dies vereinbart wurde, um neue Gebäude für den MB Drive Systems Campus zu bauen – ein Argument, das der ursprünglichen Forderung der Geschäftsleitung entspricht.

Der ganze Vorgang zeigt, dass sich die Geschäftsleitung und die IG Metall von Anfang an über den Ausgang der Umgestaltung in Untertürkheim einig waren. Was wie Konflikte aussah, waren kalkulierte Schaukämpfe, um die Arbeiter in die Irre zu führen.

Die Arbeiter müssen sich von der politischen und organisatorischen Kontrolle des Gewerkschaftsapparates lösen. Es ist notwendig, dass sie ihre eigenen Organisationen aufbauen, um ihre Interessen zu vertreten: Aktionskomitees. Das Netzwerk der Aktionskomitees für sichere Arbeitsplätze unterstützt die Arbeiter bei deren Aufbau. Wir rufen die Daimler-Arbeiter auf, in diesem Komitee mitzuwirken.

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