In dieser Woche kommt es in mehreren Bundesländern – Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Thüringen – zu Warnstreiks der Erzieherinnen, Pflegekräfte, Busfahrer und anderen städtischen Mitarbeitern. Es geht um die Tarifrunde für den Öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD). Es ist der nach dem Metalltarif zweitgrößte Flächentarifvertrag Deutschlands.
Der TVöD betrifft rund 2,6 Millionen Beschäftigte und wirkt sich indirekt auf weitere 370.000 Bundesbeschäftigte und fast 600.000 Versorgungsempfänger aus. Dennoch bleibt es bisher auffällig ruhig. Die Warnstreiks erfolgen vereinzelt, halbherzig und völlig isoliert von den gleichzeitigen Warnstreiks der Post, des öffentlichen Nahverkehrs, der Bahn sowie von den massiven Konflikten in der Autoindustrie.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi fordert acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat, sowie höhere Zuschläge für besonders belastende Tätigkeiten. Azubis und Praktikanten sollen 200 Euro monatlich mehr erhalten, und für die Angestellten im öffentlichen Dienst soll es drei freie Tage mehr geben. Das wären alles dringend benötigte Verbesserungen, die jedoch höchstens einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen, wenn sie denn kämen.
Denn diese Tarifrunde findet in außergewöhnlichen Zeiten und während des vorgezogenen Bundestagswahlkampfs statt. In den USA ist Trump an die Macht gekommen, und er hat Elon Musk, den reichsten Mann der Erde, zum Minister für effizientes Staatshandeln ernannt. Dieser hat schon in der zweiten Woche den gesamten öffentlichen Dienst der USA angegriffen und zehntausende Beschäftigte nach Hause geschickt.
Auch die herrschende Klasse in Deutschland geht denselben Weg. Während CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz der AfD Tür und Tor öffnet, bereiten auch die SPD und die Grünen massive soziale Angriffe vor. Um Deutschland „kriegstauglich“ zu machen, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fordert, sollen gewaltige Ressourcen in die Verteidigung fließen. Diese Milliardensummen werden der arbeitenden Bevölkerung aus den Rippen gepresst. Sie bedeuten beispiellose Sozialkürzungen und verheerende Angriffe auf den öffentlichen Dienst.
Bedroht sind nicht nur Migranten und Geflüchtete (für die schon große Abschiebegefängnisse wie in Mönchengladbach errichtet werden). Bedroht ist das gesamte gesellschaftliche Leben, das die arbeitende Bevölkerung seit der Nachkriegszeit aufgebaut hat, und das betrifft sehr direkt den öffentlichen Dienst: Während die Zahl der Milliardäre ständig wächst, werden die staatlichen Schulen kaputtgespart, die Kliniken sind aufs Äußerste überlastet, Kitaplätze fehlen, das Bahnsystem, die Straßen, die Brücken, die gesamte öffentliche Infrastruktur, auch Umwelt, Bildung, Wohnungsbau und Wissenschaft sind betroffen.
Alle Bundesländer planen Einsparungen in Milliardenhöhe. So ist es kein Zufall, dass die staatlichen und kommunalen Arbeitgeber in der ersten Verhandlungsrunde am 24. Januar in Potsdam kein Angebot auf den Tisch legten. Aber die Gewerkschaften, allen voran Verdi, die federführend auch für die dbb Tarifunion und die GEW verhandelt, vermeiden jeden ernsthaften Arbeitskampf.
Man muss es klar sagen: Verdi ist Teil einer Verschwörung, um die Beschäftigten einzulullen und ihnen die Hände zu binden. Sie gehören alle derselben Partei, der SPD, an – vom Verdi-Vorsitzenden Frank Werneke über Bundesinnenministerin Nancy Faeser bis hin zur Gelsenkirchener Bürgermeisterin Karin Welge, die die VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) vertritt. Und sie arbeiten seit Jahren Hand in Hand daran, den Kahlschlag gegen die Beschäftigten durchzusetzen.
Frank Werneke war im Juli 2022 Teil der neu belebten Konzertierten Aktion von Bundeskanzler Olaf Scholz, die der Wirtschaft versprach, dass die Löhne trotz Inflation niedrig bleiben würden. Die Folge war der Tarifabschluss 2023 im öffentlichen Dienst, der Reallohnsenkungen und Arbeitsplatzabbau vorsah. Heute sind eine halbe Million Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst nicht besetzt. Die soziale Schere klafft immer weiter auseinander.
