Auf Antrag der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), einer maoistischen Organisation, fand am 10. Dezember eine Sondersitzung des Bundeswahlausschusses statt. Der Ausschuss entschied, dass die Partei keine gültige Beteiligungsanzeige zur Bundestagswahl einreichen könne, weil sie über „keinen handlungsfähigen Vorstand“ verfüge. Praktisch kommt dies einem Ausschluss der MLPD von der Wahl gleich, die voraussichtlich am 23. Februar stattfindet.
Der Bundestagswahlausschuss begründete seine Entscheidung mit einer Formalie. Laut Parteiengesetz muss eine Partei ihren Vorstand „mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr“ wählen. Die MLPD wählt aber ihren Vorstand laut eigenen Statuten nur alle vier Jahre. Obwohl dies seit Jahrzehnten so ist, soll sie deshalb zum ersten Mal an der Wahlteilnahme gehindert werden.
Die Entscheidung ist ein fundamentaler Angriff auf das demokratische Grundrecht auf freie Wahlen und muss entschieden zurückgewiesen werden. Der Bundeswahlausschuss treibt damit die antidemokratischen Methoden auf die Spitze, mit denen nicht etablierte Parteien an der Wahlteilnahme gehindert werden.
Parteien, die nicht seit einer Legislaturperiode mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder einem Landesparlament vertreten sind, müssen tausende Unterstützungsunterschriften sammeln und beim Bundeswahlleiter sowie bei unterschiedlichen Landes- und Kreiswahlleitern zahlreiche Formulare und Dokumente einreichen, um zur Wahl zugelassen zu werden.
Pro Bundesland sind meist 2000 Unterschriften für eine Wahlliste sowie 200 weitere pro Direktkandidat je Wahlkreis erforderlich. Um bundesweit zu kandidieren, sind weit über 30.000 gültig Unterschriften nötig. Dabei müssen sämtliche persönliche Daten angegeben werden und alle Unterschriften von den Meldebehörden darauf überprüft werden, ob die Unterstützer deutsch, volljährig und im jeweiligen Bundesland/Wahlkreis wahlberechtigt sind.
Der vorgezogene Wahltermin macht diese hohen bürokratischen Hürden nahezu unüberwindlich. Die Fristen, innerhalb derer die Unterlagen und Unterschriften beizubringen sind, verkürzen sich dramatisch, ohne dass die Auflagen deshalb gesenkt werden. Dazu kommt, dass die Unterschriften in kaltem Winterwetter und in der Weihnachts- und Vorweihnachtszeit gesammelt werden müssen, in der viele Menschen im Urlaub sind.
Dem Bundeswahlausschuss und den hinter ihm stehenden Kräften im Staatsapparat und den etablierten Parteien reicht dies aber alles noch nicht aus. Dort ist man entschlossen, jeden noch so fadenscheinigen Vorwand zu nutzen, um nicht etablierte Parteien zu schikanieren und von den Wahlen fernzuhalten. Eine andere Erklärung dafür gibt es nicht, weshalb eine jahrzehntelang tolerierte einzelne Abweichung der Statuten der MLPD vom Parteiengesetz nun auf einmal dazu dient, einer Partei die „Handlungsfähigkeit“ abzusprechen, um sie von der Bundestagswahl auszuschließen.
Das vorzeitige Ende der Ampelkoalition und die damit einhergehende Entscheidung für vorgezogene Neuwahlen dienen nicht dazu, die Bevölkerung, in der die Ampel zurecht verhasst ist, zu Wort kommen zu lassen, sondern einer noch reaktionäreren Regierung an die Macht zu verhelfen. Das ist unvereinbar mit demokratischen Grundrechten und Prinzipien. Davor hat die Sozialistische Gleichheitspartei von Anfang an gewarnt. Der Angriff auf die Rechte der MLPD durch den Bundeswahlausschuss bestätigt das. Er muss zurückgewiesen werden.
Der Bundeswahlausschuss, der über die Wahlzulassung von Parteien entscheidet, ist nicht demokratisch legitimiert. Er besteht aus der Bundeswahlleiterin und deren Stellvertreter, die beide vom Bundesinnenminister berufen werden, sowie aus acht von ihr berufenen Wahlberechtigten als Beisitzern und zwei Richtern des Bundesverwaltungsgerichts. Bei den Beisitzern handelt es sich um Vertreter der etablierten Parteien, die über die Wahlteilnahme ihrer parteipolitischen Konkurrenten entscheiden.
Dem Antrag der Bundeswahlleiterin Ruth Brand, dass der Vorstand der MLPD die Partei beim Einreichen der Beteiligungsanzeige nicht wirksam vertreten könne, folgten sieben Mitglieder des Bundeswahlausschusses. Drei votierten dagegen, wobei sich die Bundeswahlleiterin selbst enthielt. Dafür stimmten beide Richter des Bundesverwaltungsgerichts sowie die Vertreter von CDU, CSU, AfD und Grünen, dagegen die Vertreter von SPD und FDP.
Die Entscheidung ist nicht nur undemokratisch, sie ist auch juristisch nicht haltbar. Nach unbestrittenen Angaben der MLPD wurde die Satzungsbestimmung, den Vorstand alle vier Jahre zu wählen, seit der Gründung der Partei 1982 nicht geändert – ebenso wenig wie die Vorgaben des Parteiengesetzes, den Parteivorstand alle zwei Jahre zu wählen.
Seit 1987 nimmt die MLPD an Bundestagswahlen teil, seit 2005 sogar an allen Bundestagswahlen, ohne dass diese Formalie ein Hinderungsgrund für die Wahlbeteiligung war. Erstmals wurde 2021 gerügt, dass die MLPD ihre Parteitage alle vier Jahre statt alle zwei Jahre durchführt. Dennoch wurde sie 2021 durch den Bundeswahlausschuss nach Protesten zur Wahl zugelassen.
2024 kandidierte die MLPD ohne Beanstandung zur Europawahl. Zu dieser Zeit war die Bundeswahlleiterin bereits Dr. Ruth Brand, die aber erst jetzt die „Handlungsfähigkeit des Vorstands“ der Partei bestritten hat.
Diese Auffassung der Bundeswahlleiterin ist extrem weitreichend und antidemokratisch. Der Vorstand einer Partei ist zwischen Parteitagen deren höchstes Gremium, eine Partei kann nur durch ihren Vorstand handeln, er vertritt sie gerichtlich und außergerichtlich. Einer Partei einen handlungsfähigen Vorstand abzusprechen, bedeutet, die Partei selbst für handlungsunfähig zu erklären, es kommt praktisch einem kalten Verbot gleich.
Wenn eine Partei sechs Jahre lang nicht mehr an Bundes- oder Landtagswahlen teilnehmen kann, verliert sie zudem gemäß § 2 Parteiengesetz ihre Rechtsstellung als Partei und gilt dann nur noch als politische Vereinigung. Ein Verbot wird dadurch wesentlich leichter. Während eine Partei nur nach einem gerichtlichen Verfahren vom Bundesverfassungsgericht verboten werden kann, ist dies bei einer „Vereinigung“ auf bloße Anordnung eines Innenministers möglich, die lediglich nachträglich gerichtlich angefochten werden kann.
Eine gesetzliche Grundlage für die Auffassung der Bundeswahlleiterin existiert nicht. §18 Absatz 2 des Bundeswahlgesetzes gibt lediglich vor, dass die Beteiligungsanzeige durch drei Mitglieder des Vorstands eingereicht werden muss und ihr ein Nachweis über dessen „satzungsgemäße Bestellung“ sowie Satzung und Programm beizufügen sind. Dass der Vorstand der MLPD gemäß deren Satzung bestellt war, ist vom Bundeswahlausschuss nicht bestritten worden.
Eine Vorgabe, dass die Satzung allen Vorgaben des Parteiengesetzes entsprechen muss, enthält der Paragraph ausdrücklich nicht. Es ist auch nicht gemeint. Wo das Bundeswahlgesetz auch die Prüfung von Vorgaben des Parteiengesetzes vorsieht, steht das im Gesetzestext. Demnach muss der Bundeswahlausschuss die „Parteieigenschaft feststellen“ und bei der Beteiligungsanzeige „sollen“ daher auch „Nachweise über die Parteieigenschaft nach § 2 Absatz 1 Satz 1 des Parteiengesetzes beigefügt werden“.
Die letztgenannte Norm ist extrem undemokratisch, sie gibt vor, Parteien müssten „nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten“. Diese vagen und allgemein gehaltenen Kriterien öffnen Tür und Tor für willkürliche Entscheidungen über die Parteieigenschaft und damit die Möglichkeit der Wahlteilnahme. Die Vorgabe wurde daher bereits 2009 von Wahlbeobachtern der OSZE gerügt.
Vorgaben wie § 11 Absatz 1 Parteiengesetz, der die Wahl des Vorstands in jedem zweiten Kalenderjahr vorschreibt, sind hingegen sogenannte Ordnungsvorschriften. Das bedeutet, dass nur die Art und Weise geregelt wird, wie etwas zustande kommt, ein Verstoß gegen die Regelung aber nicht zur Nichtigkeit führt.
Im zivilrechtlichen Vereinsrecht, auf das § 11 Parteiengesetz ausdrücklich verweist, ist die „Handlungsunfähigkeit“ von Vereinen und damit einhergehende Rechtsunsicherheit durch fehlerhaft bestellte Vorstände nicht gewollt. Daher werden unter anderem fehlerhaft bestellte Vorstände von Gesellschaften bis zur Abberufung so behandelt, als habe eine fehlerfreie Bestellung stattgefunden. Dieser Rechtsgedanke ist durch den BGH ausdrücklich bei der fehlerhaften Bestellung von Vorstandsmitgliedern und Vertretern von Aktiengesellschaften anerkannt.
Das Parteiengesetz soll in § 11 Absatz 1 die demokratischen Rechte der Parteimitglieder bei der Willensbildung in der Partei schützen, eine vollständige „Handlungsunfähigkeit“ der Partei und ihr Ausschluss von Bundes- und Landtagswahlen ist damit offensichtlich nicht vereinbar und gewollt. Daher gibt auch § 18 Bundeswahlgesetz dem Bundeswahlausschuss keine Kompetenz, die Satzung der Partei auf Vereinbarkeit mit dem Parteiengesetz zu prüfen und dies zum Kriterium für die Wahlteilnahme zu machen.
Dies würde außerdem die Diskriminierung von nicht-etablierten Parteien weiter verschärfen. Denn nur nicht-etablierte Parteien, d.h. solche, die nicht im Bundestag oder einem Landtag vertreten sind, müssen die Beteiligungsanzeige einreichen und sich der Überprüfung durch den Bundeswahlausschuss unterwerfen.