Perspektive

Offener Brief an Google: Beenden Sie die politische Zensur im Internet! Nehmen Sie die World Socialist Web Site von der schwarzen Liste!

Sundar Pichai
Chief Executive Officer
Google, Inc.

Lawrence Page
Chief Executive Officer/Director
Alphabet, Inc.

Sergey Brin
President/Director
Alphabet, Inc.

Eric Schmidt
Executive Chairman of the Board of Directors
Alphabet, Inc.

Sehr geehrte Herren,

in seinem ursprünglichen Leitbild setzte sich Google das Ziel, „die Informationen der Welt zu organisieren und für alle zu jeder Zeit zugänglich und nutzbar zu machen“. Seinen offiziellen Verhaltenskodex fasste Google in dem Motto zusammen: „Don't be evil.“ Auf Deutsch: „Sei nicht böse.“ In den vergangenen Jahren sind Sie davon weit abgerückt. Nun sind Sie damit beschäftigt, die Informationen der Welt zu verbergen, und tun dabei sehr viel Böses.

Als Google den Betrieb seiner Suchmaschine in China offiziell einstellte, weil die chinesische Regierung Suchergebnisse wegen politischer Kritik zensierte, erklärte Herr Brin im Namen von Google: „…für uns ging es nur darum, wie wir am besten für Offenheit im Internet kämpfen können. Wir glauben, dass dieser Schritt das Beste war, was wir machen konnten, um die Prinzipien von Offenheit und Informationsfreiheit im Internet zu verteidigen.“

2013 besuchte Herr Schmidt Burma und sprach sich für ein freies und offenes Internet in diesem Land aus. In Anbetracht des jüngsten Vorgehens von Google erscheinen die früheren Äußerungen von Herrn Brin und Herrn Schmidt als Gipfel der Heuchelei. Google, und damit implizit auch seine Muttergesellschaft Alphabet, Inc., üben nun selbst im Internet politische Zensur aus. Sie tun genau das, was Sie früher öffentlich verurteilt haben.

Google manipuliert Internet-Suchergebnisse, um den öffentlichen Bekanntheitsgrad und den Zugang zu sozialistischen, linken und Anti-Kriegs-Webseiten einzuschränken. Vor allem die World Socialist Web Site (www.wsws.org) wird massiv angegriffen, sie ist am stärksten vom Zensurprotokoll betroffen. Verweise von Google auf die WSWS sind seit April dieses Jahres um nahezu 70 Prozent zurückgegangen.

Zensur in diesem Ausmaß kommt der Erstellung politischer schwarzer Listen gleich. Google verfolgt mit seinem Zensuralgorithmus offensichtlich die Absicht, Nachrichten zu blockieren, deren Verbreitung Ihrem Unternehmen nicht genehm ist, und Meinungen zu unterdrücken, mit denen Sie nicht übereinstimmen. Die Erstellung politischer schwarzer Listen fällt nicht unter die Befugnisse, die Google als kommerziellem Unternehmen rechtmäßig zustehen mögen. Sie missbrauchen Ihre Monopolmacht und greifen die Meinungsfreiheit an.

Wir fordern Sie und Google daher auf, die Praxis der schwarzen Liste gegenüber der WSWS ebenso einzustellen wie die Zensur von sämtlichen linken, sozialistischen, fortschrittlichen und Anti-Kriegs-Websites, die durch Ihre neuen, diskriminierenden Such-Richtlinien benachteiligt werden.

Die WSWS ist die Online-Zeitung der internationalen trotzkistischen Bewegung. Sie ist die meistgelesene sozialistische Publikation im Internet. Seit ihrem Start im Jahr 1998 hat die WSWS mehr als 60.000 Artikel zu politischen, historischen, wissenschaftlichen und kulturellen Themen in über einem Dutzend Sprachen veröffentlicht. Sie ist eine wichtige und einzigartige Informationsquelle.

