Die Wiederwahl des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat unter deutschen Politikern eine Mischung aus Jubel und Erleichterung ausgelöst.
Noch am Wahlabend schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf Twitter: „Félicitations, herzliche Glückwünsche, lieber Präsident Emmanuel Macron. Deine Wählerinnen und Wähler haben heute auch ein starkes Bekenntnis zu Europa gesendet. Ich freue mich, dass wir unsere gute Zusammenarbeit fortsetzen!“
Führende Vertreter von Regierung und Opposition äußerten sich ähnlich. „Sicher fällt gerade nicht nur mir ein Stein vom Herzen. Félicitations, Président Emmanuel Macron & meinem Kollegen J. Denormandie!“, erklärte der grüne Umweltminister Cem Özdemir.
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken schrieb: „Ich tanze! Große Erleichterung und unsere herzlichsten Glückwünsche an Emmanuel Macron und unsere französischen Freundinnen und Freunde!“
Der FDP-Vorsitzende und Bundesfinanzminister Christian Lindner bezeichnete Macrons Sieg als „Richtungswahl“. Damit sei „das vereinte Europa die größte Gewinnerin dieser Wahl. Vive la France, vive l'Europe.“
Bis auf die rechtsextreme AfD, deren Vorsitzender Tino Chrupalla „unserer Partnerin Marine Le Pen“ gratulierte, stimmten auch die Oppositionsparteien in den Chor ein.
CDU-Chef Friedrich Merz erklärte, mit Macron habe „auch Europa heute gewonnen“. Und der „linke“ thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow jubelte: „Die Wahl von Präsident Macron ist gut für Europa und die Deutsch-Französische Beziehung. Herzlichen Glückwunsch Herr Präsident Emmanuel Macron.“
Ihre Unterstützung für Macron begründen Politik und Medien mantrahaft mit dem angeblichen Widerstand gegen Nationalismus und Rechtsextremismus. „Die Normalisierung extremistischer Diskurse im fr. Wahlkampf ist eine Mahnung“, warnte z.B. der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour auf Twitter. Es gelte nun, „mit aller Kraft für Demokratie & Freiheit einzutreten und unsere europäischen Werte zu verteidigen“.
All das ist offensichtlich absurd. Tatsächlich hat Macron in den letzten fünf Jahren das Programm der extremen Rechten zunehmend übernommen und umgesetzt. Macrons Innenminister Gérald Darmanin, ein Sympathisant der rechtsextremen Action Française, erließ diskriminierende Gesetze gegen muslimische Vereinigungen und kritisierte Le Pen öffentlich als zu „weich“ gegenüber dem Islam.
Macron selbst bezeichnete den Nazi-Kollaborateur Philippe Pétain als „großen Soldaten“ und mobilisierte die notorisch rechte französische Polizei wiederholt gegen die Gelbwesten, protestierende Studenten und streikende Arbeiter. In der Pandemie verfolgte der „Präsident der Reichen“ eine Politik der Durchseuchung im Interesse der Finanzmärkte, Flüchtlinge deportierte er en masse, und in der Außenpolitik setzte er auf Militarismus und Krieg.
Hierzulande verfolgen die gleichen Parteien, die jetzt Macron feiern, ebenfalls ein extrem rechtes Programm. Seit ihrer Regierungsübernahme im vergangenen November hat die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen die Politik des Sozialkahlschlags, der inneren und äußeren Aufrüstung und der Durchseuchungspolitik in der Pandemie ständig verschärft. Sie hat alle Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 beendet und das staatliche Vorgehen gegen links verstärkt.
Putins reaktionären Einmarsch in die Ukraine nutzte die Regierung umgehend als Vorwand für die Verdreifachung des deutschen Militärhaushalts und damit die größte Aufrüstung seit Hitler. De facto führt sie in der Ukraine 80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wieder Krieg gegen Russland – mit allen Konsequenzen. In Politik und Medien läuft eine anti-russische Hetzkampagne, die an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte erinnert.
Eben diese kriegerischen Ambitionen stehen hinter der deutschen Unterstützung für Macron. Spätestens seit 2014 verfolgt die herrschende Klasse ganz offen das Ziel, Europa unter deutscher Führung zu militarisieren, um ihre globalen geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen zu verfolgen. Als Unterstützer der Europäischen Union und einer unabhängigeren europäischen Außenpolitik gilt Macron bei der Umsetzung der deutsch-europäischen Großmachtoffensive als Verbündeter.
Bezeichnend ist ein Kommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Titel „In Paris sitzt ein Partner mit Schneid“. Er feiert Macron dafür, dass er trotz der großen Anzahl von „Unzufriedenen“ in der französischen Wählerschaft, „sein Heil nicht in taktischer Europaskepsis gesucht hat“. Vielmehr habe Macron „den Schneid besessen, für die EU als Lösung der Globalisierungsprobleme zu werben, sowohl der materiellen als auch der identitätspolitischen“.
