Krise in der Nato: Europa rüstet auf

Seit der Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus verschärft sich der Konflikt zwischen den USA und Europa – und insbesondere Deutschland – Tag für Tag. Selbst ein Ende der Nato, der mächtigsten imperialistischen Militärallianz der Welt, die seit dem Zweiten Weltkrieg das transatlantische Verhältnis prägt, wird nicht mehr ausgeschlossen. Die europäischen Mächte reagieren darauf, indem sie frenetisch aufrüsten.

Präsident Trump und Präsident Macron 2017 in Paris

Bereits während der ersten Amtszeit Trumps hatte es scharfe politische und ökonomische Konflikte gegeben. 2017 hatte die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem spannungsreichen G7-Gipfel mit Trump erklärt, die Zeiten seien vorbei, „in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten“. Die Europäer müssten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Doch zum völligen Bruch kam es damals nicht.

Unter Präsident Joe Biden arbeiteten die USA und Europa dann wieder eng zusammen, um den Krieg gegen Russland in der Ukraine zu eskalieren. Deutschland, dass sich anfangs gesträubt hatte, seine Gasbezüge aus Russland zu beenden, entwickelte sich nach den USA zum wichtigsten Geldgeber der Ukraine. Beide verfolgten das Ziel, Russland militärisch zu besiegen.

Doch nach Trumps Amtsübernahme wurde schnell deutlich, dass sich seine „Make America Great Again“-Politik nicht nur gegen China und andere Rivalen, sondern auch gegen die bisherigen europäischen Verbündeten richtet. Er hat Strafzölle in Höhe von 25 Prozent gegen Importe aus Europa angekündigt und der Europäischen Union den Kampf angesagt. So drohte er am Mittwoch auf einer Kabinettssitzung: „Die Europäische Union wurde gegründet, um die Vereinigten Staaten zu betrügen. Das ist ihr Zweck, und das ist ihnen gut gelungen.“

Vizepräsident J.D.Vance stellte sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz in einer provokativen Brandrede hinter rechtsextreme Parteien, die die EU ablehnen. Der Trump-Vertraute und Multimilliardär Elon Musk setzte sich im deutschen Wahlkampf offen für die faschistische AfD ein.

Als Trump dann über die Köpfe der europäischen und der ukrainischen Regierungen hinweg Kontakt zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufnahm und Verhandlungen zur Beilegung des Ukrainekonflikts vereinbarte, verbreitete sich in den europäischen Hauptstädten Panik, dass sich Trump und Putin auf Kosten Europas einigen würden. Von einem neuen Jalta war die Rede, wo Stalin und Präsident Roosevelt im Februar 1945 Europa in Einflusszonen aufgeteilt hatten.

Der voraussichtliche nächste deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) warnte im Morgenmagazin: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass Donald Trump das Beistandsversprechen der Nato nicht mehr uneingeschränkt gelten lässt.“ Er forderte, Europa müsse jetzt „größte Kraftanstrengungen unternehmen, um wenigstens den europäischen Kontinent aus eigener Kraft verteidigen zu können“. Unter anderem schlug er einen gemeinsamen nuklearen Schutzschirm mit Frankreich und Großbritannien vor: „Wir müssen darüber reden, wie das aussehen könnte.“

Bereits am Wahlabend hatte Merz erklärt, es sei seine absolute Priorität, Europa so zu stärken, „dass wir Schritt für Schritt Unabhängigkeit erreichen von den Vereinigten Staaten“. Er fügte hinzu: „Ich hätte nicht geglaubt, dass ich so etwas mal in einer Fernsehsendung sagen muss.“

Merz‘ CDU ist seit den Zeiten Konrad Adenauers, des ersten deutschen Bundeskanzlers, die pro-amerikanischste unter den deutschen Parteien. Merz selbst war Vorsitzender der Atlantik-Brücke und Deutschlandchef des US-Investmentfonds BlackRock. Dass er sich nun so klar gegen Washington stellt, zeigt, wie tief der Konflikt ist.

Der französische Präsident Emmanuel Macron reagierte auf Trumps Alleingang, indem er zu zwei europäischen Krisengipfeln in Paris einlud und anschließend selbst nach Washington flog, um Trump umzustimmen. Doch er kehrte erfolglos zurück.

Trump und Macron zelebrierten zwar öffentlich ihre Männerfreundschaft und überhäuften sich gegenseitig mit Komplimenten. Doch inhaltlich gab Trump nicht nach. Er war nicht bereit, amerikanische Sicherheitsgarantien für die Ukraine abzugeben, und beharrte darauf, dass dies Aufgabe der Europäer sei. Auch eine europäische und ukrainische Beteiligung an den Verhandlungen sagte er nur höchst allgemein zu.

Trump empfängt zwar den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, den er zuvor übel beschimpft hatte, am Freitag in Washington, aber nur, um einen Vertrag zu unterzeichnen, mit dem sich das Land in jahrzehntelange ökonomische Abhängigkeit von den USA begibt. Es verpflichtet sich darin, 50 Prozent aller zukünftigen Einnahmen aus Rohstoffen und dazugehöriger Logistik in einen Fonds einzuzahlen, der von den USA mitverwaltet wird.

Der Vertrag ist höchst allgemein gehalten; die Einzelheiten werden später ausgearbeitet. Einen ursprünglichen Vertrag, laut dem die Ukraine den USA 500 Milliarden Dollar an Rohstoffeinnahmen überschreiben sollte, hatte Selenskyj noch abgelehnt.

Die Europäer sind höchst erbost über diesen Deal, weil sie sich um ihren Anteil an der Beute geprellt fühlen. Berlin veranstaltet seit langem Konferenzen über den „Wiederaufbau“ der Ukraine, von dem sich deutsche Firmen fette Profite versprechen. Und Frankreich verhandelt mit der Ukraine seit Oktober 2024 über die Nutzung wertvoller Rohstoffe für die französische Verteidigungsindustrie, wie Verteidigungsminister Sébastien Lecornu mitteilte.

Während sich Trump mit Macron traf, stimmten die USA in der UN-Vollversammlung gemeinsam mit Russland, Belarus und Nordkorea gegen eine von der Ukraine eingebrachte Resolution, die Russland als Aggressor im Ukrainekrieg bezeichnet und die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine fordert. Im Sicherheitsrat enthielten sich die fünf europäischen Mitglieder bei der Abstimmung über eine Ukraine-Resolution, die von den USA, Russland und China unterstützt wurde. Sie tritt für Frieden in der Ukraine ein, ohne Russland zu verurteilen und die Wiederherstellung der alten Grenzen zu verlangen.

Solche Resolutionen haben zwar keine praktische Bedeutung, umso höher ist aber ihr symbolischer Wert. Nie zuvor haben sich die USA in derart wichtigen geostrategischen Fragen mit Russland, China und Nordkorea gegen Europa zusammengetan.

Aufrüsten wie nie zuvor

Die europäischen Mächte reagieren auf die Spaltung in der Nato, indem sie aufrüsten wie nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und sich bemühen, den Krieg in der Ukraine aus eigener Kraft fortzuführen. Nachdem sie die Militärausgaben bereits in den letzten Jahren erheblich gesteigert haben, sollen diese nun in kürzester Zeit um hunderte Milliarden Euro erhöht, die Industrie auf Rüstungsproduktion umgestellt, die Wehrpflicht wieder eingeführt und die ganze Gesellschaft militarisiert werden.

Das erfordert massive Kürzungen bei den Ausgaben für Soziales, Bildung und Gesundheit und heftige Angriff auf die Arbeiterklasse, die die Folgen der Aufrüstung zu tragen hat und als Kanonenfutter für künftige Kriege dienen soll.

Die Verwandlung Deutschlands in eine militärische Großmacht wird die zentrale Achse der kommenden deutschen Regierung sein, voraussichtlich einer Koalition von Union und SPD, die, verläuft alles nach Plan, Mitte April vereidigt wird. In Medien und Politik häufen sich die Rufe, auf lange Koalitionsverhandlungen und einen ausführlichen Koalitionsvertrag zu verzichten, um keine Zeit zu verlieren.

So bezeichnete der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen im Deutschlandfunk den Ernst der Lage als „historisch“. Diese schockierende Wirklichkeit, so Röttgen, müsse man anerkennen. Nur wenn Deutschland rasch handlungsfähig werde, sei auch Europa handlungsfähig. Es gehe jetzt um das eigene Schicksal: Wenn die Ukraine zerfalle, werde es die EU und die Nato in ihrer bisherigen Form auch nicht mehr geben.

Der amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der voraussichtlich auch der kommenden Regierung angehören wird, sagte der Bild-Zeitung, der Militärhaushalt müsse in den kommenden Jahren auf über 100 Milliarden Euro zumindest verdoppelt werden: „Wir reden über mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.“

Der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter forderte „eine große Investitionsoffensive, mit der die Ukraine nochmal mehr unterstützt werden kann und die Verteidigungsfähigkeit der EU zeitnah und effizient verbessert wird“. Dazu brauche es „einen 500 Milliarden schweren Verteidigungsfonds für die Unterstützung der Ukraine sowie für gemeinsame Rüstungsbeschaffung in der EU“.

Die CSU, die bayrische Schwesterpartei der CDU, hat Mitte Februar einen „Masterplan zur Stärkung der Bundeswehr und der Verteidigung Deutschlands“ vorgelegt, der die Aufstockung der Bundeswehr von derzeit 182.000 Uniformierten auf „500.000 einsatzbereite Soldaten und Reservisten“ sowie die Wiedereinführung der Wehrpflicht verlangt.

Außerdem sollen 1.000 neue Taurus-Marschflugkörper angeschafft und neue Marschflugkörper mit 2.500 Kilometern Reichweite entwickelt werden. Als Schutzschirm gegen Raketen- und Luftangriffe soll ein „Iron Dome“ errichtet werden. Um das Ganze zu finanzieren, sollen die Militärausgaben auf 3 Prozent des BIPs steigen.

Merz bemüht sich inzwischen, noch vor der Konstituierung des neugewählten Bundestags, die spätestens am 25. März erfolgen muss, mit den alten Mehrheiten vollendete Tatsachen zu schaffen und hunderte Milliarden für die Rüstung locker zu machen. Im Gespräch ist ein weiteres Sondervermögen in Höhe von 200 Milliarden Euro, für das eine Zweidrittel-Mehrheit nötig ist. Im neuen Bundestag verfügen Union, SPD und Grüne zusammen nicht über genügend Stimmen und wären auf Unterstützung aus den Reihen der Linkspartei oder der AfD angewiesen.

Merz flog am Mittwoch auch zu einem dreistündigen vertraulichen Treffen mit Präsident Macron nach Paris, obwohl er noch nicht zum Kanzler gewählt ist und frühestens im April damit rechnen kann. Hinterher bedankte er sich auf X bei Macron für sein „Vertrauen in die deutsch-französischen Beziehungen“ und schrieb: „Zusammen können unsere Länder Großes für Europa erreichen.“ Macron verfolgt seit langem das Ziel, Europa gegenüber den USA zu stärken und eine europäische Armee aufzubauen.

Der Konflikt mit den USA wird aber auch die Gegensätze innerhalb Europas verschärfen. Viele EU-Mitglieder sind nicht bereit, sich der deutschen und französischen Vorherrschaft unterzuordnen.

Die Aufrüstung Europas gilt nicht der „Verteidigung“ und dem „Frieden“, sondern leitet eine neue Phase heftiger Konflikte zwischen imperialistischen Räubern ein, wie sie die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen beiden Weltkriegen prägten. Nur eine mächtige Anti-Kriegsbewegung, die die internationale Arbeiterklasse mobilisiert und für den Sturz des Kapitalismus kämpft, kann eine weitere Katastrophe verhindern.