„Im Westen nichts Neues“ – ein starker Antikriegsfilm zur rechten Zeit

Edward Bergers Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Anti-Kriegs-Klassiker ist eine beeindruckende Inszenierung der Schrecken des Ersten Weltkriegs und der Rücksichtslosigkeit, mit der eine ganze Generation auf den Schlachtfeldern verheizt wurde. Der Film, der für Netflix produziert wurde, aber auch in Kinos gezeigt wird, erreichte gleich nach seiner Veröffentlichung Platz eins der Streaming-Charts und wird bereits für einen Oskar gehandelt.

Im Westen nichts Neues [Photo by Netflix / Reiner Bajo]

Remarques Buch von 1929 gilt zurecht als der Anti-Kriegs-Roman schlechthin. Nicht weil er sich durch literarische Finesse auszeichnet oder die politischen und gesellschaftlichen Ursachen des Kriegs untersucht, sondern weil er die Realität des Frontalltags aus Perspektive des fiktiven 17-jährigen Paul Bäumer in schonungsloser Ehrlichkeit und in all seinen körperlichen und emotionalen Verwüstungen darstellt.

Die Veröffentlichung des Buches zehn Jahre nach Kriegsende war politischer Sprengstoff. Längst arbeitete die Regierung an der Wiederbewaffnung, und die NSDAP wurde aufgebaut, um den Weg in einen neuen Weltkrieg zu ebnen. Unter diesen Bedingungen gewann die realistische Darstellung des imperialistischen Kriegs größte Bedeutung.

Das deutsch-nationale Deutsche Adelsblatt fürchtete, das Buch würde den Gedanken „Nie wieder Krieg“ wecken und verstärken; die Nazis bezeichneten das Buch als „jauchzende Entschuldigung der Deserteure, Überläufer, Meuterer und Drückeberger“ (Völkischer Beobachter) und führten eine intensive Kampagne gegen das Werk und seinen Autor.

Lewis Milestones bahnbrechende Verfilmung des Romans wurde von den deutschen Behörden im Jahr 1930 nur in einer stark zensierten Version zugelassen. Trotzdem organisierten die Nazis eine massive Hetzkampagne, sprengten Aufführungen durch Stink- und Nebelbomben und blockierten Kinos.

Es ist die rechte Zeit, diesen Stoff in einer modernen Bildsprache neu zu verfilmen und damit einer neuen Generation breit zugänglich zu machen. Mit dem Krieg der Nato gegen Russland werden wieder Tausende junger Menschen auf beiden Seiten der Front zum Kanonenfutter für die Interessen der Finanzoligarchie. Sie werden von Bomben zerfetzt und verstümmelt, und der Menschheit droht die nukleare Vernichtung. Unter diesen Bedingungen versuchen Medien und Professoren die Rücksichtslosigkeit und Brutalität der beiden Weltkriege zu verschweigen oder gar zu relativieren.

Denn mit dem Militarismus kehrt auch die Glorifizierung der Schlacht und die Heroisierung des Soldaten zurück. Die Kriegsberichterstattung beschränkt sich auf „embedded Journalism“ und dumpfe Propaganda. Der Film von Edward Berger inszeniert demgegenüber die Wirklichkeit des imperialistischen Kriegs und schafft es durch seine Konzentration auf die Situation tatsächlich, eine universelle Erfahrung darzustellen, die heute brennende Aktualität besitzt.

Auch wenn sich Berger teils deutlich von der Buchvorlage entfernt, gelingt es ihm, viel von der Stimmung des Romans auf die Leinwand zu bringen. Dabei verzichtet er weitgehend darauf, die Charaktere zu entwickeln. Der Fokus liegt auf der Situation, in die die jungen Männer geworfen werden und in der sie sich schlagartig zurecht finden müssen. Das Erleben der Protagonisten ist durch Großaufnahmen der Mimik zum Greifen nah.

