Am Mittwoch berichteten französische Medien, dass sich Präsident Emmanuel Macron auf Artikel 16 der Verfassung berufen könnte, um das Parlament außer Kraft zu setzen und den Notstand auszulösen. Dies macht deutlich, dass der Krieg in der Ukraine und die vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien und Frankreich für die Arbeiter von entscheidender Bedeutung sind: Die Gefahr einer autoritären Herrschaft geht nicht nur von rechtsextremen Kräften wie dem Rassemblement National (RN, Nationaler Zusammenschluss) aus. Die Parteien des kapitalistischen Establishments, die verzweifelt versuchen, den Krieg mit Russland und den Klassenkampf im eigenen Land zu eskalieren, debattieren ebenfalls über eine Hinwendung zur Diktatur.
Die Arbeiter können diese Bedrohungen nicht bekämpfen, wenn sie sich den sozialdemokratischen und pseudolinken Kräften wie der Neuen Volksfront in Frankreich unterordnen, die den Krieg mit Russland unterstützt. Macrons Drohung, das Parlament auszusetzen, entlarvt das Versprechen der Neuen Volksfront als leer und bankrott, sie würde Macron und den RN an der Wahlurne bekämpfen, indem sie eine parlamentarische Mehrheit gewinnt und eine neue kapitalistische Regierung bildet.
Wenn er sich darauf beruft, gewährt Artikel 16 der französischen Verfassung dem Präsidenten unbefristete „Notstandsbefugnisse“, um das Parlament auszusetzen und unkontrolliert zu regieren. In dem Artikel heißt es:
Wenn die Institutionen der Republik, die Unabhängigkeit der Nation, ihre territoriale Integrität oder die Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen ernsthaft bedroht sind und das normale Funktionieren der Verfassungsorgane gestört ist, ergreift der Präsident der Republik die unter diesen Umständen erforderlichen Maßnahmen und konsultiert dazu offiziell den Premierminister, die Sprecher der Parlamentskammern und den Verfassungsrat. Dies teilt er der Nation in einer Botschaft mit.
Es wurde öffentlich kein Grund genannt, warum Macron sich auf diesen Artikel berufen könnte. Der Radiosender Europe1 befürchtet „Exzesse“ bei Protesten nach den Wahlen am 7. Juli, während der rechtsextreme Sender CNews erklärt, die Berufung auf Artikel 16 könnte notwendig sein, „wenn keine Partei nach den Wahlen eine [parlamentarische] Mehrheit erhält.“ Unabhängig von der Begründung wäre die Berufung auf Artikel 16 ein verfassungswidriger Versuch Macrons, sich durch das göttliche Recht der Banken zum Diktator zu machen.
Das entscheidende Thema bei Macrons vorgezogenen Neuwahlen ist – wie auch bei den vom britischen Premierminister Rishi Sunak für den 4. Juli anberaumten vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien – der Krieg der Nato gegen Russland. Diese Wahlen zielen auf eine extrem rechte Umstrukturierung der offiziellen Politik vor dem Nato-Gipfel am 9. Juli in Washington ab, auf dem eine massive Eskalation des Krieges beschlossen werden soll.
Die herrschenden Klassen der Nato-Mächte wissen, dass es einen überwältigenden Widerstand in der Bevölkerung gegen ihre Verschwörungen gibt, vor allem in der Arbeiterklasse. Eine Umfrage der Eurasia Group vom 9. Juni ergab, dass 94 Prozent der Amerikaner und 88 Prozent der Westeuropäer wollen, dass die Nato mit Russland über einen Frieden in der Ukraine verhandelt.
Doch die Nato ist entschlossen, ihre erklärten Kriegspläne zur „strategischen Niederlage“ Russlands als Teil einer umfassenderen Strategie der Welteroberung fortzusetzen. Ziel der Nato-Planer ist es, einen Regimewechsel in Moskau zu erzwingen, Russlands Öl und strategische Mineralien zu plündern, Russland zu zwingen, seine militärische Unterstützung aus Syrien und anderen von der Nato ins Visier genommenen Ländern zurückzuziehen und Russland schließlich als Basis für einen neokolonialen Krieg gegen China zu nutzen. Macrons Diktaturpläne sind eine Warnung: Die Kapitalistenklasse wird nicht zulassen, dass die Demokratie oder die Arbeiter ihrer globalen Kriegsagenda im Wege stehen.
Die Arbeiter können den Krieg nicht stoppen, indem sie für die Neue Volksfront stimmen, ein Bündnis aus der Parti socialiste (PS, Sozialistische Partei), der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) und den Grünen, das von Funktionären der Partei La France insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich) von Jean-Luc Mélenchon ins Leben gerufen wurde. Die Neue Volksfront ist ein vollwertiger Teilnehmer an der rechten Umstrukturierung des politischen Establishments, die die herrschende Klasse mit den vorgezogenen Neuwahlen durchzusetzen versucht.
Die neue Volksfront ist nicht die Volksfront von 1934-1938, die damals die Arbeitermassenparteien – die sozialdemokratische Section francaise de l'Internationale ouvrière (SFIO, Französische Sektion der Arbeiterinternationale) und die stalinistische Kommunistische Partei (PC) – mit der bürgerlich-liberalen Radikalen Partei vereinte.
