Hohe Übersterblichkeit und Corona-Todeszahlen in Deutschland

Die Übersterblichkeit erreicht in Deutschland Rekordwerte und die Corona-Todeszahlen sind so hoch wie in keinem Jahr zuvor. Trotzdem erklären die Regierungen aller Parteien die Pandemie für beendet und heben die letzten Schutzmaßnahmen auf.

Laut einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) liegt die durchschnittliche Übersterblichkeit im Jahr 2022 bisher bei neun Prozent, d.h. die Todeszahlen in diesem Jahr sind neun Prozent höher als der Median der letzten vier Jahre 2018-2021.

Den Sommer über lag die Übersterblichkeit fast durchgehend im zweistelligen Bereich: Im Juni lag sie bei neun Prozent, im Juli bei zwölf, im August bei elf und im September bei zehn. Im Oktober erreichte die Übersterblichkeit einen Rekordwert von 19 Prozent. Berechnungen des „EuroMOMO-Netzwerks“ zeigen, dass es einen ähnlichen Trend auch in anderen europäischen Ländern gibt.

Insgesamt sind in Deutschland im Oktober 92.000 Menschen gestorben, und damit 14.560 mehr als im Schnitt der letzten vier Jahre. Die hohe Menge zusätzlicher Todesfälle lässt sich zu einem bedeutenden Teil auf direkte Todesfälle in Folge von Infektionen mit dem Corona-Virus zurückzuführen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts sind im Oktober 4334 Menschen dem Virus erlegen, und damit deutlich mehr als im gleichen Zeitraum in den Pandemiejahren 2021 (2493 Tote) und 2020 (1482 Tote).

Im Vergleich zu den vorherigen Pandemiejahren lässt sich in diesem Jahr die Übersterblichkeit nicht mehr ohne weiteres auf direkte Todesfälle infolge einer Infektion mit dem Virus zurückführen. 2020 stimmte die Übersterblichkeit fast vollständig mit der Zahl der gemeldeten Corona-Todesfälle überein. 2021 war dies auch noch größtenteils der Fall. 2022 machten diese nur noch knapp die Hälfte der Übersterblichkeit aus.

Mehrere Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass entscheidende Teile der höheren Übersterblichkeit auf indirekte Folgen der Pandemie zurückführen sind – wie eine Überlastung der Klinken und des Klinikpersonals.

So stellt beispielsweise Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock fest, dass sich im Herbst 2022 „nur noch in etwa die Hälfte [der Übersterblichkeit] mit registrierter Covid-Sterblichkeit erklären“ lasse. Beim Rest sei „noch offen, woran das liegt“. Er halte „aber für plausibel, dass wir im Jahr 2022 die indirekten Effekte mehr zu sehen kriegen“.

Schölei verweist auf das Beispiel England und Wales. Dort werde die Übersterblichkeit auch dadurch verursacht, dass sich Krankenwagen um mehr als zehn Minuten verspäteten. Dies sei eine Folge der Überlastung des Gesundheitssystems und damit indirekt der Corona-Pandemie.

Carsten Tschöpe, Kardiologe und Leiter der Kardiomyopathie-Einheit an der Berliner Charité, verweist gegenüber dem Spiegel auf die möglichen schwerwiegenden Langzeitfolgen einer Covid-Infektion. Mit den Blutgefäßen befalle Sars-CoV-2 „eine ganz zentrale Struktur des Körpers“. Es gebe kein Organ im menschlichen Körper, das nicht abhängig sei von den Blutgefäßen. „Die Organe verlieren Teile ihrer Funktion, wenn sie nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden. Dadurch entsteht im gesamten Körper ein Globalschaden.“ Laut dem Nachrichtenmagazin ist Tschöpe davon überzeugt, „dass die Covid-Spätfolgen auch zu der 19-prozentigen Übersterblichkeit im Oktober beigetragen haben“.

Andere Wissenschaftler nennen als mögliche Mitverursacher für die hohe Übersterblichkeit auch die früher als sonst einsetzende Grippewelle und das Zirkulieren anderer Atemwegserkrankungen. Die Grippewelle war in den letzten Jahren auf Grund der bestehenden Pandemiemaßnahmen weltweit ausgeblieben. Nach deren Aufhebung kehrte die Grippewelle besonders aggressiv zurück und sorgt für eine „Twindemie“, bei der auch gefährliche Doppelinfektionen aus Covid-19 und Grippe möglich sind.

Unabhängig davon, was genau die unterschiedlichen direkten Auslöser für die hohe Übersterblichkeit sind, liegt die tiefere Ursache in der Unterordnung der öffentlichen Gesundheit unter den privaten Profit, was in der Reaktion der Regierungen auf die Pandemie ihren schärfsten Ausdruck fand. Weltweit ist die Lebenserwartung in Folge der Pandemie gesunken – in Deutschland um fast ein halbes Jahr. Mehr als 158.000 Menschen erlagen hierzulande offiziell dem Virus.

Und die Situation verschlimmert sich mit jedem Tag. Bereits jetzt sterben jede Woche rund 1000 Menschen am Virus, während sich noch infektiösere Varianten ausbreiten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk vor einer Winterwelle – tut aber nichts, um sie abzuwenden.

Im Gegenteil, die Regierungen in Bund und Ländern beenden die letzten verbleibenden Maßnahmen. Vor einer Woche hoben Bayern, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein die Isolationspflicht auf, und weitere Bundesländer kündigten bereits an, folgen zu wollen. Als Konsequenz dieser Entscheidung berichteten die Kieler Nachrichten bereits, dass Lehrkräfte, die zwar Corona-positiv sind, aber keine Krankheitssymptome haben, weiter unterrichten müssen.

Bayern und Schleswig-Holstein planen zudem in wenigen Wochen auch die Maskenpflicht im ÖPNV aufzuheben. Auch Bremens Senatorin und Vorsitzende der Verkehrsminister Maike Schaefer (Grüne) tritt für ein bundesweites Abschaffen der Maskenpflicht im ÖPNV Anfang März ein. Der Nachrichtenagentur dpa sagte sie: „Mein Ziel ist es, dass sich die Bundesländer hier auf ein einheitliches Vorgehen einigen.“ Für die kommende Sonderkonferenz der Ressortchefs habe Bremen daher den Antrag eingereicht, die Maskenpflicht im ÖPNV bundesweit zur Einführung des vorgesehenen „Deutschlandtickets“ Anfang März abzuschaffen.

Das rücksichtslose Vorgehen der Regierungen beim Aufheben der verbleibenden Schutzmaßnahmen trotz der enormen Übersterblichkeit verdeutlicht die Gleichgültigkeit der herrschenden Klasse gegenüber dem menschlichen Leben. Sie verfolgt ganz bewusst eine Politik, die den Profit über Menschenleben stellt und darauf abzielt, die Lebenserwartung zu senken. Wenn es nach ihr geht, sollen die Ausgaben für Gesundheit und Soziales nicht nur durch direkte Haushaltskürzungen gesenkt werden, sondern auch durch die Verewigung der Pandemie und damit des Massensterbens.

Arbeiter und Jugendliche müssen das als Warnung verstehen und den Kampf zur Beendigung der Pandemie – und des gesamten unmenschlichen Systems, das ihr zu Grunde liegt – in die eigene Hand nehmen. Die Eliminierung des Virus kann nur durch eine internationale Bewegung von Arbeitern und Jugendlichen gegen den Kapitalismus erreicht werden.

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