Der Film beginnt nicht mit Bäumer, sondern mit einer grausamen Schlacht vor seiner Einberufung. Den gefallenen Soldaten werden die Uniformen ausgezogen, die dann in großen Kesseln von Schlamm und Blut befreit und in einer riesigen Halle von dutzenden Näherinnen wieder zusammengeflickt werden. Als Bäumer bei seinem Antritt eine solche Uniform erhält, wundert er sich über das darin verbliebene Namensschild, das vom Offizier dann schnell entfernt wird. Der Kreislauf der Mordmaschinerie ist im Gange und die Handlung des Films beginnt.

In der Konfrontation mit dieser Maschinerie wird der Zuschauer nicht geschont, ihre Brutalität wird wie auch im Buch gnadenlos abgebildet. Die Kamera schneidet nicht weg, sondern hält drauf, wenn Leiber zerfetzt, Soldaten von Panzern überrollt oder mit Feuerwerfern verbrannt werden. Die bewegte Kameraführung in den Schlachten bringt den Zuschauer direkt ins Kampfgeschehen.

Unterstützt wird diese realistische Darstellung des Kriegsgrauens durch ein detailliertes Szenenbild, durch das völlig durchnässte und verschlammte Soldaten um ihr Leben krauchen. Ein für das Genre eher zurückhaltender Sound, der die Geräusche des Geschehens aufgreift oder der Vorausdeutung dient, unterstreicht das ebenfalls. Menschliche Geräusche wie Atmen, Keuchen und Stöhnen sind dabei deutlich und sehr nah zu spüren.

In dieser Szenerie bewegen sich die Protagonisten zwischen der Integration in die Kriegsmaschinerie und der eigenen Menschlichkeit. Dieses Hauptthema des Buchs ist durch das beachtliche Schauspiel insbesondere von Felix Kammerer, als Paul Bäumer, und Albrecht Schuch, als sein väterlicher Freund Stanislaus „Kat“ Katczinsky, beeindruckend in Szene gesetzt.

Edin Hasanovic , Albrecht Schuch und Felix Kammerer [Photo by Netflix / Reiner Bajo]

Etwa wenn Bäumer durch den Kugelhagel den gegnerischen Schützengraben erreicht, in verzweifelter Raserei französische Soldaten tötet und dann beim Anblick eines jungen Feindes sich selbst erkennt. Oder wenn Bäumer den angeschossenen Kat unter übermenschlicher Kraftanstrengung zurück zum Lager trägt, um im Lazarett festzustellen, dass er die ganze Zeit eine Leiche getragen hat, weil Kat seiner Verwundung längst erlegen ist. Es ist der verzweifelte Kampf gegen den Tod.

Auch eine andere Schlüsselszene des Buchs ist beeindruckend gespielt. Wenn Bäumer während einer Schlacht in einem Bombenkrater Deckung sucht und dort einen französischen Soldaten ersticht. Er muss neben dem Sterbenden im Krater bleiben und versucht zunächst, ihn zum Schweigen zu bringen. Allmählich wird er sich gewahr, wie ähnlich ihre Situationen sind. Er versucht, ihn zu stabilisieren, nennt ihn Kamerad und verspricht dann dem Toten, dessen Brieftasche der Familie zu übergeben. Die Szene zeigt die Panik, Brutalität, Abgestumpftheit und zugleich die Momente der Reue und tiefen Menschlichkeit, die den Alltag an der Front auszeichnen.

Der niedergeschlagene Bäumer, der seinen Weg zurück zum Lager über das nächtliche Schlachtfeld sucht, wird dem üppigen Abendessen des rücksichtslosen Generals Friedrich gegengeschnitten, einer Figur, die Berger neu eingeführt hat und die im Buch nicht vorkommt. Der Schnitt unterstreicht: Bäumer ist dem französischen Soldaten sehr viel näher als dem deutschen General.

