Maaßen: Ein Rechtsradikaler als Kommentator des Grundgesetzes

Hans-Georg Maaßen, der notorisch rechte frühere Präsident des Inlandsgeheimdienstes „Bundesamt für Verfassungsschutz“, hat 13 Jahre lang einen Grundgesetzkommentar mitverfasst.

Maaßen, der 2018 von der damaligen Großen Koalition in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden musste, weil seine Verteidigung einer rechtsextremen, ausländerfeindlichen Demonstration in Chemnitz einen Sturm der Empörung ausgelöst hatte, war im juristischen Standardwerk „Epping/Hillgruber“ seit 2009 für die Artikel 16 (Schutz vor Auslieferung) und Artikel 16a (Recht auf Asyl) zuständig.

Hans-Georg Maaßen als Chef des Verfassungsschutzes [Photo by Bundesministerium des Innern/Sandy Thieme / CC BY-SA 3.0]

Der „Epping/Hillgruber“ und andere Standardwerke aus dem Verlag C.H.Beck stehen auf Richtertischen und sind in juristischen Staatsexamina meist als einzige zur Verwendung bei Examen zugelassen. Sie legen also im Wesentlichen fest, wie das Grundgesetz interpretiert wird.

Die Tatsache, dass einer der führenden Rechtsextremen in Deutschland diese einflussreiche Position innehatte, wirft ein Schlaglicht auf die Rechtswende der herrschenden Klasse. Maaßen ist auch nach seiner Entlassung als Verfassungsschutzpräsident bestens vernetzt und verfügt über Einfluss. Trotz öffentlicher Kritik hielten der Verlag und die Herausgeber des Kommentars an ihm fest und verteidigten ihn gegen öffentliche Kritik, bis Maaßen schließlich am 17. Januar selbst kündigte.

Im August letzten Jahres hatte der Professor für Staatsrecht Stefan Huster, der ebenfalls im „Epping/Hillgruber“ kommentiert, in der Frankfurter Allgemeinen erklärt, er wolle nicht länger die Positionen Maaßens hoffähig machen, indem er gemeinsam mit ihm die Verfassung kommentiere. Er stellte in Frage, ob Maaßen überhaupt noch auf dem Boden der Verfassung stehe.

Er schrieb über Maaßen: „Wer als CDU-Mitglied Sympathien für eine Zusammenarbeit mit einer Partei [AfD], die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, formuliert, ein ‚Covid-Impfverbot‘ fordert und sich dafür auf beim besten Willen nicht mehr ernst zu nehmende Corona-Leugner beruft, die Rettung von Flüchtlingen aus Seenot als ‚Shuttleservice‘ verhöhnt, dem Bundesgesundheitsminister Geisteskrankheit oder Drogenkonsum unterstellt, auf die bizarren Verschwörungstheorien rund um das Weltwirtschaftsforum anspringt und seine Ansichten auch auf fragwürdigen ‚Querdenker‘-Plattformen verlautbart, muss sich schon fragen lassen, ob er nach Art, Inhalt und Kontext seiner Äußerungen noch zu den verlässlichen Unterstützern der freiheitlichen Ordnung gezählt werden kann.“

Die Herausgeber Epping und Hillgruber, Professoren in Hannover und Bonn, warfen Huster daraufhin in einem Rundbrief an die übrigen Autoren vor, „den Verlag und die Herausgeber unter ungebührlichen politischen Druck zu setzen und in Misskredit zu bringen“. C. H. Beck trennte sich schließlich – von Huster! Öffentlich erklärte der Verlag, dass Maaßens Kommentierung zu den Asylartikeln des Grundgesetzes „fachlich nicht zu beanstanden“ sei.

Hinter den Kulissen scheint C.H.Beck aber zuletzt versucht zu haben, seinem langjährigen Autor einen gesichtswahrenden Abschied zu ermöglichen. Der öffentliche Druck wurde wohl doch zu groß. Man habe sich entschlossen „unsere Möglichkeiten zu nutzen, den Verlagsvertrag mit Herrn Dr. Maaßen zu beenden“, teilte der Verlag am 18. Januar mit. Daraufhin habe der 60-Jährige diesen selbst gekündigt. Es hätten sich „unversöhnliche Positionen verselbstständigt“, die „dem Grundgesetzkommentar, dessen Herausgebern und dem Verlag schaden“.

