In Köln haben am Samstag mehrere Tausend Menschen gegen die jüngsten Massaker an Angehörigen der alawitischen Minderheit in Syrien protestiert.
Mehrere alawitische Verbände hatten unter dem Motto „Stoppt den Völkermord an der alawitischen Bevölkerung in Syrien“ zur Kundgebung aufgerufen. Der Protest richtete sich gegen die Massaker, die jüngst die vom Westen unterstützte islamistische Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) an der alawitischen Bevölkerung verübt hatte.
Die Gewalt begann, nachdem sich am 6. März Einwohner des Dorfs Beit Ana geweigert hatten, den Sicherheitskräften einen Verdächtigen auszuliefern. Von dort aus breiteten sich Kämpfe zwischen ehemaligen Soldaten der syrischen Armee unter Baschar al-Assad und Truppen der HTS-Regierung unter Abu Mohammad al-Dscholani (bürgerlicher Name Ahmed al-Scharaa) schnell aus. Daraufhin leiteten die HTS-Truppen eine groß angelegte Operation ein.
Innerhalb von zwei Tagen wurden mindestens 745 Zivilisten getötet. Soldaten der neuen Regierung richteten alawitische Männer hin, die unter dem Assad-Regime in den Sicherheitskräften gedient hatten. Mehrere alawitische Dörfer wurden geplündert und niedergebrannt, ihre Einwohner erschossen.
Der Präsident des Dachverbands der Alevitischen Gemeinde in Deutschland (AABF), Hüseyin Mat, eröffnete die Kundgebung mit der Anklage, dass die internationale Gemeinschaft sowie auch regionale Akteure den Massenmord an der alawitischen Gemeinschaft, der sich an der syrischen Küste zwischen Latakia und Tartus ereignet hatte, schlicht ignoriert hätten.
Auf einem Plakat wurde die Komplizenschaft der Bundesregierung angesprochen. Es zeigte HTS-Gründer und Syriens Übergangspräsident al-Scharaa mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock. Die Bundesregierung hatte nach dem Sturz Baschar al-Assads dem HTS-Regime Hilfsprojekte über 60 Millionen Euro versprochen. Am Montag sagte Baerbock am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel weitere 300 Millionen Euro an Hilfen zu. Auf dem Plakat war zu lesen: „Sofortiger Stopp des syrischen IS-Gründers – Ich möchte nicht mit meinen Steuern den Terrorismus finanzieren“.
Auf der Kundgebung erklärt Süleyman Serhan Narlı von der Föderation arabischer Aleviten in Europa (AAAF): „Seit Beginn der jüngsten Massaker sind nach unseren Informationen mehr als 7.000 Zivilisten an der syrischen Mittelmeerküste allein aufgrund ihres Glaubens getötet worden.“ Er fordert die Einrichtung eines humanitären Korridors von Hatay in der südlichen Türkei bis nach Latakia, um die alawitische Bevölkerung bei Bedarf zu evakuieren und Hilfeleistungen zu liefern. „Der systematischen Vernichtung der Alawiten in der Region muss ein Ende gesetzt werden“, fordert er.
Viele Teilnehmende tragen eigene Plakate mit Fotos ihrer Familienmitglieder und Freunde, die von den HTS-Milizen ermordet worden sind. Zwei von ihnen, Lara und Adam, sind zwei Krankenhausärzte; sie sind vor einigen Jahren nach Deutschland gekommen. Sie tragen gleich mehrere Schilder und äußern sich verzweifelt, weil sie schon jetzt viele Freunde und Bekannte verloren haben. Sie haben Angst um ihre Familien und ihre Freunde in Syrien.
