NSU 2.0: Landgericht Frankfurt schützt rechtsradikales Netzwerk in der Polizei

Geht es nach dem Landgericht Frankfurt am Main, dann ist der regelmäßige Austausch rechtsextremer Botschaften zwischen Polizeikollegen völlig legal und zieht keine Straf- oder Disziplinarmaßnahmen nach sich. Das Gericht ließ Mitte Februar die Anklage gegen sechs mutmaßliche Mitglieder einer rechtsextremen Chatgruppe nicht zu und lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens ab.

Fünf der Beschuldigten waren Polizisten eines Frankfurter Polizeireviers, die sechste die Lebensgefährtin von einem der Polizisten. Behält die Entscheidung des Landgerichts Bestand, wird es zu keinem gerichtlichen Strafverfahren gegen die Gruppe kommen, auch ernsthafte Disziplinarmaßnahmen sind dann unwahrscheinlich. Die Polizeibeamten werden voraussichtlich im Dienst verbleiben.

Auf einer Demo in Berlin nach dem Terroranschlag von Halle, 2019

Die Gruppe war 2018 aufgeflogen, nachdem die Frankfurter Anwältin Seda Besay-Yıldız mit „NSU 2.0“ unterzeichnete rechtsterroristische Drohbriefe mit vertraulichen Informationen erhalten hatte, die kurz zuvor über den Account einer Polizistin abgerufen worden waren, die zur Chatgruppe gehörte. Im Rahmen einer Hausdurchsuchung bei der Polizistin wurde die rechtsextreme Gruppe dann entdeckt.

Die Polizisten hatten jahrelang über WhatsApp Inhalte mit Rassismus, Naziverherrlichung, Holocaustverharmlosung und Behindertenfeindlichkeit ausgetauscht. Die Gruppe mit dem Chatnamen „Itiotentreff“ war 2014 gegründet worden und bestand größtenteils aus Mitgliedern des 1. Polizeireviers Frankfurt. Zeitweise hatte sie bis zu zehn Mitglieder. Es soll eine Art Aufnahmeritual gegeben haben, und die Mitglieder sollen sorgfältig bedacht gewesen sein, dass keine Inhalte nach außen dringen.

Neben Seda Besay-Yıldız erhielten zwischen 2000 und 2007 auch zahlreiche andere Rechtsanwälte, Politiker, Künstler und Journalisten mit „NSU 2.0“ unterzeichnete Drohbriefe, die sie beschimpften und mit dem Tode bedrohten. Das Kürzel bezog sich auf die Terrororganisation „Nationalsozialistischer Untergrund“, die mindestens zehn Menschen ermordet hat. Viele dieser Briefe enthielten nicht öffentliche Informationen, die vorher aus Polizeicomputern abgerufen worden waren.

Obwohl die weit angelegte Einschüchterungskampagne ohne enge Verbindungen zu polizeilichen Stellen und deren Informationen praktisch nicht möglich gewesen wäre, wurde im November letzten Jahres lediglich der 54-jährige Alexander M. aus Berlin als angeblicher Einzeltäter angeklagt und verurteilt. Landgericht und Staatsanwaltschaft Frankfurt weigerten sich explizit, die Hintergründe und Verbindungen des NSU 2.0 aufzuklären, obwohl sie sich mit der faschistischen Chatgruppe geradezu aufdrängten. Nun steht fest, dass Alexander M. ein Bauernopfer bleiben soll.

Die Staatsanwaltschaft hatte die Gruppe „Itiotentreff“ wegen schwerer Äußerungsdelikte angeklagt: Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung, Beschimpfung von religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen und Besitz sowie Verbreitung pornografischer Schriften.

In insgesamt 102 Fällen sollen laut Anklage „überwiegend Inhalte mit Darstellungen von Adolf Hitler, Hakenkreuzen und weiteren nationalsozialistischen Symbolen sowie Verharmlosungen des Holocausts“ eingestellt worden sein. Minderheiten, insbesondere Menschen mit Behinderungen, Migrationshintergrund, dunkler Hautfarbe, Homosexuelle sowie Juden und Muslime seien verächtlich gemacht und verleumdet worden. Ferner sollen auch pornografische Inhalte eingestellt und geteilt worden sein.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass den Angeschuldigten bewusst war, dass die Inhalte auch Dritten außerhalb der Chatgruppe zugänglich gemacht werden. Dies sah das Landgericht Frankfurt offenbar als nicht hinreichend erwiesen an. Nach dem Gerichtsbeschluss vom 13. Februar sind die Inhalte nicht strafbar, weil sie nicht verbreitet worden seien. Das Versenden innerhalb der Gruppe reichte dafür nach Überzeugung des Gerichts alleine nicht aus.

