Streik der Hafenarbeiter an sechs deutschen Seehäfen

Mit Beginn der Frühschicht streikten gestern Tausende Hafenarbeiter an Deutschlands großen Seehäfen. Betroffen waren die Häfen Hamburg, Emden, Bremerhaven, Bremen, Brake und Wilhelmshaven.

Es war bereits der zweite 24-stündige Warnstreik in der laufenden Tarifverhandlung. Zuvor hatten die etwa 12.000 Hafenarbeiter bereits am 9. Juni die Arbeit befristet niedergelegt. Die Arbeiter sind nicht bereit, das Lohndiktat des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) zu akzeptieren, und fordern angesichts rapider Preissteigerungen einen angemessenen Inflationsausgleich.

Container-Terminal im Hamburger Hafen (Alexander Hoernigk, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Die Gewerkschaft Verdi führt die Verhandlungen in den 58 tarifgebundenen Hafenbetrieben in Hamburg, Niedersachsen und Bremen. Die Forderungen von Verdi sind sehr begrenzt. Sie umfassen eine Erhöhung der Stundenlöhne um 1,20 Euro sowie in Vollcontainerbetrieben eine Erhöhung der jährlichen Zulage um 1200 Euro. Weil beides nicht einmal die horrende Inflation ausgleichen würde, hat die Gewerkschaft noch einen nicht näher bezifferten „tatsächlichen Inflationsausgleich“ gefordert.

Tatsächlich werden selbst diese minimalen Forderungen, die den Lohnraub durch die Preissteigerung nicht ausgleichen, von Verdi nicht durchgesetzt werden. Die Gewerkschaft sucht händeringend nach einem Deal mit den Unternehmern, doch diese sind nicht einmal bereit, kosmetische Zugeständnisse zu machen.

Der Arbeitgeberverband der Hafenbetreiber legte nach langem Zögern ein Angebot vor, das eine massive Reallohnsenkung bedeutete. Die Tariflöhne sollten für dieses Jahr um 3,2 Prozent sowie im kommenden Jahr um nur 2,8 Prozent steigen. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 600 Euro. Dies entspreche „im Zusammenwirken mit dem Entlastungspaket der Bundesregierung“ einem Inflationsausgleich, erklärte der Arbeitgeberverband provokativ in einem Statement.

Als die Verhandlungskommission das Angebot als nicht verhandlungsfähig ablehnte und Streikmaßnahmen ankündigte, weil sie die Wut der Arbeiter fürchtete, reagierte der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) wütend. „Wir befinden uns mitten in einer absoluten Ausnahmesituation“, so ZDS-Verhandlungsführerin Ulrike Riedl in einer schriftlichen Stellungsnahme.

Die weltweiten Lieferketten seien stark gestört. Von der einen Seite komme eine große Welle verspäteter Schiffe auf die Häfen zu, auf der anderen Seite gäbe es große Engpässe im Güterverkehr der Bahn, was den Weitertransport verzögere und zusätzliche Lagerkosten hervorrufe. Jetzt zu Warnstreiks aufzurufen, sei absolut verantwortungslos, so Riedl.

Auch das Kieler Instituts für Welthandel (IfW) warnte vor den Auswirkungen eines Hafenstreiks und machte auf die anhaltende Störungen in der Containerschifffahrt in der Nordsee aufmerksam.

Der internationale Handel leide stark unter den Staus und Verzögerungen der Containerschifffahrt, die nun auch die Nordsee erreichten, erklärte Vincent Stamer, Leiter Kiel Trade Indicator, in der aktuellen Ausgabe des Welthandelsindikators.

Containerschiffe stauen sich demnach auch in der Nordsee vor den Häfen Deutschlands, Hollands und Belgiens. Hier stecken laut dem IfW aktuell knapp zwei Prozent der globalen Frachtkapazität fest und können weder be- noch entladen werden. Allein in der deutschen Bucht warteten etwa ein Dutzend große Containerschiffe mit einer Kapazität von insgesamt etwa 150.000 Standardcontainern auf das Anlaufen in Hamburg oder Bremerhaven, heißt es in einer Pressemitteilung.

Doch die Hafenarbeiter ließen sich nicht einschüchtern und hielten an ihrer Forderung nach einem Inflationsausgleich und einer Erhöhung der Reallöhne fest.

Daraufhin legte die Arbeitgeberseite ein neues „finales“ Angebot vor, das die Verdi-Forderung von einer Anhebung der Stundenlöhne um 1,20 Euro beinhaltete. Im Bereich der Auto-Verschiffung, dem sogenannten „Autoumschlag“, wo viele Billiglöhner beschäftigt sind, soll der Stundenlohn nur um 90 Cent steigen. Der geforderten Anhebung der Zulage um 1200 Euro wurde zugestimmt, und als Inflationsausgleich soll es in Vollcontainer-Betrieben eine Einmalzahlung in Höhe von 1000 Euro und in konventionellen in Höhe von 500 Euro geben. Gleichzeitig wurde aber die Laufzeit um 6 Monate verlängert.

Die Verhandlungskommission wies nach, dass in der Gesamtberechnung das neue Angebot eine reine Mogelpackung war und bei einer Laufzeit von 18 Monaten eine Verschlechterung gegenüber dem ersten Angebots bedeutete.

