Zum historischen und politischen Hintergrund des Ukraine-Kriegs: Ein Brief an einen Freund

Diesen Brief schickte der Vorsitzende der internationalen Redaktion der WSWS, David North, an einen Freund, der ihn um eine Einschätzung zu einer Online-Diskussion über den Russland-Ukraine-Krieg gebeten hatte. Die Diskussion fand kürzlich an einem College in den USA statt.

Lieber Freund,

vielen Dank, dass Du mich auf die Online-Diskussion über den Russland-Ukraine-Krieg aufmerksam gemacht und mir Zugang zu der Veranstaltung gewährt hast. Ich habe mir die Aufzeichnung nun angehört und lasse Dir, wie Du gewünscht hast, meine „professionelle“ Einschätzung zu den Ausführungen der beiden Wissenschaftler zukommen. Ich werde mich auf die Ausführungen des Historikers konzentrieren, mit dessen Arbeit auf dem Gebiet der Holocaust-Forschung ich vertraut bin. Er hat sich auf jeden Fall am ausführlichsten geäußert.

Um es ganz offen zu sagen: Ich war enttäuscht, wenn nicht überrascht, über die oberflächliche Herangehensweise an diesen entscheidenden und gefährlichen Wendepunkt im Weltgeschehen. Wie Du weißt, ist meine Einschätzung des Krieges die eines Menschen, der in der internationalen sozialistischen Politik aktiv ist. Die World Socialist Web Site hat die russische Invasion in der Ukraine öffentlich verurteilt. Diese prinzipielle Opposition von links hat jedoch nichts mit dem offiziellen und auf groteske Weise einseitigen Propaganda-Narrativ der USA und der Nato gemein, das die Invasion als einen völlig unprovozierten Akt der Aggression durch Russland darstellt.

Einschneidende Ereignisse wie Kriege und Revolutionen werfen immer komplexe Probleme von Ursache und Wirkung auf. Das ist einer der Gründe, warum das Studium der Geschichte eine unverzichtbare Grundlage für eine ernsthafte politische Analyse ist. Diese allgemeine Wahrheit gewinnt in jeder Diskussion über Russland eine besondere Bedeutung. Dieses Land war Schauplatz des wohl bedeutendsten politischen Ereignisses des 20. Jahrhunderts, der Oktoberrevolution von 1917, deren historisches, politisches und intellektuelles Erbe bis in unsere Zeit nachklingt. Das Studium der sowjetischen Geschichte ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der Politik und der Probleme der heutigen Welt.

Dies festzustellen, bedeutet nicht, in politischer Nostalgie zu schwelgen. In seinen einleitenden Bemerkungen ging der Historiker kurz auf die letzten Jahrzehnte der UdSSR ein und betonte das Trauma, das durch ihre Auflösung verursacht wurde. Doch führt die Betonung, die er auf die Auswirkungen dieses Ereignisses auf die persönliche Psychologie von Wladimir Putin legt, nicht zu einem wirklichen Verständnis Russlands oder des gegenwärtigen Krieges. Er hat nicht versucht, die sozioökonomischen Grundlagen des Regimes zu erklären, das aus der Entscheidung der stalinistischen Bürokratie, die Sowjetunion zu liquidieren, hervorgegangen ist.

Wesentliche Fragen wurden nicht gestellt. In wessen Interesse regiert Putin? Welche Auswirkungen hatte die Privatisierung von Staatsvermögen auf die Art und Weise, wie die russische kapitalistische Elite ihre Sicherheitsinteressen wahrnimmt? Welche Elemente der Außenpolitik Putins haben sich im Vergleich zur Außenpolitik der Sowjetunion geändert und welche sind geblieben?

Die Geographie ist ein hartnäckiger Faktor, der Russland verfolgt – ein Land, dessen Gebiet das Ziel so vieler Invasionen war. Ein Verweis auf den Vernichtungskrieg der Nazis, der gerade einmal 80 Jahre her ist und zwischen 30 und 40 Millionen Menschen das Leben kostete, dürfte kaum nötig sein. Der Historiker erwähnte den Eindruck, den die wütende Menge vor dem Stasi-Hauptquartier in Berlin im Jahr 1989 bei Putin hinterlassen haben soll. Es fällt mir schwer zu glauben, dass dieser Vorfall ihn mehr beeinflusst haben soll als das anhaltende gesellschaftliche Erinnern an den „Großen Vaterländischen Krieg“ und dessen Nachwirkungen.

Karte der Osterweiterung der Nato seit 1949 (Wikimedia) [Photo by Patrickneil / CC BY-NC-SA 4.0]

Die Katastrophe, die am 22. Juni 1941 begann, ist im kollektiven Bewusstsein der Russen fest verankert. Es geht nicht darum, die nationalistischen Schlussfolgerungen zu rechtfertigen, die Putin, aber auch ultrarechte Elemente wie Alexander Dugin, aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen. Doch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs sind für das Verständnis der russischen Wahrnehmung – auch unter Arbeitern – wichtiger als das angebliche Träumen von einem verlorenen Imperium.

