Wenige Tage vor der ersten Runde der französischen Parlamentswahl am kommenden Sonntag liegt das Rassemblement National (RN) deutlich vorn. Je nach Umfrage wollen 32 bis 36 Prozent der Wähler für die rechtsextreme Partei stimmen. Weitere 4 Prozent entfallen auf den Flügel der zerstrittenen Republikaner, der sich für ein Bündnis mit dem RN ausgesprochen hat.
Die Neue Volksfront – ein Wahlbündnis der pseudolinken La France insoumise, der Sozialistischen Partei (PS), der Kommunistischen Partei und der Grünen – liegt deutlich dahinter zwischen 27 und 29 Prozent. Ensemble, das Wahlbündnis von Präsident Emmanuel Macron, kommt weit abgeschlagen auf 20 Prozent.
Wie sich das auf die Sitzverteilung im Parlament auswirkt, entscheidet erst der zweite Wahlgang am 7. Juli, zu dem Kandidaten zugelassen sind, die im ersten mindestens 12,5 Prozent erreichen. Da hier weitere Absprachen möglich sind, lässt sich das genaue Ergebnis nur schwer voraussagen. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass das RN mit rund 250 Sitzen stärkste Fraktion wird, die absolute Mehrheit von 289 Sitzen aber verfehlt.
Die WSWS hat bereits letzte Woche davor gewarnt, dass die Volksfront eine Falle für die Arbeiterklasse sei. Ziel der von Präsident Macron ausgerufenen Neuwahlen sei „eine extrem rechte Umstrukturierung der offiziellen Politik vor dem Nato-Gipfel am 9. Juli in Washington, auf dem eine massive Eskalation des Krieges [gegen Russland] beschlossen werden soll“. Die Neue Volksfront sei kein Gegner, sondern „ein vollwertiger Teilnehmer an der rechten Umstrukturierung des politischen Establishments“. Sie schlage „keine nennenswerten sozialen Reformen vor“ und signalisiere „aggressiv ihre Unterstützung für den Krieg der Nato gegen Russland“.
Der Verlauf des Wahlkampfs hat diese Warnung bestätigt. Die Neue Volksfront bekräftigt nicht nur ständig ihre Bereitschaft, auch die rechteste Politik mitzutragen, falls sie die Wahl doch noch gewinnen sollte. Sie lässt sich auch von den reaktionärsten Kräften in ihren Reihen vor sich hertreiben.
Jean-Luc Mélenchon, der Führer von LFI, der bei der Präsidentenwahl 2022 noch knapp 8 Millionen Stimmen erhalten und mit 22 Prozent den Einzug in die Stichwahl nur knapp verfehlt hatte, hat sich im Namen der „Einheit gegen die Rechte“ mit einigen der reaktionärsten und verhasstesten Politikern Frankreichs verbündet.
Raphaël Glucksmann, Spitzenkandidat der Sozialisten in der Europawahl vom 9. Juni und einer der Architekten der Neuen Volksfront, unterstützt den israelischen Genozid in Gaza und zählt zu den Vorreitern des Nato-Kriegs gegen Russland. Er lebte jahrelang in Georgien und der Ukraine, diente dem umstrittenen, prowestlichen georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili als Berater und war in erster Ehe mit Eka Zgouladze verheiratet, die Justizministerin Georgiens und – nach dem pro-westlichen Putsch von 2014 – stellvertretende Innenministerin der Ukraine war.
François Hollande, französischer Präsident von 2012 bis 2017, bewirbt sich für die Sozialistische Partei um einen Abgeordnetensitz – ein bisher einmaliger Vorgang für einen ehemaligen Präsidenten. Hollandes Amtszeit war durch heftige Angriffe auf die Arbeiterklasse geprägt. Er schob in Frankreich wohnende Roma nach Osteuropa ab, begann die imperialistische Intervention in Mali und verabschiedete ein reaktionäres Arbeitsgesetz, gegen das Millionen auf die Straße gingen. Er war am Schluss derart unpopulär, dass er auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit verzichtete.
Hollande ist auch der politische Ziehvater seines Nachfolgers Emmanuel Macron, des „Präsidenten der Reichen“. Er holte den parteilosen Investmentbanker nach seinem Wahlsieg als Berater und stellvertretender Generalsekretär ins Präsidentenamt und ernannte ihn später zum Wirtschaftsminister.
Nun führen Hollande und andere rechte Mitglieder der Volksfront vor allem einen Wahlkampf gegen Mélenchon, mit dem sie formal verbündet sind. Hollande forderte den Führer von LFI öffentlich auf, den Mund zu halten. „Wenn er der Neuen Volksfront einen Dienst erweisen will, muss er beiseitetreten und schweigen,“ sagte er auf einer Wahlveranstaltung.
