„Die Stimmung in ganz Wolfsburg ist gekippt“

VW-Arbeiter in Wolfsburg: „Das Vertrauen in den Betriebsrat ist weg“

Am Donnerstag diskutierten Reporter der World Socialist Web Site mit VW-Arbeitern in Wolfsburg darüber, wie die weltweiten Angriffe der Konzernleitung auf Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsplätze zurückgeschlagen werden können. Die Perspektive der WSWS, von der korporatistischen Gewerkschaftsbürokratie unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die Beschäftigte über Standorte und Nationen hinweg vereint, stieß auf große Unterstützung.

Die WSWS-Reporter erläuterten, dass die Aktionskomitees dafür kämpfen sollten, alle Arbeitsplätze weltweit prinzipiell zu verteidigen und sämtliche geheimen Absprachen zwischen Konzernleitung und Betriebsrat über das Kürzungsprogramm offen zu legen. Vor allem zielen die Aktionskomitees darauf ab, der von den Gewerkschaften vermittelte Spaltung der Belegschaften entlang von Standorten und Nationen ein Ende zu setzen und eine globale Strategie zu diskutieren.

Unter den Arbeiterinnen und Arbeitern, mit denen die WSWS sprach, unterstützten alle ein vereintes internationales Vorgehen der Belegschaft. Niemand verteidigte die Rolle des Konzernbetriebsrats und der IG-Metall, die öffentlich bekundet haben, dass sie die vom Vorstand vorgelegte „Analyse teilen“. Mehrere nahmen gleich eine Reihe von Flugblättern mit, um die Forderungen mit Kollegen zu diskutieren und am kommenden Mittwoch um 19 Uhr am Online-Treffen des Aktionskomitees teilzunehmen.

Am Werkstor von VW in Wolfsburg

Ein Arbeiter einer Dienstleistungsfirma, die im Werk Fahrzeuge prüft, berichtet: „Ich habe Familienmitglieder, die seit 25 Jahren bei VW arbeiten. Die Stimmung ist natürlich gekippt, das merkt man in ganz Wolfsburg - nicht nur hier, wo man arbeitet, sondern auch draußen in der Stadt. Man trifft häufig Volkswagen-Mitarbeiter, die sehr nachdenklich aussehen.“

„Das Vertrauen ist auf jeden Fall weg“, sagt Sarah, die seit 2007 im Werk arbeitet. „Manche Kollegen haben schon gefragt, wie man den Betriebsrat endlich abwählen kann.“ Wie Sarah berichtet, wird an ihrem Arbeitsplatz seit Jahren kein neues Personal eingestellt, wenn Kollegen in Rente gehen: „Man verlangt aber die gleiche Stückzahl. Dann wurde gestern unsere Beschäftigungssicherung gekündigt, die bis 2029 gelten sollte. Es wird jetzt also schön an der Schraube gedreht.“

Sarah reagierte besonders positiv auf die Möglichkeit, anonym am Treffen des Aktionskomitees teilzunehmen und äußerte die Befürchtung, dass Informanten des Betriebsrats sonst „wissen, wen wir als erstes entlassen“. Mehrere Arbeiter reagierten anerkennend und interessiert, als die WSWS-Reporter erklärten, politische Gegner des IG-Metall-Apparats zu sein, der andere Interessen habe als die Arbeiter und mit der Konzernleitung konspiriere.

Bernd*, der anonym bleiben möchte, sagt: „Das Familienleben ist wirklich schwer geworden. Manche arbeiten nur vier Tage, andere müssen auch am Wochenende arbeiten.“ Die unterschiedlichen Regelungen und Arbeitsbedingungen machten es schwierig, einen gemeinsamen Kampf zu entwickeln, sagt er. „Als einzelne können wir nichts machen. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Dort muss man erstmal aufräumen. Die ganze Regierung ist kriminell und müsste eigentlich weg. Sie arbeitet nur noch gegen uns. Man kann aber niemanden mehr wählen. Jeder lügt, um an die Macht zu kommen. ‚Kinder an die Macht‘ wäre meine Alternative.“ Ein befreundeter Kollege sagt: „Auf den kleinen Mann wird immer eingeschlagen, wenn er sich bewegt.“ Beide sind Zeitarbeiter und befürchten, als erste entlassen zu werden.