„Wir kommen aus Latakia“, berichtet Lara. „Sie haben nicht nur in Latakia, sondern auch in Tartus diese Massaker verübt. Die Opfer sind Zivilistinnen und Zivilisten, die wir kennen, mit denen wir studiert haben.“ Sie zeigt auf ein Foto ihres Plakats. „Das ist die Schwester von einem Kollegen von uns. Er ist auch Arzt. Wir haben zusammen studiert und zusammen gearbeitet. Und das ist seine Mutter, das sein Vater.“ Die Terroristen seien in die Wohnung der Eltern eingedrungen, und: „Sie haben seine Mutter und Schwester getötet. Der Vater hat überlebt, weil er zu dem Zeitpunkt bei der Arbeit im Krankenhaus war. Das war kein Kampf. Die sind in die Wohnung von Zivilisten gekommen und haben alle erschossen.“
Erregt zeigt sie auf ein anderes Foto. „Und das hier ist ein Apotheker.“ Adam spricht für sie weiter: „Das ist ein Apotheker und auch unser Kollege. Zuerst ist er getötet worden und am nächsten Tag seine schwangere Frau. Sie haben sie umgebracht, kaltblütig. Die haben das ganze Dorf umgebracht.“ Auch er zeigt sofort auf ein weiteres Foto. „Hier auch. Tot. Das sind unschuldige Leute. Zivilisten, unbewaffnete Leute, Ärzte.“ Lara ergänzt und zeigt dabei auf ein Bild eines Jugendlichen: „Und das ist ein Kind.“ Der Junge habe nichts mit dem Assad-Regime zu tun gehabt, sagt Adam.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
„Diese Familie“, fährt er fort, „das sind Angehörige eines Freundes von uns.“ Er sei Arzt in Syrien und habe ihnen erzählt, wie seine Angehörigen getötet wurden. „Und es gibt Tausende dieser Berichte, Tausende“, sagt Adam.
„Hier ist unser Freund“, sprudelt es aus ihm heraus. „Er heißt Brahim und ist Unfallchirurg. Das hier sind zwei Apotheker, Mann und Frau. Sie haben nie mit dem Krieg zu tun gehabt, sie haben nie gekämpft. Sie waren zufrieden, dass Assad gegangen ist, und dachten, dass jetzt endlich Friede sei.“ Stattdessen seien sie umgebracht worden.
Dann berichtet er von einer weiteren Tragödie. Er zeigt auf das Foto eines kleinen Mädchens. „Es gab Gruppen, die nur die Männer und die Jungs aus den Wohnungen geholt und erschossen haben.“ Der Vater des Mädchens nahm in diesem Glauben seinen Sohn und flüchtete. Seine Frau und seine kleine Tochter ließ er zurück. „Er hat gedacht, dass sie seine Frau und die Tochter nie umbringen würden. Aber sie haben das gemacht. Beide sind tot. Die Kleine war drei oder vier Jahre alt.“
Lara ist es wichtig, die Medienberichte in Deutschland anzusprechen: „Medien berichten, das sei nur ein Kampf zwischen Assad-Anhängern und der Armee und der neuen Regierung. Ja, es gab Kämpfe und dadurch auch Opfer auf beiden Seiten, die verstorben sind. Aber wovon sprechen wir jetzt? Von den Zivilisten.“ Diese hätten mit den Kämpfen nichts zu tun. „Keiner sagt, dass da tausende Zivilisten kaltblütig hingerichtet worden sind.“ Drei Tage lang hätten die Massaker gedauert.
„Wir haben das hier in Deutschland auf Instagram gesehen“, erzählt Lara, „ein Video, wie die Dschihadisten sich versammeln und sagen: ‚Wir kommen zu euch, zu eurem Dorf und wir töten euch alle.‘ Wir dachten, das war nur eine Drohung, um Angst zu verbreiten. Aber nein, sie sind in die Dörfer gegangen, in ein Dorf nach dem anderen, und haben die Einwohner getötet. Die Menschen haben uns über Social Media gebeten, dass wir was machen. Dass es aufhören soll! Aber wir konnten gar nichts machen.“
„Wir sitzen hier in Deutschland und müssen hilflos zuschauen“, sagt Adam. Lara berichtet weiter „Es ist noch nicht vorbei. Die haben die Handys der Getöteten geklaut. Und sie rufen jede Nummer an und sagen: ‚Wir wissen, wie du heißt, wir wissen, wo du wohnst, und du kommst auch noch dran.‘ Die Menschen, die noch leben, die das überlebt haben, sind vor Angst wie gelähmt, und wir können von hier aus nichts machen. Deshalb stehen wir hier, zeigen und erzählen, was da los ist. Das ist das einzige, was wir tun können.“
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