Artikel der WSWS werden auf unzähligen Websites reproduziert und in Printmedien rund um die Welt veröffentlicht. Material, das auf der WSWS erschienen ist, wird häufig in wissenschaftlichen Arbeiten zitiert und in den Lehrplan von weiterführenden Schulen aufgenommen. Namhafte amerikanische Gelehrte, darunter die Historiker James McPherson und Allen Guelzo sowie der Shakespeare-Experte James Shapiro, haben der WSWS Interviews gegeben. Die Film- und Theaterkritiken, die auf der WSWS erscheinen, werden weltweit von einem großen Publikum verfolgt. Weltbekannte Filmemacher – Wim Wenders, Mike Leigh, Richard Linklater, Bertrand Tavernier und Abbas Kiarostami, um nur einige zu nennen – haben mit der World Socialist Web Site über ihre Arbeit diskutiert. Aufsätze und Vorlesungen, die von der WSWS veröffentlicht wurden, sind in Sammelbände aufgenommen worden, deren Herausgeber keinen Bezug zur World Socialist Web Site haben.

Die World Socialist Web Site berichtet auch regelmäßig über Arbeitskämpfe und soziale Themen, die von den kommerziellen Medien kaum beachtet oder völlig ignoriert werden.

Infolge ihrer grundsätzlichen Antikriegshaltung, des Schwerpunkts, den sie auf das Thema soziale Ungleichheit legt, und ihrer hohen politischen und journalistischen Integritätsstandards zählt die WSWS unbestreitbar zu den maßgeblichen Publikationen über politische Weltereignisse, die globale Wirtschaft, den internationalen Sozialismus, die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts, die Russische Revolution und ihre Folgen sowie den zeitgenössischen Marxismus. Sie gehört zu den führenden Stimmen im Kampf gegen das Wiederaufleben von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Faschismus.

Zu Jahresbeginn belegte die WSWS im Alexa Ranking weltweit Platz 36.525 und in den USA Platz 16.679. Im Frühjahr überstieg die Zahl der monatlichen Besucher der WSWS 900.000. Im April kamen unseren Daten zufolge 422.460 Besucher über Google-Suchergebnisse zur WSWS.

Seit April dieses Jahres begann Google, seine Suchergebnisse dahingehend zu manipulieren, dass Benutzer von sozialistischen, linken und Anti-Kriegs-Publikationen fort und stattdessen auf Mainstream-Publikationen gelenkt wurden, die die Ansichten der Regierung sowie des Wirtschafts- und Medienestablishments zum Ausdruck bringen (wie die New York Times, die Washington Post, usw.), sowie auf bewährte, gemäßigt linke Websites, deren Kritik als harmlos erachtet wird (wie das Jacobin Magazine und die Website der Democratic Socialists of America, die als Flügel der Demokratischen Partei fungieren).

Google rechtfertigte diese Veränderungen mit dem Vorwand, es aktualisiere seinen Suchalgorithmus, „damit zuverlässigere Inhalte angezeigt werden“ (im englischen Original: „more authoritative content“). Der Begriff erinnert an das Bemühen autoritärer Regime, das Internet und insbesondere politische Ansichten zu zensieren, die nicht dem von den etablierten Medien festgelegten Konsens entsprechen.

Google-Vizepräsident Ben Gomes, der für die Entwicklung der Suchmaschine zuständig ist, versuchte am 25. April die Einführung der politischen Zensur in einem Blog-Post mit der Begründung zu rechtfertigen, die Veränderungen des Algorithmus seien eine Reaktion auf „das Phänomen der sogenannten ‚Fake News‘. Hierbei tragen im Internet veröffentlichte Inhalte zur Verbreitung von offensichtlich irreführenden, minderwertigen, anstößigen oder absolut falschen Informationen bei.“

Laut Gomes hat Google etwa 10.000 „Prüfer“ eingestellt, die die „Qualität“ von Websites bewerten. Die Prüfer werden dazu ausgebildet, Websites zu „kennzeichnen“, die vermeintlich „irreführende Informationen“ oder „unbestätigte Verschwörungstheorien“ enthalten. Die von diesen Prüfern erstellten schwarzen Listen werden dann, so Gomes, in Verbindung mit technologischen Neuerungen benutzt, um einen Algorithmus zu entwickeln, der zukünftig Suchergebnisse in Realzeit automatisch zensiert.