Was mich an der Diskussion über den Krieg im Webinar jedoch am meisten beunruhigte, war die Abwesenheit irgendeines Verweises auf die Kriege, die von den Vereinigten Staaten in den letzten 30 Jahren – oft mit Unterstützung ihrer Nato-Verbündeten – geführt worden sind. Die gesamte Berichterstattung in den Medien über diesen Krieg ist von einem Ausmaß an Heuchelei geprägt, das widerlich ist. Selbst wenn man annimmt, dass alle Verbrechen, die den Russen im letzten Monat angelastet wurden, genau so stattgefunden haben, erreichen sie nicht annähernd das Ausmaß der Gräueltaten, die die Vereinigten Staaten und die Nato im Irak, in Libyen und in Afghanistan begangen haben – ganz zu schweigen von den anderen Ländern, die zum Ziel amerikanischer Bombardements, Raketenangriffe und gezielter Tötungen wurden. Beim Lesen und Anschauen der Printmedien und Nachrichtensendungen könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Vereinigten Staaten von einer besonders aggressiven Form des kollektiven Gedächtnisschwunds befallen sind.

Erinnert sich niemand mehr an die „Shock and Awe“-Taktik im Irak? Wäre das Pentagon für die Planung des Kriegs gegen die Ukraine verantwortlich gewesen, wären Kiew und Charkiw schon in der ersten Nacht des Krieges dem Erdboden gleichgemacht worden. Die US-Medien taten so, als sei der Angriff auf die Entbindungsklinik in Mariupol (wobei sie die Darstellung über die gegenwärtige Funktion und Nutzung der Klinik als wahr akzeptierten), bei dem drei Menschen getötet wurden, ein Akt unsagbarer Brutalität gewesen. Haben sie alle die Bombardierung des Luftschutzbunkers Amiriyah am Stadtrand von Bagdad im Februar 1991 vergessen, bei der etwa 1.500 Frauen und Kinder getötet wurden? Nach seriösen Schätzungen beläuft sich die Zahl der Toten, die durch die „Wars of choice“ (dt. etwa: „Kriege ohne Notwendigkeit“, „ausgewählte Kriege“) der USA verursacht wurden, auf über eine Million beläuft. Und das Sterben geht weiter. Millionen von Kindern hungern in Afghanistan. Flüchtlinge mit dunklerer Hautfarbe, die der von Nato-Bomben verursachten Katastrophe in Libyen zu entkommen versuchen, ertrinken noch immer im Mittelmeer. Nimmt irgendjemand davon Notiz? Ist das Leben der Menschen in Zentralasien und im Nahen Osten weniger wert als das der Europäer in der Ukraine?

Die Journalisten, die Putin jetzt mit Hitler vergleichen, scheinen vergessen zu haben, was sie selbst während des Luftkriegs gegen Serbien und der späteren Invasion des Irak geschrieben haben. Der Historiker verwies auf Thomas Friedman von der New York Times als wichtigen geopolitischen Denker. Erinnern wir uns daran, was Friedman am 23. April 1999, während der Bombardierung Serbiens durch die USA und die Nato, geschrieben hat:

Wenn aber die einzige Stärke der Nato darin besteht, dass sie ewig bombardieren kann, dann muss sie jedes Kilo dieser Stärke in die Waagschale werfen. Lasst uns wenigstens einen richtigen Luftkrieg führen. Die Vorstellung, dass die Menschen in Belgrad immer noch Rockkonzerte veranstalten oder sonntags Karussell fahren, während ihre serbischen Landsleute den Kosovo „säubern“, ist unerhört. In Belgrad sollten die Lichter ausgehen: Jedes Stromnetz, jede Wasserleitung, jede Brücke, jede Straße und jede kriegswichtige Fabrik muss ins Visier genommen werden.

Ob es uns gefällt oder nicht, wir befinden uns im Krieg mit der serbischen Nation (die Serben sehen das jedenfalls so), und es muss ganz klar sein, was auf dem Spiel steht: Jede Woche, in der Sie den Kosovo verwüsten, soll einem weiteren Jahrzehnt entsprechen, um das wir Ihr Land durch Pulverisierung [in der Geschichte] zurückwerfen. Sie wollen 1950? Lässt sich einrichten. Sie wollen 1389? Auch 1389 ist machbar. Wenn es uns gelingt, das Thema so zu gestalten, wird Herr Milosevic klein beigeben, und vielleicht haben wir gestern sein erstes Zucken gesehen.

