Pentagon-Sprecher weigert sich, ukrainischen Angriff auf die russische Brücke von Kertsch „auszuschließen“

Als die Biden-Regierung im Mai ankündigte, sie würde der Ukraine Lenkraketenwerfer mit mittlerer Reichweite liefern, betonte sie noch, die Waffen würden nicht für Angriffe auf russisches Staatsgebiet eingesetzt werden.

Biden erklärte damals: „Wir werden der Ukraine keine Raketensysteme liefern, mit denen sie Ziele in Russland angreifen kann.“ Später fügte er in einer Kolumne in der New York Times, in der er die Lieferung von HIMARS-Raketenwerfern an die Ukraine ankündigte, hinzu: „Wir ermutigen die Ukraine nicht und ermöglichen es ihr nicht, Ziele jenseits ihrer Grenzen anzugreifen.“

Am Freitag erklärte ein Sprecher des Pentagon jedoch, die USA würden die Ukraine nicht davon abhalten, US-Waffen für Angriffe auf Gebiete einzusetzen, die von Russland beansprucht werden.

Auf die Frage eines Reporters, ob bei dem Einsatz der von den USA gelieferten Waffen irgendetwas ausgeschlossen sei und ob die Brücke von Kertsch im Schwarzen Meer als „potenzielles Ziel ausgeschlossen“ sei, erklärte der Sprecher: „Mir sind keine Einschränkungen für die Ukrainer bekannt, die auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet gegen Russland kämpfen.“

Die Brücke von Kertsch wurde in den Jahren 2015–2018 von Russland gebaut und stellt die wichtigste Verbindung zwischen Russland und der Halbinsel Krim dar, die Russland nach dem von den USA und der EU unterstützten Putsch in Kiew 2014 annektiert hat. Die Behauptung des Pentagon-Sprechers, die Brücke sei „souveränes Staatsgebiet“ der Ukraine, ist ein weiterer Ausdruck dafür, dass die USA das ukrainische Ziel unterstützen, die Krim mit militärischen Mitteln zurückzuerobern. Im Jahr 2021 hatte die Ukraine eine Militärstrategie verabschiedet, in der sie dieses Ziel offen erklärte.

Die Äußerungen des Pentagon-Sprechers können in Kiew nur als grünes Licht verstanden werden, die Brücke von Kertsch anzugreifen, und bedeuten eine erhebliche Provokation. Nur einen Tag zuvor hatte der ehemalige Oberbefehlshaber der Nato-Truppen in Europa, Philip Breedlove, erklärt: „Die Brücke von Kertsch ist ein legitimes Ziel.“

In einem Interview mit dem britischen Independent erklärte Breedlove: „Ich habe mit mehreren Personen gesprochen, die gesagt haben, es wäre ein schwerer Schlag für Russland, wenn die Krim-Brücke zerstört würde. Sie ist ein legitimes Ziel.“

Breedlove fuhr fort: „Aber wenn sie die Brücke zerstören wollen, würde das einen beherzteren Bombenangriff erfordern.“

Er fügte hinzu: „Ich höre, dass viele Leute fragen, ob es richtig ist, dass die Ukraine so aggressiv vorgeht, und ob der Westen das unterstützen sollte, aber dieses Argument kann ich nicht verstehen.“

Breedlove deutete an, dass bei einem solchen Angriff auf russisches Staatsgebiet die US-amerikanischen Harpoon-Raketen zum Einsatz kommen könnten, die zwar hauptsächlich als Seezielflugkörper bekannt sind, aber auch Landziele angreifen können.

Die Pentagon-Mitteilungen vom Freitag, über die in der Presse kaum berichtet wurde, gingen auch in schockierend unverblümter Sprache darauf ein, in welchem Ausmaß die USA systematisch daran gearbeitet haben, ihre Stellvertreter in der Ukraine über Jahre hinweg auf einen Krieg gegen Russland vorzubereiten.

Die USA haben erstmals im Jahr 2015 – ja, im Jahr 2015 – ein Ausbildungsprogramm für die Ukraine ins Leben gerufen, um der Ukraine zu helfen, ihre Fähigkeiten zur Bemannung, Ausbildung, Ausrüstung, zum Einsatz und zum Erhalt von Kampftruppen aufzubauen. Dieser Hintergrund ist wichtig, wenn man verstehen will, warum die Ukraine zu Beginn des Kriegs in der Lage war, gegen größere und fähigere russische Streitkräfte zu bestehen, wendig zu bleiben, Untergebene zu befähigen, beträchtliche Erfolge zu erzielen und bereits mit bestimmten Ressourcen ausgestattet war, die ihnen die USA und andere Länder zur Verfügung gestellt haben – vor allem, aber nicht nur, Javelin-Raketen. Deshalb ist Russland im Februar gegen ein viel fähigeres Militär in den Kampf gezogen, als es das erwartet hatte und es ihm im Jahr 2014 gegenüberstand.