Was immer Google am Suchalgorithmus technisch verändert hat, dessen Voreingenommenheit gegen linke Inhalte ist unbestreitbar. Das auffälligste Ergebnis von Googles Zensurmaßnahmen besteht darin, dass die Ergebnisse von Suchanfragen, die ein Interesse am Sozialismus, Marxismus oder Trotzkismus erkennen lassen, nicht länger auf die World Socialist Web Site verweisen. Google lässt die WSWS aus den Suchergebnissen verschwinden. Hatten Google-Suchen nach „Leon Trotsky“ im Mai dieses Jahres noch 5893 Impressionen (Links zur WSWS in Suchergebnissen) ergeben, zeigte dieselbe Suche im Juli keine einzige Impression für die WSWS, die Internet-Publikation der internationalen Bewegung, die 1938 von Leo Trotzki gegründet wurde.

Andere häufig benutzte Wörter und Ausdrücke, bei denen die WSWS nicht mehr in den Google-Suchergebnissen auftaucht, sind: socialism, class struggle, class conflict, socialist movement, social inequality in the world, poverty and social inequality, antiwar literature, und the Russian revolution. Eine Suche nach socialism vs. capitalism, die noch im April die World Socialist Web Site auf der ersten Seite der Suchergebnisse an achter Stelle aufgelistet hatte, ergibt jetzt überhaupt kein Ergebnis mehr für die WSWS. Von den 150 häufigsten Suchanfragen, die im April auf die WSWS verwiesen hatten, ist dies bei 145 nicht länger der Fall.

Alle oben angeführten Suchbegriffe werden häufig von Nutzern gebraucht, die nach einer linken, sozialistischen oder marxistischen Einschätzung von Ereignissen suchen. Google schützt seine Leser nicht, wie behauptet, vor „unerwarteten” Ergebnissen ihrer Suchanfragen, sondern manipuliert seinen Algorithmus so, dass linke und fortschrittliche Nutzer, die das größte Interesse an der World Socialist Web Site hätten, diese nicht mehr finden können. Das Ausmaß und die Präzision, mit der die WSWS aus Suchergebnissen ausgeschlossen wird, legt zudem eindeutig nahe, dass die antisozialistische Voreingenommenheit des neuen Algorithmus durch die physische Intervention von Google-Mitarbeitern ergänzt wird, die auf autoritäre Weise direkt und vorsätzlich dafür sorgen, dass die WSWS auf der schwarzen Liste steht.

Wie bereits erwähnt, sind auch die Google-Suchergebnisse für andere linke Publikationen, die sich als fortschrittlich, sozialistisch oder als Kriegsgegner verstehen, deutlich zurückgegangen. Sie verzeichneten folgenden Rückgang:

  • alternet.org: 63 Prozent
  • globalresearch.ca: 62 Prozent
  • consortiumnews.com: 47 Prozent
  • mediamatters.org: 42 Prozent
  • commondreams.org: 37 Prozent
  • internationalviewpoint.org: 36 Prozent
  • democracynow.org: 36 Prozent
  • wikileaks.org: 30 Prozent
  • truth-out.org: 25 Prozent
  • counterpunch.org: 21 Prozent
  • theintercept.com: 19 Prozent

Google rechtfertigt die politische Zensur mit aufgeladenen Begriffen wie „Fake News“. Bei sachgemäßer Verwendung bedeutet dieser Begriff die Fabrikation von Nachrichten auf der Grundlage künstlich konstruierter Ereignisse, die entweder nicht stattgefunden haben oder maßlos übertrieben sind. Die gegenwärtige Aufregung über „Fake News“ ist selbst ein typisches Beispiel für erfundene Ereignisse und ein künstlich konstruiertes Narrativ. Es handelt sich um einen falschen („fake“) Begriff, der dazu dient, faktisch fundierte Informationen und gut begründete Analysen in Verruf zu bringen, weil sie die Politik der Regierung und Wirtschaftsinteressen infrage stellen und diskreditieren. Bezogen auf die WSWS ist der Begriff „Fake News“ unbegründet und unglaubwürdig. So hat unser Kampf gegen historische Fälschungen breite Anerkennung gefunden, unter anderem auch vom Wissenschaftsjournal American Historical Review.

Es ist faktisch erwiesen, dass Google Suchergebnisse manipuliert, um die WSWS und andere linke Publikationen zu zensieren und auf eine schwarze Liste zu setzen. Das wirft sehr schwerwiegende Fragen mit weitreichenden verfassungsrechtlichen Implikationen auf. Stimmt Google sein Zensurprogramm mit der amerikanischen Regierung oder Teilen des Militär- und Geheimdienstapparats ab?

Google wird diese Frage vermutlich als Beispiel für eine Verschwörungstheorie abtun. Sie ist aber legitim, wenn man sich die umfangreichen Belege über enge Verbindungen zwischen Google und dem Staat anschaut. 2016 hat Barack Obamas Verteidigungsminister Ashton Carter Sie, Herr Schmidt, zum Vorsitzenden des Innovationsfachbeirats (Innovation Advisory Board) des Verteidigungsministeriums ernannt. Anfang des Monats hat Verteidigungsminister James Mattis die Zentrale von Google besucht, um über die anhaltende enge Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen und dem Pentagon zu diskutieren. Laut einem Bericht von The Intercept nahmen Vertreter von Google zwischen Januar 2009 und Oktober 2015 im Durchschnitt mindestens einmal pro Woche an Treffen im Weißen Haus teil.

Google bezeichnet sich als Privatunternehmen, ist aber eng an der Ausarbeitung und Durchführung der Regierungspolitik beteiligt. Es fällt immer schwerer, einen Unterschied zwischen Wirtschaftsinteressen und staatlichen Zielen auszumachen. Googles Zensurprogramm, das den freien Zugang und Austausch von Informationen behindert, versucht, eine dem 21. Jahrhundert entsprechende Version von Orwells „Richtigdenk“ zu erzwingen. Es untergräbt den von der Verfassung geschützten Aufbau einer fortschrittlichen Opposition. Es begünstigt die Befürworter von Krieg, Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Reaktion.

Die Zensur linker Webseiten und insbesondere der WSWS widerspiegelt die Angst davor, dass eine wirklich sozialistische Perspektive, wenn man sie zulässt, Gehör findet, in den USA und international breite Unterstützung gewinnt. In der Bevölkerung gibt es großen Widerstand gegen Ihre Versuche, die Meinungs- und Gedankenfreiheit zu unterdrücken. Deshalb bemüht sich Google, seine undemokratischen Machenschaften mit irreführenden Argumenten und offenen Lügen zu bemänteln. Eine von der WSWS in Umlauf gebrachte Online-Petition, in der verlangt wird, dass Google seine Zensurbemühungen einstellt, ist bereits von mehreren Tausend Lesern in 70 verschiedenen Ländern auf fünf Kontinenten unterzeichnet worden. Wir sind fest entschlossen, uns der Zensur unserer Publikation durch Google zu widersetzen und weltweit das Bewusstsein über die Google-Zensur zu schärfen. Solange sie anhält, werden Sie dafür in Form des Verlusts öffentlicher Glaubwürdigkeit einen hohen Preis bezahlen.

Die internationale Redaktion der World Socialist Web Sites verlangt, dass Google die undemokratischen Veränderungen, die es seit April beim Ranking der Suchergebnisse und beim Suchalgorithmus vollzogen hat, rückgängig macht und aufhört, den Zugang zur WSWS und anderen linken, sozialistischen, fortschrittlichen und Anti-Kriegs-Webseiten auf seiner Suchmaschine einzuschränken.

Hochachtungsvoll,
David North
Vorsitzender der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site

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