Ein amerikanischer Lenkwaffenkreuzer feuert während der US-Invasion im Irak 2003 eine Tomahawk-Rakete ab (US Navy) [Photo: US Navy]

Erlaube mir, an die Worte des Washington-Post-Kolumnisten George Will zu erinnern, der jetzt vor Wut über Putins Verbrechen schäumt. Folgendes schrieb Will indessen während der US-Invasion im Irak in einer Kolumne vom 7. April 2004:

Regimewechsel, Besatzung, nation building – mit einem Wort: Imperium – sind ein blutiges Geschäft. Jetzt müssen sich die Amerikaner dahingehend stählen, dass sie die notwendige Gewalt verabreichen, um die irakischen Stadtmilizen zu entwaffnen oder zu besiegen…

Eine Woche später, am 14. April 2004, entfesselte Will in der Post eine weitere mörderische Tirade:

Nach Fallujah ist klar, dass die Marines und andere US-Streitkräfte in erster Linie mit ihrer eigentlichen Aufgabe beschäftigt sind: das Zufügen tödlicher Gewalt.

Wills Kolumnen waren nicht außergewöhnlich. Sie waren ziemlich typisch für das, was amerikanische Experten zu dieser Zeit schrieben. Was sich jedoch geändert hat, ist die Reaktion der breiten Öffentlichkeit. Damals war die Opposition gegen die Kriege der USA und die Außenpolitik, die diese hervorbrachte, weit verbreitet. Aber es ist schwierig, heute auch nur Spuren von öffentlichem Widerstand zu finden.

Bei der Untersuchung der aggressiven Außenpolitik der Vereinigten Staaten in der Periode nach der Auflösung der UdSSR geht es nicht nur um die Entlarvung der amerikanischen Heuchelei. Wie ist es möglich, die russische Politik zu verstehen, wenn man nicht den globalen Kontext analysiert, in dessen Rahmen sie entwickelt wird? Ist es angesichts der Tatsache, dass die Vereinigten Staaten unerbittlich Krieg geführt haben, irrational, wenn Putin die Erweiterung der Nato mit Sorge betrachtet? Er und andere russische Politiker sind sich sicherlich des enormen strategischen Interesses der Vereinigten Staaten an der Schwarzmeerregion, der kaspischen Region und überhaupt der eurasischen Landmasse bewusst. Es ist nicht gerade ein Geheimnis, dass der verstorbene Zbigniew Brzezinski und andere führende US-Geostrategen seit langem darauf bestehen, dass die Vorherrschaft der USA in Eurasien – der so genannten „Weltinsel“ – ein entscheidendes strategisches Ziel darstellt.

Diese Hauptaufgabe ist angesichts des eskalierenden Konflikts zwischen den USA und China noch wichtiger geworden.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Zukunft der Ukraine für die Vereinigten Staaten zu einer Frage von großer Bedeutung entwickelt. Brzezinski erklärte ausdrücklich, dass Russland auf den Status einer unbedeutenden Macht herabgedrückt wird, wenn man Moskau seinen Einfluss auf die Ukraine nimmt. Noch unheilvoller sind Brzezinskis offen ausgesprochene Pläne, Russland in einen Krieg in der Ukraine zu locken, der sich als ebenso selbstzerstörerisch erweisen würde wie die frühere sowjetische Intervention in Afghanistan. Ein Rückblick auf die Ereignisse, die dem Krieg vorausgingen und auf den von den USA unterstützten Maidan-Putsch von 2014 zurückgehen, stützt entschieden das Argument, dass dieses Ziel nun erreicht ist.

Auch hier gilt: Die Erkenntnis, dass Russland im Vorgehen der Vereinigten Staaten und der Nato eine ernsthafte Bedrohung sieht, ist keine Rechtfertigung für die Invasion. Aber sollte nicht auch kritisch bewertet werden, wie die Politik der Vereinigten Staaten dazu geführt und sie sogar absichtlich angestiftet hat?

In einem Essay, der am 28. Dezember 2021, also fast zwei Monate vor der Invasion, von Foreign Affairs online gestellt wurde, schrieb der Analyst Dmitri Trenin:

Insbesondere könnte der Kreml zufriedengestellt sein, wenn die US-Regierung einem formellen langfristigen Moratorium hinsichtlich der Erweiterung der Nato zustimmt und sich verpflichtet, keine Mittelstreckenraketen in Europa zu stationieren. Moskau könnte außerdem durch ein separates Abkommen zwischen Russland und der Nato besänftigt werden, das die militärischen Kräfte und Aktivitäten dort einschränken würde, wo sich ihre Territorien treffen, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. …

Natürlich ist es eine offene Frage, ob die Regierung Biden bereit ist, sich ernsthaft mit Russland auseinanderzusetzen. In den Vereinigten Staaten wird es aufgrund der innenpolitischen Polarisierung und der Tatsache, dass ein Abkommen mit Putin die Regierung Biden dem Vorwurf aussetzen würde, einem Autokraten nachzugeben, großen Widerstand gegen jede Vereinbarung geben. Auch in Europa wird der Widerstand groß sein, da sich die Staats- und Regierungschefs bei einer Verhandlungslösung zwischen Washington und Moskau ins Abseits gedrängt fühlen. [Titel des Artikels: “What Putin Really Wants in Ukraine: Russia Seeks to Stop NATO’s Expansion, Not to Annex More Territory”]