Trotzki warnte vor der konterrevolutionären Rolle dieses Bündnisses, das die Arbeiter an den bürgerlichen Liberalismus bindet. Sie ordnete die Masse der Arbeiter in der SFIO und der PC korrupten Cliquen in der Radikalen Partei unter, die von Persönlichkeiten wie Edouard Herriot und Edouard Daladier angeführt wurden. Nachdem sie den französischen Generalstreik von 1936 verraten und einen Kampf der Arbeiter für die Staatsmacht und den Sozialismus verhindert hatte, brach sie zusammen und ebnete den Weg für die Kollaboration der herrschenden Elite mit dem Nationalsozialismus ab 1940.
Die Trotzkisten konnten jedoch eine Zeit lang in die SFIO eintreten und dort trotz der erbitterten Feindseligkeit der SFIO-Führung unter den Mitgliedern arbeiten. In der Tat haben die Arbeiterparteien der Volksfront eine Politik betrieben, die für die heutige Neue Volksfront undenkbar ist. Sie gründeten die Arbeitermiliz Toujours prêts pour servir (TPPS, Allzeit bereit zu dienen), um Angriffe auf die Arbeiterbewegung durch faschistische Gruppen wie die Cagoule zu bekämpfen, und schlugen wichtige Sozialreformen vor, darunter den Acht-Stunden-Tag und bezahlten Urlaub.
Die Neue Volksfront vereint die PS, die seit ihrer Gründung 1971 eine langjährige bürgerliche Partei des französischen Imperialismus ist, mit Parteien der wohlhabenden Mittelschicht. Dazu gehören die PCF-Bürokratie, die in den Jahrzehnten seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 durch die Stalinisten ihre Basis in der Arbeiterklasse verloren hat, und die „populistische“ LFI. Sie schlägt keine nennenswerten sozialen Reformen vor und signalisiert aggressiv ihre Unterstützung für den Krieg der Nato gegen Russland.
In ihrem Wahlprogramm wird die „Lieferung geeigneter Waffen“ und die „Entsendung von Friedenstruppen“ in die Ukraine gefordert, „um den Angriffskrieg des [russischen Präsidenten] Wladimir Putin zu beenden.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Während Mélenchon erklärt, er wolle „unsere Differenzen über Bord werfen“ und sich mit der PS versöhnen, fordern Vertreter der Neuen Volksfront eine massive Erhöhung der Militärausgaben, die nur durch einschneidende Angriffe auf Löhne und Sozialprogramme finanziert werden könnte. Auf die Frage nach seiner Politik gegenüber Russland sagte der LFI-Funktionär François Ruffin, der den ersten Aufruf zur Bildung der Neuen Volksfront lanciert hatte:
Beginnen wir ganz einfach mit dem Aufbau unserer Kriegsindustrie. Europa muss seine Souveränität in Bezug auf Waffen, Kanonen, Kampfflugzeuge, die gesamte Palette an Waffen, Material und Technologie zurückgewinnen und darf nicht länger von den Amerikanern abhängig sein. Und es muss sich die Mittel dazu geben. ... Für die Kriegsanstrengungen müssen wir sorgfältig über die Einheit der Nation wachen.
Ruffins Aufruf, die nationale Einheit zu erzwingen, um Ressourcen in die Kriegsmaschinerie umzuleiten, ist durch und durch reaktionär. Es wird außerdem deutlich, warum die LFI den Ausverkauf der explosiven Proteste und Massenstreiks gegen Macrons Rentenkürzungen durch die Gewerkschaftsbürokratien im letzten Jahr unterstützt hat. Durch diese Kürzungen wurden den Rentnern Dutzende von Milliarden Euro entzogen, um Macrons rekordverdächtige Erhöhung des Militärhaushalts zu finanzieren – eine Politik, die Ruffin unterstützt.
Die Gewerkschaftsbürokratien, die die Volksfront unterstützen, stellen kein Hindernis für einen Rechtsruck der offiziellen Politik dar. Auf die Frage besorgter BFM-TV-Journalisten, ob es im Falle einer Machtübernahme durch den RN am 7. Juli zu einem Generalstreik kommen werde, beruhigte die Sekretärin des Confédération générale du travail (CGT, Allgemeiner Gewerkschaftsbund), Sophie Binet: „Die CGT hat in ihrer 130-jährigen Geschichte noch nie zu einem Generalstreik aufgerufen. ... Ich kann Ihnen nicht sagen, was wir am 8. Juli tun würden, wir würden uns zusammensetzen und möglichst weitgehend eine gemeinsame Entscheidung treffen.“
Die Nato-Eskalation gegen Russland wird explosiven Widerstand hervorrufen. Aber diese Ereignisse sind eine dringende Warnung: Eine Bewegung gegen Krieg und Diktatur kann nur von unten aufgebaut werden, indem die Arbeiterinnen und Arbeiter unabhängig von den Bürokratien und gegen diese mobilisiert werden.
Inmitten einer tödlichen Krise des Weltkapitalismus ist vor allem der Aufbau der Parti de l'égalité socialiste (PES, Sozialistische Gleichheitspartei) erforderlich, der französischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), als trotzkistische Opposition zur Neuen Volksfront. So wie es keinen Sozialismus ohne Demokratie geben kann, wird es auch keine Demokratie ohne den Kampf der Arbeiter in Frankreich und international für den Sozialismus geben.
Zum Hintergrund über die Volksfront in Frankreich in den 1930er Jahren und den Kampf der Trotzkisten für eine revolutionäre Perspektive empfiehlt die WSWS allen Lesern die Lektüre von Trotzkis Schriften über Frankreich, die letztes Jahr im Mehring Verlag erschienen sind und hier bestellt werden können. Das Vorwort von Peter Schwarz ist hier zu lesen.
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