Darauf angesprochen, dass die Arbeitsplätze auch gegen das korrupte System aus Management, Gewerkschaftsbürokratie und Betriebsrat verteidigt werden müssen, sagt ein Arbeiter im Vorbeigehen: „Man kann sie gar nicht mehr auseinanderhalten. Ich weiß nicht mehr, wo das Management aufhört und wo der Betriebsrat anfängt.“ Wie um diese Einschätzung zu bestätigen, sagt wenige Minuten später ein anderer abwinkend: „Ich bin Vertrauensmann, ich weiß schon mehr.“

„Die Manager wollen weiterhin ihre Taschen genauso voll haben“, sagt ein Arbeiter, der kurz vor der Rente steht. „Wenn man sich an das ganze Geld gewöhnt hat, gibt man es nicht mehr her. Die Korruption der Gewerkschafter gab es schon unter [dem Vorstandsvorsitzenden und später Aufsichtsratsvorsitzenden Ferdinand] Piëch. Da hat man manchen Leuten einfach ein Auto gegeben, um sie zu bestechen.“

Das VW-Werk in Wolfsburg, eines der größten Fabrikkomplexe der Welt

Ein Artikel der Wirtschaftswoche vom 9. September spricht offen aus, dass die milliardenschweren Einsparungen des „Performance“-Programms von VW einzig dem Zweck dienen, die Banktresore der Kapitaleigner weiter zu füllen. Unter der Überschrift „Sind Dividendenzahlungen schuld an der VW-Krise?“ meldet das Wirtschaftsblatt, dass im Juni „für das Geschäftsjahr 2023 insgesamt rund 4,5 Milliarden Euro an Aktionäre“ ausgeschüttet wurden.

Der größte individuelle Absahner ist der Familienclan der Nazi-Profiteure Porsche und Piëch: „Sie halten über die Porsche Holding 31,9 Prozent des VW-Kapitals, bekamen also einen besonders großen Teil des Dividendenkuchens. Sie konnten die Ausschüttung wohl gut gebrauchen, um Schulden abzubauen, die beim Kauf der Porsche AG aufgelaufen sind.“

Im Flugblatt der WSWS heißt es dazu: „Porsche/Piëch verdanken ihren Reichtum dem Umstand, dass sie Nachkommen von Ferdinand Porsche und dessen Schwiegersohn Anton Piëch sind, die als Günstlinge Adolf Hitlers das Volkswagenwerk für die Nazis aufbauten. Der Grundstein für das Milliardenvermögen der Porsches und Piëchs legten 20.000 Zwangsarbeiter, die während des Zweiten Weltkriegs im VW-Werk unter unmenschlichen Bedingungen Rüstungsgüter für die Wehrmacht produzierten.“

Wie die WSWS-Reporter betonten, ist eine zentrale Forderung, für die das Aktionskomitee eintritt, die Enteignung der VW-Eigentümerfamilie sowie ihrer Konkurrenten, die sich auch heute an Krieg und sozialer Verwüstung bereichern.

Sie fügten hinzu, dass sich unter den Kollegen des VW-Konzerns in Belgien in diesen Tagen eine Massenbewegung gegen den geplanten Stellenabbau entwickelt. In den USA wiederum haben Arbeiter des VW-Konkurrenten Stellantis und des Autozulieferers Dakkota in Opposition zur Gewerkschaft United Auto Workers bereits mit dem Aufbau eigener Aktionskomitees begonnen. Sie wehren sich ebenfalls gegen massiven Stellenabbau und Reallohnsenkungen.

Im Flugblatt, das die WSWS-Reporter verteilten, heißt es: „Die Gründung eines Aktionskomitees bei VW wird entscheidend dazu beitragen, den Kampf gegen den Kahlschlag bei VW zum Bestandteil einer systematischen, internationalen Offensive in der Auto- und Zulieferindustrie zu machen.“ Dies sind die darin vorgeschlagenen Forderungen:

  • Verteidigung aller Arbeitsplätze an allen Standorten! Keine Zugeständnisse bei Löhnen und Sozialleistungen.
  • Schluss mit den Verhandlungen hinter geschlossenen Türen. Offenlegung aller Einzelheiten des „Performance-Programms“. Das gewerkschaftsunabhängige Aktionskomitee wird sie überprüfen und standortübergreifende Kampfmaßnahmen ergreifen.
  • Kampf gegen die Spaltung der Belegschaften nach Standorten, Ländern und Automarken. Das Aktionskomitee muss sich der Profitlogik widersetzen und die Bedürfnisse und Rechte der Beschäftigten höherstellen als die Rendite der Milliardärclans und Investoren.

Wir rufen alle VW-Beschäftigten auf: Beteiligt euch an der Gründung des Aktionskomitees. Meldet euch per Whatsapp-Nachricht unter +491633378340 oder füllt das Formular aus und kommt am Mittwoch, den 18. September um 19 Uhr hier zum ersten Online-Treffen des Aktionskomitees. Die Teilnahme kann anonym erfolgen.

* Name von der Redaktion geändert.

Loading