Wäre eine Vereinbarung über den Status der Ukraine als Nicht-Mitglied der Nato nicht besser gewesen als die jetzige Situation? Kann man ernsthaft behaupten, dass Russland keinen Grund hatte, sich der Aufnahme der Ukraine in die Nato zu widersetzen? Diejenigen, die die Krise vom Oktober 1962 miterlebt haben, werden sich daran erinnern, dass sie durch die Stationierung von ballistischen Raketen durch die Sowjetunion auf Kuba ausgelöst wurde. Obwohl dies mit der vollen Zustimmung des Castro-Regimes geschah, machte Präsident Kennedy deutlich, dass die Vereinigten Staaten eine sowjetische Militärpräsenz in der westlichen Hemisphäre nicht akzeptieren würden und bereit waren, in dieser Frage einen Atomkrieg zu riskieren. Das war vor 60 Jahren. Kann irgendjemand ernsthaft glauben, dass die Biden-Regierung heute weniger aggressiv handeln würde, wenn beispielsweise Mexiko oder ein anderes karibisches oder lateinamerikanisches Land ein Militärbündnis mit China eingehen würde, selbst wenn dieses Bündnis angeblich rein defensiv wäre?

Es gibt noch ein weiteres Problem, das nicht ernsthaft angegangen wurde. Beide Professoren spielten den anhaltenden politischen und kulturellen Einfluss des Faschismus in der Ukraine herunter, der sich in der erneuten Verherrlichung des Massenmörders Stepan Bandera und im Einfluss schwer bewaffneter paramilitärischer Kräfte wie dem Asow-Bataillon zeigt. Diese Kräfte identifizieren sich mit dem entsetzlichen Erbe der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und ihres bewaffneten Arms, der Ukrainska povstanska armiia (UPA). Die entscheidende Rolle, die die OUN und die UPA bei der Vernichtung der ukrainischen Juden spielten, ist eine anerkannte historische Tatsache. Der jüngste Untersuchung zu ihren völkermörderischen Verbrechen, Ukrainian Nationalists and the Holocaust: OUN and UPA’s Participation in the Destruction of Ukrainian Jewry, 1941-1944, von John-Paul Himka, ist nicht leicht zu ertragen.

Mitglieder verschiedener nationalistischer Parteien tragen Fackeln und ein Porträt von Stepan Bandera während einer Kundgebung in Kiew, Ukraine, Samstag, 1. Januar 2022. (AP Photo/Efrem Lukatsky) [AP Photo/Efrem Lukatsky]

Die Schrecken des Zweiten Weltkriegs sind „nicht nur“ eine Frage der Geschichte. (Ich habe „nicht nur“ in Anführungszeichen gesetzt, weil diese beiden Wörter eigentlich nicht verwendet werden sollten, wenn es um Ereignisse geht, die mit Verbrechen wie dem Holocaust in Verbindung stehen). Es ist bekannt, dass der Kult um Stepan Bandera und die Rechtfertigung aller Verbrechen, mit denen er in Verbindung gebracht wird, nach der Auflösung der UdSSR zu einem starken und äußerst gefährlichen Faktor im politischen und kulturellen Leben der Ukraine geworden sind.

Der Historiker Grzegorz Rossoliński-Liebe schreibt in seiner maßgeblichen Biografie über Stepan Bandera (Stepan Bandera: The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist: Fascism, Genocide, and Cult.) über die Zeit nach 1991:

Bandera und ukrainische revolutionäre Nationalisten wurden wieder zu wichtigen Elementen der westukrainischen Identität. Nicht nur rechtsextreme Aktivisten, sondern auch der Mainstream der westukrainischen Gesellschaft, darunter Gymnasiallehrer und Universitätsprofessoren, betrachteten Bandera als Nationalhelden, als Freiheitskämpfer und als jemanden, der wegen seines Kampfs gegen die Sowjetunion geehrt werden sollte. Die postsowjetische Erinnerungspolitik in der Ukraine hat demokratische Werte völlig ignoriert und keinerlei nicht-apologetischen Umgang mit der Geschichte entwickelt. (Aus dem Englischen, S. 553)

Rossoliński-Liebe stellt weiter fest:

Bis 2009 wurden in der Westukraine etwa dreißig Bandera-Denkmäler enthüllt, vier Bandera-Museen eröffnet und eine unbekannte Anzahl von Straßen nach ihm benannt. Der Bandera-Kult, der in der postsowjetischen Ukraine entstanden ist, ähnelt dem, den die ukrainische Diaspora während des Kalten Krieges praktiziert hat. Die neuen Feinde der Banderiten waren russischsprachige Ostukrainer, Russen, Demokraten und gelegentlich Polen, Juden und andere. Das Spektrum der Menschen, die diesen Kult praktizieren, ist sehr breit. Unter den Bandera-Bewunderern finden sich einerseits rechtsextreme Aktivisten mit kahlgeschorenen Köpfen, die bei ihren Gedenkfeiern den faschistischen Gruß zeigen und behaupten, der Holocaust sei die glänzendste Episode der ukrainischen Geschichte gewesen, und andererseits Gymnasiallehrer und Universitätsprofessoren. (Aus dem Englischen, S. 554)