Als Bäumer das Lager schließlich erreicht, findet er feiernde Soldaten vor. Einer kommt auf ihn zu und ruft: „Die fetten Schweine haben es eingesehen. Sie verhandeln endlich. Wir fahren bald nach Hause, Soldat.“

Doch in diesen Schlüsselszenen offenbaren sich auch die größten Schwächen des Films. Im Buch ist die Kraterszene der Kulminationspunkt einer komplexen Entwicklung von Bäumers Zweifeln, die im Film weitgehend ausgeblendet werden. So ist der Heimaturlaub, in dem der junge Rekrut der tiefen Entfremdung von der militarisierten Gesellschaft gewahr wird, vollständig getilgt, und auch die Konfrontation mit russischen Kriegsgefangenen, denen gegenüber Bäumer tiefes Mitleid empfindet, wurde ersatzlos gestrichen.

Überhaupt erfährt man angesichts des radikal situationsbezogenen Zugangs kaum etwas über die Gedanken und das Seelenleben der jungen Soldaten. Der Schrecken des Kriegs entfaltet sich im Buch nicht einfach im Trommelfeuer des Schützengrabens, sondern gerade in den Szenen, in denen versucht wird, das Erlebte zu verarbeiten. Wenn Bäumer seiner totkranken Mutter vorlügt, dass an der Front alles gut sei, oder der Mutter seines Kameraden Kemmerich über dessen Tod berichten muss, wird der Leser mit den tiefen seelischen Wunden konfrontiert, die der Krieg in die junge Generation gerissen hat.

Es sind gerade diese Erfahrungen, die Bäumer und seinen Kameraden am meisten zu schaffen machen, weil sie die Menschlichkeit heraufbeschwören, die im Widerspruch zur Front steht: „Die gefährlichen Augenblicke, die uns zeigen, dass die Anpassung doch nur künstlich ist. Manchmal bricht es plötzlich heraus, dieses Gefährliche, Gestaute – wie aus überhitzten Dampfkesseln“, wie es im Buch heißt.

Durch das Auslassen all dieser zentralen Elemente verliert der Film nicht nur an Tragik und Tiefe. Die Soldaten werden auch zu bloßen Opfern des Kriegs degradiert, weil die Widerständigkeit, die vielen Szenen des Buches innewohnt, nicht transportiert wird. Die Dialoge der Soldaten sind spärlich und oft unverständlich vernuschelt, während etwa der General bühnenreif spricht.

Es mag sein, dass Berger das als Stilmittel nutzt, um die Sprachlosigkeit der Soldaten über das Erlebte auszudrücken, die durchaus auch im Buch ihren Platz findet. Aber wenn die zentralen Diskussionen über Sinn und Unsinn des Kriegs, die Hohlheit der Kriegspropaganda und die Gleichheit der französischen und deutschen Arbeiter nahezu vollständig ausgelassen werden, entsteht ein völlig anderes Bild.

Das findet seinen klarsten Ausdruck in der wohl gröbsten Veränderung im Vergleich zum Buch. Während das Buch im Oktober 1918 mit dem Tod Bäumers an einem ruhigen Tag an der Westfront endet und die kommende Revolution zumindest andeutet („Gibt es keinen Frieden, dann gibt es Revolution“), verschiebt Berger das Ende auf den Tag des Inkrafttretens des Waffenstillstands am 11. November.

Sein fiktiver General Friedrich schickt die Soldaten, die schon den Waffenstillstand feiern, 15 Minuten vor dessen Inkraftreten in eine aussichtslose letzte Schlacht. Ein paar weigern sich und werden erschossen, aber die große Masse trabt teilnahmslos und erschöpft zurück in die Schützengräben. Bäumer gerät erneut in den Blutrausch der Front, erschießt und erschlägt Franzosen, die eigentlich gar nicht mehr kämpfen wollten, und liefert sich einen heftigen Nahkampf, in dessen Verlauf er Sekunden vor dem Waffenstillstand hinterrücks erstochen wird.

So wird das Bild der willenlosen und gehorsamen Tötungsmaschine auf die Spitze getrieben und ein völlig pessimistischer und aussichtsloser Standpunkt bezogen. Das wirkt nicht nur abwegig, es wird auch der Realität des Kriegs nicht gerecht. Eine Szene wie sie der Film zeigt, gab es an der Westfront nicht, aber als das Kommando der Hochseestreitkräfte kurz vor dem Waffenstillstand die Verhandlungen durch eine letzte Offensive sabotieren wollten, meuterten die Matrosen und lösten so die Novemberrevolution aus, in deren Verlauf im ganzen Land Arbeiter- und Soldatenräte gebildet wurden, die den Kaiser davonjagten und den Krieg beendeten.