Der Pentagon-Sprecher fügte hinzu:

Und was wir gesehen haben, als die Ukraine den ersten Angriff erfolgreich abgewehrt hat, war das Ergebnis von jahrelanger Ausbildung, Ausrüstung und Beratung und der massiven Lieferung von entscheidenden Ressourcen wie 11.000 Panzerabwehr- und fast 1.500 Flugabwehrwaffen allein in den ersten Wochen sowie des wichtigen Austauschs nachrichtendienstlicher Erkenntnisse. Diese haben es den ukrainischen Streitkräften ermöglicht, Kiew erfolgreich zu verteidigen, die Russen zum Rückzug zu zwingen und ihre Kriegsziele und Vorgehensweise zu überdenken.

Der Pentagon-Sprecher machte deutlich, dass die USA die Ukraine nicht nur über Jahre hinweg bewaffnet haben, sondern sich auch in der Zukunft noch jahrelang an dem Krieg beteiligen werden. Er erklärte, die USA würden „über die Bedürfnisse der Ukraine für die kommenden Monate und Jahre nachdenken“.

Gleichzeitig wurden weitere Waffenverkäufe an die Ukraine im Wert von 400 Millionen Dollar angekündigt, darunter vier weitere HIMARS-Raketenwerfer mit mittlerer Reichweite, was die Gesamtzahl dieser Waffensysteme auf zwölf erhöht.

Diese Erklärungen wurden vor dem Hintergrund des G20-Gipfels abgegeben, auf dem die USA alle bilateralen Gespräche über ein Ende des Krieges kategorisch ausgeschlossen haben.

Der Sprecher des US-Außenministeriums schloss kategorisch aus, dass sich Außenminister Antony Blinken mit seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow treffen würde und erklärte: „Wir würden von den Russen gerne einen Grund geliefert bekommen, uns auf bilateraler Basis mit ihnen zu treffen... Aber das einzige, was von Moskau kam, war mehr Brutalität und Aggression gegen die Ukraine und ihre Bevölkerung.“

Wie in jedem Krieg werden die Ziele der Kriegsparteien mit der Zeit immer deutlicher. Trotz der von den USA als „taktisch“ bezeichneten Rückschläge wollen die Vereinigten Staaten die Ukraine mit noch mehr Waffen und Truppen überschwemmen, um Russland auszubluten und es der Ukraine zu ermöglichen, irgendwann eine Gegenoffensive zu starten, bei der die Krim ein zentrales Ziel darstellen würde. Wenn es nach der herrschenden Klasse geht, wird dieser Krieg, der bereits zehntausende Todesopfer gefordert hat, in den Worten von Joe Biden so lange dauern, „wie es nötig ist“, um diese Ziele zu erreichen.

Schwere Angriffe auf russisches Staatsgebiet wie die Zerstörung der Brücke von Kertsch würden eine qualitative Eskalation des Krieges bedeuten. Welche enormen Gefahren ein derartiges Vorgehen birgt, wurde in einem Anfang des Jahres von der Financial Times veröffentlichten Kolumne von Malcolm Chambers deutlich. Sie trug den Titel: „Die Krim könnte Putins Kipppunkt in einem atomaren Feiglingsspiel [‚Game of Chicken‘] sein.“

Solange kein Waffenstillstand besteht... werden die ukrainischen Streitkräfte zu verhindern bestrebt sein, dass die Krim ein Zufluchtsort wird, von dem aus der Kreml seine Streitkräfte im Rest der Ukraine versorgen kann... Die Brücke von Kertsch könnte zu einem verlockenden Ziel werden.

Wenn Angriffe auf diese Ziele als Vorbereitung einer umfassenden Invasion der Krim angesehen werden, könnten sie die Gefahr einer nuklearen Eskalation erhöhen. Das ist eines der beunruhigendsten Szenarien. Putin hat in den Monaten vor Kriegsbeginn sehr angestrengt auf diese Gefahr hingewiesen.

Putins leere atomare Drohungen haben in den letzten Monaten zunehmend an Wirkung verloren. Um wieder glaubwürdig zu werden, müsste Russland deutlich machen, dass eine Invasion der Krim eine rote Linie darstellt. Angesichts eines möglichen Verlustes der Krim könnte Putin das als ein lohnendes Risiko betrachten, wenn er glaubt, dass die Ukraine (mit Ermutigung durch den Westen) als erstes nachgeben würde. Das wäre ein extrem gefährlicher Moment.

Wie Chambers deutlich macht, würde ein Angriff auf die Brücke von Kertsch die Wahrscheinlichkeit einer Eskalation des Kriegs zu einem atomaren Showdown mit unabsehbaren Folgen deutlich erhöhen. Dass sich das Pentagon öffentlich weigert, eine derartige Aktion auszuschließen, verdeutlicht die völlige Rücksichtslosigkeit und Verzweiflung der US-amerikanischen Politiker.

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