Während des Kalten Krieges übte die rechtsextreme ukrainische Lobby erheblichen internationalen Einfluss aus, insbesondere in der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland, den Vereinigten Staaten und Kanada. Bis zu seiner Ermordung durch den sowjetischen KGB in München im Jahr 1959 gab Bandera Interviews, die in Westdeutschland ausgestrahlt wurden. Die Karriere von Banderas Stellvertreter Jaroslaw Stezko nach dem Zweiten Weltkrieg verdient ebenfalls Beachtung. Er korrespondierte mit Hitler, Mussolini und Franco und versuchte, die Unterstützung des Dritten Reiches für den „freien ukrainischen Staat“ zu gewinnen, den Stezko nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion proklamierte. Dieses Projekt erwies sich als erfolglos, da das NS-Regime kein Interesse daran hatte, die Bestrebungen der ukrainischen Nationalisten zu erfüllen. Stezko wurde in „Ehrengefangenschaft“ genommen und nach Berlin gebracht. Im Juli 1941 gab er eine Stellungnahme ab, in der er erklärte:

Ich halte den Marxismus für ein Produkt jüdischen Denkens, das jedoch im moskowitischen Völkergefängnis von den moskowitisch-asiatischen Völkern mit Hilfe von Juden in die Praxis umgesetzt worden ist. Moskau und das Judentum sind die größten Feinde der Ukraine und Träger korrumpierender bolschewistischer internationalistischer Ideen…

Ich unterstütze daher die Vernichtung der Juden und halte es für zweckmäßig, die deutschen Methoden zur Ausrottung des Judentums in die Ukraine zu bringen und ihre Assimilierung und ähnliches zu verhindern. (Himka, S. 106)

Stezko überlebte den Krieg, wurde eine bekannte Persönlichkeit der internationalen politischen Rechten und war Vorstandsmitglied der World Anti-Communist League (WACL, Antikommunistische Weltliga). Zu den zahlreichen Ehrungen, die ihm für seinen lebenslangen Kampf gegen den Marxismus zuteil wurden, gehörte die Ernennung zum Ehrenbürger der kanadischen Stadt Winnipeg im Jahr 1966. Das war aber noch nicht alles. 1983, so Rossoliński-Liebe, wurde Stezko „ins Kapitol und ins Weiße Haus eingeladen, wo George Bush und Ronald Reagan den ‚letzten Premierminister eines freien ukrainischen Staates‘ empfingen.“ (S. 552)

Jaroslaw Stezko (szru.gov.ua)

Rossoliński-Liebe erinnert an ein weiteres Ereignis:

Am 11. Juli 1982 wehte während der Captive Nations Week die rot-schwarze Flagge der OUN-B, die 1941 auf dem Zweiten Großen Kongress ukrainischer Nationalisten eingeführt wurde, über dem Kapitol der Vereinigten Staaten. Sie symbolisierte Freiheit und Demokratie, nicht ethnische Reinheit und völkermordenden Faschismus. Niemand wusste, dass es dieselbe Fahne war, die auf dem Rathaus von Lwiw und anderen Gebäuden wehte, und unter der im Juli 1941 jüdische Zivilisten misshandelt und getötet wurden von Personen, die sich mit dieser Flagge identifizierten. (S. 552)

Die internationalen Verbindungen der ukrainischen Neonazis sind für die gegenwärtige Krise von großer Bedeutung. Kürzlich wurde bekannt, dass sich kanadische Beamte mit Mitgliedern des Asow-Bataillons getroffen haben. In einem Bericht der Ottawa Citizen vom 9. November 2021 heißt es:

Die Kanadier trafen sich im Juni 2018 mit Führern des Asow-Bataillons und wurden von ihnen gebrieft. Die Offiziere und Diplomaten erhoben keinen Einspruch gegen das Treffen und ließen sich stattdessen mit Bataillonsangehörigen fotografieren, obwohl sie zuvor gewarnt worden waren, dass sich die Einheit als nazifreundlich verstehe. Das Asowsche Bataillon verwendete diese Fotos dann für seine Online-Propaganda und wies darauf hin, dass die kanadische Delegation „Hoffnungen auf eine weitere fruchtbare Zusammenarbeit“ geäußert habe.

Der Bericht fährt fort:

Ein Jahr vor dem Treffen erstellte die kanadische Joint Task Force Ukraine ein Briefing über das Asow-Bataillon, in dem dessen Verbindungen zur Nazi-Ideologie eingeräumt wurden. „Mehrere Mitglieder von Asow haben sich selbst als Nazis bezeichnet“, warnten die kanadischen Offiziere in ihrem Briefing von 2017.

