Perspektive

Nein zu Macron und Le Pen! Die Krise der französischen Wahlen, die Gefahr des Faschismus und der Verrat der Neuen Volksfront

Die erste Runde der vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron ausgerufenen vorgezogenen Neuwahlen hat zu einem Debakel für Macrons Partei geführt und die politische Fäulnis des kapitalistischen Establishments offengelegt. Ganze 11 Millionen Menschen, darunter 57 Prozent der Arbeiter in Frankreich, stimmten für Marine Le Pens neofaschistische Nationale Sammelbewegung (Rassemblement National, RN) und ihre Verbündeten. Neun Millionen stimmten für das Bündnis Neue Volksfront (Nouveau Front populaire, NFP) von Jean-Luc Mélenchon, während Macrons Partei auf 6 Millionen Stimmen zusammenbrach.

Der französische Präsident Emmanuel Macron (rechts) trifft die Anführerin des rechtsextremen Rassemblement National (Nationale Sammelbewegung), Marine Le Pen, im Elysee-Palast am 21. Juni 2022 in Paris [AP Photo/Ludovic Marin]

Die Parti de légalité socialiste (PES) steht sowohl der Neofaschistin Le Pen als auch dem Bankier Macron, Frankreichs verhaßtem „Präsidenten der Reichen“, unversöhnlich gegenüber. Sie befürwortet jedoch weder Unterstützung für Mélenchons NFP noch eine Stimmabgabe für sie. Die NFP arbeitet daran, Arbeiter und Jugendliche, die gegen Macron und gegen Le Pen kämpfen wollen, systematisch in die Irre zu führen und den Aufbau einer Bewegung in der Arbeiterklasse zu blockieren, indem sie versucht, ein Regierungsbündnis mit Macron zu bilden.

Die Wählerstimmen für den RN unter Arbeitern drücken nicht massenhafte Unterstützung für die Politik von Völkermord und Krieg aus, wie sie von den mit den Nazis verbündeten Vorgängern des RN betrieben wurde. Vielmehr spiegeln diese Stimmen in verzerrter Form Empörung und Hass auf Macron wider. Eine überwältigende Mehrheit der Franzosen lehnt Macrons tiefe Einschnitte in die Renten und den Lebensstandard ab, ebenso wie seine atemberaubend rücksichtslose Forderung, Truppen in die Ukraine zu entsenden, um einen Krieg gegen die Atommacht Russland zu führen.

Arbeiter in den kleineren Städten und ländlichen Gebieten, in denen sich die RN-Wählerschaft konzentriert, suchen nach einem Weg, um zu kämpfen. Sie schlossen sich 2018 und 2019 den „Gelbwesten“-Protesten gegen Macron an und beteiligten sich letztes Jahr in großer Zahl an den Protesten gegen seine Rentenkürzungen.

Dass die extreme Rechte von der sozialen und politischen Unzufriedenheit derzeit profitieren kann, liegt daran, dass Arbeiter seit Jahrzehnten systematisch von den Parteien der bürgerlichen Pseudolinken und den Gewerkschaftsbürokratien verraten wurden.

Mélenchon und die NFP bieten Arbeitern keinen Weg zum Aufbau einer proletarischen Massenbewegung gegen Krieg und Faschismus. Sie ziehen keine politischen Lehren aus der Art und Weise, wie die Gewerkschaftsbürokratien die „Gelbwesten“ isolierten, blutiger Polizeirepression aussetzten und schließlich die Massenproteste gegen Macrons illegitime Rentenkürzungen im letzten Jahr schändlich ausverkauften. Sie streben nicht nach dem Aufbau einer kämpfenden Bewegung der Arbeiter.

Die NFP arbeitet stattdessen daran, einen solchen Kampf zu ersticken. Sie schließt Wahlabsprachen, Wahlkreis für Wahlkreis, um eine kapitalistische Koalitionsregierung mit Macron zu bilden, in der Mélenchon als Macrons Premierminister fungieren könnte. Macron hat bereits damit gedroht, sich auf Artikel 16 der französischen Verfassung zu berufen, der es ihm erlauben würde, das Parlament und die Regierung auszusetzen und wie ein Diktator zu regieren, wenn eine solche Regierung eine Politik vertritt, die er für die Banken als inakzeptabel erachtet.