Eine Verbreitung eines Inhalts nimmt man nach höchstrichterlicher Rechtsprechung dann vor, wenn man ihn seiner „Substanz nach einem größeren Personenkreis zugänglich macht, wobei dieser nach Zahl und Individualität unbestimmt oder jedenfalls so groß sein muss, dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist“. Hier hätten die Polizisten aber gewollt, dass die Inhalte nur untereinander geteilt wurden. Die Chatgruppe habe dabei nie mehr als zehn Mitglieder gehabt.

Das Landgericht Frankfurt argumentierte nach einem Bericht der hessenschau aber auch mit dem Grundgesetz und dem Recht auf Meinungsfreiheit. Teile der Inhalte fielen unter Satire und seien von der Kunstfreiheit (!) gedeckt – eine provokative Verhöhnung aller Opfer von Nazi-Terror.

Der Beschluss des Gerichts liegt der WSWS nicht vor. Fest steht, dass Chatnachrichten normalerweise sehr einfach weiterzuleiten sind. Sie können außerdem anderen Menschen durch einen Blick auf das Handy einfach gezeigt werden. Dass auf einem einzigen Polizeirevier gleich fünf oder mehr Polizisten über Jahre offene Nazi-Propaganda betrieben haben sollen, ohne dass dies ihre Kollegen mitbekamen und ohne dass jemand aus der Gruppe Inhalte auch Anderen zugänglich machte, erscheint abwegig.

Außerdem handelt es sich hier nicht um einen privaten Freundeskreis, sondern um Mitglieder einer Polizeieinheit, die gemeinsame Einsätze gegen Menschen durchführt, die sie in ihren Chats verhöhnt.

Sollte dies tatsächlich geheim geblieben sein, würde dies einen so hohen Grad an konspirativer Zusammenarbeit der Gruppe erfordern, dass man sich fragen muss, warum keine Anklage oder wenigstens Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung erfolgten, insbesondere da mindestens eine Beteiligte womöglich mit dem NSU 2.0 in Verbindung stand.

Dass es sich bei der Chatgruppe „nur“ um eine Art geheimen Polizisten-Nazi-Stammtisch als Selbstzweck gehandelt haben soll, der über Jahre hinweg keinerlei Relevanz und Aktivität entfaltete, erscheint absurd. Jedenfalls ließ das Gericht keine Anklage gegen die Polizisten zu. Ob und welche Verbindungen der rechtsextremen Zelle in der Frankfurter Polizei zum NSU 2.0 bestanden haben, wird gerichtlich nicht aufgeklärt werden.

Gegen den Nichteröffnungs-Beschluss hat die Staatsanwaltschaft zwar Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt eingelegt. Dieses kann nun den Beschluss des Landgerichts entweder bestätigen oder die Hauptverhandlung eröffnen – sprich, die Anklage zulassen. Dann müsste dieselbe Kammer, die die Anklage nicht zugelassen hat, in einem Prozess darüber verhandeln.

Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) weigerte sich, die Entscheidung des Landgerichts Frankfurts zu kritisieren und sprach lediglich von einer „Entscheidung der unabhängigen Justiz“. Er vermied auch sorgfältig, disziplinarrechtliche Konsequenzen für die Polizisten zu fordern. Er erklärte lediglich, die in der Chatgruppe geteilten Inhalte hätten „keinen Boden auf der hessischen Polizei“ – was offensichtlich nicht stimmt.

Ein Disziplinarverfahren wird es jedenfalls bis zur Entscheidung über die Beschwerde durch das Oberlandesgericht nicht geben. Bleibt es dabei, dass es zu keinem Gerichtsverfahren kommt, werden wohl auch ernsthafte disziplinarrechtliche Konsequenzen ausbleiben. Dies erklärte der Geschäftsführer der Deutschen Polizeigewerkschaft Hessen, Alexander Glunz, in einem Interview mit der hessenschau.

Auf die Frage nach einem Disziplinarverfahren, und ob es auch Suspendierungen geben könne, meinte Glunz: „Das ist eher ausgeschlossen, insbesondere wenn im Strafverfahren festgestellt wurde, dass strafrechtlich nichts zu holen ist. Möglich wäre es, aber nein, das glaube ich nicht.“

Die Sozialistische Gleichheitspartei SGP hat schon lange davor gewarnt, dass der Staatsapparat selbst eine Brutstätte faschistischer Tendenzen und rechter Verschwörungen ist. Deshalb wird sie vom Verfassungsschutz und deutschen Verwaltungsgerichten als extremistisch verleumdet, weil sie vom „Grundgesetz entsprechend legitimierte Einrichtungen des Staates“ in Frage stelle. Die SGP hat dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben.

Das Agieren des Landgerichts Frankfurt zeigt, wie korrekt die Warnungen der SGP sind. Geht es nach dem Gericht, können sich innerhalb der Sicherheitsbehörden nach Belieben faschistische Banden organisieren, ohne dass dies ernsthafte Konsequenzen hat. Das gilt für die Polizei wie auch für den Verfassungsschutz, der den NSU deckte und an dessen Spitze mit Hans-Georg Maaßen jahrelang ein Rechtsradikaler saß.

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