Bernie Farber, Leiter des kanadischen Anti-Hate-Network, sagte, die Kanadier hätten die Besprechung mit dem Asow-Bataillon sofort verlassen sollen. „Angehörige der kanadischen Streitkräfte treffen sich nicht mit Nazis, Punkt, aus“, sagte Farber. „Das ist ein grausiger Fehler, der nicht hätte gemacht werden dürfen.“

Es gibt noch einen weiteren beunruhigenden Aspekt dieser Geschichte, der in direktem Zusammenhang mit der äußerst aggressiven antirussischen Politik der kanadischen Regierung steht. Chrystia Freeland ist die stellvertretende kanadische Premierministerin. Ihr Großvater, Mykhailo Khomiak, war Herausgeber einer Nazi-Zeitung mit dem Namen Krakivski Visti (Krakauer Nachrichten) im besetzten Polen und dann kurzzeitig in Wien von 1940 bis 1945. Natürlich sollte die stellvertretende Premierministerin Freedland nicht für die Sünden und Verbrechen ihres Großvaters verantwortlich gemacht werden, doch es sind ernsthafte Fragen darüber aufgekommen, welchen Einfluss der rechte ukrainische Nationalismus auf ihre eigenen politischen Ansichten gehabt hat – und damit auf die Politik der kanadischen Regierung.

Die stellvertretende kanadische Premierministerin Chrystia Freeland (Wikimedia Commons)

Die kanadische National Post berichtete am 2. März 2022:

Freeland schloss sich mehreren tausend Demonstranten bei einer Pro-Ukraine-Kundgebung in der Innenstadt von Toronto an. Auf einem Foto, das ihr Büro anschließend auf Twitter veröffentlichte, ist Freeland zu sehen, wie sie einen rot-schwarzen Schal mit dem Slogan „Slava Ukraini“ (Ruhm der Ukraine) hochhält.

Beobachter stellten rasch fest, dass Rot und Schwarz die offiziellen Farben der Ukrainischen Aufständischen Armee waren, einer nationalistischen Partisanengruppe, die während des Zweiten Weltkriegs aktiv war.

Dass die Medien weitgehend davon absehen, eine gründlichere Untersuchung von Freedlands familiären Verbindungen und der allgemeineren Verbindung zwischen der ukrainischen extremen Rechten und der kanadischen Regierung vorzunehmen, steht in krassem Gegensatz zu der Hexenjagd, die gegenwärtig alle Spuren russischen Einflusses im kulturellen Leben des Landes zu unterdrücken sucht. Anfang dieses Monats konnte der 20-jährige russische Klaviervirtuose Alexander Malofeev – der in keiner Weise für die russische Invasion in der Ukraine verantwortlich ist – seine in Vancouver und Montreal geplanten Auftritte nicht wahrnehmen. Eine ähnliche Säuberung von russischem kulturellem Einfluss ist in den Vereinigten Staaten und in ganz Europa im Gange. Diese schändliche Kampagne – die die kulturellen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, die Mitte der 1950er Jahre trotz des Kalten Krieges aufblühten, zunichte macht – sollte als Ausdruck der sehr gefährlichen politischen und ideologischen Impulse und Motivationen betrachtet werden, die in der gegenwärtigen Krise am Werk sind. Die intellektuellen und kulturellen Institutionen sind weit davon entfernt, die Anti-Russland-Hysterie anzuprangern und ihr entgegenzutreten, und passen sich ihr größtenteils an.

Es gibt einen letzten Kritikpunkt, den ich an dem Webinar anbringen muss. In der Diskussion wurde mit keinem Wort auf die extreme politische und soziale Krise in den Vereinigten Staaten hingewiesen, als ob die innenpolitische Situation nichts mit der sehr aggressiven Haltung der Vereinigten Staaten zu tun hätte. Viele seriöse Studien zum Ersten und Zweiten Weltkrieg haben sich auf das konzentriert, was unter Historikern als „Primat der Innenpolitik“ bekannt ist. Diese Interpretation, die in den frühen 1930er Jahren von dem linken deutschen Historiker Eckart Kehr entwickelt wurde, stellte die Rolle der innergesellschaftlichen Konflikte für die Gestaltung der Außenpolitik in den Mittelpunkt.

Eine sorgfältige Betrachtung von Kehrs Konzeptionen – die bei nachfolgenden Historikergenerationen großen Einfluss erlangten – ist sicherlich notwendig, um die politischen Beweggründe der Biden-Regierung zu analysieren. Seit der Jahrtausendwende sind die Vereinigten Staaten von zwei historischen Krisen erschüttert worden: 1) der Covid-19-Pandemie und 2) dem versuchten (und beinahe erfolgreichen) Staatsstreich vom 6. Januar 2021. Jedes dieser Ereignisse war, selbst wenn man es isoliert betrachtet, eine traumatisierende Erfahrung.

In nur zwei Jahren haben die Vereinigten Staaten mindestens eine Million Todesopfer durch Covid-19 zu beklagen, mehr als in jedem anderen amerikanischen Krieg und möglicherweise mehr als die Gesamtzahl der von Amerikanern in allen US-Kriegen erlittenen Todesfälle. Die tatsächliche Zahl der Todesopfer, die sich aus der Berücksichtigung der Übersterblichkeit ergibt, könnte weitaus höher sein. Das bedeutet, dass eine außerordentlich große Zahl von Amerikanern den Verlust von Familienmitgliedern und engen Freunden erlebt hat. Mehr als einer von hundert Amerikanern im Alter von mehr als 65 Jahren ist gestorben. Millionen Amerikaner haben sich infiziert, und eine große, aber noch nicht berechnete Zahl von ihnen hat mit den Auswirkungen von Long Covid zu kämpfen. Die normalen Muster des gesellschaftlichen Lebens wurden in einer Weise gestört, wie es in der Geschichte der Vereinigten Staaten noch nie vorgekommen ist. Lang andauernde soziale Isolation hat das Problem der psychischen Gesundheit, das schon vor Beginn der Pandemie äußerst gravierend war, verschärft. Und das Schlimmste ist, dass sich die Vereinigten Staaten als unfähig erwiesen haben, diese Krise zu beenden. Der Vorrang wirtschaftlicher Interessen vor dem Schutz von Menschenleben hat die Umsetzung der Zero-Covid-Politik verhindert, die die Pandemie beenden könnte.

Die extremen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Widersprüche einer Gesellschaft, die von einer enormen Vermögens- und Einkommensungleichheit heimgesucht wird, kamen am 6. Januar 2021 endgültig zur Explosion. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat versucht, die Ergebnisse der Wahlen des Jahres 2020 zu unterdrücken, die Verfassung zu kippen und sich als autoritärer Diktator zu etablieren. Seit dem Bürgerkrieg stand das Überleben des amerikanischen politischen Systems nicht derart grundlegend infrage. Diejenigen, die entweder die Bedeutung des Ereignisses herunterspielen oder behaupten, die Krise sei überwunden, machen sich etwas vor. Biden selbst räumte am Jahrestag von Trumps versuchtem Staatsstreich ein, dass es keine Garantie dafür gebe, dass die amerikanische Demokratie am Ende dieses Jahrzehnts noch existieren wird.

Sollte es wirklich unplausibel sein, dass das Zusammenspiel dieser beiden Krisen bei der Herausbildung der amerikanischen Außenpolitik eine wichtige Rolle gespielt hat? Wäre es das erste Mal, dass eine Regierung eine internationale Krise beim Schopf packt und sogar heraufbeschwört, um die Aufmerksamkeit von unlösbaren innenpolitischen Problemen abzulenken?

Zum Abschluss dieses Schreibens muss ich noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, den ich bereits erwähnt habe, nämlich dass das Studium der sowjetischen Geschichte für ein Verständnis der gegenwärtigen Weltlage entscheidend ist. Inmitten des kapitalistischen Triumphgeheuls, das nach der Auflösung der Sowjetunion vorherrschte, wurde viel über das „Ende der Geschichte“ geredet. In der ehemaligen Sowjetunion war das Äquivalent dieser euphorischen Wahnvorstellungen der Glaube – insbesondere unter Intellektuellen und statusbewussten Fachleuten –, dass die Wiederherstellung des Kapitalismus Russland sagenhafte Reichtümer und eine blühende Demokratie bringen würde. Die unerfüllten Träume der Februarrevolution von 1917 würden verwirklicht werden. Die bürgerliche Provisorische Regierung, die in der Oktoberrevolution von den Bolschewiki gestürzt worden war, würde wiedergeboren werden. Jeder, der über Talent, Ehrgeiz und Beziehungen verfügte, werde entweder ein reicher Unternehmer oder zumindest Angehöriger einer neuen und wohlhabenden Mittelschicht werden können. Wo der Marxismus ein Minuszeichen gesetzt hatte, setzte der neugeborene Kleinbürger ein Pluszeichen.

Das zweite Element dieser Euphorie war, dass Russland – nachdem es seine revolutionären und utopischen Bestrebungen abgeschüttelt hatte – ein „normales“ Land sein würde, das liebevoll in die Gemeinschaft der westlichen Nationen aufgenommen würde. Verweise auf Lenins Schriften zum Imperialismus, ganz zu schweigen von denen Trotzkis, wurden mit Gelächter quittiert. Russland war endlich zur Vernunft gekommen, und niemand nahm den „Marxismus-Leninismus“ mehr ernst. Ich sollte hinzufügen, dass ich unter den ukrainischen Akademikern, die ich in Kiew getroffen habe, auf die gleichen Vorstellungen gestoßen bin.

