Nachdem sich die impfstoffresistente Omikron-Variante des Coronavirus in Großbritannien, Skandinavien und Portugal zur dominierenden Variante entwickelt hat, breitet sie sich auch rapide in West- und Mitteleuropa aus. In vielen Ländern verdoppelt sich die Zahl der offiziell gemeldeten Infektionen innerhalb weniger Tage, und Omikron wird vermutlich noch vor Neujahr die dominierende Variante in Europa werden.
Obwohl die Fallzahlen der impfstoffresistenten Variante regelrecht explodieren, treffen die europäischen Regierungen keine ernsthaften Maßnahmen zur Verringerung der Übertragungen.
Viele Politiker haben die europäische Bevölkerung sogar aktiv ermutigt, sich mit ihren Familien und Freunden zu treffen. So erklärte der britische Premierminister Boris Johnson am Donnerstag: „Die Menschen können mit ihren Weihnachtsplänen fortfahren.“ Der französische Präsident rief diejenigen, „die das Vergnügen haben, an Weihnachten mit ihren Familien zusammen zu sein“, lediglich zu einem Schnelltest und der Einhaltung von „Schutzmaßnahmen“ bei der sozialen Distanzierung zu Familien und Freunden auf.
Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez erklärte am Donnerstag: „Es ist nicht das Gleiche wie im März 2020 oder wie Weihnachten im letzten Jahr.“ In Deutschland hatte die Co-Parteivorsitzende der SPD Saskia Esken bereits am Montag vor Heiligabend stellvertretend für die deutsche Bundesregierung verkündet: „Wir wollen die Einladungen, die für Weihnachten ausgesprochen worden sind, nicht ad acta legen.“
Hans Kluge, Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Europa, warnte hingegen am letzten Dienstag, es stehe „ein weiterer Sturm bevor... das schiere Ausmaß der neuen Infektionen mit Covid-19 könnte zu mehr Hospitalisierungen und großen Beeinträchtigungen der Gesundheitssysteme und anderer kritischer Dienstleistungen führen“.
Unter den derzeitigen Bedingungen werden sich die Feiertage als riesiges Superspreader-Event erweisen. Das Trommelfeuer an Fehlinformationen durch die kapitalistischen Regierungen und Medien verleitet Millionen von europäischen Familien dazu, Feiern zu veranstalten, die zum Tod von Zehntausenden ihrer Angehörigen führen werden. Tatsächlich sind die Infektionsraten auf Rekordniveau, und aufgrund der steil ansteigenden Fallzahlen werden die Krankenhäuser europaweit bald überlastet sein.
In Westeuropa wird Omikron sehr schnell zur dominierenden Variante. Das Vereinigte Königreich, wo Omikron bereits seit Wochen vorherrscht, verzeichnet eine beispiellose explosionsartige Ausbreitung des Virus: An Heiligabend wurden mehr als 121.000 Fälle gemeldet, am Montag waren es bereits 318.700.
In London, dem derzeitigen Zentrum der Welle, ist die Zahl der Hospitalisierungen seit Mitte Dezember stark gestiegen. Am 20. Dezember lagen 301 Menschen mit Covid-19 im Krankenhaus. Das waren 80 Prozent mehr als in der Vorwoche. Seitdem ist die Zahl der Krankenhauseinlieferungen im ganzen Land angestiegen, in London erneut um 50 Prozent.
In Frankreich wurden an Heiligabend und Weihnachten mit 94.124 bzw. 104.611 Fällen neue Rekordwerte verzeichnet. Die nationale Eisenbahngesellschaft stellt den Regionalverkehr ein, weil Infektionen zu Personalengpässen führen. Am Donnerstag warnte der wissenschaftliche Rat Frankreichs vor einer „möglichen Desorganisation der Gesellschaft ab Anfang Januar“, da die Zahl der Infizierten und in Quarantäne befindlichen Menschen ein so großes Ausmaß angenommen haben wird. Am Dienstag wurden in Frankreich offiziell mehr als 180.000 Neuinfektionen gemeldet.
In Spanien ist die Entwicklung ähnlich explosiv. Dort stieg die Zahl der Fälle von 79.704 am 20. Dezember um mehr als das Doppelte auf 214.619 am 27. Dezember. Die Omikron-Variante ist scheinbar für einen Großteil dieses Anstiegs verantwortlich, da ihr Anteil innerhalb einer Woche von drei auf 47 Prozent gestiegen ist. Die einzige Maßnahme der PSOE/Podemos-Regierung war die Einführung einer Maskenpflicht im Innenbereich. Der spanische Epidemiologe Quique Bassat erklärte: „Wir brauchen strengere und restriktivere Maßnahmen, um diese unkontrollierte Ausbreitung einzudämmen.“
In Portugal, wo Omikron bereits vorherrscht, wurde am 25. Dezember mit mehr als 10.000 Infektionsfällen der höchste Wert seit Januar verzeichnet. Am selben Tag wurden in Italien mit 54.787 Neuinfektionen und 144 Toten die höchsten Corona-Ziffern seit Mai vermeldet. Der aktuelle Sieben-Tage-Durchschnitt von 38.965 täglichen Neuinfektionen ist der höchste Wert seit Beginn der Pandemie.
