60 Jahre Bundeswehr

„La citadelle du militarisme“ nannte die wohl bekannteste Kritikerin des damaligen Militarismus, Bertha von Suttner, Berlin zur Zeit des deutschen Kaiserreichs. Touristen und Berliner Bürger, die sich am Mittwochabend zufällig in der Nähe des Reichstagsgebäudes befanden, mussten den Eindruck bekommen, dass die deutschen Eliten trotz ihrer Verbrechen in zwei Weltkriegen erneut um diesen „Titel“ buhlen.

Hinter weiträumigen Absperrgittern und unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen begingen der Bundestag und das Verteidigungsministerium mit einem sogenannten „Großen Zapfenstreich“ feierlich das 60-jährige Bestehen der Bundeswehr.

Die Atmosphäre war gespenstisch. Vor den Augen von Bundespräsident Joachim Gauck, Mitgliedern des deutschen Bundestags und 2500 geladenen Gästen – darunter laut offiziellen Angaben des Verteidigungsministeriums „rund ein Viertel Bundeswehrangehörige als Repräsentanten aus allen Truppenteilen der Bundeswehr“ – marschierten 320 Soldaten in Waffenzügen und als Fackelträger auf. Weitere 80 Fackelträger der Marine waren an den Zugängen zum Reichstag positioniert und „umrahmten“ den „Großen Zapfenstreich“.

Kaum eine Zeremonie könnte besser veranschaulichen, in welcher militaristischen Tradition die Bundeswehr steht. Der Große Zapfenstreich, ihr höchstes militärisches Zeremoniell, hat seine Wurzeln im preußischen Militarismus. Er geht in seiner heutigen Form auf den Großen Zapfenstreich zurück, der zu Ehren des russischen Zaren Nikolaus I. am 12. Mai 1838 in Berlin veranstaltet wurde. Danach wurde er in der preußischen Armee, dem deutschen Heer des Kaiserreichs und der Reichswehr der Weimarer Republik zelebriert, bevor er seinen Höhepunkt in der Wehrmacht des Dritten Reichs fand.

In ihren offiziellen Festreden auf das deutsche Militär waren Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Bundestagspräsident Norbert Lammert bemüht, die historischen Wurzeln und den Charakter der Bundeswehr zu verschleiern und sie als Säule der „Demokratie“ und des „Friedens“ darzustellen. Das ist heute genau so falsch wie bei der offiziellen Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955.

Tatsächlich hieß sie zu diesem Zeitpunkt noch „neue Wehrmacht“ (offiziell in „Bundeswehr“ umgetauft wurde sie erst 1956) und der Name war Programm. Die bis zum Jahre 1957 ernannten 44 Generäle und Admirale kamen allesamt aus Hitlers alter Wehrmacht, überwiegend aus dem Generalstab des Heeres. 1959 befanden sich im Offizierskorps unter 14.900 Berufssoldaten 12.360 Wehrmachtsoffiziere, 300 stammten aus dem Führerkorps der SS.

Der Militärhistoriker Wolfram Wette schrieb 2011 in einer Studie mit dem Titel „Militarismus in Deutschland: Geschichte einer kriegerischen Kultur“, dass „diese personelle Kontinuität für das Innenleben der Bundeswehr eine schwere Belastung darstellte“ und „es lange Zeit im Offizierskorps der Bundeswehr der Bonner Republik die zwar nicht durchgängige, aber doch vorherrschende Tendenz gab, sich an den Traditionen vor 1945 zu orientieren“.

Mit der Wiedervereinigung vor 25 Jahren hat sich diese „vorherrschende Tendenz“ weiter verstärkt. 1991 erklärte ein General: „Auf die Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr hin ist also alles auszurichten, Ausbildung, Ausrüstung und Struktur. Ethos, Erziehung, Sinnvermittlung und Motivation müssen sie mit einschließen“. Seitdem wird die Bundeswehr systematisch in eine Einsatz- oder vielmehr Kriegsarmee umgewandelt, welche die Interessen des deutschen Imperialismus weltweit verteidigt.