Daraufhin fand der zweite Warnstreik statt, an dem sich gestern noch mehr Arbeiter beteiligten und in Protestdemonstrationen durch Hamburg, Bremen und andere Hafenstädte zogen.

Es ist mehrere Jahrzehnte her, dass Hafenarbeiter in Deutschland in Streik traten. Bisher hat Verdi und davor die ÖTV immer einen Kompromiss ausgehandelt und auch dann durchgesetzt, wenn damit Reallohnverluste und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen verbunden waren. Das hat dazu geführt, dass für die harte und oft gefährliche Arbeit bei der Verladung von Groß-Containern und das Fahren von Containerbrücken nur Stundenlöhne zwischen 14 und 20 Euro bezahlt werden.

Auch jetzt versucht Verdi, schnellstmöglich eine Einigung zu finden.

Arbeiter müssen auf der Hut sein und sich unabhängig von Verdi in Aktionskomitees organisieren, um den Streik auszuweiten und ihre Interessen durchzusetzen.

Verdi ist mit den Regierungsparteien SPD und Grüne eng verbunden und unterstützt die Regierungspolitik, die darauf ausgerichtet ist, durch massive Preissteigerungen und Senkung des Lebensstandards die Kosten für die Milliardengeschenke an die Konzerne und die militärische Aufrüstung der Arbeiterklasse aufzubürden.

Verdi hat in anderen Bereichen, wie der Druckindustrie, dem Versicherungsgewerbe, privatem Bankgewerbe und bei Tageszeitungen bereits Tarifverträge unterzeichnet, die noch weit unter dem liegen, was die Hafen-Arbeitgeber angeboten haben. Die meisten dieser Verdi-Tarifabschlüsse laufen über zwei Jahre und setzen sich aus einer oder zwei Einmalzahlungen von 500 Euro und jährlichen Tariferhöhungen von 1,5 bis 3 Prozent zusammen. Einen tatsächlich Inflationsausgleich lehnt Verdi genauso ab, wie die IG Metall.

Dabei ist die tatsächliche Inflation viel höher als der Index. Denn vor allem die Preise für Lebensmittel, Heizung, Mieten und Energie, die untere und mittlere Einkommen besonders stark belasten, sind um ein Mehrfaches gestiegen, als die offizielle Inflationsrate. Die Weltbank geht in diesem Jahr von einem Anstieg der internationalen Lebensmittelpreise um 22,9 Prozent aus. Für viele Arbeiterinnen, Arbeiter und ihre Familien ist dies existenzbedrohend. Sie sind schlicht nicht mehr in der Lage, mit ihrem Monatsgehalt über die Runden zu kommen.

Dazu kommen unerträglicher Arbeitsstress, drohender Arbeitsplatzverlust und die Folgen der rücksichtslosen Corona-Politik, die allein in Deutschland 140.000 Todesopfer gefordert und 3,6 Millionen infiziert hat, von denen jeder Zehnte an Langzeitfolgen leidet.

Auf der anderen Seite steigen in vielen Konzernen die Profite ins Unermessliche. Auch die deutschen Dax-Konzerne erzielten neue Gewinnrekorde. Im ersten Quartal 2022 lagen ihre Profite um 21 Prozent höher als im selben Quartal des Vorjahres. Auch die großen Containerreedereien nutzen die Krise für massive Profite. Weil die Nachfrage nach Überseetransporten das Angebot an verfügbarer Schiffskapazität übersteigt, werden die Frachtraten in die Höhe getrieben. Trotzdem sollen die Arbeiter bluten.

Überall auf der Welt kommen Arbeiter zum Schluss, dass sie kämpfen müssen, wenn sie ihre Rechte und Errungenschaften verteidigen wollen. Die Zahl der Streiks und Proteste hat weltweit deutlich zugenommen – von den USA über Europa und Asien bis nach Afrika. In dieser Woche streiken 50.000 Bahnarbeiter in Großbritannien.

Die Hafenarbeiter müssen ihren Lohnkampf als Teil dieser internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse verstehen, und sie müssen sich den Fragen zuwenden, mit denen Arbeiter heute überall auf der Welt konfrontiert sind.

Jeder erfolgreiche Kampf erfordert erstens einen Bruch mit den Gewerkschaften, die trotz ihrer teils radikalen Worte uneingeschränkt auf der Gegenseite stehen. Es müssen unabhängige Aktionskomitees aufgebaut werden, die den Kampf für höhere Löhne und den Ausgleich der Lebenshaltungskosten organisieren.

Zweitens kann kein Kampf im Rahmen eines Unternehmens oder Landes gewonnen werden. Arbeiter müssen sich über alle Betriebe, Branchen und Länder hinweg zusammenschließen, um ihre volle Kampfkraft zu entfalten.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat vor einem Jahr die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ins Leben gerufen, um diesen Kämpfen eine organisatorische Form und eine politische Orientierung zu geben.

„Damit sich die Arbeiterklasse zur Wehr setzen kann, muss ein Weg geschaffen werden, um ihre Kämpfe in verschiedenen Fabriken, Branchen und Ländern in Opposition zur herrschenden Klasse und den korporatistischen Gewerkschaften zu koordinieren,“ heißt es im Gründungsaufruf. „Die IWA-RFC wird sich dafür einsetzen, einen Rahmen für neue Formen unabhängiger und demokratischer Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene zu schaffen.“

Das ist heute für jeden Streik und Arbeitskampf von größter Bedeutung.

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