Die Bedrohung ist nicht auf Deutschland begrenzt: In Frankreich schreibt die Bayrou-Regierung diese Woche Sozialkürzungen von 50 Milliarden Euro im neuen Haushalt fest. In Österreich übernimmt gerade der Faschist Herbert Kickl die Regierung – ebenfalls um massive Sparmaßnahmen durchzusetzen.
In dieser Situation tut Verdi alles in ihrer Macht Stehende, um effektive Streiks und eine breitere Arbeiterbewegung vor den Wahlen zu verhindern. Wo Warnstreiks und Trillerpfeifenproteste stattfinden, dienen sie dazu, die Beschäftigen einzulullen und ihnen umso effektiver die Hände zu binden.
In den Kliniken Bayerns wird der „Arbeitskampf“ bisher auf reine Freizeitaktionen begrenzt. Der laufende Betrieb soll ausdrücklich nicht beeinträchtigt werden. Im Klinikum Nürnberg, das bundesweit zu den größten kommunalen Krankenhäusern gehört, wurde zu den Aktionen in der letzten Januarwoche die Parole ausgegeben: „Wichtig: Dieser Streik ist ein Arbeitsstreik bzw. Delegiertenstreik. Der Stationsalltag soll nicht gestört werden!“
Wie die Beschäftigten im Klinikum, wo der Arbeitsdruck schier unerträglich ist, darüber denken, das drückte ein bayrischer Pfleger gegenüber der WSWS so aus: „Alleine diese ganz klare Aussprache gegen jede Störung der Betriebe und das Kleinhalten dieser Riesenthematik – die meine Lebensrealität und die vieler anderer so sehr erschwert, dass es am Ende des Monats nicht mehr für das Notwendigste reicht – ist eine Riesenschande. Auch wenn das zu erwarten war, oder gerade deshalb, müssen wir uns klar dagegen positionieren und dürfen den Kapitalisten und Akteuren dieser Scheingewerkschaft nicht freie Bahn lassen.“
Er setzte hinzu: „Bei uns im Betrieb herrscht große Unzufriedenheit, auch und gerade über die Aktionen von Verdi. Der Großteil weiß genau, dass es ein Schuss in den Ofen wird.“
Schon im Dezember hatte der Verdi-Landesbezirkschef Paul Schmidt in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen an die Bürgermeister und Landräte appelliert, gemeinsam einen Aufruf an die Bundesregierung zu richten, um Streiks während der Bundestagswahlen 2025 zu vermeiden. Darin hieß es: „Trotz aller Differenzen sollten wir im Bundestagswahlkampf eine gemeinsame Position einnehmen und die Lösung dieses Problems zu einem zentralen Wahlkampfthema machen.“
Verdi unterdrückt Streiks während des Wahlkampfs ganz bewusst, um zu verhindern, dass Arbeiter in einen politischen Kampf gegen die Allparteienkoalition für Krieg und Kürzungen treten.
Aber den Sozialabbau, den verheerenden Kriegskurs und die Rückkehr des Faschismus kann nur eine unabhängige und internationale Bewegung der Arbeiterklasse verhindern. Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) schlägt vor, Aktionskomitee in jedem Betrieb aufzubauen und den Arbeitskampf unabhängig von Verdi in die eigenen Hände zu nehmen. Es ist der einzige Weg, um Arbeitsplätze, vernünftige Löhne und lebenswerte Bedingungen zu schaffen, die Privatisierung und Zerstörung der öffentlichen Daseinsvorsorge zu verhindern und die von Abschiebung bedrohten Kolleginnen und Kollegen zu verteidigen.
Hunderttausende Beschäftigte – Eisenbahner und Busfahrer, Postler, Lehr- und Pflegekräfte, Müllarbeiter, Stahlarbeiter, Beschäftigte in der Autoindustrie und in jedem Bereich – stehen vor den gleichen Problemen. Es ist Zeit, dass sie aktiv werden, um Sozialabbau und Krieg zu stoppen!
Die Aktionskomitees sind Organisationen der Arbeiterklasse, sie werden international zusammenarbeiten und konsequent die Interessen der Beschäftigten vertreten. Sie werden Kontakt aufnehmen zu Kolleginnen und Kollegen in den anderen Betrieben, in der Privatwirtschaft und über die Landesgrenzen hinweg zu den Beschäftigten in Frankreich, Italien, Spanien, Österreich, in ganz Europa und den USA. Gemeinsam sind wir stark!
Um ein Aktionskomitee in eurem Betrieb aufzubauen, wendet euch an die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) und an die World Socialist Web Site. Nehmt den Kampf für eine sozialistische Zukunft auf!