Der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, hat die gewaltsame Unterdrückung der Protest- und Streikbewegung angeordnet, die sein Regime seit der Präsidentschaftswahl am 9. August erschüttern.
Nach erneuten Massenprotesten in Minsk am Wochenende ließ sich Lukaschenko am Sonntagabend mit einem Hubschrauber über die belarussische Hauptstadt fliegen. Dabei posierte er mit einem Kalaschnikow-Sturmgewehr, pries die Sondereinheiten des Regimes und erklärte, die Demonstranten seien „wie Ratten auseinander gerannt“.
Bereits am vergangenen Dienstag hatte Lukaschenko die OMON, die paramilitärischen Einheiten des Innenministeriums, angewiesen, in Minsk und anderen Stäten „keine Unruhen zu dulden“. Zudem hat Lukaschenko das Militär für „taktische Übungen“ an der Westgrenze des Landes mobilisiert, wo viele der Streiks stattfinden. Gleichzeitig versucht die Regierung, die streikenden Arbeiter in Staatsbetrieben auszuhungern, indem sie ihnen ihre mageren Löhne vorenthält und ihnen mit Entlassung droht.
Ein Arbeiter im Presswerk der Minsker Traktorenfabrik erklärte gegenüber der Financial Times: „Lukaschenko wird ohne die Arbeiter niemals zurücktreten. Sie müssen verhindern, dass die Arbeiter streiken, denn wenn die großen Industriekonzerne die Produktion einstellen, dann muss er gehen.“
In der belarussischen Presse und den sozialen Netzwerken kursieren grauenhafte Berichte über Folter und systematische Vergewaltigung von Gefangenen durch die Sicherheitskräfte. Dutzende von streikenden Arbeitern wurden verhaftet, darunter auch die Anführer von Streikkomitees. Seit Beginn der Proteste wurden mindestens drei Demonstranten getötet, mehr als 80 weitere werden vermisst.
Dennoch gehen die Streiks in vielen wichtigen Fabriken weiter. Sie sind Teil eines internationalen Auflebens des Klassenkampfs. Die Daten der Website belzabastovka.org, die die aktuellen Streiks verfolgt, deuten darauf hin, dass sie sogar anwachsen. Laut der Website gab es am Freitag 150 derzeitige Streiks und Arbeitskämpfe in der Industrie, einen Tag zuvor waren es etwa 140. Betroffen sind wichtige Fabriken, Bergwerke, Fleischverarbeitungsbetriebe, die Eisenbahn, Theater, Krankenhäuser und EMS-Stationen.
Die überwiegende Mehrzahl der Streiks findet in der Hauptstadt Minsk und in Grodno nahe der Grenze zu Polen statt. Seit dem 18. August streiken auch die Bergarbeiter der Soligorsk-Belarusalsk-Bergwerke, aus denen ein Fünftel des weltweit produzierten Kalisalzes stammt.
Viele Staatskonzerne, die für 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich sind, sind von der Streikwelle betroffen, darunter auch der staatliche Autokonzern BelAZ. Ein Berater des Präsidenten gab letzte Woche zu, dass die Streiks die Wirtschaft bereits 500 Millionen Dollar gekostet haben – bei einem BIP von weniger als 60 Milliarden Dollar.
Die Streikbewegung hat in allen Teilen der herrschenden Klasse in Belarus und Europa große Unruhe ausgelöst. Die imperialistischen Mächte sind uneins darüber, wie sie auf die Krise in Belarus reagieren sollen. Einerseits wollen die EU und die Nato die Krise für ihre eigenen außenpolitischen Interessen ausnutzen, andererseits fürchtet die Bourgeoisie überall nichts so sehr wie eine Ausbreitung der Streikbewegung auf den Rest der Welt.
Die Opposition um Swetlana Tichanowskaja, die von der EU unterstützt wird, schwankte zwischen Versuchen, die Streiks zu beenden, mit dem Lukaschenko-Regime zu verhandeln und leeren Unterstützungsbekundungen für die Streikenden.
Als die Streiks Anfang letzter Woche eskalierten, rief die Opposition am Dienstag zu einer „Pause“ bei den Protesten bis zum Wochenende auf. Gleichzeitig drängte der neue Koordinationsrat mit Unterstützung der EU Lukaschenko zu sofortigen „Verhandlungen“ mit der Opposition, um die Grundlagen für Neuwahlen zu schaffen. Allerdings leitete das Lukaschenko-Regime am Donnerstag strafrechtliche Ermittlungen gegen den Rat ein und warf ihm vor, die Macht ergreifen zu wollen und die nationale Sicherheit zu gefährden.
Nachdem die Proteste und Streiks mehrere Tage unvermindert weitergingen, forderte Tichanowskaja am Freitag die „Fortsetzung und Ausweitung“ der Streiks. Der oppositionelle Koordinationsrat gründete außerdem ein „Nationales Streikkomitee“, um die Kontrolle über die Streikbewegung zu übernehmen.
Zu den öffentlich bekannten Mitgliedern des Komitees gehören Jaroslaw Lichatschewski und Alexander Podgorni, zwei Vorstandschefs von IT-Unternehmen, sowie Andrei Stirzhak, der Leiter einer Kampagne für die Bekämpfung von Covid-19 in Belarus, und Eduard Paltschis, ein erbitterter nationalistischer und russophober Blogger, der sich für eine Union zwischen Belarus, Polen und Litauen einsetzt. Keiner von ihnen hat irgendetwas mit den Interessen der Arbeiterklasse zu tun. Das Streikkomitee hat, genau wie die ganze Opposition, alle sozialen und wirtschaftlichen Forderungen aus der Bewegung ausgeklammert.
