Perspektive

Das Vorgehen der Nato gegen Russland wird weltweit den Klassenkampf anheizen

Die rücksichtslose Eskalation des wirtschaftlichen, politischen und militärischen Drucks der Vereinigten Staaten und der Nato gegen Russland führt rasch zu einer umfassenden Weltwirtschaftskrise mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die internationale Arbeiterklasse.

Mindestens 2.000 streikende Lehrer aus Minneapolis sowie Hilfskräfte und ihre Unterstützer versammelten sich am Mittwoch, den 9. März 2022, vor dem State Capitol in St. Paul, Minnesota. (AP Photo/Steve Karnowski)

Die Kampagne gegen Russland zielt auf die Umwandlung des Landes in eine Kolonie des westlichen Imperialismus und die Ausplünderung seiner natürlichen Ressourcen ab. Zu dieser Kampagne gehört ein lähmendes Sanktionsregime, das darauf abzielt, das russische Volk auszuhungern, und das Russland praktisch von der Weltwirtschaft abgeschnitten hat. Putins Einmarsch in die Ukraine ist zwar reaktionär und muss bekämpft werden, aber er ist das Ergebnis einer jahrelangen Kampagne eskalierender Provokationen der Nato gegen Russland, bei der die Ukraine als Köder benutzt wurde.

Millionen Menschen auf der ganzen Welt beobachten die Ereignisse in Osteuropa mit Sorge und befürchten, dass sie sich schnell zu einem Atomkrieg ausweiten könnten. Aber die Krise führt auch zu immensen wirtschaftlichen Verwerfungen, die zu einer massiven Explosion von Klassenkonflikten führen. Diejenigen, die sich dem Streben nach einem dritten Weltkrieg widersetzen wollen, müssen sich, wie Leo Trotzki 1934 bemerkte, nicht an der Karte des Krieges, sondern an den Prinzipien des Klassenkampfs orientieren.

In einer Erklärung zu den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges und der westlichen Sanktionen gegen Russland sagte der Internationale Währungsfonds vergangene Woche voraus: „Preisschocks werden sich weltweit auswirken, insbesondere auf arme Haushalte, für die Lebensmittel und Brennstoffe einen größeren Anteil an den Ausgaben ausmachen. Sollte der Konflikt eskalieren, wären die wirtschaftlichen Schäden umso verheerender. Die Sanktionen gegen Russland werden auch erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte haben, die sich auch auf andere Länder auswirken werden.“

Diese Entwicklung hat bereits begonnen. Die Ölpreise haben 130 US-Dollar pro Barrel erreicht, und in den Vereinigten Staaten sind die Benzinpreise an den Zapfsäulen auf über vier Dollar pro Gallone und damit auf den höchsten Stand aller Zeiten gestiegen. In Frankreich ist der Benzinpreis von 1,65 € pro Liter Ende letzten Jahres auf 2,20 € pro Liter, also 9,16 $ pro Gallone, gestiegen. Die Preise für Weizen sind in diesem Jahr bereits um 70 Prozent gestiegen ­– auf Russland und die Ukraine entfällt zusammen ein Viertel aller Getreideexporte. In Europa beginnen Teile der Industrie, ihre Produktion wegen der steigenden Energiepreise einzustellen.

Im Februar erreichte die Inflation in den USA 7,9 Prozent und in der Eurozone 5,8 Prozent, den höchsten Stand seit der Einführung der gemeinsamen Währung im Jahr 1997. Es wird erwartet, dass die Inflation im März stark ansteigt, da die Folgen der Sanktionen in der gesamten Weltwirtschaft nachhallen.

Am stärksten betroffen sind jedoch die Entwicklungsländer in Afrika und im Nahen Osten. Unterernährung und Hungersnöte in dieser Region der Welt sind eine echte Gefahr. Achtzig Prozent des Getreides in Ägypten werden aus Russland bezogen. Weitere wichtige Importeure von russischem Getreide sind die Türkei, Bangladesch, Nigeria und der Jemen.

