Perspektive

Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst

Warum der Verdi-Ausverkauf abgelehnt werden muss

In wenigen Tagen beginnt die Mitgliederbefragung über das Tarifergebnis, das Verdi mit Bund und Kommunen vereinbart hat. Verdi mobilisiert gegenwärtig seinen gesamten Apparat, um das Verhandlungsergebnis, das massive Kürzungen der Reallöhne bedeutet, gegen wachsenden Widerstand der Mitglieder durchzusetzen.

Die Gewerkschaftsbürokraten versuchen mit Taschenspielertricks und Verschleierungen das Verhandlungsergebnis schönzurechnen. Doch die Tatsache bleibt, dass statt der Forderung nach einer echten Tariferhöhung von 500 Euro oder 10,5 Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten, für 14 Monate keinerlei tabellarische Lohnerhöhung, sondern eine Nullrunde vereinbart wurde.

Mit dem neuen Tarifvertrag sollen vor allem zwei Dinge erreicht werden: Eine weitere Senkung der Reallöhne, die bereits in den Pandemie-Jahren massiv gesenkt wurden, und zwei Jahre Tariffrieden und damit Streikverbot.

Angesichts dieser Situation gewinnt der Aufbau des Aktionskomitees Öffentlicher Dienst größte Dringlichkeit. Es ist notwendig, aus der Verdi-Zwangsjacke auszubrechen und eine neue Organisationsform aufzubauen, die völlig unabhängig vom Apparat und den Interessen der Beschäftigten verpflichtet ist.

In einem Aufruf zur Ablehnung des Verdi-Diktats stellt das Aktionskomitee die Lohnsenkungsvereinbarung in direkten Zusammenhang zur Kriegspolitik der Bundesregierung. Es schreibt: „Milliarden für die Reichen und für Krieg auf der einen und Lohnkürzungen für uns Pfleger, Erzieher und Müllwerker auf der anderen Seite. Das ist die Politik hinter diesem Tarifergebnis.“

Am Dienstag, den 2. Mai um 20 Uhr findet ein Online-Treffen des Aktionskomitees statt, auf dem darüber diskutiert wird, wie die Ablehnung des Verhandlungsergebnis zu einer Rebellion gegen die Diktatur des Verdi-Apparats entwickelt werden kann. Hier findet Ihr den Link zum Treffen, an dem Ihr anonym teilnehmen könnt.

Kundgebung von Streikenden vor dem Sitz des Arbeitgeberverbandes (KAV) in Frankfurt/Main

Das Ergebnis, das die Verhandlungskommission zur Annahme empfiehlt, ist eine einzige Provokation.

Angesichts einer Inflation bei Energie und Lebensmitteln von etwa 20 Prozent und explodierenden Mieten sollen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die in den vergangenen drei Jahren unter den schwierigen Arbeitsbedingungen der Pandemie das öffentliche Leben aufrechterhalten haben, bis einschließlich Februar 2024 überhaupt keine tabellenwirksame Lohnerhöhung erhalten!

Diese größte Reallohnkürzung in der bundesdeutschen Geschichte soll durch eine Inflationsausgleichszahlung von 3.000 Euro abgefedert werden, die in monatlichen Raten ausgezahlt wird. Doch diese Zahlungen sind ein Ausgleich für die rapiden Preissteigerungen und keine Lohnerhöhung. Nachdem diese Ausgleichszahlung aufgebraucht ist, steigen die Preise weiter, während die Löhne auf dem niedrigen Niveau bleiben.

Die tabellenwirksame Lohnerhöhung kommt erst im März 2024, wenn die Preise weiter gestiegen sein werden. Statt der geforderten 500 Euro oder 10,5 Prozent bei zwölf Monaten Laufzeit – was schon viel zu wenig gewesen wäre, um die Inflation ernsthaft auszugleichen – sollen sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst jetzt mit 200 Euro plus 5,5 Prozent, mindestens 340 Euro mehr bei einer Laufzeit von 24 Monaten zufrieden geben. Auf zwölf Monate gerechnet sind das nur 170 statt 500 Euro!

Bereits in der letzten Tarifrunde 2020, zu Beginn der Corona-Pandemie, vereinbarte Verdi Reallohnsenkungen. Die Laufzeit betrug damals 28 Monate. In den letzten drei Jahren sind die Löhne der Beschäftigten im öffentlichen Dienst nominal um weniger als 4 Prozent gestiegen. Gemessen an den drastischen Preis- und Mietsteigerungen bedeutet das eine massive Reallohnsenkung.

Diese systematische Senkung der Löhne ist gewollt und eine bewusste politische Entscheidung. Der Verdi-Ausverkauf muss deshalb in größerem politischen Zusammenhang gesehen werden. Er ist direkter Bestandteil der Kriegspolitik der Bundesregierung, die den Ukrainekrieg ausnutzt, um die größte militärische Aufrüstung seit Hitler durchzuführen.

Im vergangenen Monat wurden allein die Militärhilfen an die Ukraine von drei auf 15 Milliarden Euro fast verfünffacht. Das so genannte Sondervermögen für die Aufrüstung der deutschen Armee soll von 100 Milliarden auf 300 Milliarden erhöht werden. Die Kosten dieses militärischen Wahnsinns sollen durch Kürzungen in allen Sozialbereichen und durch Reallohnsenkung der Arbeiterklasse aufgebürdet werden.