In Deutschland wird das Infektionsgeschehen aufgrund der eklatanten Unterbesetzung der Gesundheitsämter und der Beurlaubung eines großen Teils der Mitarbeiter derzeit massiv untererfasst. Das Robert-Koch-Institut weist auf eine „geringere Test- und Meldeaktivität (…) während der Feiertage und zum Jahreswechsel“ hin. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, erklärte, die offiziell sinkenden Inzidenzwerte seien weniger „den Corona-Regelungen zuzuschreiben“ als vielmehr Ergebnis der mangelhaften „Datenerfassung des öffentlichen Gesundheitswesens“, die sich an Wochenenden und Feiertagen „im Ruhemodus“ befände.
„Verlässlich dürften die Zahlen erst wieder Anfang Januar sein“, gab Dr. Ute Teichert, Verbandschefin der Amtsärzte, vor Heiligabend zu. Nötig sei „mehr Personal für die Gesundheitsämter, damit dort keine Lücken beispielsweise an Feiertagen entstehen“. Zudem seien zwischen den Jahren „weniger Testzentren offen“, so Teichert. Auch die zur Identifikation der Omikron-Variante notwendigen Genomsequenzierungen werden nur in einem Bruchteil der Fälle vorgenommen.
Ein Papier des Expertenrats der Bundesregierung hatte bereits am 19. Dezember auf die „zu erwartende Meldeverzögerung über die kommenden Feiertage“ verwiesen und eindringlich davor gewarnt, die resultierenden Zahlen „als Zeichen der Entspannung“ zu deuten. Die „in Deutschland angenommene Verdopplungszeit der Omikron-Inzidenz“ liege wie in anderen Ländern „im Bereich von 2-4 Tagen“, so die einstimmige Einschätzung der Wissenschaftler.
Eine zuverlässige Meldung von Infektionen – ganz zu schweigen von einer präventiven Kontaktnachverfolgung – kann bundesweit kaum mehr gewährleistet werden. In Sachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Berlin und anderen Regionen haben die Gesundheitsämter die Nachverfolgung von Kontakten bereits seit Mitte Dezember aufgegeben. Auf der Grundlage dieser Datenlage meldete das RKI gestern 10.443 Omikron-Fälle von Covid-19, ein Zuwachs von 45 Prozent im Vergleich zum Vortag.
Eine aktuelle Sequenzierungsstudie von Abwasserproben durch Forscher der Ludwig-Maximilians-Universität in München zeigt, dass die Virusvariante bereits zwischen dem 6. und 12. Dezember in der Stadtbevölkerung zirkuliert haben muss. Demnach wurden in fünf von sechs der verdünnten Proben Omikron-Spuren nachgewiesen – nur eine Woche nach Bekanntwerden des ersten Verdachtsfalls. In Hamburg, wo ein Großteil der Omikron-Fälle in Deutschland vermeldet wird, ist die Inzidenz unterdessen vor Weihnachten innerhalb einer Woche um 28 Prozent angestiegen.
In den skandinavischen Ländern dominiert Omikron längst. In Dänemark lag der Sieben-Tage-Durchschnitt vor Weihnachten bei über 12.000 Fällen, und der Rekordwert von 16.164 gemeldeten Fällen wurde am 28. Dezember erreicht. In einem Land, in dem über 96 Prozent aller Erwachsenen doppelt geimpft sind und 46 Prozent eine Booster-Impfung erhalten haben, bieten diese Zahlen einen Vorgeschmack darauf, wie verheerend Omikron in den kommenden Wochen in Europa wüten wird. Der Sieben-Tage-Durchschnitt der Todesfälle liegt zurzeit auf dem höchsten Stand seit Februar und die Sieben-Tage-Inzidenz ist 1.698 Fällen pro 100.000 Einwohner aktuell die höchste der Welt.
In den Niederlanden wurden Maßnahmen angekündigt, die von der kapitalistischen Presse als „strikter“ Lockdown bezeichnet wurden und die mindestens bis zum 14. Januar in Kraft bleiben sollen. Allerdings werden auch hier vier Gäste aus einem fremden Haushalt zu Weihnachts- und Neujahrsfeiern erlaubt sein, die nicht systemrelevante Produktion wird aufrechterhalten und die Regierung will am 10. Januar die Schulen wieder öffnen. Diese Maßnahmen werden weder die Bevölkerung vor der Omikron-Welle schützen noch zur Eliminierung des Virus beitragen.
Während die Auswirkungen von Omikron in West- und Mitteleuropa bereits spürbar sind, dringt das Virus auch schnell nach Osteuropa vor. In den dortigen Ländern sind die Infektionszahlen und die täglichen Todesfälle nach einer verheerenden Delta-Welle gerade erst langsam zurückgegangen – mit der Ausbreitung von Omikron droht sich diese Entwicklung rasch umzukehren. In Tschechien, das an Bayern und Sachsen angrenzt, steigt die Sieben-Tage-Inzidenz bereits wieder an.
Zwischen dem 1. Oktober und den Weihnachtsfeiertagen sind 90.000 Russen, 37.000 Ukrainer, 21.000 Rumänen, 17.000 Polen, 10.000 Bulgaren, 8.000 Ungarn und 5.500 Tschechen an Covid-19 gestorben. Neun der zehn Länder mit den meisten Corona-Toten pro eine Million Einwohner liegen in Osteuropa oder den Balkanstaaten. Das Virus konnte dort von den niedrigen Impfquoten, der Herdenimmunitätspolitik der Regierungen und dem schlechten Zustand der Gesundheitssysteme profitieren, die durch die Wiedereinführung des Kapitalismus in der ehemaligen UdSSR und dem ehemaligen Jugoslawien zerstört wurden.
Die Delta-Welle verursacht in diesen Ländern weiterhin mehr als 10.000 Todesopfer pro Woche. Zudem wurde die Omikron-Variante bereits in Russland, der Ukraine, Polen, Rumänien, Tschechien, Ungarn und allen baltischen Staaten identifiziert und wird auch dort früher oder später zur dominierenden Variante werden.
Obwohl in den west- und mitteleuropäischen Staaten die Impfquoten höher sind und die Booster-Impfkampagnen begonnen haben, sind noch immer Millionen Menschen ungeschützt. In Osteuropa sind mehr als 100 Millionen Menschen nicht geimpft. Besonders schwer wiegt, dass die meisten Kinder in Europa entweder nur eine Impfung erhalten haben oder völlig ungeimpft sind.
Da die Schulen den ganzen Herbst über vollständig geöffnet waren, ist die Zahl der hospitalisierten Kinder in Europa stark gestiegen. In Frankreich lagen vor Weihnachten 153 Kinder mit Covid-19 im Krankenhaus, 35 davon in Intensivpflege. Am letzten Mittwoch wurde aus Großbritannien der Tod eines weiteren Kinds durch Covid-19 gemeldet, womit die Zahl der Toten unter 19 Jahren auf 121 seit Beginn der Pandemie gestiegen ist. In Deutschland kamen zwischen dem 1. und dem 16. Dezember 148 Kinder ins Krankenhaus, die Hälfte davon unter drei Jahren.
Im Gegensatz zur kriminellen Untätigkeit der europäischen Regierungen zeigen die Gesundheitsbehörden in China einmal mehr, dass strenge Gesundheitsmaßnahmen das Virus ausrotten und Menschenleben schützen können. In Xi'an wurde für 13 Millionen Menschen ein Lockdown verhängt, nachdem bei einem Massentest 127 Infektionen entdeckt wurden. Mit Maßnahmen wie diesen konnten Ausbrüche in China immer wieder eingedämmt werden.
Angesichts der exponentiell steigenden Omikron-Fallzahlen in Europa muss Alarm geschlagen werden: Der Kontinent steuert auf eine gesundheitliche und gesellschaftliche Krise mit hunderttausenden Covid-19-Toten und vielen weiteren Todesopfern zu, die von den zugrunde gerichteten Gesundheitssystemen nicht mehr gerettet werden können.
Die Gesundheitspolitik der Kapitalistenklasse basiert nicht auf Infektionen, Todesfällen oder der Auslastung der Krankenhäuser, sondern auf dem Ziel, die nicht systemrelevante Produktion in Gang zu halten, damit die Profite ununterbrochen weiterfließen. Deshalb weigert sie sich selbst angesichts einer hochgradig infektiösen und impfstoffresistenten Variante, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben zu ergreifen.
Im März 2020 breiteten sich spontane Streiks der italienischen Arbeiter über ganz Europa aus und führten zu den bisher einzigen echten Lockdowns. Heute kann nur eine bewusste Massenbewegung der europäischen Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie und ihre Durchseuchungspolitik einen wissenschaftlichen Kampf gegen das Virus erzwingen.
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