Scholz’ Rede in Prag: Militarisierung Europas unter deutscher Führung

Deutschland verschärft gezielt den Krieg in der Ukraine, um Europa unter seiner Vorherrschaft zusammenzuschweißen und zur militärischen Weltmacht aufzurüsten. Das ist die Kernaussage der europapolitischen Grundsatzrede, die Bundeskanzler Olaf Scholz am gestrigen Montag in der Prager Karls-Universität hielt.

Bundeskanzler Scholz bei der Ankunft in der Prager Karls-Universität [AP Photo/Petr David Josek]

Scholz hielt sich in der Kulisse der ehrwürdigen, 1348 gegründeten Universität nur kurz mit den üblichen Floskeln über Frieden, Freiheit und Demokratie auf, die die Europäische Union angeblich verkörpert. Dann kam er zur Sache.

„Zu Recht haben viele in den vergangenen Jahren nach einer stärkeren, souveräneren, geopolitischen Europäischen Union gerufen,“ sagte er. „Nach einer Union, die ihren Platz in der Geschichte und Geographie des Kontinents kennt und stark und geschlossen in der Welt handelt. Die historischen Entscheidungen der vergangenen Monate haben uns diesem Ziel nähergebracht.“

Mit den „historischen Entscheidungen“ meinte Scholz die „Entschlossenheit und Geschwindigkeit“, mit der die EU Sanktionen gegen Russland verhängt hat und auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führt. Er ließ noch nicht einmal den Gedanken aufkommen, die deutsche Regierung oder die EU könnten an einem Waffenstillstand oder einer Verhandlungslösung interessiert sein.

Stattdessen brüstete er sich mit der wirtschaftlichen, finanziellen, politischen und vor allem militärischen Unterstützung – „hier hat Deutschland in den letzten Monaten grundlegend umgesteuert“ – die man der Ukraine leiste. „Wir werden diese Unterstützung aufrechterhalten, verlässlich und vor allem: so lange wie nötig!“

In den nächsten Wochen und Monaten erhalte die Ukraine von Deutschland „neue, hochmoderne Waffen – Luftverteidigungs- und Radarsysteme etwa, oder Aufklärungsdrohnen“. Allein das letzte Paket an Waffenlieferungen habe einen Wert von über 600 Millionen Euro. „Unser Ziel sind moderne ukrainische Streitkräfte, die ihr Land dauerhaft verteidigen können.“ Er könne sich vorstellen, „dass Deutschland besondere Verantwortung beim Aufbau der ukrainischen Artillerie und Luftverteidigung übernimmt“.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte der Ukraine bereits am Sonntag zugesichert, sie noch jahrelang mit schweren Waffen zu unterstützen. Man müsse sich „darauf einstellen, dass dieser Krieg noch Jahre dauern könnte,“ sagte sie der Bild am Sonntag. Sie stellte sich wie Scholz ausdrücklich hinter das Ziel, die Halbinsel Krim militärisch zurückzuerobern und der Atommacht Russland somit eine vollständige militärische Niederlage beizubringen.

Die deutsche Regierung hatte bereits 2014 den rechten Putsch in der Ukraine unterstützt, der ein pro-westliches Marionettenregime an die Macht brachte und den Keim für den gegenwärtigen Krieg legte. Doch sie zögerte lange, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland völlig abzubrechen, das Deutschland seit Sowjetzeiten mit billiger und sicherer Energie versorgt hatte.

Das hat sich gründlich geändert. Deutschland ist nach den USA die treibende Kraft im Stellvertreterkrieg gegen Russland. Um Russland aufzubrechen und sich seine Bodenschätze einzuverleiben, ist die Regierung bereit, die eigene Bevölkerung frieren und die Inflation ins Uferlose steigen zu lassen und riskiert einen atomaren Weltkrieg.

