Empörung und Wut auf Verdi bei den Postbeschäftigten

Das zweite Tarifangebot der Post, das die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zur Annahme empfiehlt, trifft auf viel Wut und Empörung unter den Beschäftigten. Beim Post-Aktionskomitee melden sich täglich Dutzende, die von Verdi abgestoßen sind und einen echten Arbeitskampf aufnehmen wollen. Auf Facebook, Instagram, Twitter und TikTok hagelt es bittere Kommentare und scharfe Kritik.

Dietmar Gaisenkersting über das Angebot von Verdi und Konzernleitung bei der Post

Alle sind sich einig, dass die Nacht- und Nebelaktion von Post und Verdi letzte Woche ein abgekartetes Spiel war, das nur dazu diente, einen Streik zu verhindern. Verdi hatte innerhalb weniger Stunden ein angeblich neues Angebot verhandelt.

Mike aus Nürnberg ist seit 25 Jahren bei Verdi. „Ich bin nun wirklich irritiert“, sagt der Zusteller. „Die Sachen, die sie im ersten Angebot berechtigterweise als Taschenspielertricks bezeichnet haben, loben sie jetzt.“ Er schickt ein Plakat, mit dem Verdi gegen das erste Angebot der Post argumentiert hatte: „3000 Euro Inflationsausgleichszahlung in 24 Monaten ist keine Lohnerhöhung.“

Er kann sich auch noch gut daran erinnern, wie Verdi vor gut zwei Jahren eine Prämie für die Belastungen der Corona-Pandemie abgelehnt hat. Stephan Teuscher, Tarifexperte Verdis und gemeinsam mit Andrea Kocsis Verhandlungsführer in der aktuellen Tarifrunde, sagte damals: „Diese einmaligen Zahlungen werden vom Arbeitgeber genutzt, um Nullrunden zu rechtfertigen.“

Mike ist sauer: „Die haben einen Auftrag bekommen, zu streiken. Und da verweigern sie sich.“ Matthias, Brief- und Paketzusteller in Heidenheim, sieht das ähnlich: „Der Streik hätte die Post in Zugzwang gebracht. Was ein Streik bringt, wird doch erst im Streik erkämpft.“

Unterstützer des Post-Aktionskomitees sprachen am Montagabend vor dem Paketzentrum Berlin-Süd im brandenburgischen Ludwigsfelde mit vielen der rund 600 Arbeiterinnen und Arbeiter, die dort im Schichtdienst beschäftigt sind. Ein sehr großer Anteil besteht aus polnischen Arbeitern, die über Fremdfirmen eingesetzt werden und somit nicht dem Tarifvertrag unterliegen. Viele kannten den dritten Aufruf des Post-Aktionskomitees, der in den ersten beiden Tagen wieder zehntausendfach gelesen wurde. Eine Arbeiterin, die den Aufruf schon gelesen hatte, bestätigte: „Es stimmt alles, genau so ist es.“

Neben der Absage des Streiks und dem miserablen Lohnangebot sind die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen Thema bei vielen Kolleginnen und Kollegen. Olaf, Paketzusteller in Hamburg, beschreibt, dass er immer mehr Arbeit aufgehalst bekommt. Aktuell ist er für riesige Wohnblöcke eingeteilt. „Sieben Stockwerke, zehn Wohnungen in einem Stockwerk.“ Da würden viele Pakete reingehen, die er in mehreren Tranchen ausliefert, „hoch und runter“. „Die Zustellung ist schon lange nicht mehr das, was sie mal war.“

Davon kann auch Krzysztof aus Bremen berichten. „Ich verdiene 2500 Euro brutto und nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben und der 1200 Euro für regelmäßige Rechnungen, bleibt mir fast nichts. Die ständig steigenden Lebenshaltungskosten kann ich mit meinem Lohn nicht mehr bezahlen. Zum Beispiel wurde meine Miete im letzten September von 540 auf 600 Euro erhöht.“ In manchen Monaten habe er nur 400 Euro zum Leben.

Krzysztof erzählt von der Betriebsversammlung in Bremen, in der von den Kollegen 20 Prozent Lohnerhöhung und die steuerfreie Einmalzahlung von 3000 Euro gefordert wurde. „Daraus hat Verdi 15 Prozent gemacht und nun sollen davon nur noch etwa 11 Prozent übrig bleiben, auf zwei Jahre!“

Matthias aus Heidenheim beschreibt es weniger förmlich so: „Wir reißen uns den Arsch auf und die kassieren ab.“

Doch nicht nur die offensichtliche Ungerechtigkeit zwischen der schlecht bezahlten Knochenarbeit, vor allem der Zusteller, und den Milliarden für die Aktionäre erzeugen Unmut unter den Postbeschäftigten. Marco aus Bayern verweist auf die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andreas Kocsis: „Die geht mit 250.000 Euro im Jahr nach Hause. Die weiß gar nicht mehr, wie es uns geht. Viele von uns haben monatlich 1600 Euro netto. Aber die sitzt im Aufsichtsrat mit anderen Verdi-Vertretern und trinkt da Tee und Wein mit den Kapitalvertretern.“

