Der Arbeitsplatzabbau bei Siemens und die Rolle der IG Metall

Am Montag tagte in Berlin die Einigungsstelle von Siemens Energy. Die Konzernleitung ist entschlossen, 750 Arbeitsplätze im traditionsreichen Gasturbinenwerk abzubauen und damit die schrittweise Stilllegung des Betriebs einzuleiten. Mit derzeit etwa 3500 Beschäftigten ist das Gasturbinenwerk der größte Industriebetrieb Berlins.

Die IG Metall und der Betriebsrat spielen wie immer eine Schlüsselrolle beim Abbau der Arbeitsplätze. Seit Jahren unterstützen sie den Stellenabbau bei Siemens. Sie haben alle Maßnahmen mitgetragen, die im Februar zur Entscheidung von Konzernchef Christian Bruch führten, weltweit 7800 der 90.000 Arbeitsplätze abzubauen, davon 3000 in Deutschland.

Die Demonstration der Siemens-Belegschaft auf dem Kurfürstendamm (Bild WSWS)

Im vergangenen Jahr hatten sie der Abspaltung des Energiebereichs vom Siemens-Gesamtkonzern zugestimmt, obwohl sie genau wussten, dass die Ausgliederung von Siemens Energy der Auftakt zu einem radikalen Konzernumbau auf Kosten der Belegschaft ist.

Weil die Beschäftigten der IG Metall und ihren Funktionären, die als Co-Manager im Aufsichtsrat und Wirtschaftsausschuss sitzen und aufs engste mit der Unternehmensleitung zusammenarbeiten, misstrauen, versucht die Gewerkschaft von Zeit zu Zeit ihre Spuren zu verwischen und ruft zu Demonstrationen und Protestaktionen auf.

So war es gestern wieder. Betriebsrat und IG Metall riefen zu einer Demonstration vom Werk in der Berliner Huttenstraße zum Kurfürstendamm und zu einer Kundgebung vor dem Dorint Hotel auf, wo die Einigungsstelle tagte. Mehrere hundert Teilnehmer – vorwiegend Vertrauensleute, Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte auch aus einigen anderen Metall-Betrieben – zogen mit Rasseln und Gewerkschaftsfahnen durch die Stadt.

Das Ziel der Aktion war nicht etwa die Verteidigung der Arbeitsplätze, sondern die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit der Unternehmensleitung. „Wir erwarten konstruktive Verhandlungen – und keine Flucht in die Einigungsstelle“, hieß es im IGM-Demonstrationsaufruf.

Hauptredner auf der Kundgebung war Jan Otto, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin. Die demagogischen Reden von Otto sind aus seiner Zeit als Bezirksleiter in Ostsachsen bekannt. Dort organisierte er auch Protestaktionen, auf denen er rief: „Wir Ostsachsen werden keine Ruhe geben und keinen Waffenstillstand schließen...“, während er gleichzeitig mit der Unternehmensleitung von Siemens und dem Flugzeug- und Zughersteller Bombardier den Abbau von Arbeitsplätzen vereinbarte.

Otto und die IG Metall verfolgen nicht das Ziel, die Löhne und Arbeitsplätze der Belegschaft zu verteidigen, sondern „die Transformation mitzugestalten“ – d.h. Siemens und andere Konzerne so umzubauen, dass sie auch in Zukunft hohe Profite abwerfen. Sie streben eine enge Zusammenarbeit mit dem Management und den Aktionären an und lehnen jeden ernsthaften Kampf, der diese Zusammenarbeit gefährden könnte, vehement ab.

Während Konzerne und Banken seit Jahren einen brutalen Klassenkampf führen und die Kluft zwischen Löhnen und Profiten immer größer wird, tut die IG Metall alles, um eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse zu verhindern. Auf ihrer Website bekennt sich die Berliner IG Metall ganz offen zu dieser Politik.