Bundestagspräsident Lammert erklärte in seiner Rede stolz, dass „sich die Bundeswehr seit 1992 ständig im Auslandseinsatz befindet“. Deutschland sei einer der größten Truppensteller bei internationalen Einsätzen und stelle sich der Verantwortung. Mehr als 380.000 Soldaten seien bislang an Auslandseinsätzen beteiligt gewesen. Auch „der Bundeswehreinsatz im Inneren“ sei massiv. „Im Augenblick sind in Auslandseinsätzen nur halb so viele Soldaten gebunden wie bei der Flüchtlingshilfe im Inland“, betonte Lammert.

Von der Leyen machte in ihrer Rede deutlich, dass die Kriegseinsätze der letzten Jahre erst der Anfang waren. Die Bundeswehr sei „die Armee eines Landes, das sich zu seiner Verantwortung in der Welt bekennt“. Man müsse nun den „Freunden im Osten die Befürchtungen nehmen“ und „sich auf Bedrohungen aus dem Süden vorbereiten“. Bereits „in einigen Tagen“ würden Vertreter aus 20 Ländern „nach Berlin kommen, um das weitere Vorgehen in Afghanistan zu beraten“.

Dann dankte von der Leyen den Soldaten, die in den Einsatzgebieten für Deutschland kämpfen und sterben – „der Soldatin im Nordirak, die die kurdischen Peschmerga in die Lage versetzt, sich zu verteidigen“, dem „Eurofighter-Pilot, der den Luftraum im Baltikum sichert“, und dem „Soldaten, der im Karfreitagsgefecht in Afghanistan gefallen ist“. Sie alle verdienten „die tätige Unterstützung unserer Gesellschaft und unserer Staates. Sie verdienen unseren Rückhalt und unser Herz.“

Während die große Mehrheit der Bevölkerung die Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt und ihre dumpfen militaristische Rituale verabscheut, stehen die herrschenden Eliten heute geschlossen hinter ihr. Vor allem die SPD, die Grünen und auch die Linkspartei haben sich in den letzten Jahren in stramme Militaristen verwandelt.

Vor 20 Jahren hatte der damalige SPD-Vorsitzende Rudolf Scharping noch einen Eklat ausgelöst, weil er sich weigerte, am Großen Zapfenstreich zu den Feierlichkeiten zum 40-jährigen Bestehen der Bundeswehr teilzunehmen.

Während sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl „erbost“ zeigte, erklärte die Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen in einem offiziellen Statement, dass sie der Einladung zur Teilnahme am Großen Zapfenstreich ebenfalls „nicht Folge leisten“ wolle. Ihr Protest richte sich gegen die „Verherrlichung des Militärs durch dieses zentrale Symbol zunächst des preußischen, dann des deutschen Militarismus“. Das Aushängeschild der Linkspartei-Vorgängerin PDS Gregor Gysi erklärte, seine Hoffnung, dass dieses „Säbelgerassel“ aufhöre, „sei enttäuscht“ worden.

1998 wurde Scharping dann der erste Verteidigungsminister der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer, die nach ihrem Amtsantritt den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr seit dem Zeiten Weltkrieg im Kosovo beschloss und 2001 an der Seite der USA in Afghanistan einmarschierte. Gestern befand sich Scharping unter den Ehrengästen und wurde von der amtierenden Verteidigungsministerin offiziell begrüßt.

Seitdem Bundespräsident Gauck und die Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 offen verkündet haben, dass Deutschland noch viel umfassender militärisch eingreifen muss, um seine wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen weltweit zu verteidigen, befindet sich auch die Linkspartei an Bord und hat sich in eine Kriegspartei verwandelt.

Was steckt hinter dieser Rechtswende der herrschenden Eliten, die gemeinsam mit dem Musikkorps der Bundeswehr im Fackelschein vor dem Reichstag dem Deutschlandlied lauschen? In letzter Analyse ist es der Drang des deutschen Imperialismus nach Märkten, Rohstoffen, strategischem Einfluss und Weltmacht, der sie in die Arme des deutschen Militarismus zurück treibt.

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