Militarisierung nach innen: Bundeswehr stellt neues Territoriales Führungskommando auf

Der Militarismus ist aber nicht nur Wehr und Waffe gegen den äußeren Feind, seiner harrt eine zweite Aufgabe, die mit der schärferen Zuspitzung der Klassengegensätze und mit dem Anwachsen des proletarischen Klassenbewusstseins immer näher in den Vordergrund rückt, die äußere Form des Militarismus und seinen inneren Charakter mehr und mehr bestimmend: die Aufgabe des Schutzes der herrschenden Gesellschaftsordnung, einer Stütze des Kapitalismus und aller Reaktion gegenüber dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse. (Karl Liebknecht, „Militarismus und Anti-Militarismus“, 1907)

Der deutsche Militarismus nimmt auch im Innern immer gefährlichere Ausmaße an. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit nahm am 1. Oktober das neu aufgestellte Territoriale Führungskommando der Bundeswehr (TerrFüKdoBw) seine Arbeit auf.

Bundesverteidigungsminister Christine Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn stellen das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr auf [Photo by Stubenviech/wikimedia / CC BY-SA 4.0]

Das von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn in Dienst gestellte Kommando ist Bestandteil der umfassenden Kriegsoffensive, die Deutschland nach zwei katastrophalen Weltkriegen im 20. Jahrhundert wieder zu einer führenden Militärmacht machen soll. Es hat vor allem zwei Aufgaben: Es führt und koordiniert sämtliche Einsätze der Bundeswehr innerhalb Deutschlands, und es dient der Mobilisierung von Truppen für Kriegseinsätze – ganz unmittelbar für die Nato-Offensive gegen Russland.

Sitz des Kommandos ist die Julius-Leber-Kaserne Berlin. Laut dem Tagesbefehl von Lambrecht und Zorn, der bereits am 13. Juni erging, ist das TerrFüKdoBw „für die operative Führung nationaler Kräfte im Rahmen des Heimatschutzes, einschließlich der Amts- und Katastrophenhilfe sowie der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit“ verantwortlich. Gleichzeitig übernimmt es „die Aufgaben als ‚Aufmarsch führendes Kommando‘ für nationale Verlegungen gemäß den Planungen der NATO im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung wahr“.

Dem Kommando sind neben der sogenannten Territorialen Reserve im Heimatschutzauftrag und der zugeordneten Ausbildungsorganisation die folgenden Einheiten unterstellt: das Multinationale Kommando Operative Führung, das Multinational Civil-Military Cooperation Command (MN CIMIC Cmd) Nienburg/Weser, das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung (WachBtl BMVg), die 16 Landeskommandos (LKdo) und die Truppenübungsplatzkommandanturen Nord, Ost und Süd mit ihren jeweiligen Truppenübungsplätzen.

Bei der offiziellen Aufstellung des Kommandos am 26. September in Berlin ließen Lambrecht und Zorn keinen Zweifel daran, worum es geht. „Mit der heutigen Indienststellung machen wir in der Zeitenwende einen sehr wichtigen Schritt. Wir stärken die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr“, erklärte die Verteidigungsministerin. „Das neue Führungskommando wird uns helfen entsprechend Entscheidungen zukünftig noch besser, noch schneller und noch abgestimmter zu treffen. Es stärkt damit auch unsere Führungsfähigkeit – im Frieden genauso wie in Krise und Krieg.“

Lambrecht rechtfertigte die Aufstellung des Kommandos mit dem „brutalen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine“. Es sei eine „sichtbare und wirkungsvolle Reaktion auf den russischen Einmarsch“. Das ist nichts als die bekannte Propaganda. Tatsächlich wurde die sogenannte „Zeitenwende“ – darunter das 100 Milliarden schwere „Sondervermögen Bundeswehr“ und der Nato-Aufmarsch gegen Russland – von langer Hand vorbereitet.

Hauptaggressor ist nicht Moskau, sondern die imperialistischen Mächte. Mit der systematischen militärischen Einkreisung Russlands hat die Nato die reaktionäre Intervention des Putin-Regimes regelrecht provoziert und eskaliert den Konflikt nun immer weiter, um das rohstoffreiche Land zu unterwerfen. Die herrschende Klasse Deutschlands verfolgt dabei auch das Ziel, sich als führende europäische Macht zu etablieren und unabhängige deutsch-europäische Militärstrukturen aufzubauen, um seine globalen Interessen zu verfolgen.

Zorn gab das in seinen eigenen Ausführungen unumwunden zu. Die „Zeitenwende durchzuführen“ bedeute für die Bundeswehr, „die bereits 2014 begonnen Fokussierung auf den Kernauftrag der Landes- und Bündnisverteidigung konsequent weiter fortzuführen“. „Schnelligkeit und entschiedenes Handeln auf allen Ebenen“ seien dabei „mehr denn je das Gebot der Stunde“. Dafür benötige man „einsatzbereite und kaltstartfähige Streikkräfte“. Gleichzeitig gelte es, „unsere Aufträge im internationalen Krisenmanagement und in der Amtshilfe zu erfüllen“.