Aber nun müssten der französische Präsident und die EU auch „liefern“. Und das gehe „nicht ohne Bundeskanzler Olaf Scholz“ und die von diesem verkündete außenpolitische „Zeitenwende“. Die Hoffnung der FAZ: „Wenn Scholz es schaffen sollte, dass sich Deutschland militärisch und politisch zu einer Säule europäischer Souveränität entwickelt, dann gewönne der deutsch-französische Motor einige Zugkraft.“
Was das konkret bedeutet, zeigt ein Blick in den sogenannten „Strategischen Kompass für Sicherheit und Verteidigung“. Das vom Europäischen Rat am 21. März verabschiedete Dokument liest sich wie eine Blaupause für eine unabhängigere europäische Kriegspolitik. „In einer Zeit des strategischen Wettbewerbs“ und „großer geopolitischer Veränderungen“ müsse es darum gehen, „unsere Interessen zu verteidigen“, heißt es gleich in der Einleitung.
Was folgt, ist ein Katalog von militärischen und sicherheitspolitischen Maßnahmen, die Europa in eine regelrechte Kriegsunion verwandeln, die in der Lage wäre, auch unabhängig von den USA und der Nato militärisch einzugreifen. „Wir müssen in der Lage sein, rasch und entschlossen zu handeln, wenn eine Krise ausbricht – nach Möglichkeit mit Partnern und notfalls allein“, so das Dokument.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Zu diesem Zweck werde die EU 1) ihre „zivilen und militärischen GSVP-Missionen und -Operationen verstärken, 2) „eine EU-Schnelleingreifkapazität aufbauen, die uns die rasche Entsendung von bis zu 5.000 Einsatzkräften in ein nicht bedrohungsfreies Umfeld [...] ermöglicht“, und 3) die „Führungsstrukturen stärken, insbesondere den militärischen Planungs- und Durchführungsstab“.
Um die notwendigen Kriegsfähigkeiten zu erreichen, verpflichten sich die EU-Staaten darauf, „mehr und bessere Verteidigungsausgaben zu tätigen“ und massiv aufzurüsten. Unter anderem gehe es darum, „gemeinsam modernste militärische Fähigkeiten“ in „allen operativen Bereichen“ zu entwickeln, „darunter Hochleistungs-Marineplattformen, Luftkampfsysteme der Zukunft, weltraumgestützte Fähigkeiten und Hauptkampfpanzer“.
Einige dieser Projekte werden bereits forciert. So sieht etwa das insgesamt 100 Milliarden Euro schwere „Sondervermögen Bundeswehr“ Ausgaben in Höhe von etwa 34 Milliarden Euro für „multinationale Rüstungsprojekte“ vor. Dazu gehören deutsch-französische Megaprojekte wie das neue europäische Luftkampfsystem (Future Combat Air System – FCAS) und der deutsch-französische Kampfpanzer (Main Ground Combat System – MGCS).
Le Pen hatte im Wahlkampf angedroht, diese Projekte aufzukündigen und Deutschland als „das absolute Negativ der französischen strategischen Identität“ bezeichnet. Die deutsch-französischen Spannungen haben objektive Ursachen und werden sich auch unter Macron verschärfen, aber die herrschende Klasse in Deutschland hofft, die Kooperation so lange wie möglich fortzusetzen und für die eigenen Aufrüstungspläne zu nutzen.
Ein aktueller Kommentar des Spiegel mit dem Titel „Wie ich die Bombe lieben lernte“ fordert – auch vor dem Hintergrund der wachsenden Spannungen mit den USA – deutsche Atomwaffen und die Beteiligung an Frankreichs „Force de frappe“.
„In Sachen Sicherheit sind wir von den USA abhängiger als in Sachen Energie von Russland,“ beklagt der Autor und frühere Chefredakteur der Bild-Zeitung Nikolaus Blome. Deshalb dränge die Zeit. „Wenn Putin sich im Amt hält und Trump die nächste US-Wahl gewinnt,“ sei „die Bundeswehr Ende 2024 weitgehend auf sich selbst gestellt“. Denn Trump „würde nämlich weder für Deutschland noch für Europa einen Atomkrieg riskieren, geschweige denn einen führen“.
Blomes apokalyptische Schlussfolgerung: Berlin muss dazu selbst in der Lage sein! Es dürfe „nicht undenkbar bleiben, dass Deutschland sich atomar bewaffnet. Dass es mit Frankreich einen gemeinsamen Atomschirm über die EU spannt.“ Von Macron stamme der Satz, „L’Europe qui protège“, „ein Europa, das beschützt“, fügt er zynisch hinzu. Er habe bereits während der Corona-Pandemie gepasst und passe nun „wegen Putin ... für lange Zeit noch besser“.
Derart krankhaft-bellizistische Kommentare werfen ein Schlaglicht auf den verbrecherischen Charakter der herrschenden Klasse und ihres Systems. Sie hat bereits in der Pandemie Millionen Menschenleben dem kapitalistischen Profit geopfert – mehr als 135.000 davon in Deutschland. Nun ist sie bereit, das Überleben der gesamten Menschheit in einem atomar geführten dritten Weltkrieg zu riskieren. Die einzige Möglichkeit, diese Katastrophe zu verhindern, ist die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms.