NRW: Unbefristeter Streik an den Unikliniken weitet sich aus

Schon seit einer Woche weitet sich der Streik des Pflegepersonals an den Unikliniken Nordrhein-Westfalens immer weiter aus. Die Medien tun ihr Bestes, um den Streik vollkommen auszublenden.

Eine Urabstimmung hatte am 1. Mai die überwältigende Mehrheit von 98,3 Prozent für einen unbefristeten Streik ergeben, und schon am ersten Streiktag, dem Mittwoch den 4. Mai, waren fast 2.000 Pflegekräfte im Ausstand. Gestreikt wird an den Unikliniken Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster. Rund 70 Prozent aller OP-Kapazitäten stehen still, alle planbaren Eingriffe werden verschoben, und ganze Stationen sind geschlossen.

Protestierende Beschäftigte der Vivantes-Kliniken in Berlin (Foto WSWS)

Der Streik genießt die Unterstützung der breiten Bevölkerung, was sich am Samstag, dem 7. Mai an der Kundgebung vor dem Düsseldorfer Landtag zeigte. Nicht-streikende Pflegekräfte unterstützten die rund 2.500 demonstrierenden Streikenden, wie auch Familienangehörige und Passanten.

Eine Krankenschwester aus der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Essen schildert vom Podium ihre Bedingungen und sagt: „Wir können einfach nicht mehr. Wir kommen physisch und psychisch kaputt nach Hause – das muss endlich ein Ende haben.“ Die Slogans waren: „Heute ist kein Arbeitstag, heute ist Streiktag“, und: „Ausgebildet, ausgebrannt: Wir gehen in den Widerstand.“

In Aachen begann der Streik, obwohl die Klinikleitung die Vorschläge für eine Notdienstvereinbarung am Montag noch nicht akzeptiert hatte und stattdessen versuchte, die Azubis zum Streikbruch zu zwingen. Die Pflegeschüler erhielten persönliche Handy-Nachrichten mit der Drohung, dass jeder Streiktag für sie als Fehltag gezählt würde, wodurch ihre Abschlussprüfung gefährden sei.

Daraufhin zogen die Aachener Azubis, verstärkt von Auszubildenden aus anderen Kliniken, in einer Demonstration vor die Klinikverwaltung und skandierten: „Streikrecht ist für alle da, auch für uns am UKA [Uniklinikum Aachen].“ Sie forderten ihr verfassungsmäßiges Streikreicht. Auf Twitter wiesen Auszubildende auf ihre missliche Lage hin, da sie „ständig dorthin geschickt werden, wo es Löcher zu stopfen gibt“.

Im Zentrum des Streiks steht der akute Pflegenotstand, der vor allem durch einen krassen Personalmangel entstanden ist. Schon vor der Corona-Pandemie waren die Bedingungen in der Pflege unerträglich, und seither haben sie sich noch dramatisch verschärft. Die Ausbreitung der Omikron-Variante, die zu Unrecht als „mild“ bezeichnet wird, belastet die Krankenhäuser durch zusätzliche Personalausfälle und sorgt für anhaltend hohe Klinikeinweisungen. Damit werden die Behauptungen von Politikern und Medien, die Pandemie sei vorbei, in den Krankenhäusern täglich Lügen gestraft.

Unter dem Druck der großen Unzufriedenheit hatte die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi der Landesregierung im Frühjahr ein Ultimatum gestellt, dass bis zum 1. Mai ein „Tarifvertrag Entlastung“ vorliegen müsse, der die Mindestzahlen für Personal in den Kliniken zwingend festlegt. Als die Regierung in Düsseldorf das Ultimatum verstreichen ließ, sah Verdi sich gezwungen, die Urabstimmung einzuleiten.

Dabei hatte die CDU-geführte Regierung in Düsseldorf sich schon bereit erklärt, einen solchen „Entlastungs-Tarifvertrag“ einzuführen, und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach sich mehrmals dafür aus. Doch die Regierung versteckte sich dahinter, dass die Tarifgemeinschaft der Länder nicht zustimme. Sie schlägt vor, noch vor der Landtagswahl in NRW am kommenden Sonntag aus der Gemeinschaft der Länder auszutreten. Schon am Freitag sollen Verhandlungen mit Verdi stattfinden, wie der Streik beendet werden könne.

In Wirklichkeit sind weder die Landesregierung in Düsseldorf, noch die Ampel-Koalition in Berlin bereit, die Bedingungen der Pflegekräfte zu verbessern, im Gegenteil. Mit Beginn des Ukrainekriegs im Februar hat sich die Scholz-Regierung entschieden, die neue Lage für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr mit zusätzlichen 100 Milliarden Euro zu nutzen und schwere Waffen an die Ukraine zu liefern.

Von der arbeitenden Bevölkerung verlangt sie nicht nur, „Opfer zu bringen“ und die Härten zu ertragen, welche die Sanktionen, der Boykott von Öl- und Gaslieferungen und die Aufrüstung gegen Russland mit sich bringen, sondern auch, den Kriegskurs zu unterstützen. „Angst darf uns nicht lähmen“, forderte Bundeskanzler Olaf Scholz am letzten Sonntag in einer Kriegsrede im Fernsehen. Für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Krankenschwestern und Pfleger bleibt da kein Cent übrig.

Die Gewerkschaften, auch Verdi, werden benötigt, um den Kriegskurs gegen den Widerstand der Arbeiterklasse durchzusetzen. Das wurde auf dem DGB-Kongress vor wenigen Tagen deutlich, als die Delegierten den Reden von Olaf Scholz und dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier begeistert zujubelten. Beide SPD-Politiker rechtfertigten in ihren Reden das größte Aufrüstungsprogramm seit Hitler und forderten die Unterstützung der Gewerkschaft dafür ein.

Der Streik in NRW ist Bestandteil des wachsenden Widerstands der gesamten Arbeiterklasse. So gehen in dieser Woche auch Tausende Kita-Beschäftigte, Pädagogen und Sozialarbeiter in mehreren Bundesländern auf die Straße. Auch Industriearbeiter sind streikbereit und kämpfen gegen die Welle von Entlassungen, Kürzungen und den wachsenden Druck in den Betrieben, den die Sanktionen und der Energie-Boykott mit sich bringen.

Um einen Schritt vorwärts zu machen, müssen die Pflegekräfte – wie alle Arbeiter – ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Sie müssen sich in Aktionskomitees zusammenschließen, die unabhängig von Verdi handeln, und Kontakt zu anderen Arbeitern aufnehmen. Wie die IG Metall und alle Gewerkschaften ist Verdi eng mit der SPD, den Grünen und der Linkspartei verbunden, die überall da, wo sie Regierungsverantwortung haben, die Angriffe auf die Belegschaften verschärfen.

So sind die krassen Missstände, gegen welche die Pflegekräfte streiken, zu einem großen Teil auf die Politik der letzten rot-grünen Koalition zurückzuführen. Einige Krankenschwestern, die sich nicht mit einem Corona-Bonus abspeisen lassen wollten, schrieben auf ihre Plakate: „Die Fallpauschalen müssen weg!“

Es war aber die rot-grüne Regierung unter Schröder und Fischer, die diese Fallpauschalen einführte und die Privatisierung der Kliniken voranbrachte. Politiker wie Karl Lauterbach (SPD), der heutige Gesundheitsminister, waren daran beteiligt und sitzen heute in den Aufsichtsräten großer Klinikkonzerne, beispielsweise der Rhön-Kliniken.

Heute konzentriert Verdi alle Forderungen auf den „TV Entlastung“. Ein ähnlicher Tarifvertrag, der die Personalbesetzung auf den Stationen regeln sollte, wurde nach dem Pflegestreik im vergangenen November bei den Berliner Klinikkonzernen Charité und Vivantes vereinbart. Seither finden die Klinik-Geschäftsführungen und der Berliner Senat immer neue Schlupflöcher, um den TV Entlastung zu umgehen. Gerade gehen auch in Berlin die Pflegekräfte mit ihrem „Walk of Care“ in neue Warnstreiks, weil die Bedingungen auf den Stationen sich bisher nicht verbessert haben.

Mit der Forderung nach einem „TV Entlastung“ ist zudem verbunden, dass Verdi trotz der steigenden Inflation keine Lohnforderungen erhebt. Angeblich fordern die Pflegekräfte nur „bessere Bedingungen“, nicht jedoch mehr Geld. Es ist aber nicht einzusehen, warum ausgerechnet sie mit unzureichenden Löhnen für die Teuerung bluten sollten. Schließlich schrumpfen auch ihre Gehälter angesichts steigender Lebensmittel- und Benzinpreise, Gasrechnungen und Mieten.

In den Kliniken und Krankenhäusern stagnieren die Gehälter seit Jahren. Vor gut zwanzig Jahren war das Gehalt einer examinierten Krankenschwester deutlich besser als heute, und viele Pflegekräfte arbeiten infolge des massiven Stresses nur noch Teilzeit, was ihre Gehälter noch einmal schmälert. Die ambulanten Pflegekräfte stehen noch einmal schlechter da.

„Nicht der Streik, sondern der Normalzustand, gefährdet die Patienten“, sagte eine Krankenschwester dem WDR. Die Bedingungen seien so verheerend, dass eine vernünftige, sichere und zuverlässige Versorgung der Patienten nicht mehr möglich sei.

In den USA steht derzeit eine Krankenschwester vor Gericht, weil ihr ein Medikationsfehler unterlaufen war, der tragischerweise tödliche Konsequenzen hatte. Sie hatte den Fehler selbst aufgedeckt, wird jetzt jedoch auf Betreiben ihres Krankenhauses der fahrlässigen Tötung angeklagt. Die Socialist Equality Party (USA), die Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei, ist die einzige politische Kraft, die diese Krankenschwester verteidigt.

In der Erklärung der SEP heißt es dazu auf der WSWS, die Krankenschwester RaDonda Vaught werde zum Sündenbock für die schweren Fehler im Gesundheitssystem gemacht, die sich an Krankenhäusern im ganzen Land zeigten. „Aufgrund von Personalmangel und anderen Problemen kommt es häufig zu medizinischen Fehlern, und oft werden falsche Medikamente verabreicht“, heißt es dort. „Es ist abscheulich, Krankenschwestern, die sich der Rettung von Leben verschrieben haben, für Fehler verantwortlich zu machen, die das Gesundheitssystem selbst hervorbringt.“

In der Arbeiterklasse in jedem Land wächst der Widerstand gegen derartige permanente Überlastung, schlechte Bezahlung und unzumutbare, gesundheitsschädigende Arbeitsbedingungen. Die Sozialistische Gleichheitspartei gibt diesem Kampf eine politische Perspektive. Sie deckt den Zusammenhang zwischen dem Kriegskurs der Ampel-Koalition und den Sparmaßnahmen im öffentlichen Dienst auf.

Am 24. Mai wird die SGP eine Online-Versammlung unter dem Motto „Kein dritter Weltkrieg! Milliarden für Gesundheit und Arbeit statt für Rüstung und Krieg!“ durchführen.

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