Die Entscheidung, unter allen Umständen einen unbefristeten Streik im öffentlichen Dienst zu verhindern und deutliche Reallohnsenkung durchzusetzen, wurde auf höchster politischer Ebene im Kanzleramt abgesprochen. Und der Verdi-Apparat ist das Instrument, mit dem die Regierung diese Entscheidung umsetzt.

Die Verhandlungspartner dieser Tarifrunde sind allesamt eingefleischte Sozialdemokraten. Verdi-Chef Werneke ist seit über 40 Jahren Mitglied der SPD. Auf der anderen Seite des Verhandlungstisches saßen mit der Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin Karin Welge für die Kommunen und Bundesinnenministerin Nancy Faeser für den Bund zwei Sozialdemokratinnen. Diese so genannten Tarifverhandlungen waren in Wirklichkeit Absprachen von Funktionären der Regierungspartei, wie die Reallohnsenkungen gestaltet werden müssen, um sie gegen die Beschäftigten durchzusetzen.

Schon im Herbst des vergangenen Jahres, als Krieg und Corona-Pandemie die Inflation trieben, hatten sich alle DGB-Gewerkschaften, Konzernvertreter und die Ampelkoalition unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf ein gemeinsames Vorgehen verständigt. Mit den damals in der Konzertierten Aktion beschlossenen Inflationsausgleichszahlungen sollen nicht die Verluste aus 2021 und 2022 ausgeglichen werden, sondern die geringen Löhnerhöhungen in 2023 und 2024 schöngerechnet werden. Genauso setzen es die Gewerkschaften jetzt um.

Die Tatsache, dass Verdi das Tarif-Diktat in enger Zusammenarbeit mit der Regierung und zur Unterstützung der Kriegspolitik und militärischen Aufrüstung durchsetzt, beinhaltet eine wichtige Schlussfolgerung. Im Kampf gegen Verdi müssen sich Arbeiter einem politischen Programm zuwenden, das den Kampf gegen Reallohnsenkung und Sozialabbau mit dem Kampf gegen Kapitalismus und Krieg verbindet.

Deshalb ist die Gründung des unabhängigen Aktionskomitees so bedeutsam. Es vertritt zwei wichtige Prinzipien. Erstens kämpft es für die konsequente Vertretung und volle Durchsetzung der Interessen und Forderungen der Arbeiter und lehnt es ab, sie den Profitinteressen der Konzerne und der Kriegspolitik der Regierung unterzuordnen. Es geht nicht um ein paar Almosen, Arbeiter haben Rechte, und das Recht auf einen angemessenen Lohn ist ein Grundrecht.

Zweitens kämpft das Aktionskomitee für eine internationale Zusammenarbeit und strebt einen gemeinsamen Kampf an. Arbeiter in allen Ländern haben gleiche oder ähnliche Probleme und müssen im Kampf gegen multinationale Konzerne und Regierungen europaweit und international zusammenarbeiten.

Die Arbeiter der Stadtreinigung, die Pflegerinnen und Pfleger und viele andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst wissen sehr gut, dass sie die entscheidende Rolle zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft und der so genannten öffentlichen Daseinsvorsorge spielen. Sie verfügen über eine große Kampfkraft und sind stärker als der bürokratische Apparat von Verdi. Aber diese Stärke muss mit einer klaren politischen Perspektive und unabhängigen Organisation verbunden werden.

Die Tarifkämpfe im öffentlichen Dienst, bei der Post und in vielen anderen Bereichen sind Teil einer wachsenden Bewegung, die sich in ganz Europa und weltweit entwickelt. In Frankreich demonstrieren Millionen gegen Macrons Rentenkürzungen, in Großbritannien streiken Hunderttausende gegen Lohnkürzungen und Streikverbote und auch in Spanien, Portugal, Belgien und den Niederlanden kam und kommt es zu ausgedehnten Streiks.

Die wichtigste Aufgabe besteht darin, diese Kämpfe zu einer bewussten europäischen und internationalen Bewegung zu machen, die sich gegen Ausbeutung, Kapitalismus und Krieg richtet. Ohne die Macht der Finanzoligarchie zu brechen, kann kein gesellschaftliches Problem gelöst werden. Die großen Vermögen müssen enteignet und die Wirtschaft in den Dienst der gesellschaftlichen Bedürfnisse statt der Befriedigung der Profitansprüche der Reichen gestellt werden.

In diesem Zusammenhang gewinnt die gestrige 1. Mai-Kundgebung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees große Bedeutung.

Schon im Aufruf zu dieser Kundgebung hieß es: „Zwei Prozesse dominieren die diesjährigen Feierlichkeiten für die internationale Einheit der Arbeiterklasse: der Krieg in der Ukraine, der sich zu einem globalen Flächenbrand entwickelt, und ein weltweites Wiederaufleben des Klassenkampfes.

Diese beiden Prozesse sind auf sehr grundsätzlicher Ebene miteinander verbunden. Die gleichen wirtschaftlichen, geopolitischen und sozialen Widersprüche, die die imperialistischen herrschenden Eliten auf den Weg des Krieges treiben, bringen auch den objektiven Impuls für die Radikalisierung der Arbeiterklasse und den Ausbruch revolutionärer Kämpfe.“

Viele Sprecher der Kundgebung erklärten, warum der Kampf gegen die Diktatur der Gewerkschaftsapparate und die Organisation von unabhängigen Aktionskomitees direkt mit dem Aufbau einer revolutionären und internationalen Partei der Arbeiterklasse, des Internationalen Komitees der Vierten Internationale und seiner deutschen Sektion, der Sozialistischen Gleichheitspartei, verbunden ist.

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