Bereits drei Tage nach Kriegsausbruch hatte Scholz im Bundestag eine „Zeitenwende“, massive Waffenlieferungen an die Ukraine und eine Verdreifachung des Rüstungshaushalts verkündet, um Deutschland wieder zur führenden Militärmacht Europas zu machen. Seine Prager Rede knüpfte direkt an diese „Zeitenwende“-Rede an. Die Forderung nach einem „weltpolitikfähigen, geopolitischen Europa“, das „seine Werte und Interessen weltweit durchsetzen“ kann, zieht sich wie ein Leitmotiv durch den einstündigen Text.

„In einer Welt mit acht, künftig wohl mit zehn Milliarden Menschen, ist jeder einzelne unserer europäischen Nationalstaaten für sich genommen viel zu klein, um allein seine Interessen und Werte durchzusetzen. Umso wichtiger ist für uns eine geschlossen handelnde Europäische Union,“ betonte Scholz.

Er hütete sich zwar, ein kritisches Wort über die USA zu äußern, und lobte den „unverzichtbaren Wert der transatlantischen Partnerschaft“. Trotzdem machte er deutlich, dass sich die geopolitischen Ambitionen Deutschlands auch gegen die USA richten.

Es sei „ein Glück für uns alle“, dass „heute mit Präsident Biden ein überzeugter Transatlantiker im Weißen Haus sitzt“, sagte er. Doch bei allem, was Biden für die Partnerschaft getan habe, „wissen wir zugleich, dass sich der Blick Washingtons stärker auch auf den Wettbewerb mit China richtet und auf den asiatisch-pazifischen Raum. Das wird für künftige amerikanische Regierungen ebenso gelten – vielleicht sogar noch mehr.“

In der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts reiche es „daher nicht, nur bestehende Partnerschaften zu pflegen, so wertvoll sie sind. Wir werden in neue Partnerschaften investieren – in Asien, Afrika und Lateinamerika.“ Auch gegenüber China müsse das geeinte Europa „sein Gewicht noch viel stärker zur Geltung bringen“.

Um die EU entsprechend zu stärken, befürwortet Scholz ihre weitere Expansion nach Osten: „Dass die EU weiter nach Osten wächst, ist für uns alle ein Gewinn!“ Neben den Staaten des Westbalkans, der Ukraine und Moldau will er „perspektivisch“ auch Georgien in die EU aufnehmen. Die EU würde damit von derzeit 27 auf bis zu 36 Mitglieder wachsen.

Scholz verspricht sich davon auch eine Stärkung der Position Deutschlands in Europa. „Deutschland, als Land in der Mitte des Kontinents, wird alles dafür tun, Ost und West, Nord und Süd in Europa zusammenzuführen.“

Um die EU schlagkräftiger zu machen und Deutschlands Führungsrolle zu stärken, will Scholz ihre Institutionen zentralisieren und kleinere Mitglieder weitgehend entmündigen. Im Rat der EU, in dem die Regierungschefs oder Fachminister der einzelnen Länder vertreten sind, soll das Einstimmigkeitsprinzip sukzessive durch das Mehrheitsprinzip abgelöst werden, damit einzelne Mitglieder kein Veto mehr einlegen können.

Das Europaparlament will Scholz verkleinern, und zwar „unter Beachtung des demokratischen Prinzips, wonach jede Wählerstimme in etwa das gleiche Gewicht haben sollte“. Bisher wurden kleinere Länder bevorzugt und stellten deutlich mehr Abgeordnete im Verhältnis zur Einwohnerzahl als große.

Mit einem ambitionierten Technologie- und Wirtschaftsförderungsprogramm soll sich Europa „an die Weltspitze zurückkämpfen“ und in den Handelskrieg gegen China und die USA ziehen. Als zentrale Felder nannte Scholz die Produktion von Chips und Halbleitern, die Mobilität der Zukunft und die „ökologische und digitale Transformation unserer Wirtschaft“.

Auch den Weltraum will Scholz einbeziehen: „Ein unabhängiger Zugang zum All, moderne Satelliten und Megakonstellationen – das ist nicht nur für unsere Sicherheit entscheidend, sondern auch für den Umweltschutz, die Landwirtschaft und nicht zuletzt für die Digitalisierung.“

Um diese Pläne umzusetzen, will Scholz die EU unter deutscher Führung zu einer militärischen Weltmacht aufrüsten, die auf der ganzen Welt Kriege führen kann. „Auf das zurückliegende unkoordinierte Schrumpfen europäischer Armeen und Verteidigungsbudgets sollte jetzt ein koordinierter Aufwuchs europäischer Fähigkeiten folgen,“ erklärte er.