Indem Mélenchon auf dieser Grundlage dennoch Gespräche mit Macron aufnimmt, bereitet er keinen Kampf gegen den Neofaschismus vor. Er lässt vielmehr zu, dass der RN argumentieren kann, die „Linken“ seien Macrons Komplizen und ohnmächtige Werkzeuge der Banken, und französische Arbeiter müssten den RN unterstützen, um Macron entgegenzutreten. Die gesamte Geschichte der französischen und europäischen Politik im 21. Jahrhundert hat gezeigt, dass dies die extreme Rechte stärkt.

Die PES weist das Argument zurück, wonach ein Bündnis der NFP mit Macron das Beste sei, was man erwarten könne, und dass es für eine linke, revolutionäre Politik keine Unterstützung gebe. Trotzki antwortete auf diese Argumente schon vor langer Zeit, als er dafür kämpfte, die Vierte Internationale als politische Alternative zu den stalinistischen, sozialdemokratischen und bürgerlich-liberalen Kräften der Volksfront von 1934-1938 zu gründen. Über die Gefahr einer Bewegung in Richtung Faschismus in der großen Bauernschaft, die Frankreich zu dieser Zeit hatte, und über deren mangelnde Unterstützung für die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien schrieb er:

Es ist falsch, dreimal falsch, zu behaupten, das heutige Kleinbürgertum gehe nicht mit den Arbeiterparteien, weil es „extreme Maßnahmen“ scheue. Ganz im Gegenteil. Die unteren Schichten des Kleinbürgertum, seine breiten Massen, sehen in den Arbeiterparteien nur Parlamentsmaschinen, trauen nicht der Kraft der Arbeiterparteien, ihrer Kampffähigkeit, ihrer Bereitschaft, diesmal den Kampf bis ans Ende zu führen.

Heute ist es dreimal falsch zu behaupten, dass Massen von Arbeitern für die RN stimmen, weil sie einen Kampf gegen den Kapitalismus ablehnen würden. Sie haben vielmehr jahrzehntelange und bittere Erfahrungen mit der arbeiterfeindlichen Politik der Parteien in der NFP gemacht. Die NFP – ein Zusammenschluss der konzernfreundlichen Sozialistischen Partei (PS), der stalinistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), der pablistischen Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) und Mélenchons Partei Unbeugsames Frankreichs (LFI) – ist nicht die Volksfront der 1930er Jahre.

Schon damals waren die Trotzkisten Gegner der Volksfront, die den französischen Generalstreik von 1936 verraten und einen Kampf der Arbeiter um die Staatsmacht und den Sozialismus verhindern sollte – und damit letztlich den Weg für die Kollaboration der französischen Bourgeoisie mit dem Nationalsozialismus ebnete. Die Trotzkisten konnten jedoch in der Massenbasis von Léon Blums sozialdemokratischer SFIO arbeiten.

Trotz Blums erbitterter Feindseligkeit gegenüber den Trotzkisten spielten diese eine führende Rolle bei Initiativen wie dem Aufbau der TPPS-Miliz (Always Ready to Serve), um die Arbeiterbewegung gegen faschistische Angriffe zu verteidigen. In der SFIO fanden die Trotzkisten ein Publikum unter Arbeitern, die mit der Sowjetunion sympathisierten und sich von den von der SFIO geforderten Sozialreformen wie dem Achtstundentag und bezahltem Urlaub angezogen fühlten.

Doch die soziale Basis der heutigen NFP besteht aus einem Bündnis zwischen der imperialistischen Bourgeoisie und wohlhabenden pseudolinken Schichten der Mittelklasse in der akademischen Welt und der Gewerkschaftsbürokratie. Ihr Programm fordert eine Eskalation des Krieges mit Russland, namentlich durch die „notwendige Lieferung von Waffen“ und die „Entsendung von Friedenstruppen“ in die Ukraine. Die NFP befürwortet Macrons Polizeistaat und fordert „die Beibehaltung aller militärischen Polizeieinheiten“ und die Stärkung der französischen Geheimdienste.

