In der Tradition der Wehrmacht: Großer Zapfenstreich zum Afghanistan-Debakel

Die Lehre der herrschenden Klasse aus dem neokolonialen Raubfeldzug gegen Afghanistan lautet: noch mehr Aufrüstung und Krieg! Daran ließ das militaristische Spektakel in der Hauptstadt am gestrigen Mittwoch keinen Zweifel.

Nahezu den gesamten Tag verbrachten die politischen und militärischen Eliten damit, den 20-jährigen Einsatz der Bundeswehr öffentlich zu würdigen und dabei Krieg, Kampf und Soldatentum in einer Weise zu verherrlichen, als hätte es die deutschen Verbrechen in zwei Weltkriegen nie gegeben.

Das offizielle Programm begann am frühen Nachmittag mit einer Kranzniederlegung am Ehrenmal der Bundeswehr im Bendlerblock des Verteidigungsministeriums. Am Nachmittag folgte der „zentrale Abschlussappell zum Ende des Afghanistan-Einsatzes“ mit Reden von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Der „Höhepunkt“ war ein Großer Zapfenstreich auf dem Platz der Republik am Abend.

Die Szenerie war gespenstisch und erinnerte an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. Vor dem weiträumig abgesperrten Reichstagsgebäude marschierten hunderte bewaffnete Soldaten mit Stahlhelmen und Fackeln auf, um den Großen Zapfenstreich zu zelebrieren. Weitere Fackelträger, die sogenannte „Perlenkette“, säumten die Treppen des Reichstags. Militärische Befehle und Militärmusik klangen durch die Nacht.

Keine Militärzeremonie könnte deutlicher machen, in welcher Tradition die Bundeswehr und ihre Kriegseinsätze stehen. Der Große Zapfenstreich hat seine Wurzeln im preußischen Militarismus. Er wurde in der preußischen Armee, dem deutschen Heer des Kaiserreichs und der Reichswehr der Weimarer Republik zelebriert, bevor er seinen Höhepunkt in der Wehrmacht des Dritten Reichs fand. Nun wird er benutzt, um die Rückkehr des deutschen Militarismus weiter voranzutreiben.

Das Spektakel wurde von allen großen Medien verfolgt und vom Ersten Deutschen Fernsehen zur besten Sendezeit live übertragen. Kommentatoren erklärten extra vorgenommene Veränderungen in der Organisation des Zapfenstreichs. Auf dem Podest, vor dem die Soldaten marschierten, standen nicht wie üblich hochrangige Staatsvertreter oder aus dem Dienst scheidende Generäle, sondern zwei Einsatzsoldaten, die die insgesamt mehr als 90.000 deutschen Afghanistan-Veteranen repräsentieren sollten.

Die Botschaft war klar und wurde wie ein Mantra wiederholt: Deutsche Soldaten kämpfen und fallen für ihr Land und müssen deshalb von der Gesellschaft entsprechend „gewürdigt“ und „geehrt“ werden.

Tatsächlich führten die deutschen Truppen in dem rohstoffreichen und geostrategisch wichtigen Land von Anfang an einen blutigen imperialistischen Krieg. Der Einsatz hatte dabei nicht nur für die Bundeswehr tödliche Folgen (insgesamt 59 gestorbene Soldaten), sondern vor allem für die einheimische Zivilbevölkerung – was in der offiziellen Propaganda mit keinem Wort erwähnt wurde.

Im Gegenteil: die gleichen Politiker und Militärs, die für die Verbrechen und das Debakel in Afghanistan verantwortlich sind, gehen in die Offensive und fordern in der Zukunft einen noch höheren Blutzoll.

„Wie weit sind wir grundsätzlich bereit zu gehen, um unsere Werte und Errungenschaften zu stärken, zu schützen und zu verteidigen. Mit welchen Mitteln und unter Inkaufnahme welcher Kosten und Opfer?“, fragte Kramp-Karrenbauer in ihrer Rede und fügte drohend hinzu: „Diese Frage müssen wir beantworten. Die Antworten darauf sind das beste Gedächtnis, das wir an die haben können, die in diesem Einsatz geblieben sind.“

Dann plädierte sie dafür, die Militarisierung nach innen und außen weiter zu forcieren: „Afghanistan muss uns weiter verändern.“ Es sei notwendig, „diejenigen, die jetzt im Einsatz sind, die in Zukunft in den Einsatz gehen, noch besser auszustatten, noch besser vorzubereiten“. Dabei gelte es, „die Frage des Verbundes zwischen Politik und Armee besser zu beantworten“ und auch „die Einsätze lebendig in der Mitte [der Gesellschaft] zu halten, nicht wegzudrängen, nicht denjenigen, die bereit sind, ihren Kopf hinzuhalten, das Gefühl zu geben, als seien sie selbst Schuld und es würde in Deutschland niemand interessieren“.

Steinmeier, der bereits als Außenminister eine Schlüsselrolle bei der Rückkehr des deutschen Militarismus spielte, äußerte sich ähnlich. Er versicherte der Armee, auch die nächste Bundesregierung werde die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik beschleunigen und eskalieren. „Soldatinnen und Soldaten: Deutschland verdient eine Sicherheitspolitik, die Lehren aus zwanzig Jahren Afghanistan zieht. Das ist eine Aufgabe, die weit über diese Wochen hinausreicht – es ist Aufgabe für eine neue Bundesregierung und den neuen Bundestag, der sich in diesem Monat konstituieren wird.“

Der „Fall von Kabul“ sei eine Zäsur, die Deutschland dazu zwinge, „über unsere Verantwortung in der Welt, unsere Möglichkeiten und deren Grenzen neu und selbstkritisch nachzudenken“, so das Staatsoberhaupt weiter. „Resignation und Rückzug“ wären jedoch „die falsche Lehre!“ Deutschland sei schließlich keine „Insel“, sondern habe als „das bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union und die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt … Gewicht in dieser Welt.“

Auch das ist unmissverständlich. Die „richtige Lehre“ aus Afghanistan lautet, die imperialistischen Interessen Deutschland in Zukunft effektiver durchzusetzen. „Wir müssen unsere Fähigkeiten erweitern und unsere Instrumente besser vernetzen – diplomatisch, militärisch, zivil, humanitär, entwicklungs- und wirtschaftspolitisch“, erklärte Steinmeier. „Und: Wir müssen stärker werden in unseren Möglichkeiten, auch im Militärischen.“ Es sei „richtig so“, dass Deutschland „in diesen instabilen Zeiten ... mehr in seine Verteidigung“ investiere. Die Bundeswehr brauche „gute Ausrüstung und funktionierende Strukturen, weil unser Land eine funktionierende Bundeswehr braucht“.

In bekannt zynischer Manier versuchte Steinmeier den Ruf nach Aufrüstung und Großmachtpolitik als Antwort auf die Nazi-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zu verkaufen. „Ja, wir wissen um die schwere Bürde unserer Geschichte – und niemand weiß es besser als die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr,“ erklärte er. „Das Wissen um Orte wie Babyn Jar“ und „um Geschehnisse dort und an anderen Orten, vor allem in Osteuropa, erinnert uns: Die Wehrmacht im Nationalsozialismus begründet keine Tradition, auf die wir uns berufen können.“

Steinmeier und die herrschende Klasse haben ein Problem. Mittlerweile ist es offensichtlich, dass die deutschen Eliten wieder an ihre braunen Traditionen anknüpfen und auf die tiefe Krise des Kapitalismus und die explosiven Konflikte zwischen den Großmächten wie in den 1930er Jahren mit Militarismus, Krieg und Faschismus reagieren. Das unterstreichen nicht nur der Zapfenstreich und die Kriegsreden von Steinmeier und Kramp-Karrenbauer, sondern die gesamte außen- und innenpolitische Entwicklung der letzten Jahre.

Steinmeier selbst paktierte schon 2014 als Außenminister in der Ukraine offen mit faschistischen Kräften. Während des von Berlin unterstützten Putsches empfing er in der deutschen Botschaft in Kiew Oleh Tjahnybok, den Führer der faschistischen Swoboda-Partei, die bis dahin vor allem als Bündnispartner der NPD aufgetreten war. Tjahnybok bezieht sich positiv auf Nazi-Kollaborateure, die am Massenmord an tausenden ukrainischen Juden – darunter am Massaker von Babyn-Jar – beteiligt waren.

In Deutschland machten die etablierten Parteien die AfD zur offiziellen Oppositionsführerin im Bundestag, integrierten die Rechtsextremen ins politische System und verfolgten systematisch deren Agenda. Das zeigt aktuell insbesondere die im Kern faschistische „Profite vor Leben“-Politik in der Pandemie, die allein in Deutschland bereits mehr 94.000 Menschen das Leben gekostet hat.

Gleichzeitig agieren rechte Terrornetzwerke weitgehend unbehelligt in Polizei, Geheimdiensten und Armee. Erst vor wenigen Tagen wurden rechtsextreme Strukturen im Wachbataillon bekannt, das gestern die Zapfenstreich-Formation stellte.

All diese Entwicklungen und die Bilder von deutschen Soldaten, die mitten in Berlin mit Waffen und Fackeln aufmarschieren, haben die tief verwurzelte Opposition gegen Militarismus und Faschismus in der Bevölkerung weiter befeuert. In den sozialen Medien entwickelte sich ein regelrechter Shitstorm gegen den Zapfenstreich. User zogen immer wieder Parallelen zum Dritten Reich und geißelten den deutschen Militarismus.

Diese Opposition braucht eine klare politische Führung und Perspektive. Die SGP kämpft für den Aufbau einer Antikriegsbewegung der deutschen und internationalen Arbeiterklasse, die darauf abzielt, die Wurzel von Krieg und Faschismus – den Kapitalismus – abzuschaffen und durch eine globale sozialistische Gesellschaft zu ersetzen.

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