Die Pandemie in Russland und der Bankrott der national-chauvinistischen Politik

Die Pandemie fordert in Russland weiterhin einen schrecklichen Tribut. Seit dem Einmarsch in die Ukraine wurden die Bemühungen, die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen, aufgegeben. Dieser Aufsatz wurde der World Socialist Web Site von der Jungen Garde der Bolschewiki-Leninisten, einer Organisation trotzkistischer Jugendlicher in Russland, zugesandt.

Am Dienstag, den 19. Juli, meldete der Pressedienst Rospotrebnadzor, dass die neue Subvariante Omikron BA.2.75 bei fünf Personen in Russland nachgewiesen worden ist. Der Pressedienst schrieb: „Die Virenproben waren im Juli in Moskau gesammelt und einer Untersuchung unterzogen worden. Die Krankheit verlief bei allen Patienten in einer milden Form. Es gab keine Klinikeinweisungen.“

Bisher wurde diese stark mutierte Omikron-Subvariante in Indien, Australien, Deutschland, Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Kanada und den Niederlanden gefunden. Da die Omikron-Subvariante BA.5 derzeit in Russland und auf der ganzen Welt vorherrscht, ist es schwer zu sagen, ob diese neue Subvariante BA.2.75 als besonders gefährlich angesehen werden kann und in der Lage ist, eine weitere Welle der Corona-Pandemie auf der ganzen Welt auszulösen. Sicher ist jedoch, dass das russische Gesundheitssystem wahrscheinlich nicht in der Lage sein wird, weiteren solchen Schlägen der Pandemie standzuhalten.

Offiziellen Zahlen zufolge, die die wirklichen Verhältnisse erheblich untererfassen, hat die Pandemie in Russland bereits etwa 382.000 Menschen getötet. Andere Schätzungen betrachten die „Übersterblichkeit“, d.h. die Differenz zwischen der aktuellen Zahl an Todesfällen und der zu erwartenden „normalen“ Todeszahl in Abwesenheit der Pandemie. Diese gehen davon aus, dass die tatsächliche Todesziffer in Russland bei über 1,2 Millionen liegt, was eine der höchsten Pro-Kopf-Todesraten der Welt ist.

In den letzten Wochen ist die Zahl der offiziellen Fälle allmählich angestiegen, was typisch für alle Anfangszeiten von Coronavirus-Wellen ist und auf die reale Gefahr einer neuen Pandemiewelle in den kommenden Wochen und Monaten hinweist. Seit dem Tiefpunkt am 1. Juli ist der Sieben-Tage-Durchschnitt der täglich neu auftretenden Fälle um 79 Prozent von 2.941 auf 5.264 gestiegen. Genomische Sequenzierungsdaten aus Russland sind nur bis zum 4. Juli verfügbar, aber zu diesem Zeitpunkt machte die Subvariante Omikron BA.5 bereits 33 Prozent aller Fälle aus. Wahrscheinlich ist sie schon in der darauffolgenden Woche dominant geworden und treibt jetzt die Zahl der neuen Fälle nach oben.

Mediziner in Schutzanzügen behandeln Corona-infizierte Patienten auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Wolgograd (Russland), 21. November 2021 (AP Photo/Alexandr Kulikov)

Offiziell sind in Russland etwa 18,5 Millionen Menschen mit Covid-19 infiziert, was ebenfalls eine enorme Unterschätzung darstellt. Wie in der ganzen Welt steht das Gesundheitssystem seit zweieinhalb Jahren unter ständigem Druck. Inmitten dieser sich verschärfenden Krise ändert das Putin-Regime allmählich seine eigene Propaganda. Es ignoriert zunehmend das Thema der Pandemie und rückt die „militärische Spezialoperation“ in der Ukraine in den Vordergrund, in deren Rahmen Russland nicht nur einen Krieg gegen die Ukraine, sondern auch einen Stellvertreterkrieg gegen die USA und die Nato-Mächte führt.

Dem Entwurf des russischen Bundeshaushalts für 2022-24 zufolge plant Russland bis 2024 keine Erhöhung der Ausgaben für das Gesundheitswesen, während die Ausgaben für die „nationale Sicherheit“ und die „nationale Verteidigung“ um 7,1 Prozent bzw. 8,5 Prozent steigen sollen.

Es ist möglich, dass BA.5 oder BA.2.75 eine neue Pandemiewelle auslösen könnten. Der Arbeiterklasse stehen erneut harte Zeiten der Auseinandersetzung mit einer Pandemie bevor. Der Klassenkampf könnte sich mit der neuen Welle verschärfen. Angefangen bei den Beschäftigten des Gesundheitswesens könnte er auf andere Wirtschaftszweige des Landes übergreifen.

Für Millionen Arbeiter in ganz Russland stellt die Covid-19-Pandemie eine ständige Bedrohung dar. Doch die Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin und von ihr angestellte Wissenschaftler wie der Immunologe Wladislaw Schemtschugow spielen die Schwere dieser Gefahr für die Bevölkerung herunter.

Schemtschugow hat wiederholt widersprüchliche und bezeichnende Aussagen über die Pandemie gemacht. Auf solche Persönlichkeiten wie ihn stützt sich die Propaganda, dass das Coronavirus jetzt „sicher“ sei. Im Juni dieses Jahres erklärte Schemtschugow in einem Kommentar zum Ursprung des Coronavirus provokativ, dass es unmöglich sei, den Ursprung des Virus im Wuhan-Institut für Virologie vollständig zu leugnen.

Im April behauptete Schemtschugow laut Rambler, dass Omikron zur „Erneuerung der kollektiven Immunität“ beitragen werde. Außerdem erklärte Schemtschugow, dass sich die Omikron-Variante einen neuen Wirt anstelle des Menschen suchen würde. Wie auch andere Wissenschaftler auf internationaler Ebene, darunter Dr. Ashish Jha und Anthony Fauci in den Vereinigten Staaten, sagte Schemtschugow, dass Omikron vermutlich die letzte Welle der Erkrankung sein werde. Kürzlich hat er beschlossen, sich zu „korrigieren“ und vertritt jetzt den Standpunkt, dass die neue Welle nun aber wirklich das „Ende“ der Pandemie sein werde.

All diese Aussagen müssen kritisch untersucht werden. Welche Garantien gibt es, dass die neuen Stämme BA.5 und BA.2.75 nicht so tödlich sein werden? Welche Garantien gibt es, dass das Coronavirus endgültig abklingen wird? Warum sollten Coronavirus-Ausbrüche plötzlich aufhören? Und warum sollten wir die Lebensgefahr, die von Covid-19 ausgeht, ignorieren? Im Rahmen des derzeitigen Gesellschafts- und Wirtschaftssystems gibt es dafür keinerlei Garantien.

Doch diese Vorstellungen von einem Ende der Pandemie wurden auch von der Regierung Putin vertreten. Im Januar 2022, als die Subvariante Omikron BA.1 in ganz Russland und international tobte, erklärte Putin: „Die Pandemie geht tatsächlich allmählich zurück. Die Zahl der Erkrankten nimmt ab; die Zahl der Menschen, die Gott sei Dank wieder gesund geworden sind, übersteigt stetig die Zahl derer, die in letzter Zeit erkrankt sind.“

Putins damalige Rede basierte auf der imaginären Hoffnung, dass das Virus allmählich verschwinden würde. Doch im Juni 2022 zwang ihn die Realität zu dem Eingeständnis, dass „die Pandemie noch nicht vorbei ist“. Doch Eingeständnisse allein reichen nicht aus. Erforderlich ist eine klare Politik zur Bekämpfung der Pandemie, die sich auf die wissenschaftliche Methode stützt und nicht auf die Interessen der herrschenden Eliten in Russland und anderen Staaten.

In letzter Zeit – etwa seit März dieses Jahres – haben immer mehr Regionen und Städte alle Beschränkungen im Kampf gegen die Pandemie aufgegeben. Es ist bezeichnend, dass all dies genau nach dem Beginn der „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine begann. Putins Propaganda arbeitet nun in eine andere Richtung und versucht, die Schuld für alle Probleme Russlands auf einen äußeren Feind abzuwälzen. Er versucht, sich selbst und seine Elite „reinzuwaschen“, während er die westliche herrschende kapitalistische Elite „verteufelt“.

Putins Botschaft an die russischen Arbeiter lautet, dass es doch in Ordnung sei, wenn sie von ihren eigenen Leuten ausgebeutet würden, „auf unsere eigene Art, die russische Art, die nationale Art“. Ausbeutung und Krankheit seien nur dann schlecht, wenn sie das Werk von „ausländischen Agenten“ und „Russophoben“ seien.

Es ist klar, dass die Politik des westlichen Imperialismus auf Russophobie und Hetze als Teil ihrer antirussischen Kampagne zurückgreift. Jeder klassenbewusste Arbeiter sollte jedoch verstehen, dass nicht Putin der Verteidiger Russlands ist, sondern die internationale Arbeiterklasse. Es ist ihre Fähigkeit zur revolutionären Aktion, die die Welt im allgemeinen und Russland im besonderen davor bewahren kann, dass Produktivkräfte und kulturelles Erbe infolge des Kampfes um Profite und Einflusssphären zwischen den kapitalistischen Mächten zerstört werden.

Das Putin-Regime hat keinen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise des Landes. Es ist nur zu abenteuerlichen Aktionen fähig, wie dem Einmarsch in die Ukraine, der letztlich dem westlichen Imperialismus in die Hände spielt und dessen Expansionsbestrebungen gegen Russland und China nicht aufhält. Seine „soziale“ Politik ist nur eine Politik der Almosen. Diese wird jedoch angesichts der Inflation bei den Lebensmittelpreisen, die die Mehrheit der Bevölkerung hart trifft, nicht mehr lange funktionieren.

Die Weltbourgeoisie im allgemeinen und die russische Bourgeoisie im besonderen sind nicht in der Lage, auch nur eine der Krisen zu lösen, die für die gegenwärtige Ära des Kapitalismus charakteristisch sind. Dies gilt sowohl für die anhaltenden Wirtschaftskrisen als auch für Pandemien, für soziale Ungleichheit, die drohende ökologische Apokalypse bis zum Ende dieses Jahrhunderts, die Gefahr eines neuen weltweiten Atomkriegs und vieles mehr.

Jedes dieser Probleme hat internationalen Charakter. Die Bourgeoisie ist in ihrem Wesen engstirnig nationalistisch. Einer der Hauptwidersprüche, der die Menschheit in Richtung eines neuen Weltkriegs treibt, ist der Widerspruch zwischen der globalisierten gesellschaftlichen Produktion und der Aufteilung des Weltwirtschaftssystems in feindliche Nationalstaaten. Die Feindschaft dieser Staaten untereinander rührt von ihrem kapitalistischen Charakter her. In jedem Land versuchen die Kapitalisten, so viel Profit wie möglich zu machen, ohne Rücksicht auf die sozialen, globalen Bedürfnisse.

Nur die Arbeiterklasse ist in der Lage, die Probleme der Menschheit zu lösen. Damit die Arbeiterklasse jedoch ihr Potenzial ausschöpfen kann, muss sie verstehen, dass dies unmöglich ist ohne eine revolutionäre Organisation, die sich strikt auf ein proletarisches, sozialistisches Programm stützt.

Um den Kampf für den Sozialismus in vollem Umfang zu unterstützen, müssen aus diesem Grunde alle, die an der Sache der Arbeiterklasse Anteil nehmen, mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale (IKVI) Kontakt aufnehmen und ihm helfen, eine Sektion in dem Land aufzubauen oder zu entwickeln, in dem dieser Kämpfer für die Sache des Sozialismus ansässig ist.

Solche Menschen haben die Arbeit zur Errichtung einer Sektion des IKVI in Russland begonnen. Die türkische Sektion wurde vor kurzem von solchen Menschen gegründet.

Werdet gemeinsam mit dem IKVI Teil des Kampfes gegen Kapitalismus, Imperialismus und Krieg!

Nur durch die Vereinigung der Arbeiterklasse kann ihre historische Mission erfüllt werden!

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