Lionel Jospin, ehemaliger sozialistischer Ministerpräsident, erklärte, Mélenchon sei keine Lösung. Fabien Roussel, Chef der Kommunistischen Partei, sagte: „Jean-Luc Mélenchon gehört nicht zur politischen Landschaft der Neuen Volksfront.“ Und Grünen-Chefin Marine Tondelier verkündete, Mélenchon werde niemals Premierminister werden.
Mélenchon reagiert auf diese Angriffe, indem er sich permanent für seine eigene Politik entschuldigt und seinen Verbündeten anfleht, dass er es sei, der ihnen Stimmen bringe und ihnen den Weg zurück in politische Ämter ebne. Besonders deutlich zeigte dies ein Interview, dass der Fernsehsender France 2 am Montag ausstrahlte.
Mélenchon betonte immer wieder, dass er nicht nach dem Amt des Regierungschefs strebe. Er sei zwar dazu bereit, wenn er gerufen werde: „Aber ich dränge mich nicht auf.“ Schließlich betonte er zwei Mal: „Ich bin kein Kandidat für irgendetwas.“ Er habe seine Kritiker in der Sozialistischen Partei gewarnt, betonte er: „Mélenchon ist der Mann, der dafür sorgt, dass die Türen in den Arbeitervierteln geöffnet werden. Hollande ist der Mann, der dafür sorgt, dass die geschlossen werden.“ Er halte sich für „einen Trumpf“.
Deutlicher könnte er nicht sagen, dass er seine Aufgabe darin sieht, den völlig diskreditierten Politikern der Sozialistischen Partei zu neuem Ansehen zu verhelfen.
Gleichzeitig stellte Mélenchon klar, dass er, sollte das RN die Wahl gewinnen und die nächste Regierung stellen, jegliche Mobilisierung dagegen ablehnt. Präsident Macron hatte vorher in einem Podcast gewarnt, die Wahl der extremen Linken oder Rechten werde zu einem „Bürgerkrieg“ führen. Bereits letzte Woche war bekannt geworden, dass Macron droht, den Notstand auszulösen und eine autoritäre Herrschaft zu errichten, falls die Wahl nicht nach seinen Wünschen verläuft.
Nun versicherte Mélenchon, dass er die Rolle der loyalen Opposition spielen werde, falls Macron eine Regierung unter RN-Chef Jordan Bardella berufe. Auf die Frage, ob er das „Wahlurteil“ respektieren werde, falls das RN die Mehrheit gewinne und die Regierung bilde, antwortete Mélenchon: „Per Definition, ja.“ Wer Angst vor dem souveränen Wählervolk habe, sei kein Demokrat. Es sei dann seine Aufgabe, darauf zu achten, dass das RN die Republik und ihre „Grundwerte“ respektiere.
Mélenchons Unterordnung unter seine rechten Bündnispartner und seine Bereitschaft, unter einer RN-Regierung als loyale Opposition zu dienen, sind kein Missverständnis. Er selbst ist ungeachtet seines manchmal radikalen Auftretens ein durch und durch bürgerlicher Politiker. Er war viele Jahre Mitglied der pro-kapitalistischen Sozialistischen Partei und diente unter Jospin als Minister. Früher hatte er sogar seine Bereitschaft erklärt, sowohl unter Präsident Macron wie unter einer Präsidentin Le Pen Premierminister zu werden.
Den Klassenkampf lehnt er explizit zugunsten eines schwammigen Populismus ab. Seine Sozialpolitik geht nicht über leichte Steuererleichterungen für die Mittelschicht und minimale Erhöhungen für die Reichen hinaus, insbesondere für in Frankreich aktive US-Konzerne. Das kapitalistische Privateigentum tastet er nicht an.
Die Politik der Neuen Volksfront stoppt den Aufstieg des RN nicht, sondern begünstigt ihn. Der Kampf gegen die extreme Rechte und die Gefahr einer Diktatur ist keine Frage der Wahltaktik, sondern des Klassenkampfs. Der Aufstieg des RN und ähnlicher Parteien in anderen Ländern ist nur der schärfste Ausdruck des Rechtsrucks der gesamten herrschenden Klasse. Ihre Politik des Kriegs, des Militarismus und des Sozialabbaus verträgt sich nicht mit Demokratie.
Eine Bewegung gegen Krieg und Diktatur kann nur von unten aufgebaut werden, durch die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse. Die Aufgabe einer solchen Bewegung besteht nicht darin, die Gewerkschaften, La France insoumise und andere Parteien unter Druck zu setzen, damit sie ihre Politik ändern. Das werden sie nicht tun. Sie muss für den Sturz des Kapitalismus, die Errichtung einer Arbeiterregierung und die Reorganisation der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage kämpfen. Ohne die Macht des Finanzkapitals und der Konzerne zu brechen, kann kein einziges Problem gelöst werden.
Das erfordert den Aufbau einer neuen Partei, des Parti de l'égalité socialiste und des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI).