Die IG Metall und der VW-Betriebsrat unter Daniela Cavallo haben den Abbau von 35.000 Arbeitsplätzen und Lohnsenkungen in Milliardenhöhe vereinbart. Dagegen muss jetzt der Widerstand organisiert werden.
„Es ist eine wahrlich, wahrlich historische Woche.“ So eröffnete die IG Metall gestern Abend ihre Pressekonferenz, in der sie ihre vollständige Kapitulation vor den Profitinteressen der Volkswagen-Aktionäre verkündete. Der Ausverkauf, den IG Metall und Betriebsrat durchsetzen wollen, ist in der Tat „historisch“. Einen solchen Kahlschlag in so kurzer Zeit gab es in der deutschen Autoindustrie noch nie.
Abbau jeder vierten Stelle in Deutschland bis 2030, dauerhafte Senkung der Produktionskapazitäten um 734.000 Einheiten (das entspricht etwa der Kapazität des Stammwerks in Wolfsburg), jahrelanger Verzicht auf Lohnerhöhungen, Streichung von Boni und Urlaubsgeld – all das bezeichnet Cavallo als „grundsolide Lösung“. Der Konzern spart dadurch 15 Milliarden Euro pro Jahr, davon 1,5 Milliarden Euro jährlich bei den Löhnen.
Dafür seien betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen ausgeschlossen worden, rechtfertigt die Gewerkschaft ihre Kapitulation. Die Beschäftigungssicherung werde wieder eingeführt und bis 2030 verlängert.
Welch ein Hohn! Die 35.000 Arbeitsplätze verschwinden für immer, auch wenn sie über Altersteilzeitregelungen, Abfindungen und ähnliche Mechanismen statt über betriebsbedingte Kündigungen erfolgen. Und was ist mit den Hunderttausenden, die in Zulieferbetrieben und in Geschäften arbeiten, die von VW und seiner Belegschaft abhängig sind? Sie verlieren ihren Arbeitsplatz ohne jede soziale Absicherung.
Laut Medienberichten haben die Tarifparteien in fünf Tagen mehr als 70 Stunden lang um einen Abschluss „gerungen“. Tatsächlich war das Ganze ein abgekartetes Spiel. Das Ergebnis wurde erst am Freitagabend, zu Beginn der Weihnachtsfeiertage, verkündet, um einen spontanen Aufstand zu verhindern.
IG Metall und Betriebsrat haben fast alles gebilligt – und zum Teil übertroffen –, was der Konzern von ihnen verlangte. Dieser hatte im Vorfeld der Tarifrunde den Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen, die Schließung von bis zu drei Werken, eine Senkung der Kapazitäten um 500.000 Einheiten sowie eine zehnprozentige Lohnsenkung gefordert.
Eine Kürzung der Löhne hatte die IG Metall bereits vor der Tarifrunde vorgeschlagen, und diesen Vorschlag hat der Konzern jetzt weitgehend übernommen. Er verzichtet zwar auf die geforderte Nominallohnsenkung von 10 Prozent. Stattdessen werden die Löhne jahrelang eingefroren und auf diese Weise gesenkt.
Auch Boni und Urlaubsgeld werden gekürzt. Die tariflichen Mai-Bonizahlungen und das Urlaubsgeld entfallen 2026 und 2027 und sollen erst 2031 wieder das alte Niveau erreichen. Auch das Jubiläumsgeld wird gekürzt. In den kommenden Jahren werden nur noch 650 Auszubildende statt mögliche 1150 eingestellt.
„Kein Werk wird geschlossen“, behauptet die IG Metall. Das ist nur unmittelbar der Fall. Im Dresdener Werk mit zuletzt nur noch 300 Beschäftigten endet die Fahrzeugfertigung Ende 2025. Für die Zeit danach wird „ein alternatives Gesamtkonzept erarbeitet“. Das VW-Werk in Osnabrück mit 2000 Stammbeschäftigten – die einst fast 1000 Leiharbeiter sind zum Großteil entlassen – wird bis Spätsommer 2027 das T-Roc-Cabrio bauen, dann wird es verkauft – oder geschlossen.
Auch die anderen Werke sind nur kurzfristig gesichert. Der Abbau der Kapazitäten im Umfang von 750.000 Fahrzeuge leitet die schrittweise Schließung von Werken ein. Alexander Krüger, Chefvolkswirt bei der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe, prognostiziert in der Wirtschaftswoche: „Der preisliche Wettbewerbsdruck wird wohl weitere Anpassungen zu einem späteren Zeitpunkt erfordern.“
Insbesondere die reinen Elektrofahrzeug-Werke in Emden und Zwickau galten als Schließungskandidaten. Nun bleibt in Zwickau nur noch die Produktion des Audi Q4 e-tron, in Emden die des ID.7, des ID.7 Tourer und ab 2026 des neuen ID.4-ReSkin. Auch in allen anderen Werken werden Kapazitäten abgebaut, Wolfsburg gibt den Bau des Golfs an das mexikanische Werk in Puebla ab und erhält dafür die Zusage für den Bau des ID.Golf.