Neben gemeinsamen Rüstungsvorhaben, der Vereinheitlichung europäischer Verteidigungsstrukturen und einem gut ausgestatteten militärischen EU-Hauptquartier will er die Entscheidungsprozesse beschleunigen und für Militäreinsätze „Koalitionen der Entschlossenen“ aus einzelnen Mitgliedstaaten bilden.

Deutschland werde auch „dafür sorgen, dass die geplante schnelle Eingreiftruppe der EU 2025 einsatzfähig ist – und dann auch deren Kern stellen“, versprach Scholz. Beschlossen sei schon, dass Deutschland Litauen mit einer schnell einsatzbereiten Brigade und die Slowakei bei der Luftverteidigung unterstütze sowie Tschechien und andere Länder für die Abgabe sowjetischer Panzer an die Ukraine mit Panzern deutscher Bauart kompensiere.

Erheblichen Nachholbedarf habe Europa bei der Abwehr von Bedrohungen aus der Luft und aus dem Weltraum. Daher werde Deutschland ganz erheblich in die Luftverteidigung investieren und diese so ausgestalten, dass sich daran auch europäische Nachbarn beteiligen können. Ein gemeinsam aufgebautes Luftverteidigungssystem in Europa sei „ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa“.

Dass die Bundesregierung ihr Europaprogramm auf die Perspektive eines langen Kriegs gegen Russland stützt, der in der Ukraine täglich hunderte Todesopfer kostet, den Lebensstandard der europäischen Arbeiterklasse ruiniert und zum Atomkrieg zu eskalieren droht, zeigt allein schon dessen reaktionären Charakter. Die Bundesregierung kehrt damit zu den schlimmsten Traditionen des deutschen Imperialismus zurück und wird dabei von allen im Bundestag vertretenen Parteien unterstützt.

Das kapitalistische Deutschland entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts die fortgeschrittenste Industrie Europas, aber zu einem Zeitpunkt, als die Welt bereits unter seinen kapitalistischen Rivalen aufgeteilt war. Mit dem Ersten Weltkrieg versuchte es das zu ändern und die Welt neu aufzuteilen. Die Kontrolle über Osteuropa – oder „Mitteleuropa“, wie es damals genannt wurde – einschließlich der Ukraine gehörte zu den zentralen deutschen Kriegszielen.

Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg unternahm Hitler 20 Jahre später einen weiteren Versuch, die Welt im deutschen Interesse neu aufzuteilen. „Das vereinigte Deutschland in eine Basis für die Herrschaft in Europa und das so vereinigte Europa in eine Basis für den Kampf um die Weltherrschaft umzuwandeln mit dem Ziel, Amerika zurückzudrängen,“ bleibe unverändert Hitlers Aufgabe, schrieb Leo Trotzki im Dezember 1939, kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs.

Scholz’ Europastrategie folgt demselben Muster. Sein Versuch, die EU den deutschen Interessen unterzuordnen und in eine Basis für den Kampf um die Weltherrschaft umzuwandeln, wird ebenso unweigerlich in eine Katastrophe münden. Er wird nicht nur zu heftigen Konflikten zwischen den europäischen Mächten führen, sondern auch den Klassenkampf verschärfen.

Und hier liegt die Antwort auf die Kriegsgefahr. Die Arbeiterklasse muss den Kampf zur Verteidigung ihrer sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte mit dem Kampf gegen Krieg und Militarismus verbinden. Sie muss die Europäische Union, ein Werkzeug der imperialistischen Mächte Europa, zurückweisen und sich für Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa einsetzen – für ein vereintes sozialistisches Europa, in dem die gesellschaftlichen Interessen dominieren, und nicht die Profitinteressen der Kapitalisten.

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