Die großen Illusionen – über allgemeinen kapitalistischen Wohlstand, die Entfaltung von Demokratie und eine friedliche Integration in das von den Vereinigten Staaten dominierte Weltsystem – haben sich in jedem Fall zerschlagen.

Die wirtschaftliche „Schocktherapie“ und der Zusammenbruch von 1998 haben weite Teile der aufstrebenden Mittelschicht in den Ruin getrieben. Die Demokratie, von der die Mittelschicht träumte, brach mit der Bombardierung des russischen Parlaments im Oktober 1993 zusammen. Die kapitalistische Restauration brachte ein korruptes oligarchisches System mit massiver sozialer Ungleichheit hervor, das von einem semi-autoritären bonapartistischen Regime beherrscht wurde. Und schließlich sah sich Russland, anstatt friedlich in die Gemeinschaft der Nationen integriert zu werden, einem unerbittlichen militärischen und wirtschaftlichen Druck seitens seiner „westlichen Partner“ ausgesetzt. Die Versprechungen, die Russland bezüglich einer Nichterweiterung der Nato erhalten hatte, erwiesen sich als wertlos. Jeder Versuch Russlands, seine unabhängigen Interessen geltend zu machen, wurde mit Wirtschaftssanktionen und militärischen Drohungen beantwortet.

In Form der Ukraine-Krise steht Russland nun den tragischen und potenziell katastrophalen Folgen der Auflösung der Sowjetunion gegenüber. Putin versucht, diese Krise durch Maßnahmen zu überwinden, die durch und durch reaktionär und politisch bankrott sind – durch einen Krieg, der auf die Stärkung der Grenzen des russischen Nationalstaats abzielt. Es ist bezeichnend, dass Putin seine Kriegsrede damit begann, Lenin, die Oktoberrevolution und die Gründung der UdSSR anzuprangern. Ironischerweise liegt Putin mit seinem Hass auf den Marxismus und den Bolschewismus ganz auf einer Linie mit seinen Feinden in der Nato.

Putin weist die Außenpolitik der Sowjetunion zurück und versucht stattdessen, die Außenpolitik von Zar Nikolaus wieder aufleben zu lassen, wobei er um Unterstützung für „Mütterchen Russland“ aufruft. Auf der Grundlage dieser erbärmlich rückschrittlichen Politik hat er eine moderne Version des katastrophalen Russisch-Japanischen Krieges von 1904 geschaffen, der das Romanow-Regime auf fatale Weise unterminierte und Russland auf den Weg der Revolution brachte. Es gibt Grund zu der Annahme, dass dieser Krieg zu einem ähnlichen Ergebnis führen wird – doch es wird nicht die Art von Revolution sein, die die Biden-Regierung begrüßen würde. Die russische Arbeiterklasse ist eine gewaltige soziale Kraft mit einer außergewöhnlichen und historisch unvergleichlichen Tradition des revolutionären Kampfs. Jahrzehntelange politische Unterdrückung – deren kriminellster Ausdruck die physische Vernichtung der revolutionären marxistischen Intelligenz und der Avantgarde der Arbeiterklasse während des stalinistischen Terrors war – hat die Arbeiterklasse von dieser Tradition abgeschnitten. Doch die jetzige Krise vervollständigt die Diskreditierung des postsowjetischen Regimes und wird die Bedingungen für eine Erneuerung des sozialistischen Internationalismus in Russland schaffen.

Nicht nur in Russland haben sich die Illusionen aus der Zeit nach 1991 zerschlagen. In den Vereinigten Staaten und in allen kapitalistischen Ländern wird das Zusammentreffen sozialer, wirtschaftlicher und politischer Krisen zu einem Wiederaufleben des Widerstands gegen den Kapitalismus und die rücksichtslose Politik des Imperialismus führen – eine Politik, die die Welt an die Schwelle eines Atomkriegs gebracht hat. Natürlich gibt es keine Garantie für das Ergebnis, das ich vorhersage, doch ich kann keine andere fortschrittliche Lösung der sich verschärfenden Weltkrise sehen.

Es konnte nicht erwartet werden, dass im Rahmen des Webinars alle komplexen Fragen umfassend erörtert werden, die der Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine aufwirft. In dem Maße jedoch, in dem es die Diskussionen widerspiegelt, die derzeit an Hochschulen im ganzen Land geführt werden, versinnbildlicht es eine gefährlich unkritische und selbstgefällige Haltung gegenüber einer Krise, die sich zu einer Katastrophe zu entwickeln droht. Ich hoffe, dass die von der World Socialist Web Site vorgelegte Analyse seriöse Wissenschaftler ermutigen wird, sich gegen diese gefährliche Eskalation auszusprechen und alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um die öffentliche Meinung zu bereichern, indem sie der chauvinistischen Kriegspropaganda historisches Wissen entgegensetzen.

Ich hoffe, dass dieses Schreiben Deiner Bitte um meine Meinung zum Webinar mehr als gerecht wird.

Mit freundlichen Grüßen,

David North

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