„Im intensiven Austausch mit Beschäftigten, Betriebsräten, Politik und Unternehmensspitzen organisiert die IG Metall Berlin den Dialog über die Transformation der Berliner Industrie,“ heißt es dort. „Was braucht die Berliner Industrie, um die Transformation aktiv und nachhaltig zu gestalten und zukünftig Beschäftigung zu sichern und aufzubauen? Das ist die zentrale Frage, mit der die IG Metall Berlin den industriepolitischen Dialog in der Stadt auch in den kommenden Monaten nach vorne bringen will.“

Diese Linie bestimmte auch die gestrige Kundgebung. Otto beschwerte sich darüber, dass die alternativen Umstrukturierungs- und Entlassungspläne, die vom Betriebsrat und der IG Metall ausgearbeitet wurden, von der Unternehmensleitung zu wenig Anerkennung fänden. „Siemens Energy ist nicht bereit, mit uns erfolgreich die Transformation der deutschen Industrie hier in Berlin durchzuführen. Und das ist eine absolute Frechheit“, rief er ins Mikrophon.

Während der Vorsitzende des Betriebsrats Günter Augustat oben im Hotel an den Verhandlungen teilnahm, erklärte Otto unten auf der Kundgebung: „Ich will ein Signal deutlich nach oben an die Einigungsstelle geben: Wir werden uns nicht zufrieden geben mit einem Ergebnis, das heißt, dass dieser Standort in der Huttenstraße keine Zukunftsfähigkeit hat.“

Im nächsten Satz unterstrich er die Bereitschaft von Betriebsrat und Gewerkschaft, auch harte Entscheidungen mitzutragen. „Das Verhandlungsteam unserer Betriebsräte im Gesamtbetriebsrat hat sich viele Gedanken gemacht, wie wir diesen Standort zukunftsfähig machen können und trotzdem an der einen oder anderen Stelle überlegen, wie wir ein paar Einsparungen vornehmen. Der Arbeitgeber ist auf diese Überlegungen fast gar nicht eingegangen.“ Das sei nicht akzeptabel und dürfe nicht hingenommen werden.

Otto warnte vor einer „Aufkündigung der Sozialpartnerschaft“. „Wenn wir es nicht schaffen, zurück mit Siemens an den konstruktiven Verhandlungstisch zu kommen, dann ist der nächste Schritt die absolute Eskalation.“ Die Transformation der Produktion könne nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit der IG Metall gelingen. „Ich kann nur alle Konzerne und Arbeitgeber warnen: Wir wollen im besten Fall die Kooperation, aber wir wissen, was auf dem Spiel steht.“

An die Adresse der Parteien und Regierung rief er: „Wir erwarten nicht, dass die Politik unsere Arbeit macht, aber dass sie uns begleitet und uns gute Rahmenbedingungen gibt. Wir erwarten von den deutschen Konzernen, dass sie mit uns beweisen, dass diese Transformation auch sozial ablaufen kann.“

Noch deutlicher wurde der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Thomas Prantz. Er warnte Siemens, den Bogen nicht zu überspannen, weil die Gewerkschaft sonst die Kontrolle verlieren könnte. Es sei vollkommen unnötig, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derart zu verunsichern und Angst zu verbreiten, sagte er. „Besser man hätte in den vergangenen Wochen nur einmal versucht, sich mit den konstruktiven Vorschlägen des Betriebsrats ernsthaft auseinanderzusetzen.“

Unumwunden berichtete Prantz: „Kolleginnen und Kollegen, seit Wochen besprechen wir die vom Management geforderten Maßnahmen zur Anpassung an den sich verändernden Markt, seit Wochen versuchen wir unser Alternativkonzept dem Management vorzustellen. Konstruktive Alternativvorschläge, die zu den gleichen Einsparungen führen, Alternativvorschläge, die in Zusammenarbeit mit Experten von Werk und auch mit den Wirtschaftsberatern, die den GBR [Gesamtbetriebsrat] unterstützen, die so erarbeitet sind, dass nachher Beschäftigte noch motiviert arbeiten können, unsere Kundenaufträge keinem Risiko ausgesetzt sind und kein Geld der Siemens Energy verschwendet wird.“

„Viermal haben wir unsere Konzepte für die Verbrennungsfertigung angepasst“, berichtete der stellvertretende Betriebsratschef, damit sie für das Management und die Gewerkschaft akzeptabel seien.

Das lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Das Alternativkonzept des Betriebsrats soll zu den gleichen Einsparungen führen – beinhaltetet also ebenso den Abbau von Arbeitsplätzen und orientiert sich an den Interessen der Aktionäre.

Er schloss seine Rede mit einem Aufruf an die Regierung, nicht ausländische, sondern deutsche Arbeitsplätze zu finanzieren. „Ich habe noch eine Bitte an die Politik. Prüfen Sie sehr genau und unter welchen Bedingungen Fördermittel vergeben werden. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werkes möchten von den Fördermitteln in ihren Unternehmen profitieren und nicht nur die Beschäftigten in Ungarn und China, in totalitär gelenkten oder pseudodemokratischen Ländern.“

Während einige IG Metallfunktionäre derart nationalistische Töne beklatschten, gab es unter einfachen Arbeitern auch kritische Reaktionen. Mirco, der seit 2008 bei Siemens Energy in der Produktion arbeitet, war zusammen mit einem Kollegen, der im Betriebsrat sitzt, zur Kundgebung gekommen.

„Wir sind beide eigentlich aus dem Schaufelbau, und der ist schon in Ungarn“, so Mirco. „Unsere alten Arbeitsplätze sind also nicht mehr existent. Jetzt sind wir in der Reparatur, Beschichtung.“

Er fügte hinzu, er sehe die Entwicklung bei Siemens von zwei Seiten. „Ich bin auch ein ökologischer Mensch und denke, dass Veränderung nötig ist. Aber wie das jetzt stattfindet, ist wieder so eine riesengroße kapitalistische Sauerei. Was wir jetzt hier erleben, ist kapitalistischer Schwachsinn. Jeder Fortschritt wird ausgebremst, alles wird nur vom Kapital bestimmt, und das bremst alles.“

Mirco schilderte, wie sie Arbeiter aus Ungarn an den Maschinen anlernen mussten und was ihnen die Kollegen dabei über die Arbeitsbedingungen in ihrer Heimat berichteten. „Das ist dort die totale Katastrophe. Das ist eigentlich Sklaverei. Der Lohn ist unterirdisch und wenn einer Fehler macht, müssen alle dafür gradestehen. Sie müssen von ihrem Lohn dann dafür noch bezahlen. Sie waren kurz bei uns zum Anlernen, und jetzt ist die Produktion in Ungarn. Was sie uns erzählt haben, ist grauenhaft. Arbeitsrecht ist da gar nicht vorhanden.“

Sein Kollege fügte hinzu: „Es gibt dort überall Videoüberwachung. Wenn du zu oft auf Toilette gehst, kriegst du die gelbe Karte und bei zu vielen gelben Karten Lohnabzug.“

Ohne es offen auszusprechen, deuteten beide an, dass die Verlagerung der Produktion in ein Land mit derartiger Sklavenarbeit bedeute, dass Siemens auch hier solche Arbeitsbedingungen befürworte.

Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) verteilten auf der Kundgebung einen Aufruf zur prinzipiellen Verteidigung aller Arbeitsplätze. Darin heißt es:

Der Kampf gegen den Arbeitsplatzabbau bei Siemens Energy erfordert den Aufbau eines Aktionskomitees, das unabhängig von IG Metall und Betriebsrat ist, von den Arbeitern kontrolliert wird und ihnen gegenüber verantwortlich ist.

Ein solches Komitee muss als erstes fordern, dass alle Verhandlungen öffentlich geführt werden und keine Vereinbarung ohne Zustimmung der Arbeiter getroffen wird. … Es muss jeden Arbeitsplatz prinzipiell verteidigen und den Widerstand gegen den Abbau organisieren. Es muss Kontakt zu anderen Siemens-Standorten im In- und Ausland aufnehmen und Unterstützung in der gesamten Arbeiterklasse mobilisieren.

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat am 1. Mai die Initiative zur Gründung der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees ergriffen, um einen Rahmen für neue unabhängige und demokratische Kampforganisationen von Arbeitern in Fabriken, Schulen und Betrieben auf internationaler Ebene zu schaffen.

Wir laden die Arbeiter von Siemens Energy ein, über die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) und die WSWS Kontakt zur Internationalen Arbeiterallianz aufzunehmen, Wir werden sie beim Aufbau eines Aktionskomitees und dem Knüpfen internationaler Kontakte unterstützen.

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