Die Auswirkungen auf die Arbeiterklasse werden verheerend sein. Sie leidet bereits seit mehr als zwei Jahren unter der Pandemie, die Millionen von Todesopfern gefordert hat und den Lebensstandard durch die Inflation, die durch das pandemiebedingte Chaos in den globalen Lieferketten verursacht wurde, an den Rande des Abgrunds gebracht hat. Dieses soziale Trauma ist das Ergebnis der bewussten Ablehnung notwendiger gesundheitlicher Schutzmaßnahmen durch die Regierungen der Welt, vor allem der Vereinigten Staaten, im Namen der „Herdenimmunität“ oder des Opferns von Menschenleben für den Profit.

Die Regierungen benutzen die Ukraine, um von dem Krieg abzulenken, der gegen die Pandemie geführt werden sollte, die noch nicht vorbei ist und bereits wieder ansteigt. Sie nutzen ihn auch, um die Inflation, die bereits zuvor auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten war, als „Putinsche Preiserhöhung“ darzustellen, an der allein Russland schuld sei, und versuchen so, wirtschaftliche Ängste in Hass auf einen äußeren Feind umzulenken. Doch während die wohlhabendsten Schichten der Gesellschaft, einschließlich der privilegiertesten Teile der Mittelschicht, von einer Kriegshysterie ergriffen worden sind, gibt es keine Anzeichen dafür, dass diese Kampagne in der Arbeiterklasse nennenswerte Auswirkungen hätte.

In einer Rede in der vergangenen Woche, in der er ein Verbot russischer Öleinfuhren in die Vereinigten Staaten ankündigte, stellte US-Präsident Joe Biden die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen in den Vereinigten Staaten als ein notwendiges Opfer im Namen der „Verteidigung der Freiheit“ dar. Aber weder Biden noch sonst jemand hat sich jemals die Mühe gemacht, die Arbeiter in den Vereinigten Staaten, geschweige denn die Arbeiter in Afrika und den Entwicklungsländern, zu fragen, ob sie solche Opfer für eine rücksichtslose Kampagne bringen wollen, die die Gefahr eines Dritten Weltkriegs erhöht.

Derartige Opfer werden von der Oligarchie in den Konzernen nicht verlangt, die mit dem Krieg genauso viel Geld verdienen wird wie mit der Pandemie. In der Tat sind die Aktienkurse großer US-Rüstungsunternehmen wie Northrup Grumman und Raytheon in den letzten Wochen stark angestiegen. Auch westliche Ölkonzerne und die Agrarindustrie freuen sich über die Aussicht auf Superprofite aus der weltweiten Verknappung, die sich aus dem Wegfall ihrer russischen Konkurrenten ergibt.

Der Krieg in der Ukraine wird als Deckmantel benutzt, um Milliarden an Mitteln aus Sozialprogrammen, die der Arbeiterklasse zugute kamen, in den Krieg umzuleiten. Der jüngste Haushaltsentwurf, der den US-Kongress durchläuft, sieht fast 800 Milliarden Dollar für das Militär vor, darunter 15 Milliarden Dollar für die Ukraine, während zugleich 15 Milliarden Dollar für die Pandemiebekämpfung wegfallen. Die Leitmedien in Großbritannien fordern die Zerschlagung des Wohlfahrtsstaates der Nachkriegszeit, um die Militärausgaben zu erhöhen. Am bedrohlichsten ist, dass Deutschland für dieses Jahr eine Verdreifachung des Militärhaushalts durchgesetzt hat, die größte Erhöhung seit Adolf Hitler.

Die Haltung der herrschenden Klasse wurde am gröbsten und unverblümtesten in einem Leitartikel des Wall Street Journal zusammengefasst, dessen Schlagzeile lautete: „Die NATO braucht mehr Kanonen und weniger Butter.' Der Satz erinnert an die berühmt-berüchtigte Aussage von Hermann Göring: „Erz hat stets ein Reich stark gemacht, Butter und Schmalz haben höchstens ein Volk fett gemacht.“

Die sozialen Folgen dieser rücksichtslosen Kampagne sind die Vorbereitung für einen Showdown zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse in jedem Land, in dem sich die Wut der Massen mit der zunehmenden Radikalisierung überschneiden wird, die als Folge der Pandemie bereits im Gange ist. In den vergangenen zwei Jahren gab es bereits große Streiks von Industriearbeitern in den Vereinigten Staaten, die Zunahme spontaner Streiks in der Türkei, die Missachtung von Streikverboten durch Beschäftigte des Gesundheitswesens in Sri Lanka und Australien und andere bedeutende Äußerungen sozialen Widerstands.

Die herrschende Klasse selbst ist zutiefst besorgt über diese Möglichkeit, und in der Presse sind nervöse Kommentare erschienen, in denen die derzeitige Situation mit den Ölpreisschocks der 1970er Jahre verglichen wird, die eine große Streikwelle in den Industrieländern auslösten, sowie mit dem Arabischen Frühling von 2011, bei dem die massenhafte Wut über die Lebenshaltungskosten die Revolutionen in Tunesien und Ägypten anheizte.

Die Antwort der kapitalistischen Regierungen, die vorgeben, die „Freiheit“ in der Ukraine zu „verteidigen“, wird unweigerlich den verstärkten Einsatz staatlicher Repression beinhalten, einschließlich Verboten, Antistreikgesetzen, Notverordnungen und anderen Maßnahmen zur Unterdrückung der Opposition der Arbeiterklasse im eigenen Land. Gegen 17.000 Eisenbahner bei BNSF in den Vereinigten Staaten wurde bereits eine Anti-Streik-Verfügung erlassen, die mit dem Schutz der nationalen Lieferketten begründet wird. Viele weitere Maßnahmen dieser Art sind zu erwarten.

An dieser Repressionskampagne sind auch die konzernnahen Gewerkschaften direkt beteiligt. Die United Steelworkers (USW) brüstet sich offen mit ihrem „nicht-inflationären“ Ausverkaufs-Vertrag, der die Lohnerhöhungen für 30.000 Ölraffineriearbeiter auf drei Prozent begrenzt – eine Vereinbarung, die in direkten persönlichen Gesprächen zwischen USW-Chef Tom Conway und Präsident Biden hinter den Kulissen ausgearbeitet wurde. Gleichzeitig kann man sich auf die bürgerliche Presse verlassen, die jeglichen Widerstand der Arbeiter als Ergebnis russischer Sabotage brandmarken wird, wobei die Arbeiter angeblich als „Putins Söhnchen“ agieren, wie die britische Presse kürzlich streikende Londoner U-Bahn-Arbeiter geißelte.

Die soziale Basis für den Kampf gegen den Krieg ist die internationale Arbeiterklasse. Im Gegensatz zur herrschenden Kapitalistenklasse und den privilegiertesten Teilen der Mittelschicht sind die sozialen Interessen der Arbeiterklasse unversöhnlich gegen den Krieg. Die Arbeiter haben vom Krieg nichts zu gewinnen, aber sie werden wie immer die Rechnung bezahlen müssen.

Während Biden und andere Staatsoberhäupter im Namen des Kampfes gegen Russland „nationale Einheit“ predigen, werden die Folgen der Kriegstreiberei und die unterschiedlichen Reaktionen verschiedener Gesellschaftsschichten immer offener zeigen, dass die wahre Trennlinie in der Gesellschaft weltweit nicht zwischen der Nato und Russland verläuft, sondern zwischen der Arbeiterklasse und der Kapitalistenklasse in allen Ländern.

Vor allem die Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen für den Krieg wirft den Grundkonflikt zwischen dem kapitalistischen System einerseits auf, das auf privater Profitakkumulation und nationalen Rivalitäten beruht, die unweigerlich zum Krieg führen, sowie der Aufrechterhaltung und dem Wachstum einer modernen Industriegesellschaft andererseits. Der Kampf gegen den Krieg muss daher in einer sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse verwurzelt sein, um dem kapitalistischen System ein Ende zu setzen.

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