Politik und VW-Konzern reagierten enthusiastisch auf den Ausverkauf. „Mit dem erreichten Maßnahmenpaket hat das Unternehmen entscheidende Weichen für seine Zukunft gestellt, was Kosten, Kapazitäten und Strukturen angeht“, sagte VW-Chef Oliver Blume.
Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Einigung als gute Nachricht, und Niedersachsens Ministerpräsident Stefan Weil, der im VW-Aufsichtsrat sitzt, da das Land 20 Prozent der VW-Anteile hält, sagte: „Es ist ein Riesenpaket geworden, das die Zukunft von Volkswagen nachhaltig absichert.“
Es ist genau das eingetreten, wovor die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitspartei in den letzten Wochen gewarnt haben. Die Tarifkommission unter Thorsten Gröger als Verhandlungsführer der Gewerkschaft und Daniela Cavallo als Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Konzerns hat in den fünf Tarifrunden nicht „verhandelt“. Sie haben mit dem Vorstand die Mechanismen vereinbart, mit denen die von den Aktionären – vor allem der Milliardärsfamilie Porsche-Piëch – geforderten Angriffe auf die Belegschaft durchgesetzt werden können.
Was die Gewerkschafts- und Betriebsratsfunktionäre bis heute als „Sozialpartnerschaft“ und „Mitbestimmung“ bezeichnen, ist eine Verschwörung mit den Vorständen und Eignern gegen die Beschäftigten. Diese haben keine „Mitbestimmung“. Geht es nach Gewerkschaft und Betriebsrat, wird es keine Abstimmung der Belegschaft – oder der IGM-Mitglieder – über ihren Horrorkatalog geben.
Dagegen muss die Gegenwehr organisiert werden. Kolleginnen und Kollegen, die wirklich kämpfen wollen, müssen unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die für die sozialen Interessen der Belegschaft und nicht für die Profitinteressen der Aktionäre kämpfen.
Dabei ist es wichtig, über die Konzerngrenzen hinaus zu schauen. Denn die Auseinandersetzung bei VW ist nur der klarste Ausdruck einer „Zeitenwende“ in der Sozialpolitik. So wie die herrschende Klasse in der Außenpolitik wieder auf Aufrüstung und militärische Gewalt setzt, setzt sie in der Sozialpolitik auf Konfrontation.
Die global operierenden Autokonzerne führen eine erbitterte Schlacht um Profite und Absatzmärkte, die sie auf dem Rücken der Belegschaften austragen. Gleichzeitig arbeiten sie eng mit den Regierungen zusammen, die ihnen Steuern, Abgaben und Umweltauflagen erlassen. Die Gewerkschaften sind als Dritte in diesem Bund für die Angriffe auf die Belegschaften zuständig.
Die IG Metall, die SPD und alle anderen Bundestagsparteien wollten unbedingt verhindern, dass mitten im Bundestagswahlkampf 130.000 VW-Beschäftigte streiken und sie unter deren Druck geraten. Das hätte ihr Vorhaben durchkreuzt, eine skrupellose rechte Regierung an die Macht zu bringen, die die Arbeiterklasse frontal angreift.
Arbeiterinnen und Arbeiter müssen dem Angriff auf Arbeitsplätze, Löhne und Rechte weit über die Autoindustrie hinaus entgegentreten. Die VW-Beschäftigten dürfen sich von Gewerkschaft und Betriebsrat nicht in den „darwinistischen Überlebenskampf“ der großen Autokonzerne einspannen lassen.
Baut das VW-Aktionskomitee auf und fordert:
- Keine Vereinbarung ohne Abstimmung! Die Tarifkommission der IGM hatte kein Mandat, Kürzungen zu vereinbaren. Die Forderungen waren 7 % mehr Lohn und Gehalt, nicht Lohnsenkungen und Werksschließungen. Das Verhandlungsergebnis muss der Gesamtbelegschaft zur Abstimmung vorgelegt werden!
- Kein Cent für Dividenden! Das Recht auf Arbeit und Lohn steht höher als die Profitinteressen der Anleger. Die Milliarden, die bislang den Eignern, allen voran der Familie Porsche-Piëch und den Scheichen aus Katar, in den Rachen geworfen wurden, müssen in die Produktion guter und kostengünstiger Autos investiert werden.
- Sofortige Einberufung von Betriebsversammlungen zur Vorbereitung eines unbefristeten Vollstreiks! An allen Standorten müssen Aktionskomitees aus Kolleginnen und Kollegen gegründet werden, die wirklich für die Interessen der Belegschaft kämpfen wollen.
- Für die internationale Zusammenarbeit und Einheit der Belegschaften! Auf den Betriebsversammlungen gewählte Delegationen kampfbereiter Kolleginnen und Kollegen der Aktionskomitees müssen weltweit Kontakt zu den Beschäftigten des Konzerns aufnehmen, in Europa, den USA, in Südamerika, Asien und Afrika.
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