Unter „Kaltstartfähigkeit“ versteht der führende deutsche Militär die möglichst schnelle und umfassende Mobilisierung der Gesellschaft für den totalen Krieg. Im etwas kryptischen Militär-Deutsch des Generalinspekteurs klingt das so:

„Die Weiterentwicklung des Kommandos territoriale Aufgaben zum territorialen Führungskommando verbessert nun durch die Bündelung von Kompetenzen und Führungsverantwortung die Rahmenbedingungen für die Erfüllung komplexer Aufträge im gesamten Intensitätsspektrum – von der Amtshilfe im Frieden, über hybride Bedrohungslagen bis hin zum Spannungs- und Verteidigungsfall.“

Tatsächlich befindet sich die herrschende Klasse, die im Zweiten Weltkrieg einen Vernichtungskrieg mit etwa 30 Millionen Toten gegen die Sowjetunion geführt hat, de facto wieder im Krieg mit Russland. „Eine große Anzahl deutscher Kräfte gewährleistet an der Ostgrenze des Bündnisgebiets gemeinsam mit den Alliierten den Auftrag der Abschreckung,“ prahlte Zorn. Zusätzlich übernehme Deutschland „durch die sogenannte Drehscheibenfunktion eine zentrale Aufgabe, die der Handlungsfreiheit innerhalb der Nato und unserer Alliierten Partner dient“.

Die Kriegsoffensive nach außen, erfordert wie in der Vergangenheit die umfassende Militarisierung der Gesellschaft im inneren. „Wesentliche Herausforderung in dieser gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge“ bestehe „in der Koordinierung der Maßnahmen und Fähigkeiten staatlicher und nichtstaatlicher Akteure“, führte Zorn aus. Das neue Territoriale Führungskommando werde eine zentrale Rolle dabei spielen und „in seiner Scharnierfunktion, Schnittstellen und Anknüpfungspunkte mit Bezug auf die veränderte Lage verbessern“.

Die herrschende Klasse hat schon lange die „legalen“ Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren geschaffen. Bereits die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze erlauben solche Einsätze „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung“ (Art. 87a GG). Das 2016 verabschiedete Weißbuch der Bundeswehr erklärt explizit, dass die Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte „auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen können“.

Mit dem neuen Kommando wird nun eine zentralisierte organisatorische Struktur geschaffen, um das Militär als Ordnungsmacht im Inneren einzusetzen und soziale Proteste und revolutionäre Kämpfe notfalls mit Gewalt zu unterdrücken. Dafür werden explizit militärische Einheiten, die den Nato-Aufmarsch gegen Russland und andere Kriegseinsätze organisieren, mit den „zivil“-militärischen Strukturen zusammengelegt. Im Ergebnis entsteht ein neuer deutscher Militärstaat.

Am Ende seiner Ausführungen gab Zorn einen Eindruck davon, wie weit dieser Prozess bereits fortgeschritten ist. „Über Jahre“ habe man „auf allen Ebenen – vom Kanzleramt bis hinein in die Kommunen ein umfassendes zivil-militärisches Netzwerk aufgebaut“. Das nationale Führungskommando werde „Elemente“ zusammenführen, die „funktional bzw. am Boden schon seit Jahren eng kooperieren“ und diese einem „nationalen territorialen Befehlshaber“ unterstellen.

Dabei nannte der General auch die auf rechtsextreme Kräfte orientierten Heimatschutzregimenter, die „weiter planmäßig aufwachsen“ und „wesentlich zur Ausbildung und Integration der Reserven beitragen“ würden. Zudem werde das Territoriale Führungskommando „basierend auf den Erfahrungen des Krisenstabs Corona“ zusätzlich „den Nukleus für einen Krisenstab der Bundesregierung bereitstellen“.

Die World Socialist Web Site hat bereits zu Beginn des sogenannten „Corona-Einsatzes“ der Bundeswehr gewarnt: „Doch unabhängig davon, wie viel unmittelbare medizinische Hilfe die Bundeswehr leistet, dient der Einsatz letztlich einem anderen Zweck. Führende Generäle sprechen offen aus, dass es um die polizeilich-militärische Kontrolle der Bevölkerung und die Verteidigung des kapitalistischen Staats und seiner Institutionen geht.“

Das bestätigt sich nun. Bezeichnenderweise wird das neue Kommando von Generalleutnant Carsten Breuer geführt, der zuvor den Corona-Krisenstab der Bundesregierung geleitetet hat. In seiner neuen Funktion des so genannten Nationalen Territorialen Befehlshabers ist er eine Art Militärdiktator auf Abruf.

Sein neues Kommando diene dazu, „Verfahren in eine Hand zu bringen, um Führung in eine Hand zu bringen und damit [das Ganze] sehr viel stringenter und sehr viel effektiver ... zu machen“, erklärt Breuer in einem Podcast der Bundeswehr. Nur „das Zusammenspiel von effektiven Kräften, von einem Kommando, was effektiv geführt wird, aber auch von gut aufgestellter Truppe [sic] kann letztendlich zum Erfolg in einem Einsatz, ... in einer Krise oder aber auch im Krieg“ führen.

Der wachsende Einfluss der Militärs im Inneren ist gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte eine ernste Warnung. Die herrschende Klasse hat das Militär bereits im Kaiserreich, der Weimarer Republik und im Dritten Reich als Unterdrückungsinstrument eingesetzt. Nun bereitet sie sich erneut darauf vor. Sie reagiert damit auf die tiefste Krise des Kapitalismus seit den 1930er Jahren, die durch die sozialen und politischen Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Nato-Kriegsoffensive gegen Russland auf die Spitze getrieben wird.

Loading