C.H.Beck gehört zu den größten und traditionsreichsten deutschen Verlagen. Er gibt seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gesetzessammlungen und -kommentare heraus. Das wurde auch durch die Nazi-Herrschaft nicht unterbrochen. Im Gegenteil, einige seiner Standardwerke trugen bis weit ins 21. Jahrhundert hinein die Namen von Nazi-Juristen.

So trug der Kommentar des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von 1938 bis 2021 den Namen von Otto Palandt, NSDAP-Mitglied und Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes. Erst 2021 wurde der „Palandt“ in „Grüneberg“ umbenannt. Die auflagenstärkste Gesetzessammlung hieß ebenfalls bis 2021 „Schönfelder“, nach dem NSDAP-Juristen Heinrich Schönfelder. Inzwischen heißt sie „Habersack“.

Ein weiterer Grundgesetzkommentar aus dem Hause C.H.Beck, der auch 2021 umbenannt wurde, hieß bis dahin „Maunz/Dürig“. Sein Begründer Theodor Maunz war in der NS-Zeit ein einflussreicher Rechtsprofessor gewesen. Nach dem Sturz des NS-Regimes war er Mitglied des Verfassungskonvents in Herrenchiemsee, dann bayerischer Kultusminister für die CSU. 1964 musste er wegen seiner NS-Vergangenheit zurücktreten, beriet dann aber jahrelang die rechtsradikale DVU des Münchner Verlegers Gerhard Frey und schrieb unter Pseudonym für dessen Zeitung.

In einem Kommentar über Maaßen, der noch vor dessen Rückzug erschien, machte die Süddeutschen Zeitung auf einen weiteren rassistischen Eklat aufmerksam. In der juristischen Fachzeitschrift Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, die bei C.H.Beck erscheint, hatte der 90-jährige Anwalt Rüdiger Zuck erklärt, „es sei okay, einem schwarzen Betriebsrat die Affenlaute ‚ugah ugah‘ zuzurufen“. Erst nach einem von zahlreichen Juristen unterzeichneten Protestschreiben sei der Verlag auf Distanz gegangen und habe den Text aus dem Netz genommen.

Eine Schlüsselfigur der rechten Verschwörung im Staatsapparat

Der 1962 geborene Jurist Hans-Georg Maaßen personifiziert wie kaum ein zweiter die Rechtswende der etablierten Parteien und des Staatsapparats während der letzten Jahrzehnte. Maaßen hatte ab 1991 eine steile Karriere im Innenministerium absolviert und war dabei von Ministern der CDU, der CSU und der SPD gefördert worden. 1997 plädierte er in seiner Promotionsschrift zum Thema „Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“ für eine äußerst restriktive Flüchtlingspolitik.

Unter SPD-Innenminister Otto Schily lieferte Maaßen diesem und dem damaligen Chef des Bundeskanzleramts und Verantwortlichen für die Geheimdienste, dem heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, 2002 eine juristische Begründung, die dafür sorgte, dass der aus Bremen stammende Murat Kurnaz nicht nach Deutschland zurückkehren durfte und fünf Jahre lang im US-Gefangenenlager Guantánamo saß. Dies obwohl die deutschen und die US-Dienste sich früh davon überzeugt hatten, dass der in Bremen geborene Kurnaz unschuldig war.

Maaßen argumentierte damals, weil der (unschuldig ins Folterlager verschleppte und dort eingekerkerte) türkische Staatsbürger sich mehr als sechs Monate nicht in Deutschland aufgehalten habe, ohne sich bei einer deutschen Behörde zu melden, sei die Aufenthaltsgenehmigung „von Gesetzes wegen erloschen“. Eine Auffassung, die einer späteren Überprüfung durch das Bremer Verwaltungsgericht nicht standhielt.

2003 wurde Maaßen Leiter des Referats Ausländerrecht. Ab August 2008 leitete er im Bundesministerium des Innern den Stab Terrorismusbekämpfung in der Abteilung Öffentliche Sicherheit.