Er erinnert an die schwierigen Arbeitsbedingungen der letzten drei Jahre. „Ich hatte trotz dreifacher Impfung Corona und bin jetzt immer wieder mal krank“, berichtet er. Er führt das auf seine Corona-Erkrankung zurück. „Und jetzt muss ich mich demnächst beim Chef rechtfertigen. Da geht es nicht um meine Gesundheit, sondern ich soll fertig gemacht werden, weil ich krank bin.“

Aber bei der Arbeit werde man automatisch krank. „Wir werden immer weniger, wir waren mal 220.000, jetzt sind wir nur noch 160.000.“ Die Arbeit werde aber mehr. „Viele kündigen, weil der Job zu hart wird. Neue kommen bei dem Job und der Bezahlung viel zu wenig nach.“

Das Geld, das bei den Beschäftigten fehlt, werde „verschleudert“. „100 Milliarden für die Aufrüstung, wenn man das an die 80 Millionen in Deutschland verteilen würde, würde es uns besser gehen.“ Er ist „absolut gegen Krieg“. „Wir könnten alle – jedweder Couleur – in Frieden leben.“ Die Entwicklung der letzten zehn bis 15 Jahre sei erschreckend.

Für viele der Beschäftigte ist die offensichtliche Verhöhnung der eigenen Mitgliedschaft der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die sozialen Medien sind voll mit Kommentaren gegen Verdi und das von ihnen vorgelegte Angebot.

Unter der Bekanntmachung des Angebots auf dem Verdi-Facebook-Hauptaccount richten sich die meisten der über 1300 Kommentare gegen das Angebot. Einer der beliebtesten mit knapp 250 Likes ist dieser von Jana Wiechardt aus Rostock: „Dazu fällt mir echt nichts mehr ein... Es wird sich mit einer Inflationsprämie gerühmt, und tabellenwirksame Erhöhungen erst ab 2024... ich hoffe, die Beschäftigten merken, dass das eine Mogelpackung ist!“

Auch die über 300 Kommentare unter dem Verdi Account auf Instagram sind fast alle gegen das Angebot. User renearnsburg schreibt: „Eigentlich müsste es jetzt eine richtige Kampagne von unten geben, das zu diskutieren, die Perspektive für Streik zu besprechen und das Ergebnis abzulehnen.“

Das gleiche gilt für die rund 150 Kommentare unter dem Verdi-Tweet zum Abschluss. Jannik antwortet: „Ich hoffe dieses ‚Ergebnis‘ wird knallhart abgelehnt. Das ist echt ne Frechheit.“

Mehrere User sprechen an, dass der Ausverkauf bei der Post direkte – negative – Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen Verdis im öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen hat.

René, André, Sabrina und Tekin (v.l.) vor dem Paketzentrum Berlin-Süd im brandenburgischen Ludwigsfelde

Viele erklären, dass sie Verdi den Rücken kehren werden. Doch die meisten, mit denen die WSWS sprach, wissen, dass dies nur ein erster Schritt sein kann. Schon vor dem Paketzentrum Berlin-Süd im brandenburgischen Ludwigsfelde am Montagabend entspannte sich eine rege Diskussion mit René, André, Sabrina und Tekin darüber, was in der jetzigen Situation getan werden muss. Im Grunde waren alle für einen Streik und stimmten damit überein, dass er mit Arbeitern in anderen Bereichen, besonders im Gesundheitswesen, gemeinsam geführt werden müsse. Es herrschte auch die einhellige Meinung vor, dass die Gewerkschaft einen solchen Kampf nicht führen wird. Sie diskutierten daher angeregt über die Bedeutung des Post-Aktionskomitees.

Im letzten Aufruf des Aktionskomitees heißt es dazu: „Unsere Auseinandersetzung bei der Post ist von großer Bedeutung. Wir stehen vor großen Kämpfen. Europaweit und international entwickelt sich eine mächtige Bewegung gegen die Folgen der maßlosen Bereicherung an der Spitze der Gesellschaft, des Kriegs in der Ukraine und der Militarisierung.“ Verdis Versuch, den Streik zu verhindern, solle verhindern, dass sich diese Bewegung auf Deutschland ausweite. Denn: „Verdi und die anderen Gewerkschaften fürchten eine europäische Bewegung von Arbeiterinnen und Arbeitern wie der Teufel das Weihwasser. Aber genau eine solche Bewegung ist notwendig, um die Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen zurückzuschlagen.“

Es ist deshalb entscheidend, das Angebot bei der kommenden Urabstimmung abzulehnen und gleichzeitig das Post-Aktionskomitee zu stärken. Denn Verdi wird auch bei Ablehnung des Angebots alles daran setzen, einen Streik zu verhindern, weil sie ebenso wie die Konzerne eine europäische Bewegung fürchtet. Die Post-Beschäftigen müssen Vorbereitungen treffen, den Streik in die eigene Hand zu nehmen und Verdi das Verhandlungsmandat entziehen.

Kontaktiert das Aktionskomitee per Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 oder registriert euch gleich hier über das folgende Formular.

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