Als Kandidaten stellt die NFP den weithin verachteten ehemaligen PS-Präsidenten François Hollande auf. Hollande, der als erster französischer Präsident öffentlich Neofaschisten in den Elysée-Präsidentenpalast einlud, hat Arbeiter, die sich keine Zahnbehandlung leisten können, als „Zahnlose“ verspottet. Als unverhohlener Feind der Arbeiterklasse appellierte Hollande 2012 an die Londoner Bänker, seine Präsidentschaftskandidatur zu finanzieren, indem er sagte: „Heute gibt es keine Kommunisten mehr in Frankreich. Die Linke hat die Wirtschaft liberalisiert und die Märkte für Finanzen und Privatisierung geöffnet. Es gibt nichts zu befürchten.“

Was die NFP darlegt, ist keine Perspektive des Klassenkampfes, sondern das Programm einer kapitalistischen Regierung, die umgehend auf massenhafte Opposition in der Arbeiterklasse stoßen würde. Die NFP begründet diese Politik mit der Behauptung, dass Macron – dessen Polizeistaatsapparat angefangen bei Innenminister Gérald Darmanin randvoll mit Neofaschisten gefüllt ist – als Schutzwall gegen den Neofaschismus dienen wird. Das ist eine politische Lüge.

Es müssen Lehren aus der Krise um die Präsidentschaftswahlen von 2002 gezogen werden, als der Einbruch der Stimmen für die PS zu einer Stichwahl zwischen dem rechten Kandidaten Jacques Chirac und dem Neofaschisten Jean-Marie Le Pen führte. Es kam zu Massenprotesten gegen die Präsenz eines Neofaschisten auf dem Stimmzettel und die vergiftete Auswahl, die den Wählern präsentiert wurde. Während Millionen auf die Straße gingen, rief das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) dazu auf, in der Arbeiterklasse für einen aktiven Wahlboykott zu kämpfen. Wir riefen

alle Organisationen, denen es um die Verteidigung der Arbeiterklasse geht, zu einer aktiven Kampagne für einen Boykott der Präsidentschaftswahlen am 5. Mai auf. Keine politische Unterstützung für Le Pen oder Chirac! Mobilisiert die arbeitenden Menschen und die Jugendlichen in Frankreich gegen diese undemokratische Scheinwahl!...

Ein Boykott ist notwendig, um diesen Scheinwahlen ihre Legitimität abzusprechen. Er ist notwendig, weil er der Arbeiterklasse eine unabhängige politische Linie gibt und weil ein aktiver und kühner Boykott die besten Voraussetzungen für die politischen Kämpfe schaffen wird, zu denen es nach den Wahlen kommen wird.

Die PS, Mélenchon, die PCF und die Pablisten haben diese Politik abgelehnt. Indem sie Chirac als Verfechter der Demokratie unterstützten, überließen sie den Neofaschisten den Mantel der Opposition gegen das politische Establishment. Diese katastrophale Politik der Umarmung kapitalistischer Politiker als „Demokraten“ hat in mehr als zwei Jahrzehnten zu einem massiven Wachstum der extremen Rechten geführt. Ihre heutige Wiederholung durch die NFP, die ein Wahlbündnis mit Macron eingeht, wird Le Pen nur weiter stärken.

Krieg und faschistische Reaktion können nur durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse in Frankreich, ganz Europa und international im Kampf gegen den Kapitalismus gestoppt werden. Er wird nicht an der Wahlurne gestoppt werden. Unabhängig vom Ergebnis von Macrons vorgezogenen Neuwahlen wird der Boden für eine explosive Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und dem kapitalistischen politischen Establishment bereitet.

Diese Konfrontation kann jedoch nur durch den Aufbau einer Bewegung von unten geführt werden, unter einfachen Arbeiterinnen und Arbeitern, unabhängig von den Bürokratien der NFP. Die politische Grundlage eines solchen Kampfes ist der Kampf des IKVI und seiner französischen Sektion, der PES, gegen die Volksfrontpolitik und die Pseudolinken – für die Verteidigung des Erbes und der Kontinuität des Trotzkismus und des Kampfes für die internationale sozialistische Revolution.

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