2012 wurde Maaßen zum Präsidenten des Verfassungsschutzes ernannt, um dessen enge Verbindungen zu gewaltsamen Neonazi-Netzwerken zu vertuschen. Kurz vor seiner Ernennung war bekannt geworden, dass der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zwischen 2000 und 2007 unter den Augen des Verfassungsschutzes zehn rassistische Morde sowie mehrere Bombenanschläge und Banküberfälle verübt hatte. Im engeren Umfeld des NSU waren in dieser Zeit mindestens zwei Dutzend V-Leute der Sicherheitsbehörden aktiv gewesen, die hinterher alle behaupteten, sie hätten nichts bemerkt.

Als Chef des Verfassungsschutzes pflegte Maaßen Beziehungen zu allen Bundestagsparteien und wurde auch von der Linkspartei zu einem öffentlichen Diskussionstreffen eingeladen. Regelmäßig traf er die Führer der rechtsextremen AfD zu Beratungen. Im Zentrum seiner Agenda standen Angriffe auf demokratische Rechte und die systematische Verfolgung von Journalisten und Sozialisten.

Maaßen verleumdete u.a. den Whistleblower Edward Snowden als Verräter. 2016 spekulierte er, dass Snowden ein Agent der russischen Geheimdienste sein könnte, was selbst hohe US-amerikanische Geheimdienstler nicht behaupten. Wie ernst es Maaßen mit der Verfolgung von Whistleblowern war, hatte er ein Jahr zuvor gezeigt, als seine Behörde strafrechtliche Ermittlungen wegen Landesverrats gegen zwei Journalisten in Gang brachte.

Es war auch Maaßen, der dafür sorgte, dass die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) in den jährlichen Verfassungsschutzbericht aufgenommen und als „linksextremistisch“ verunglimpft wurde. Der Verfassungsschutz begründete dies damit, dass sie „für eine demokratisch, egalitäre, sozialistische Gesellschaft“ streite. Die SGP hat dagegen geklagt und inzwischen Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Als Maaßen schließlich im Herbst 2018 öffentlich einen rechtsextremen Aufmarsch in Chemnitz verteidigte, wollten ihn Innenminister Horst Seehofer (CSU) und die damalige SPD-Vorsitzende Andrea Nahles auf einen höheren Posten im Innenministerium befördern. Erst als er vor europäischen Geheimdienstvertretern in Warschau die Flüchtlings- und Sicherheitspolitik der eigenen Regierung als „links“ und „naiv“ bezeichnete und „linksradikale Kräfte“ sogar „innerhalb der SPD“ ausmachte, wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

Seither betätigte er sich, obwohl immer noch Mitglied der CDU, als rechtsextremer Agitator, dessen öffentliche Standpunkte sich praktisch nicht von denen der AfD unterschieden.

In der Pandemie positionierte Maaßen sich als Corona-Leugner. Er erklärte auf Twitter, das „neuartige Virus“ sei „von der Gefährlichkeit vergleichbar mit einem Grippevirus“, und forderte ein sofortiges Ende aller Schutzmaßnahmen, jüngst auch ein „Covid-Impfverbot“, gestützt auf den Querdenker-Professor Sucharit Bhakdi.

Zuletzt fabulierte er auf Twitter in unverblümter Nazi-Rhetorik, die „treibenden Kräfte im politischen-medialen Raum“ hätten „als Stossrichtung“: „Eliminatorischer #Rassismus gegen Weiße und der brennende Wunsch das #Deutschland verrecken möge“.

Dieser Mann hat jahrelang den deutschen Inlandsgeheimdienst geleitet und bis vor wenigen Tagen an einem juristischen Standardwerk mitgeschrieben, wie die deutsche Verfassung interpretiert werden soll.

Und auch nach Maaßens Entlassung wird seine im Kern faschistische Politik fortgesetzt. Die Bundesregierung hat nicht nur in der Flüchtlings- und Pandemiepolitik die Forderungen der extremen Rechten weitgehend übernommen. Auch die rechtsextremen Netzwerke im Staatsapparat und der Bundeswehr werden regelrecht hofiert und geschützt. Sie werden gebraucht, um die Rückkehr des deutschen Militarismus und die damit verbundenen sozialen Angriffe gegen den wachsenden Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen.

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