Die so genannten „unabhängigen“ Gewerkschaften haben ebenfalls ein „nationales Streikkomitee“ gegründet, das parallel zu dem der Opposition existiert. Allerdings unterstützen auch die „unabhängigen“ Gewerkschaften, die aus der Wiedereinführung des Kapitalismus hervorgegangen sind, die EU-freundliche Opposition und wollen die Arbeiterklasse der Opposition unterordnen.
Trotz ihrer taktischen Differenzen und Fraktionskämpfe haben die Opposition und die Regierung ein gemeinsames Ziel: Die Streikbewegung so schnell wie möglich zu beenden. Die Arbeiter müssen in deutlicher Form vor der politischen Sackgasse und dem rechten Charakter der Opposition gewarnt werden.
Zum Koordinationsrat der Opposition gehören mehrere Personen, die direkt mit der Zerstörung der Sowjetunion und der Wiedereinführung des Kapitalismus in Verbindung stehen. Dadurch wurde die Grundlage für die Entstehung des Lukaschenko-Regimes und für die derzeitige soziale und wirtschaftliche Katastrophe des Landes geschaffen.
Alexander Dabrawolski, eins der wichtigsten Mitglieder des Koordinationsrats der Opposition, war ein führendes Mitglied der antikommunistischen und nationalistischen Oppositionsbewegung in der späten Sowjetzeit. Er unterstützte den stalinistischen Bürokraten Stanislau Schuschkewitsch, der 1991 die Auflösung der UdSSR anführte und für die Wiedereinführung des Kapitalismus in Belarus verantwortlich war, bis er 1994 von Lukaschenko abgelöst wurde. Heute ist er Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei von Belarus.
Juri Gubarewitsch, ebenfalls ein Mitglied des Rats, ist Vorsitzender der Belarussischen Nationalfront (BNF), die ebenfalls für die Zerstörung der UdSSR, die Gründung eines unabhängigen belarussischen Nationalstaats und die Wiedereinführung des Kapitalismus eintrat.
Andere Personen stehen genauso weit rechts außen und werden mit einer Politik assoziiert, die den sozialen und demokratischen Rechten der Arbeiterklasse feindlich gegenübersteht. Pawel Latuschko war lange Zeit Funktionär des Lukaschenko-Regimes, ist ein belarussischer Nationalist und fordert, statt der belarussischen Version des kyrillischen Alphabets das lateinische Alphabet zu benutzen.
Tichanowskajas Vertreterin, Olga Kowalkowa, ist Co-Vorsitzende der belarussischen Christdemokratischen Partei, die die Rechte von sexuellen Minderheiten ablehnt und Russisch als Amtssprache von Belarus abschaffen will.
Die Opposition desorientiert und demobilisiert die Arbeiter durch ihre rechte Politik und spielt damit letztlich dem Lukaschenko-Regime und seiner brutalen Unterdrückung der Arbeiterklasse in die Hände.
Aus dieser Situation ergibt sich für die Arbeiterklasse die dringende Notwendigkeit, eine unabhängige Politik und eine sozialistische Führung zu entwickeln. Der Kampf für demokratische Rechte gegen die Unterdrückung durch das Lukaschenko-Regime kann nur erfolgreich sein, wenn er mit dem Kampf gegen soziale Ungleichheit und den Kapitalismus auf internationaler Ebene verbunden wird.
Ein solches Programm muss vor allem auf dem Internationalismus und dem Verständnis der konterrevolutionären Rolle des Stalinismus basieren. Die stalinistische Bürokratie repräsentiert nicht die Kontinuität der Oktoberrevolution von 1917, sondern war eine konterrevolutionäre Kraft, die jahrzehntelang Krieg gegen den Marxismus und das Programm der internationalen sozialistischen Revolution geführt hat. Der einzige wirklich sozialistische Widerstand gegen den Stalinismus ging von Leo Trotzki aus, einem der Führer der Oktoberrevolution, und von seiner Linken Opposition, deren Traditionen heute vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale repräsentiert werden.
Politisch beruhen sowohl das Lukaschenko-Regime als auch die Opposition auf dem reaktionären Erbe des Stalinismus. Das Lukaschenko-Regime hat seit 1994 bewusst die Traditionen des Stalinismus propagiert und beschworen. Die Opposition vertritt eine nicht minder reaktionäre Variante von belarussischem Nationalismus und Antikommunismus. Indem sie die rot-weiße Nationalflagge von Belarus benutzt, assoziiert sie sich bewusst mit der historischen Rada BNR, die 1918 während des Russischen Bürgerkriegs gegründet wurde, um die Errichtung einer Sowjetregierung zu verhindern. Zu diesem Zweck arbeitete sie mit dem deutschen Imperialismus gegen die Rote Armee zusammen.
Unter Arbeitern in ganz Europa und in Russland herrscht eine starke Stimmung der Sympahie für die Streiks und Proteste vor. Doch die Vereinigung der Arbeiterklasse in einem Kampf gegen den Kapitalismus erfordert den Aufbau einer trotzkistischen Führung und von Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale. Wir rufen alle Leser in Belarus und Osteuropa, die dieser Perspektive zustimmen, dazu auf, sich heute mit uns in Verbindung zu setzen.