Auch das Buch deutet die Revolution nur an, zeigt aber in der Verbrüderung mit dem Feind und der Widerständigkeit der Soldaten auch diese Tendenz der Entwicklung auf. Der Roman zeigt die grundlegend feindliche Haltung gegenüber dem Krieg bei den einfachen Soldaten. Sie fühlen sich fehl am Platz, lehnen den Militarismus und seine Repräsentanten ab, wie den verhassten Ausbilder Himmelstoß und die patriotischen Akademiker, die am Stammtisch die Welt erobern. Sie verachten den „Feldgendarmen“, den „Kommißpolizisten“, der die Soldaten überwacht und bemerken: „Die Fabrikbesitzer in Deutschland sind reiche Leute geworden – uns zerschrinnt die Ruhr die Därme.“

Daniel Brühl als Matthias Erzberger [Photo by Netflix / Reiner Bajo]

Berger hat die revolutionäre Entwicklung auf allen Seiten der Front fast vollständig getilgt. Er verlegt zwar den Hauptteil des Film mitten in die Zeit, wo Soldaten desertierten, Befehle verweigerten und die Generäle zunehmend die Kontrolle verloren, lässt es aber, bis auf eine Randbemerkung, völlig unbehandelt. Stattdessen zeigt er ausführlich die Friedensverhandlungen unter dem Zentrums-Politiker Matthias Erzberger, der zwar von Daniel Brühl recht pointiert als schmalschultriger Ausputzer des Generalstabs dargestellt wird, aber zum Verständnis des Kriegs und seines Endes wenig beiträgt.

Berger begründet die Einführung dieser Ebene auch damit, dass er ein „Schlaglicht auf die Zukunft“ werfen wollte, in der die Militaristen gestützt auf die Unterzeichnung des Waffenstillstands durch Erzberger die Dolchstoßlegende verbreiteten und damit ideologisch den Weg zum Zweiten Weltkrieg bahnten.

Doch diese Entwicklung war keinesfalls geradlinig. Der Erste Weltkrieg führte nicht nur zu Freikorps und Reaktion, sondern auch zur Revolution und zu einer tiefen antimilitaristischen Überzeugung in der Arbeiterklasse, die erst durch den Terror der Nazis gebrochen werden konnte. Gerade „Im Westen nichts Neues“ befeuerte in seiner schonungslosen Dokumentation der Verwüstungen des Kriegs diese Haltung.

Auch der neue Film schafft es, die Schrecken des Kriegs erfahrbar zu machen, er steckt dem Zuschauer noch wochenlang in den Knochen, und es hämmert die Frage im Kopf, wie eine solche Katastrophe angesichts der erneuten Kriegstreiberei verhindert werden kann. Gerade deshalb ist der pessimistische Ausblick und das Tilgen der realen Widersprüche so bedauerlich.

Trotzdem wird der Film eine neue Generation dazu anregen, sich mit den Gründen des Kriegs und einer Perspektive im Kampf gegen einen Dritten Weltkrieg zu beschäftigen. Er wird sie ermutigen, die heutigen Himmelstöße und Kantoreks in den Schreibstuben der Zeitungen und an den Pulten im Hörsaal zurückzuweisen und sich einer internationalen Bewegung gegen den Krieg anzuschließen.

Auch heute besteht die einzige Möglichkeit, einen erneuten Ausbruch der Barbarei zu verhindern in der Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse. „Der Krieg kann nicht durch Proteste und Appelle an die herrschende Klasse und ihre Regierungen gestoppt werden, sondern nur durch die politische Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse“, heißt es dazu im Aufruf der IYSSE zum internationalen Online-Treffen gegen den Ukrainekrieg.

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